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Mörderspinnen

Mainstreams MatineeMörderspinnen

Der Filmvorführer ist eine besondere Spezies Mensch. Es gibt diese Studentenjobs in den Multiplexen und es gibt noch, sehr vereinzelt, diese alten Vorführstätten, in denen ein alter, weißhaariger Mann am Projektor steht. Der alte, weißhaarige Mann war, so will es das Klischee, fünfzig Jahre vorher noch braunhaarig und säuberte für wenige Groschen den Kinosaal nach der Vorstellung.
 
Der alte, weißhaarige Mann wollte anfangs wirklich nur ein paar Groschen verdienen, bis er in den nicht so einfach zu bedienenden Projektoren eine höhere Aufgabe erkannte. Fünfzig Jahre später haben Filmteller und Dolby-Digital-Decoder im Vorführraum Einzug gehalten, aber die Ernsthaftigkeit, mit der ein Film aufgebaut und vorgeführt wird, ist niemals abhanden gekommen. Jedenfalls nicht beim alten, weißhaarigen Mann. Innerhalb dieser Studentenjobs sieht das Ganze vielleicht schon anders aus, aber das ist nicht das Thema.

Ein guter Vorführer baut seinen Film, aus fünf oder sechs Akten bestehend, sehr behutsam zusammen, um diesen in kompletter Länge am Stück zeigen zu können. Ein guter Vorführer nimmt den Film, der als einzelner Akt auf die große Spule gewickelt wird, seitlich zwischen die Finger und lässt so Teil für Teil langsam durchlaufen. Ein guter Vorführer bemerkt dabei sofort eventuelle Perforationsschäden oder auch Klebestellen, die erneuert werden müssten. Selbstverständlich kurbelt der gute Vorführer per Hand die Akte auf die große Spule.

Ich war kein guter Vorführer. Man konnte beim Zusammenbauen die einzelnen Akte auch über den Spulturm umwickeln lassen, was elektrisch ging und mit einer affenartigen Geschwindigkeit. Dies bedeutete, dass der Film unter immenser Spannung aufgewickelt wurde und dazu die aufeinanderliegenden Filmschichten gegeneinander rieben. Nur ein bisschen Staub, und schon hatte bei dieser Aktion der Faulheit selbst die jungfräulichste Kopie ihre ersten Macken im Bild. Aber dafür hatte ich noch einen Pausengong und einen riesigen Samtvorhang und habe damit das Publikum erfreut.

Die Meisengeige ist der Name eines Kinos, warum auch immer. Jedenfalls wurden in der Meisengeige augenscheinlich die Filme genau so zusammengebaut, wie ich es tat. Aber sie hatten keinen Gong und einen Vorhang schon gleich gar nicht. Aber es war die Meisengeige, in der ich auf Drängen einer Freundin mit ihr Mörderspinnen ansehen musste. Nicht ganz einfach für eine Arachnophobiker. Doch der Film machte Spaß und das ist zum größten Teil dem Auftreten von William Shatner zu verdanken.

1977 war ja so die Zeit, als die Schauspieler aus Star Trek etwas weniger zu tun hatten. Shatner, vor Star Trek vollbeschäftigt, litt in dieser Zeit besonders darunter, was er gerne mit Alkohol zu vertuschen versuchte. Bei Mörderspinnen war ihm sein Problem leider auch gut zu Gesicht gestanden, trotz seiner ausgezeichneten Spiellaune. Solange man von Laune sprechen kann, denn 5000 lebendige Taranteln am Set ist ja jetzt auch nicht gerade der Spaß schlechthin.

Der "Shatman" auf der Spur der MörderspinnenDer vermehrte Einsatz von Pestiziden lässt die Spinnen-Population in Verde Valley rasant ansteigen. Die vom heimischen Tierarzt Rack Hansen zur Hilfe geholte Diane Ashley findet heraus, dass sich die sonst zum Kannibalismus neigenden Taranteln zusammenrotten, um die sonst zur Nahrung anstehenden Insekten durch Vieh und Menschen zu ersetzen. Bevor Rack Hansen die Behörden überreden kann, das anstehende Stadtfest lieber abzusagen und etwas gegen die Spinnen zu unternehmen, ist es natürlich zu spät. Das Krabbelzeug überrennt die Stadt.

