Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Im Strom des Mississippi

WesternIm Strom des Mississippi

New Orleans.
Gelegen zwischen dem Mississippi und dem Lake Pontchartrain war sie zu jener Zeit mit ihren fast 130.000 Einwohnern eine der größten Städte des amerikanischen Südens.

Die ersten Einwohner dieser Stadt waren kanadische Grenzbewohner, Handwerker, Trapper und Truppen der „John Law's Gesellschaft des Westens“ gewesen. Nun war sie vorwiegend von Händlern, Kaufleuten, Soldaten, Matrosen, Glückssuchern und zwielichtigem Gesindel bevölkert; von Menschen der unterschiedlichsten Nationen, Hautfarben, Sprachen und Religionen.

 

Im Strom des MississippiAuch jetzt noch, als es auf Mitternacht zuging, waren die Straßen und Gassen voller Menschen. Sie strömten in die unzähligen Saloons, Theater und Bordelle und machten die Nacht zum Tag als gäbe es kein Morgen. Das Leben brodelte und pulsierte in New Orleans und einige Bewohner verglichen ihre Heimatstadt sogar mit einem Hexenkessel.

Als William Brody bei seinem abendlichen Spaziergang am Hafen vorbeikam, waren dort zwei Arbeiter gerade damit beschäftigt, einen Toten auf einen Karren zu werfen.

Sie hatten ihn aus einem der dunklen, stickigem Schiffsbäuche gezogen, in denen Tausende Gefangene vor ihm bereits verreckt waren, obwohl der Höhepunkt der Sklaverei längst vorbei war und die Stimmen der Sklavengegner nicht mehr zu überhören waren.

Ja, auch das war New Orleans: einer der größten Sklavenumschlagplätze der Küste.

Brody hatte am Vormittag gesehen, wie diese armen Teufel zu Hunderten von den Schiffen getrieben worden waren, mehr tot als lebendig, viele von ihnen mit ihren Exkrementen verschmiert oder mit offenen Wunden und Geschwüren bedeckt, einige auch mit blutigen Spuren von Peitschenhieben auf ihren Rücken.  

Nur wenige von ihnen waren gesund und Brody fragte sich, wie viele von ihnen bereits auf der Reise gestorben waren.

1808 war bereits der so genannte Act to Prohibit the Importation of Slaves in Kraft getreten, ein Bundesgesetz, mit dem der transatlantische Sklavenhandel verboten wurde. Damit wurde der Handel zum Glücksspiel, denn natürlich hielt sich kaum jemand daran. Wurde ein Schiff entdeckt, auf dem sich die „schwarze Ware“ befand, so versuchte der Kapitän alle Spuren seines Geschäftes zu beseitigen. Kurzerhand warf er die gefesselten Sklaven über Bord, reinigte die Decks und hieß dann die Kontrolleure an Bord willkommen, manchmal sogar mit einer Flasche Whiskey und einer großzügigen Bestechungssumme.

Und während  New York 1817 ein Gesetz verabschiedete, durch das auch Sklaven, die vor dem 4. Juli 1799 geboren worden waren, die Freiheit erhielten, trat 1822 in Mississippi ein Gesetz in Kraft, das de facto jeden Gesichtspunkt des Sklavenlebens detailliert regelte: sie waren  persönliches Eigentum ihrer Halter, gleich einem Tier oder einem Gegenstand. Sklaven durften keinen Handel treiben, nicht ihre eigene Baumwolle anbauen, auch keinen Alkohol trinken und sich nicht ohne weiße Aufsicht versammeln.

Kurz, das Land war gespalten und die Sklavenfrage begann es langsam aber sicher in Nord und Süd, in Gegner und Befürworter zu teilen. 

Doch die Nachfrage nach kräftigen, billigen Arbeitskräften war hoch. Sie wurden unter großem Geschrei an den Höchstbietenden verkauft, ungeachtet dessen, ob dabei Familien auseinander gerissen wurden. Einige der Besitzer ließen ihr neues Eigentum wie Vieh brandmarken. Dann trieb man die armen Seelen auf Wagen und brachte sie auf die Tabak-, Zuckerrohr- und Baumwollplantagen, die diesem Teil des Landes unglaublichen Reichtum und Wohlstand brachten.

Und was die Arbeiter in den Häfen betraf, so waren es meistens Iren und Einwanderer anderer Nationen. Die Passagen auf den Schiffen in die Neue Welt waren teuer und nur wenige konnten sie sich leisten. Einige Schiffseigner jedoch verpflichteten die Auswanderer, die kein Geld hatten, zu einer Schuldknechtschaft auf bis zu fünf Jahre. Sie arbeiteten dann unter anderem am Pier, wo sie die Ladungen löschten, eine harte und gefährliche Arbeit, für die Sklaven zu teuer und wertvoll waren. Was William Brody betraf, so war er ein Gegner der Sklaverei. Aber allein den Gedanken hier im tiefsten Süden des Landes auszusprechen hätte ihn im schlimmsten Falle den Kopf kosten können und so behielt er seine Meinung lieber für sich, auch wenn ihm bei dem Anblick des Toten, dessen Arme seitlich an dem Holzkarren herabbaumelten, die Galle hoch kam.

Er seufzte und setzte seinen Weg fort, bis er den Running Deer Saloon erreichte. Dort warf er mit  einer lässigen Handbewegung die Überreste seiner Zigarre auf die Erde und trat sie mit der Stiefelspitze aus. Dann stieß er die Schwingtüren des Saloons auf und ging hinein. Sofort schlug ihm der Geruch nach Schweiß, Alkohol, Tabak und billigem Parfüm entgegen.

Einige Momente ließ er seinen Blick schweifen. Er hatte sich im Laufe der Jahre angewöhnt, die Menschen in seiner Umgebung innerhalb kürzester Zeit einzuschätzen.

Schließlich ging er zum Tresen und bestellte sich ein Bier. Mit dem Glas in der Hand und den Rücken an das harte Holz gelehnt, beobachtete er eine der laufenden Pokerrunden.

Als einer der Spieler ausstieg nahm er dessen Platz ein. Bereits nach einer guten Stunde hatte er mehr als 200 Dollar gewonnen. Geld, das er gut gebrauchen konnte, denn am letzten Abend hatte er nicht so viel Glück gehabt und weit mehr als doppelt so viel verloren.

William Brody war ein professioneller Spieler, ein Gambler. Manche bezeichneten ihn auch als Betrüger, obwohl er das nicht war. Er besaß lediglich eine sehr genaue Beobachtungsgabe und Menschenkenntnis und wusste beides, zusammen mit einem guten Blatt, für sich zu nutzen. 

Irgendwann gegen zwei Uhr löste sich die Runde auf.

Zufrieden strich Brody seinen Gewinn ein und steckte das Geld in seine Westentasche.

Dann machte er sich auf den Weg in das White Star Hotel, wo er eines der besten Zimmer gemietet hatte. Er würde ein paar Stunden schlafen, ausgiebig frühstücken und dann New Orleans verlassen.

Aus: Melanie Brosowski: Im Strom des Mississippi in 'Pioniere des Westens Band 2: Herzdame & Pulverdampf', Mohlberg Verlag, ISBN: 978-3-942079-60-0, Preis: 16,90 €

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Wir verwenden Cookies, um Inhalte zu personalisieren und die Zugriffe auf unsere Webseite zu analysieren. Indem Sie "Akzeptieren" anklicken ohne Ihre Einstellungen zu verändern, geben Sie uns Ihre Einwilligung, Cookies zu verwenden.