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Leser fragen ... Janet und Chris Morris (Teil 1)

Leser fragen ... Janet und Chris Morris Leser fragen ...
... Janet und Chris Morris
(Teil 1)

to the English OriginalWir haben ja bereits am Mittwoch Fragen an Janet und Chris Morris sowie Tempus Thales gerichtet. Aber auch unsere Leser sind neugierig.  Der Aufruf, Fragen an die beiden Autoren und Tempus Thales zu richten, war sehr erfolgreich. Janet und Chris  haben geantwortet.

Hier ist das Ergebnis ...

Zauberspiegel-Leser
: Was denken Sie, wie sich das Schreiben und Verlegen in den letzten 20 Jahren seit Ihrem Comeback verändert hat?
Janet Morris: Als wir mit Verlegen aufhörten, trennten sich Schreiben und Verlegen in eigene Bereiche, die zu unserem Missfallen allzu sehr marktorientiert waren. Als wir ursprünglich anfingen zu verlegen, war da Raum für gut verfasste Bücher von aufstrebenden Schriftstellern, die sich frei genug fühlten, zu experimentieren und mit mäßigem Erfolg zufrieden waren. So fingen wir an, unseren mythischen Kosmos zu erproben und zu erschaffen. Aber Verlegen wurde zunehmend formalistisch und orientierte sich an einem verschwenderischen Markt. Marktströmungen zur Klassifizierung und zum Potential einer Filmverarbeitung sowie andere Abhängigkeiten erlaubten immer weniger Innovationen. Bücher, welche sich nicht kategorisieren ließen, hatten Schwierigkeiten. Jedes Jahr erhielten wenige Bücher massive Publikumsaufmerksamkeit, während andere, gute Bücher leer ausgingen. Die meisten Bücher wurden immer langweiliger und voraussehbarer und verherrlichten Sex und Gewalt zum eigenen Wohl. Wortschatz und Experimentierfreudigkeit schrumpften und verschwanden. Deshalb hörten wir Anfang 1990 auf zu verlegen; wir hatten aufregendere Dinge mit unserer Zeit anzufangen vor.
20 Jahre später, teils angespornt durch ein inneres Bedürfnis, eine neue Novelle zu schreiben, teils durch die Veränderungen, die sich beim Verlegen ereigneten, waren wir der Ansicht, dass das elektronische und kleine Drucksachen Verlegen die Welt des Verlegens insgesamt zu einem Besseren wendeten. Dieses Mal wählten wir einen unkonventionellen Weg zum Verlegen, um mehr kreative Kontrolle zu gewährleisten, und wir wurden nicht enttäuscht: Wir konnten das Buch genauso schreiben, wie wir beabsichtigten, in der Länge, wie wir wollten. Unsere Buchumschläge und Buchumschlagskopien gefallen uns. Die Buchproduktion vom Archivpapier und Buchbinden, zu intelligentem Kopierediting und Proofing, ist von höherem materiellen Wert, als es bei unseren früheren Erfahrungen bei New York Publishing war. Diese erfreuliche Überraschung bewirkte, dass wir uns auf noch mehr Buchprojekte einließen, andere Schriftsteller mit ins Boot holten, die ebenfalls mit dem Fokus und Umgang von großen Verlagen in der Vergangenheit unzufrieden waren. Wird dieser Trend zu einem neuen Wilden Westen des Verlegens andauern, jetzt wo doch e-Bücher populärer werden und der ungeregelte Einfluss einer kleinen Gruppe von Leuten abnimmt? Jetzt, wo einfacher internationaler Zugang zu vielen Büchern jedes Alters in unseren literarischen Archiven besteht, werden die Leute bessere Bücher lesen? Und mit dieser Literatur - schreiben sie bessere Bücher? Das hoffen wir.
Chris Morris: Bei den Medien wird alles, was alt war neu. Alle Bereiche der Medien – Musik, Buchverlag, Film, Journalismus – nehmen die Strömungen auf und trüben die Arten an Lieferungen. Digital verpackte ältere Arbeiten, viele davon in öffentlichen Bereichen, sind in der Lage, Kopf an Kopf mit den aktuellen Produkten in ihren Kategorien sich zu behaupten und erscheinen dadurch neu. Auf dem Laufenden zu sein hat nicht mehr denselben Stellenwert beim Marketing wie zuvor, als Liefersysteme sich zu Nachfragedienstleistung verwandelten.
Wir sind am Anfang einer Renaissance der Klassik. Bekannte, zeiterprobte, ehrwürdige Arbeiten sind nicht mehr länger zu Staubfängern degradiert und behaupten sich als Blockbuster zukünftiger Generationen. Bücher- und Film-Remakes (aber auch Originale) von Conan, Sherlock Holmes, Troy, Camelot und Tolkien haben den Vorteil, vertraut und ikonisch zu sein im Vergleich zu einem anderen Spezialeffekt/Vehikel, das eher keinen Fetzen einer überzeugenden Geschichte oder eines bezaubernden Charakters enthält.
Ähnlich ergeht es Schriftstellern mit einer beachtlichen, über die Jahre verdienten Reputation, deren Werk die Launen eines unbeständigen Marktes überdauert hat. Sie sind jetzt in einer guten Ausgangslage, um ihre Karrieren wieder aufleben zu lassen und bringen ihre Ladenhüter zu Bekanntheit unter eifrigen Lesern, die nicht mehr durch altmodische Stile und Marketinghype befangen sind. Viva!