Hört sich nach einer seichten Geschichte an? Ist sie natürlich auch. Klingt ein wenig nach dem Plot von Jaws – Der weiße Hai? Selbstverständlich. Macht aber alles gar nichts. Mörderspinnen ist höchste Unterhaltung auf niedrigstem Niveau. In der Reihe von Filmen, in der die Natur Amok läuft, ist dieser Knaller im guten Mittelfeld anzusiedeln. Für alle positiven Kritikpunkte finden sich genauso viele Negativ-Beispiele. Zum Beispiel, was eine sonst sechshundert Meilen (!) anderenorts ansässige Spinne nach Verde Valley wandern lässt, oder warum sich die Menschenopfer nicht einfach ins Auto setzen…

Die Darsteller sind allesamt gut gewählt, gut aufgelegt und gut im Umgang mit Spinnen. William Shatner ist, was er am besten kann, nämlich der Shatner schlechthin und Tiffany Bolling ist einfach eine atemberaubende Männerfantasie.  Zudem lässt sich der vorher und auch hinterher niemals mehr auffällig gewordene, Regisseur John Cardos einiges einfallen, um die handlungsarme Geschichte interessant zu halten. So baut er immer wieder gerne Spannungsmomente auf, die dann schadenfroh grinsend verpuffen. Am markantesten dabei in der Duschszene von Bolling, wo sich eine Tarantel in ihre Kommode verkriecht. Natürlich nähert sich Bolling der Kommode, natürlich öffnet sie diese ungewarnt und natürlich sieht sie die Spinne. Doch sehr entzückt  von diesem sehr hübschen Exemplar nimmt Bolling das possierliche Tierchen auf die Hand, streichelt es und trägt es nach draußen. Bollings Umgang mit den Stars des Filmes ist überraschend frei und ungehemmt. Auch Shatner hat einige Szenen mit den Haarigen an den Fingern, aber auch wenn es natürlich erscheinen soll, spürt man Shatners Unbehagen durch und durch.

Auf einem Konvent erzählte Shatner einmal die Geschichte von der Kameraeinstellung, in welcher er mit einer Tarantel im Gesicht direkt vor die Linse fallen sollte. Taranteln aber haben Scheu vor Menschen und dieses „Gesichtsexemplar“ flüchtete immer, bevor Shatner im Schuss richtig vor der Kamera lag. Schließlich musste man das Tier mit Klebstoff im Gesicht befestigen.

Die American Human Association kümmert sich zwar schon seit 1940 darum, das keine Tiere bei Dreharbeiten zu Schaden kommen, doch 1977 hat man sie noch nicht zu allen Dreharbeiten zugelassen. So fielen etliche der 5000 lebenden Taranteln gut sichtbar Autoreifen, Schuhsohlen und kochendem Wasser zum Opfer. Oder sie fraßen sich gegenseitig auf. Die Produktionsfirma gab an Spinnenfänger leichtfertig die Losung aus, dass es zehn Dollar Prämie für jede gefangene Tarantel geben würde.  Dadurch ging letztlich ein Zehntel des Gesamtbudgets für die kleinen Hauptdarsteller drauf, was man dem Film in anderen Bereichen auch anmerkt. So besteht die Filmmusik bei Mörderspinnen zum Beispiel aus rechtefreiem Archivmaterial.

Das verkorkste SchlussbildDer Spaß ist trotz allem gegeben. Sinnentleert, mit einer an den Haaren herbeigezogenen Botschaft, aber mit einem extrem hohen Ekelfaktor. Nur die allerletzte Einstellung. Oh weh, diese allerletzte Einstellung. Diese Einstellung verwandelt das zuvor aufgebaute krabbelige Gruseln, in ratlose Verblüffung. Die Überlebenden blicken auf ihre eingesponnene Stadt. Ein derart schlecht gemaltes Bild hat nicht einmal in billigen Kinderfilmen etwas zu suchen. Das macht mich selbst jetzt beim Schreiben noch völlig fertig. Einfach ein schlechtes Gemälde. So ein Ende hat dieser Film wirklich nicht verdient.

