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SF und SF - Science Fiction in der Stadt der Sagrada Familia - BCPN – EuroCon in Barcelona

Eurocon 2016 in BarcelonaSF und SF -
Science Fiction in der Stadt der Sagrada Familia
BCPN – EuroCon in Barcelona

Die (wahlweise für ältere Semester gerne auch „der“) EuroCon war dieses Jahr in Barcelona. Das Kongresszentrum war mitten in der Uni, architektonisch wunderschön aus alten und neuen Gebäuden zusammengefügt. Falls es eine Wettergottheit gibt, so war sie mit uns. Als Kummer gewöhnter Mitteleuropäer kann man zwanzig Grad Wärme und blauen Himmel im November kaum fassen.


Den Stellenwert, den phantastische Literatur in Spanien – oder immerhin in Katalonien – hat, spiegelte schon das Ambiente des Kongressbereichs wider sowie auch die Tatsache, dass die Veranstaltung offenbar eine Kulturförderung erhalten hatte. Schließlich war sie eine Literaturveranstaltung und als solche wurde sie auch wahrgenommen. Da wünschte ich mir doch, unser Bildungsverknöchertentum hätte in unserem Land eine ähnlich offene Haltung, anstatt sich fest und steif an Begrifflichkeiten wie U- und E-Kultur zu klammern, vage Definitionen, die man in den Zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts für den frisch erfundenen Rundfunk eingeführt hatte.

In Barcelona war von solch engstirniger Hybris nichts zu merken. Vielleicht ist die Stadt einfach zu schön, zu bunt und zu lebendig, um nicht jedes Thema mit Verve und Hingabe aufzugreifen, anstatt "verknöttert" die Nase zu rümpfen. Ich versichere dem geneigten Leser: Niemand bezahlt mich für Barcelona-Werbung. Aber wenn Ihr noch nicht dort wart, fahrt hin. Es lohnt sich. Ich bin eine große Freundin von interessanter Stadtarchitektur, und ich war begeistert. Nicht nur von Gaudi.

Doch ich werde hier nicht den Reiseführer abschreiben, denn tatsächlich sollte ich ja über die Con berichten, die teilweise dreisprachig war: katalanisch, spanisch und englisch. Zumindest die Opening Ceremony hat das einigermaßen länglich gemacht. Wenn man, wie ich, weder des Spanischen, noch des Katalanischen mächtig ist, konnte man bei zwei Drittel der Reden nur Klangvergleiche anstellen. Unbedarft und ohne Anspruch auf linguistischen Tiefgang sei dazu bemerkt, dass das Spanische in scharfen „s“- und „th“-Lauten spitzklängige Breitseiten an Silben in die Menge schießt, wie eine Gatling, während sich das Katalanische in melodiösen Diphthongen ergeht, weich und fast ein wenig archaisch anmutend.

Doch zum Programm. Da hatten die Katalanen einiges aufgefahren. Somit kann ich auch nicht über alles berichten, denn man hätte sich teilen müssen, um alle Veranstaltungen mitzumachen. Nun, einige waren in Spanisch oder Katalanisch, aber es blieb auch dem Englischsprechenden genug zu tun.

Das erste Panel auf meiner Liste war einer, in dem es um Gender ging (Youtube). Es war eine interessante Gesprächsrunde um ein Thema, das nie einfach ist, je weiter man es fasst. Und je mehr Spezifikationen zur lang schon nicht mehr allein seligmachenden Konstellation Frau-Mann-hetero hinzukommen. Hier wurde das Entstehen neuer Subgenres ebenso besprochen wie die Akzeptanz dieser Genres beim – in diese oder jene Richtung – geneigten Leser.

Danach wurde es noch etwas politischer. In den Panels „Political SF“ (Youtube) und „The failures of futurology“ (Youtube) ging man sehr kritisch auf die drängendsten Fragen der nahen Zukunft. Sowohl auf die Denkansätze, die SF-Autoren liefern können, als auch auf die Methoden der Futurologen, die sich grundsätzlich von ersteren unterscheiden, da es bei ihnen primär um Wahrscheinlichkeiten geht, während sich kreative SF just gerne ein wenig jenseits dieser Wahrscheinlichkeitsgrenze positioniert, jedenfalls meistens. Es waren interessante Gespräche. Ich gestehe, ich höre ganz besonders gerne immer Charlie Stross zu, aber auch die anderen Panelisten hatten gute Argumente.