Zauberspiegel-Leser: Welche Autoren haben Ihren Schreibstil beeinflusst? Und wer Ihren Musikgeschmack?
Janet Morris: Homer. Hesiod. Virgil. Aristophanes. Dante. Marlowe. Shakespeare. Spenser. Pope. Plutarch. Dryden. Milton. Kafka. Marguerite Yourcenar. E. E. Cummings. Ayn Rand. Hawthorne. Steinbeck. Lattimore. Walter Farley. Marguerite Henry. Browning. Chaucer. Burroughs. C. S. Lewis. Kipling. Byron. Keats. Shelley. Poe. George Orwell. Henry James. Wodehouse. Evelyn Waugh. Hesse. Und viele ehemalige Naher Osten-Texte von namhaften und unbekannten Schriftstellern.
Musikalisch: Rogers and Hart. Leiber and Stoller. The Meters. Bach. John Coltrane. Mose Allison. Huddie Ledbetter (Leadbelly). Beethoven. Miles Davis. Corelli. Charlie Mingus. Schubert. Pachelbel.
Chris Morris: Autoren: Isaac Asimov, Janet Morris, Jack London, Arthur C. Clarke, James Joyce, Xenophon, Seneca, Marcus Aurelius, Homer, Harold Bloom, P. G. Wodehouse, Shakespeare, Will James, Herman Hesse.
Musiker: J. S. Bach (!), Lightnin Hopkins, B. B. King, Ray Charles, Jo Stafford, Harry Belafonte, Nat Cole, Bing Crosby, Mozart, Christopher Parkening, Tony Bennett, Reverend Gary Davis, kdlang (!), Leslie Kuipers, Clarence White, Aretha Franklin, Mose Allison, Bill Evans.