Bei einem Horrorfilm ist das Ende schlichtweg das A und O. Wie zum Beispiel bei Pet Sematary. Der hat ein sehr gutes, einprägsames Ende. Da gibt es kein billiges Gemälde, mit dem man vorgaukeln will, Spinnen hätten eine komplette Stadt eingesponnen. Bei Pet Sematary steht auf einmal die vorher getötete Ehefrau hinter dem ‚Helden‘, haucht „Darling“ und küsst ihn. Der schockierte Zuschauer weiß, dass sie gerade von den Toten auferstanden ist und böse sein muss. Pet Sematary hat ein fabelhaftes Ende, leider hatte ein Kopiefehler dieses Ende zum Verdruss der Zuschauer stets zunichte gemacht. Ich schwöre, dass dieser Fehler nichts mit meiner Unachtsamkeit gegenüber dem Film beim Zusammenbauen zu tun hatte. Ich hätte ihn zehnmal sanft durch meine Finger laufen lassen können und nichts gegen das abreißen tun können, weil der Fehler nicht spür- oder sichtbar war.

Nach einer Woche von Pet Sematary im Einsatz, sprach sich der Film herum. Nach der zweiten Woche hatten wir ein stets ausverkauftes Haus. Nach der dritten Woche begann der Film genau in diesen letzten dreißig Sekunden des Endes zu reißen. Wie sich später herausstellte, hatte das Filmmaterial einen Fehler und zerbröselte am Ende immer mehr. Da half alles Überprüfen und Nachkleben nicht.
 
Kingdom of Spiders / MörderspinnenDer Film riss kontinuierlich beim sagenhaften Schlussbild von Pet Sematary. Man kann sich vorstellen, das das Publikum sich nicht sehr begeistert zeigte, zumal man als Vorführer versuchte, die gesamte Szenen noch einmal zu zeigen, was zur Folge hatte, das dieser unsichere Bereich noch einmal durch den Projektor laufen musste und jederzeit wieder abreißen konnte. Im Schnitt (was für ein Wortspiel) hatten wir bei jeder zweiten Vorstellung Filmriss im gehauchten „Darling“.

Der Chef des Kinos musste bei jeder Vorstellung anwesend sein, um mich vor dem Lynchmob zu bewahren. Der Film lief zudem  so erfolgreich auch in allen Kinos, dass der Verleih keine Wechselkopie anbieten konnte. Ich habe gelitten und Todesängste ausgestanden. Glaubt mir, es hat mir mehr weh getan als dem Zuschauer.

Kingdom of the Spiders

Darsteller: William Shatner, Tiffany Bolling, Woody Strode, Lieux Dressler, Marcy Lafferty, Natasha Ryan, Altovise Davis, David McLean u.a.

Regie: John ‘Bud’ Cardos; Drehbuch; Alan Caillou, Richard Robinson; Kamera: John Arthur Morrill; Bildschnitt: Igo Kantor, Steve Zaillian; Spinnen: Jim Brockett, Gary Keasler

USA / 1977; circa 97 Minuten



Bildquelle: Dimension Pictures, Good Times Entertainment
 

Kommentare  

#1 romancier 2009-01-18 14:54
Zu dem Film gibt es noch ein interessantes Detail: Seine Vorlage war ein Heftroman aus der Reihe "Vampir Horror Roman", und zwar Band 324 mit dem Titel "Königreich der Spinnen" von B.J.Hurwood.
#2 Holzi 2009-01-18 18:20
Das Original von Bernhardt J Hurwood erschien erstmalig 1976 und wurde 1977 nochmals als "Buch zum Film" rausgebracht. Das wurde dann übersetzt und erschien 1979 bei Pabel als "Vampir Horror". Da gabs den Film aber schon. 8)

Aber wieder ein sehr schöner Artikel, Uwe. :-)
#3 Mainstream 2009-01-18 19:28
-
Danke vielmals für das Lob.

Und die Heft-Information ist Gold wert. Das interessiert
mich dann schon, wie dieses Teil wohl als Geschriebenes
rüber kommt.
Und was zum Lesen ist ja nie verkehrt.

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