Pearl, Matthew - Die Stunde des Raben (Roman)

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DIE STUNDE DES RABEN
Autor: MATTHEW PEARL
Übersetzung: KARL-HEINZ EBNET
575 Seiten – Hardcover – 19,90 €
ISBN 978-3-426-19737-0
Droemer Verlag, München

Ich erinnere mich an den Tag, an dem alles begann, weil ich ungeduldig auf einen wichtigen Brief wartete. Außerdem sollte es der Tag meiner Verlobung mit Hattie Blum sein. Und natürlich, weil es auch der Tag seiner Beerdigung war.

Es ist die Beerdigung von Edgar Allan Poe. Ohne Aufsehen, von nur vier Trauergästen begleitet, wird er schmucklos am 8. Oktober 1849 in Baltimore begraben. Kein Stein ziert das Grab des großen Dichters.

Quentin Hobson Clark, einer der wenigen großen Verehrer Poes zu dessen Lebzeiten, wird Zeuge dieser traurigen Veranstaltung, ohne zu wissen, dass es Poe ist, der dort im Sarg liegt. Das erfährt er erst am nächsten Tag. Schon bald beginnt er, sich für die mysteriösen Umstände zu interessieren, die den Tod des Mannes umgeben. Clark ist Anwalt und hatte Briefkontakt mit dem Dichter. Da er sich dem Verstorbenen verpflichtet fühlt, beginnt er zu ermitteln. Dabei stößt er auf die Notiz, dass C. Auguste Dupin, Hauptfigur des Romans „Die Morde in der Rue Morgue“ und zweier weiterer Erzählungen Poes, ein originales Vorbild in Paris hat. So reist Clark nach Paris, findet dort einen Mann namens Auguste Duponte vor, der zwar von scharfem Verstand, aber sehr verschlossen ist. Es taucht noch ein Claude Dupin auf, ein ehemaliger Anwalt und selbsternannter Baron, der vorgibt, das wahre Vorbild für die Romanfigur zu sein. Clark bezweifelt es, worauf der Baron nach Baltimore reist und mit den Ermittlungen beginnt. Clark und Duponte reisen ihm nach. Es entsteht eine Art Wettstreit zwischen den Parteien um die Aufklärung, wobei der Baron sich sehr schnell als vordergründiger Scharlatan entpuppt, der es aber versteht, publikumswirksam zu sein. Es stellt sich heraus, dass Dupin wie Duponte eigentlich nur aus Frankreich geflohen sind, da ihnen dort Ungemach droht. Clark verliert indes seinen Platz in der Kanzlei, seine Verlobung wird gelöst. Er steigert sich immer mehr hinein und als der Baron getötet wird, droht ihm eine Verhaftung als Mörder. Diese Anschuldigung kann er zwar entkräften, aber bald darauf droht er seinen gesamten Besitz zu verlieren...

Das soll als Inhalt reichen, denn wer den Roman noch lesen möchte, wird sicherlich nicht erfreut sein, wenn ich hier alles verrate. Und ein Lesen lohnt sich, auch wenn ich hin und wieder Probleme hatte, mein Interesse aufrecht zu erhalten.

Zunächst einmal sollte man klar darlegen, dass es sich hier um ein Fiktion handelt. Eine erfundene Geschichte, deren Background aber aus Tatsachen besteht. Noch heute sind die Umstände, die zum Tode Poes geführt haben, nicht geklärt. Es gibt Hinweise, Theorien und Beweise. Auf diesem Fundament baut Pearl seine Geschichte. Er lässt seinen erfundenen Helden Clark auf reale, damals existierende Personen treffen und macht den Leser so zu einem Zeitzeugen. Das ist über weite Strecken sehr geschickt gemacht. Man erfährt viel über den Dichter Poe und dessen Umfeld, nimmt Teil an den Ermittlungen, die sich zwar langsam, aber sehr realitätsnah entwickeln. Der Autor bietet über seine Kunstfigur Duponte Lösungen an, kann aber letztlich keine endgültige Erklärung des Geheimnisses geben. Nur Poe selbst hätte über die letzten Tage seines Lebens, die völlig im Dunkel liegen, Aufschluss geben können.