Zauberspiegel-Leser: Wie arbeiten Sie beide zusammen? Gibt es eine Arbeitsteilung zwischen Ihnen oder gehen Sie jedes Buch unterschiedlich an?
Janet Morris: Wir arbeiten vollständig zusammen, sobald die Entscheidung, dies zu schreiben oder dieses Projekt zu verwirklichen gefallen ist – so intensiv gemeinsam, dass die Unterscheidung, wer was machte, oft nicht mehr möglich ist. Meiner Meinung nach sollte ein Buch oder eine Geschichte nicht verfasst werden, bis das Stück danach verlangt, geschrieben zu werden. Oft habe ich einen Arbeitstitel seit dem ersten oder zweiten Tag der Textschaffung; Chris pflegt dann gewöhnlich den Titel in einen abgestufteren zu ändern. Wir nehmen uns die Zeit, die jedes Stück benötigt, lesen den Text mehrmals und diskutieren über die Geschichte und Art des Ausdrückens. Bis wir beide zufrieden sind mit dem, was auf der Seite steht, ist es am verständlichsten, bewegendsten und das bestmögliche. Ich habe zwei Jahrzehnte mit Schreiben auf Bestellung von Nicht-Fiktion mit Abgabetermin am selben Tag verbracht, und ich möchte auf diese Weise nicht Fiktion schreiben. Wenn ich mit Chris zusammen schreibe, ist es gewöhnlich mehr ein Prozess des Zulassens, eine neue Novelle oder Anthologie zu verfassen, als ein Prozess der Absicht. Aber sobald der initiale Vorschlag von mir oder Chris gemacht wurde, entwickelt es sich sehr rasch zum gemeinsamen Unternehmen. Der Ablauf der Geschichte und die Figuren können beim einen oder andern entstehen, die Geschichtsabschnitte werden aber von beiden bedacht und diskutiert. Ganz am Anfang tippe ich den ersten Entwurf, so dass man klar sagen kann, dass ich zu Beginn jedes Buches die Grobfassung tippe. Und gewöhnlich tippe ich auch die finale Version noch einmal mit den Änderungen ab. Dennoch, bis hinunter zu Punktentscheidungen, alles andere ist zusammen gemacht worden. Gewöhnlich habe ich zwei bis drei Arbeitsstunden für mich alleine an einem Schreibtag, um das zu verfassen, was diskutiert wurde; ich habe Diskussionsnotizen mit Handlungen und Dialogdetails; dann verbringen wir zwei bis drei Stunden und arbeiten an diesem Entwurf: Chris liest laut vor, und wir unterbrechen, wenn nötig, für Korrekturen. On-screen? Ich bin mir nicht sicher, ob eine ‘gleiche’ Arbeitsteilung besteht: wir zählen keine Punkte. Wie wichtig ist die Idee zur Geschichte, oder zu den Motiven der Figuren, oder zur Artikulation der Handlung? Wenn einer von uns sich stärker in eine Geschichte oder Buch einbringt, oder mehr mit diesem Werk mitlebt, dann kann dieses Werk die Handschrift dieser Person tragen. Manchmal, wenn wir uns nicht im Klaren sind, wer das Werk dominierte, dann verwenden wir einfach beide Namen.
Chris Morris: Janet erklärte ausgezeichnet den Entstehungsprozess. Alles, was ich anfügen möchte, ist, dass, wenn Du jemals wünscht, mit einer anderen Person geistig zu verschmelzen, solltest Du derart einige Novellen mit dieser Person zusammen schreiben, dass eine gemeinsame Stimme entsteht. Viel Glück.