Ich selbst war in zwei Panels vertreten, die – sehr unglücklich – direkt auf einander folgten und nicht im gleichen Gebäude stattfanden. Bei aller Liebe und Hast, war da weder an pünktliches Aufhören beim einen, noch an pünktliches Anfangen beim anderen Panel zu denken. Da ich letzteren moderieren musste, sieht man auf den ersten vier Minuten des Mitschnitts leider nur Menschen auf mich warten. „Mythology into Fantasy“ (Youtube) hieß der Panel, den ich leiten durfte. Mit einer (in Köln ansässigen) Amerikanerin, Sharon Reamer, zwei entzückenden Wikin… ich meine natürlich Isländern, Kjartan Yngvi Bjórnsson & Snæbjörn Brynjarsson, sowie Regina Kanyu Wang aus China waren wir eine sehr internationale Gruppe, die den Einfluss von Mythologie auf das Phantastische von verschiedensten Standpunkten aus diskutierten. Eines von vielen Dingen, die mir völlig neu waren, war, dass in der VR China Phantastik mit mythischen Kreaturen nicht gerne gesehen wird – zumindest wenn die Geschichten nach der Kulturrevolution spielen. Vorher ist es offenbar okay, aber seit Mao "aufgeräumt" hat, gibt es keine übernatürlichen Phänomene mehr. Punkt. Ein lustiger Ansatz, fast eine eigene Geschichte wert: Die Verzweiflung der mythologischen Kreaturen ob der "mythologischen Säuberungen" von Mao und seiner Gattin.

Der andere Panel, bei dem ich mit dabei sein durfte, war "Euro Steampunk" (Youtube). Dieser Panel lief erstaunlich gut, wenn man bedenkt, dass die Organisation vergessen hatte, einen Moderator zu benennen, zwei von fünf Leuten spontan ausfielen, einer ebenso spontan ersetzt wurde und einer – nämlich ich – früher davonhasten musste. Hier die Teilnehmer: Ju Honisch (Ger), Jürgen R. Lautner (Ger), Mr Womack, J.S. Meresmaa (Fin).

Einen Panel, den ich nicht "erwischt" habe, der mich aber sehr interessiert hätte, war "How to build a fantasy world“ (Youtube). Leider gab es hier Fehlinfo zum Veranstaltungsort, und als ich endlich ankam, war der Ersatzraum bereits voll. So wurden die Welten  ohne mich gebaut und ich muss meine eigenen weiterhin ohne Unterstützung erschaffen.

Ein nicht unbedingt Phantastik orientierter, aber interessanter Beitrag war auch eine Vorlesung "How your brain cheats you" von einem Psychiater/Psychologen, der über die Fehlleistungen unseres Gehirns bei der Wahrnehmung und Verarbeitung von Information referierte. Wenn man die neuere Hirnforschung ein bisschen verfolgt, brachte er nichts bahnbrechend Neues, aber die Rede war kurzweilig und gut verpackt, auch wenn er uns Phantasten offenbar für ein wenig "deppert" hielt, was aus seiner allzu einfach strukturierten Sprache und vielen anbiedernden "fucking"s als betonende Stilelemente hervorging. Vielleicht dachte er, er müsste sich auf unser Niveau herabsenken, und hat es dann ein wenig unterschnitten. Youtube.com

Mit „German SF Culture“ hat auch der SFCD seinen Teil beigetragen. Hauptthema des Panels war der EuroCon 2017, der in Dortmund stattfinden wird. Unter dem Namen UCon wird dort wieder ein interessantes Paket an Veranstaltungen geschnürt werden. Die Panelisten,  Thomas Recktenwald, Gabriele Behrend und Gatte, waren auch emsig bemüht, die Vorzüge Dortmunds darzustellen, was – ich bin da mal ein kleines bisschen bisschen böse – angesichts der Konkurrenz der Stadt Barcelona eine wackere Aufgabe war. Aber wenngleich Dortmund nicht mit einer Sagrada Famlia aufwarten kann, so hat es doch, wie man uns versicherte, ein sehr hübsches Biermuseum. Ich werde also auf alle Fälle dort sein – auf dem Con, nicht im Biermuseum – und lege es allen an Phantastik Interessierten auch ans Herz, diese Veranstaltung in die Pläne für 2017 aufzunehmen. Eine engagierte Truppe wird da eine tolle Veranstaltung zaubern. (Youtube)

Hat sich der EuroCon in Barcelona gelohnt? Auf alle Fälle. War eine wunderbare Veranstaltung.

Nächstes Jahr: Dortmund.

Zur Galerie mit Fotos von Brigitte Fielicke

Kommentare  

#1 AARN MUNRO 2016-12-07 09:32
Danke für diesen sehr schönen Conbericht. ich war zwar nicht dort...aber Barcelona ist allemal eine Reise wert..eine wirklich sehr schöne Stadt...schön, dass auch der SFCD sein scherflein beitrug....wir sehen uns dann alle in Dortmund nächstes Jahr... :-)

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