Das Geschehen wird als Erinnerung geschildert, die Quentin Clark einem Gericht vorbringt, vor dem er sich zu verantworten hat. Zu diesem Zeitpunkt hat er sich durch seine Handlungen praktisch selbst materiell, gesellschaftlich und auch persönlich in den Ruin getrieben. Hierin liegt so ein kleiner Nachteil in der Geschichte. Recht häufig tritt der Autor in einen direkten Kontakt mit dem Leser (Gericht), durch Hinweise über Ereignisse, die in früheren oder auch späteren Kapiteln geschehen sind oder werden. Das stört zuweilen den Lesefluss und wirft nicht nur ein Mal die Frage auf, ob Pearl sich seines Stoffes auch wirklich sicher war. Manchmal fallen ihm noch Sachen zu Geschehnissen ein, die in vorherigen Kapiteln schon hätten abgehandelt sein müssen. Das macht zwar so einen Erinnerungsbericht authentischer, wirft den Leser aber immer wieder zurück. Es wäre besser gewesen, er hätte diese späten Einfälle an den entsprechenden Stellen noch eingefügt oder sie weg gelassen.

Ich will den Roman weiß Gott nicht schlecht reden, aber zumindest mich haben diese Tatsachen schon gestört.

Es dauert sehr lange, bis man mit der Hauptfigur richtig warm wird, da Pearl eher etwas distanziert schreibt. Das erschwert zwar etwas den Zugang zur Gedankenwelt des Quentin Clark, hat aber in einigen Momenten den großen Vorteil, dass er Ereignisse so schildern kann, dass der Leser verblüfft wird.

Es gibt zwei Sequenzen, die mich schier aus den Socken gehauen und über weite Strecken des Romans getragen haben, denn in einigen Phasen ist er durchaus etwas langatmig.

In Kaptel 6 gibt es diese wunderbar melodramatische Szene (die ob ihrer leichten Überzogenheit in einem Film durchaus lächerlich aussehen würde), wenn sein langjähriger Freund Peter eines der Werke Poes in den Kamin wirft und Quentin es wieder aus den Flammen fischt. Während er mit dem brennenden Buch dasteht und sein Ärmel Feuer fängt, wird ihm klar, dass er sich dieser Herausforderung stellen MUSS! Großartig!

Viel später kommt eine längere Sequenz, da Quentin aus dem Gefängnis ausbricht, weil er zu der Überzeugung kommt, dass Poe noch am Leben sein muss. Er öffnet Poes Grab und überfällt praktisch das Haus, in dem Poe in früheren Jahren einmal gelebt hatte. Der Leser hält es für aufkeimenden Wahn, da der Autor es als eine natürliche Entwicklung schildert, ohne Fragen, ohne Verwunderung. Erst später erfahren wir, dass Quentin auf sehr hinterhältige Art unter einen Drogeneinfluss kam. Das hat Stil und ist wirklich richtig spannend.

Insgesamt hat mir der Roman sehr gut gefallen. In einem solch langen Text gibt es immer Phasen, wo alles ein wenig durchhängt. Er ist meist eher ruhig, aber über weite Strecken spannend gestaltet und hat hin und wieder einige sehr geschickt eingebaute Actionsequenzen, die den Fluss und Fortgang der Geschichte in keiner Weise brechen.

Ein gutes Buch für Leute, denen es nicht nur auf Vordergründigkeiten ankommt, für Leute, die gern etwas mehr über Edgar Allan Poe wissen möchten, für Leute, die etwas mehr über die amerikanische Lebensart in der Mitte des 19. Jahrhunderts erfahren möchten.

Hier wird das Geld für den Kauf eines Buches nicht verschwendet.

Ach ja, es gibt noch einen richtigen Kritikpunkt. Der Deutsche Titel DIE STUNDE DES RABEN ist absoluter Unfug. Ich frage mich schon, wer auf solch einen Blödsinn kommt. Der Originaltitel THE POE SHADOW ist so treffend und charakteristisch für das Buch, dass der deutsche Titel schon fast eine Beleidigung für den Autor und den Leser darstellt.

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