Zauberspiegel-Leser: In eurem Team, wer hat die Ideen fürs Schreiben? Und was tun Sie, um die Ideen in verarbeitbare Schriften zu verwandeln?
Janet Morris: Ideen habe beide. Initiale Darstellung der Figuren und die ersten Schritte kommen von mir: Ich beginne nicht zu schreiben, bevor ich nicht etwas in meinem Geiste sehe – bevor die Figuren dort entstehen und beginnen zu leben. Manchmal haben die Figuren ganz andere Ideen, als wir zu dem, was passieren sollte; dann wird diskutiert, ob die Story eine unerwartete Wendung in meinem Entwurf nimmt. Manchmal sieht Chris Dinge, die hinzugefügt werden sollten, um die Geschichte zu erweitern. Schärfung der Handlung kommt oft von Chris. Er entscheidet über den Einbau von Elementen in die Geschichte, die mir entwischen könnten. In einigen Fällen hat er zuerst die Idee zur Geschichte, und ich versuche sie zu meiner Idee mit richtigen Figuren und Kontext zu adaptieren, da ich keine Zeile schreiben kann, bevor die Geschichte nicht ihre eigene Realität annimmt. Die eigentliche Tipparbeit des ersten Entwurfs obliegt mir. So ist der Vorgang: Einer von uns hat eine Idee; wir diskutieren allgemein. Wir bringen die Figuren hervor. Wenn die Figuren entstanden sind und leben, Chris und ich im Wesentlichen mit der Geschichte einverstanden sind, dann tippe ich. Den Rest betreuen wir dann gemeinsam. Ich dominiere die erste Fassung, er die weiteren und das Editieren.
Chris Morris: Die Gedanken werden geteilt, die Persönlichkeit bleibt individuell. Es gibt nur einen Ausdruck für die gedankliche Darstellung in Sprache – Stimme. Im Gegensatz zur Persönlichkeit können zwei Menschen sich eine Stimme teilen. Wir haben eine Stimme erschaffen, die wir teilen. Wir wissen jedoch schon lange nicht mehr, wer was mit dieser Stimme sagt. Wenn es sich gut anhört, benutzen wir es. Genau wie wir Geschichten schreiben, so schreiben wir auch Texte, Gedichte, Vorträge, Gesetzestexte sowie technologische und politische Analysen, wenn es verlangt wird. Der gemeinsame Nenner ist dabei immer die “Stimme”. Allgemeine Beschreibung der gesprochenen Sprache - Klangfarbe, Tonhöhe, Tenor, Äußerung, Artikulation, Aussprache, Tonfall, Betonung - gelten in gleicher Weise für literarische und für musikalische Töne. Die Stimme des Autors wird zu Sprache oder einem Gesang. Prosa, einem Oratorium oder einem Lied eine Stimme zu verleihen ist Kunst - der ästhetische Prozess der Umwandlung von Stimmklang in Bedeutung.
Janet schreibt, und ich komponiere, bearbeite und intoniere unsere Arbeit auf jedem Schritt des Weges. Wenn sie mit ihren Lippen die Worte formt und ihre Finger sich dabei wie in einem Konzert bewegen, ist es so, als würde man dem Wind in trockenem Laub zuhören. Dann lesen wir den Entwurf laut (das mache ich). Der Ton macht jede Dissonanz oder rhythmische Anomalie sofort - hörbar - offensichtlich.
Unsere Stimme ist uns beiden gut bekannt; jeder von uns kann sie verwenden, und tut dies auch. Unsere Stimme ist unsere gemeinsame sprachliche DNA, alles streng erwachsen. Der Unterschied zwischen uns? Ich benutze sie, um die Aufmerksamkeit zu lenken; Janet benutzt sie, um die Essenz, aus erzählerischer Sicht, zum Ausdruck bringen.

Zauberspiegel-Leser: Wenn Sie eine Ihrer Hintergrund-Quellen zur weiteren Lektüre empfehlen könnten, welche wäre das?
Janet Morris: Eine? Dies ist eine schwierige Frage, da Sie eine bestimmte Zeit sezifiziert haben. Eine Quelle für die antike Welt wäre The Ancient Near East von Pritchard. Eine andere, ebenso gute Quelle für die spätere antiken Denkens ist Plutarch (in Englisch bevorzuge ich die Dryden-Übersetzung). Es ist sehr schwierig, eine Quelle zu wählen: Diodor Siculus ist sehr hilfreich, Plato ist notwendig, die Metaphysik des Aristoteles; Herakleitos' Cosmic Fragments (Ich mag die G. S. Kirk-Übersetzung ins Englische).
Chris Morris: Jesus and Yahweh – The Names Divine by Harold Bloom.

Zauberspiegel-Leser: Tempus erscheint wie ein Charakter, der direkt aus den Seiten der Mythologie gegriffen zu sein scheint. Können Sie die Quellen und Inspirationen erläutern, welche Sie in der Erschaffung des Charakters verwendet haben, und vielleicht auch die ersten Gedanken zu diesem Charakter?
Janet Morris: Als ich mich für das Wort Kanalisierung entschied, meinte ich, es in einem sehr allgemeinen Sinn um einen Geist oder Intelligenz oder Charakter miteinander zu verbinden, nicht die moderne Nutzung des Gespräches mit den Toten.
Homer sagte: 'Komm, Muse, sing nicht zu mir von Dingen, die sind, oder die kommen sollen, oder die vormals waren, sondern denke dir ein neues Lied aus.' Sprach er zu jemandem, der auf der Erde gelebt hatte? Nein, das tat er nicht. Einige Übersetzer sagen: 'Muse, sing in mir'. Aber da du es erwähnst, und da Tempus so viele Namen hatte, wer will sagen, dass es ihn nicht gegeben hat oder gibt? Ich jedenfalls nicht. Figuren mit seinen Eigenschaften gibt es selten. Wenn ich davon spreche, eine Figur zu kanalisieren, spreche ich von einer Figur, die vor deinem inneren Auge erscheint und/oder vor deinem inneren Ohr spricht, die voll entwickelt zu dir kommt und eine eigenständige Natur besitzt, die sich von der anderer Figuren um ihn herum so sehr unterscheidet, dass das, was diese Figur tut und sagt, von keiner anderen Figur gesagt oder getan werden könnte. Man kann es fühlen, wenn man Verbindung aufnimmt zu so einer Figur mit großer Kraft und Individualität, die sich selber und ihre Geschichte und ihr Schicksal kennt, die vollkommen abgerundet ist.
Wir hatten das Glück, eine ganze Anzahl solcher Figuren zu haben, unter denen Tempus und einige seiner Verbündeten und Feinde einige der größten sind. Manchmal, wenn man eine Figur braucht, strickt man sie mit der heißen Nadel: Gayle aus der Sacred Band of Stepsons-Serie ist ein Beispiel für eine solche Figur. Er ist eine nützliche Figur, die ich geschaffen habe, und er ist gut ausgebaut, aber er steuert sich nicht von selbst.
Eine Figur zu kanalisieren ist für mich, eine Erwartungshaltung einzunehmen und darauf zu warten, dass die Figur spricht und handelt. Wir drücken es so aus: Ich lasse mich in einem Vakuum verschwinden und innerhalb dieses Vakuums wird eine Figur wie Tempus Verbindung mit mir aufnehmen. Tempus hatte immer das Kommando, seit seinem ersten Auftreten. Er kontrollierte seine Geschichten. Manchmal weiß ich nicht, ob eine Figur wichtig werden wird, Niko etwa, der auftauchte und so stark wurde. Manchmal, so wie bei Cime, Tempus und Abarsis, ist die Figur von Anfang an vollständig. Manchmal muss man einen Pakt mit einer starken Figur eingehen, er oder sie soll im Hintergrund bleiben oder nur eine kleine Rolle in einer Geschichte spielen, dafür bekommt er später eine größere Rolle: In 'The Sacred Band' war das bei Cassander der Fall. In diesem Roman spielte er nur eine untergeordnete Rolle, aber später erhielt er von mir seine eigenen Geschichten, die demnächst in einer neuen Anthologie 'The Fish, the Fighters and the Song-girl' veröffentlicht werden.
Die Muse spricht, wenn man so will - oder auch nicht - durch Tempus und die anderen besonderen Figuren. Als jemand, der auch nichtliterarische Texte schreibt, und auch Auftragsarbeiten unter Termindruck geschrieben hat, in denen sich so keine große Figur manifestieren konnte, ist die Erfahrung, eine Verbindung zu wirklich großen Figuren zu haben, völlig anders als jene, einen Text zu schreiben, der auf meinen persönlichen Zielvorstellungen aufbaut.
Wenn ihr wissen wollt, wie man eine solche Verbindung zu einer Figur erreichen kann, ist mein Ratschlag ganz einfach: seid ruhig und wartet ab. Legt euch mit einem Pad hin oder setzt euch an die Tastatur. Stellt alle anderen Aktivitäten ein, außer nach der Figur zu forschen, und wartet noch länger. Gebt selbst eure Existenz auf, damit die Figur erscheint. Wenn die Figur erscheint, fangt mit eurem Dialog an. Wenn keine Figur erscheint, habt ihr vielleicht keine Geschichte zu erzählen, oder ihr müsst eine Geschichte aus euch selbst hervorbringen, was ein ganz anderer Vorgang ist.
Tempus will dieses oder jenes tun, wenn er vorbeikommt. Manchmal stimme ich ihm nicht zu, so wie in einer Geschichte, an der ich gerade arbeite, in der ich das Sacred Band länger im Sanctuary behalten wollte, was auch Chris' Meinung war. Tempus bestand darauf, aufzubrechen. Wir sind bereit, wir brechen auf. Trotz meiner eigenen Absicht war es Tempus' Absicht, aufzubrechen und die reale Welt bestätigte sogar, dass er recht hatte und ich Unrecht damit hatte, das Sacred Band länger im Sanctuary zu lassen: 'Wir gehen jetzt woanders hin'. Und das taten wir. Wie er gesagt hatte. Unter solchen Umständen beherrscht die Figur selbst meine eigene Realität und die Dinge werden so gemacht, wie Tempus das will. Also: Was ist realer? Wer ist realer? Meine Welt, die sich nach seinen Wünschen verbiegt, oder seine, die sich niemals verbiegt, um die meine zu werden? Für jene, die nicht schreiben, mag dies merkwürdig oder gar verrückt klingen. Für jene aber, die in solche Bewußtseinsebenen eintauchen, werden meine Worte jedenfalls ihre Erfahrungen widerspiegeln.
Chris Morris: Ich sehe, du glaubst an Geister. Jemand muss nicht gelebt haben, um gehört zu werden. In der Tat: Wer kann nicht Hunderte von anderen Stimmen hören? Harold Bloom sagt, Shakespeare habe das Menschliche erfunden, weil er der Erste war, der Figuren schilderte, die sich selber zuhörten, sich selber Ratschläge gaben. Die Charakterisierung erschafft eine empathische Fähigkeit, ad hoc Gesprächspartner zu erschaffen, Mischungen möglicher Bekanntschaften - zusammengefasst: Gefühle nicht strikt innerhalb unserer eigenen aufgedrückten sozialen Identität auszudrücken. Zumindest kann ich das.

Zauberspiegel-Leser: Und eine Frage speziell an Chris – Du scheinst einen genauso großen Teil der Arbeit zu machen, aber von der Anerkennung geht mehr an Janet. Was denkst Du über diesen Punkt, hat es je zu Unstimmigkeiten zwischen euch geführt?
Chris Morris: Wenn man so großartig ist wie ich, ist Bescheidenheit wichtig für das Überleben der Psyche.

Zauberspiegel-Leser
: Chris, Du bist ein ernsthafter Autor und ein ernsthafter Musiker – wie verbinden sich die beiden Aspekte miteinander? Kommt es vor, dass sich diese beiden Kunstformen mental miteinander verbinden? Und wenn, wie ergänzen sie sich gegenseitig?
Chris Morris: Für mich sind sowohl Musik als auch Schreiben Funktionen der Stimme. Der Unterschied ist, dass Musik mehrere Stimmen beinhaltet, die Melodie und den Text. Der Musik den Text hinzuzufügen, ist wie einem akustischen Wind Persönlichkeit zu verleihen.
Der Prosa Stimme zu verleihen, versetzt den Sprecher und den Leser in die Lage, an Wundern jenseits der fünf Sinne teilzuhaben.
Die Stimme zu finden, und sie auch zu trainieren, ist die meistverkannte Leistung des Schreibers und des Musikers, und damit meine ich die Vereinigung von äußerer und innerer Stimme. Bloßes Konzipieren ist noch nicht Ausdrücken; ohne dass beides eine Beziehung zueinander hat, gibt es keine Magie.

Zauberspiegel-Leser
: Wie will Tempus mit seinem/Vashankas neuen Nachkommen/Avatar Kouras umgehen, wenn dieser unvermeidbar zu groß wird, besonders da Tempus nun wirklich nicht an seine Rolle bei der Schaffung von Kouras erinnert werden will? Wie denkt Tempus über dieses Thema?
Janet Morris: Kouras ist ein aufgehender Stern in seinem eigenen Bewusstsein. Kouras wird ein Problem für sich selbst, für Tempus und für die anderen Leute um ihn herum sein: Ein junger Halbgott mit Kräften, die er nicht kontrollieren kann, und einem räuberischen Gott in seinem Kopf. Dem Berserker Gott, dem Gott der Gewalt. Erinnert Kouras Tempus an ihn selbst, wie er in seiner Jugend war? Kaum.
Kouras spielt eine Rolle in der Geschichte “The Fish, the Fighters and the Song-girl”, und Tempus und Niko erscheinen nur ein paar Mal in dieser Sacred band Geschichte: sie leiten Kouras' Schicksal aus der Ferne. Ihr müsst die nächsten Geschichten lesen, um herauszufinden, was passiert.
Chris Morris: Ihr findet es in The Sacred Band heraus.
Tempus Thales: Ich erkenne einfach nicht an, dass die Benutzung meines Körpers durch den Gott bei einer rituellen Paarung mich zum Vater des Jungen machen soll. Und der Gott, der ihn aufsteigen ließ, scheint dasselbe zu denken. Ich gebe Kouras etwas Spielraum. Kouras kann sich entscheiden, zurückzubleiben, wenn wir weiterziehen. Oder nicht. So oder so, er muss sich klar darüber werden, wer oder was er ist, auf seine eigene Weise und in seiner eigenen Zeit. Ob er ein Stiefsohn ist oder nicht. Er hat noch keinen Kriegsnamen. Der Thebener Charon mag ihn unterweisen. Oder nicht. Kouras' Schicksal liegt in seinen eigenen Händen, aber er stammt von dem Pillager ab, nicht von mir. Kouras' Pate ist ein Gott der Gewalt und Plünderung, der seine Avatare skrupellos einsetzt. Ob Kouras den zerstörerischen Kräften, die mit ihm verbunden sind, widerstehen kann, wird sich ergeben.

Zauberspiegel-Leser: Wie denkst Du darüber, Deine Musik in einem Videoformat verwendet zu sehen, dass es noch nicht gab, als Du einige Deiner Lieder geschrieben bzw. aufgenommen hast?
Chris Morris: Ich sehe Bilder, Orte, oder auch Situationen vor meinem inneren Auge, wenn ich komponiere, spiele oder Musik anhöre. Ich denke für gewöhnlich, dass Musikvideos die Reaktion des Hörers zu einem Stück einschränken, aber ich würde immer noch gerne jene Szenarios sehen, die mir vorschwebten und in einigen Fällen die Erschaffung des Liedes beeinflusst haben. Ich mag und schätze diese Möglichkeit, dass meine Lieder gehört werden, aber ich würde es bevorzugen, Musik speziell für bestimmte Projekte zu machen.

Zauberspiegel-Leser: Kannst Du uns etwas über die verwirrende Beziehung zwischen Tempus und Enlil erzählen?
Janet Morris: Die Beziehung zwischen Tempus und Enlil ist komplex, aber ich denke nicht, dass sie verwirrend ist. Tempus ist der Avatar vieler Sturmgötter gewesen. Enlil ist eine alte und mächtige Kraft, und Tempus wird von Jahr zu Jahr genauso.
Das Offenbarwerden der zwei Persönlichkeiten und Mächte - Tempus und Enlil - beunruhigt Tempus, während er in seine eigene Natur hineinfindet. Tempus sagt, dass Enlil in ihm ist und nicht von ihm getrennt. Enlil spricht aber selten zu ihm als separates Bewusstsein. Tempus, sagt man, ist das Ergebnis einer Paarung jener Art, die auch Kouras hervorbrachte. Wenn man dem Glauben schenkt, dann ist Tempus eigentlich selbst ein unerkannter Halbgott. Das Erscheinen der Charakteristika von Enlil, des einstigen Sturmgottes, und Tempus, des einstigen Krieger-Philosophen, ist eine der interessantesten Entwicklungen in den Sacred Band of Stepsons Tales: Tempus ist wild entschlossen darauf, seine Identität und die des Gottes separat zu halten, aber manchmal funktioniert das überhaupt nicht. Zu anderen Zeiten ist Tempus der Avatar des Sturmgottes auf Erden, was er immer gewesen ist. Diese Rolle verachtet er, kann sie aber nicht vermeiden. Diese Beziehung zwischen Mensch und Gott ist also komplex. Wie Niko bemerkte: “Was zwischen einem Menschen und seinem Gott ist, können nur die Betroffenen selber sagen.” Aber wir werden sehen und davon berichten, wie Tempus in sein eigenes Schicksal hineinwächst.

  • Teil 2 folgt am 10. Juli. Dort befragen unsere Leser auch Tempus Thales und Nikodemus neben dem Ehepaar Morris

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