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Eine Schöpfung (Fassung von 2004)

Magirian Wonder TaleEinleitende Bemerkung

 In der zu "Eine Schöpfung" in der Fassung von 2001 schrieb ich über diese Fassung von 2004/05. Auch in dieer alternativen, bearbeiteten, jüngeren Fassung ist "Eine Schöpfung" immer noch eine Enzy-Story, denn eine klassische Kurzgeschichte bzw. Erzählung. Eine Änderung in dieser Hinsicht war auch keineswegs beabsichtigt.

Eines änderte sich jedoch mit jeder Überarbeitung: Es kamen weitere Hinweise über zukünftige Pläne, Plots, Stories und Ideen hinzu, die umgesetzt werden sollten.
.

Ich wünsche viel Spaß.

Hollern-Twielenfleth, Oktober 2006
Horst von Allwörden
Das Schwert der Zeit wird unsere Haut ritzen.
Es schmerzt nicht, wenn es beginnt.
Aber es schneidet sich hinein.
Der Schmerz wird wachsen. Sieh ihn grinsen, aber
                                           
Schlaf ist schmerzlos..
Er bringt die Veränderung mit.
Und ich kann wachen oder schlafen,
ganz wie es mir gefällt.

„Lied des Menarh’kin“ (5. Strophe)

von Osore Izai
(annähernd übersetzt aus dem Sery’lan)

Eine Schöpfung
1. Prolog
Ich war gerade dabei, mir eine schöne Tasse Kräutertee mit einem Schuß des guten Branntwein zuzubereiten, als es heftig an meine Tür klopfte. Ich kannte dieses Pochen nur allzu genau. Es war Hyala und im gleichen Moment als ich sie erkannte und auch ihre Gegenwart spürte, klang auch schon ihre Stimme durch die Tür zu meiner Höhle.

„Agmar! Ich muß dich dringend sprechen!“

Seufzend goß ich das heiße Wasser auf den Tee und öffnete die Tür aus massiven Bohlen mit einem flüchtigen Gedanken. Ohne zu knarren schwang die Tür nach innen auf, und Hyala stürmte herein, als würde E'sch T'hut Wiyr belagert werden. Ihr Gesicht zeigte einen bestürzenden Ernst, als wäre die Cyro'nay oder das blaue Leuchten zurückgekehrt, welches in letzter Zeit für Unruhe in unseren Reihen gesorgt hatte.

„Was gibt es denn, Hyala?“ fragte ich förmlich, was sie nicht mochte. Sie, die ungestüme Sery’da, die sie immer war, haßte Förmlichkeit.

„Es ist das große Buch der Schöpfung“, sagte sie aufgebracht. „Es sind alle Bücher. Hast du sie gelesen, Agmar?“

„Ich war der Erste“, entgegnete ich. „Ich war bei einigen der Geschehnisse dabei“, schmunzelte ich, aber Hyala stand der Sinn auch nicht nach launigen Bemerkungen, wie mir ihre Miene und ihre Antwort sogleich zeigten.

Sie war nicht dumm und mochte es keineswegs auf den Arm genommen zu werden, aber es machte mir viel Spaß.

„Das weiß ich. Das wissen wir alle, bei Éradumahl. Aber hast du sie wirklich gelesen? Ach was, komm mit, dann zeige ich Dir, was ich meine.“

Mir blieb keine Wahl, und so wurde ich von Hyala ins Caria’de, dem Saal der Bücher, dem Archiv unseres Volkes, der Tscherwak, Ce’vey und Kel’mey geschleppt. Sie zog mich durch die Gänge wie ein Bauer einen störrischen Ziegenbock in den Stall zerrt. Ihr Griff um meine Hand war kräftig.

Die wenigen Sery'de, die uns begegneten musterten uns mit einem Ausdruck zwischen Verstörtheit und Neugier. Der Agmar in den Klauen der Ungestümen, wie Ozore Isai die Sery'dar in einer ihrer epischen Lieder besungen hatte.

Dann erreichten wir das Caria’de. Hyalas Wille ließ die gewaltigen hölzernen Türflügel förmlich auffliegen. Dahinter tat sich der gewaltige Saal der Bücher auf, wor wir seit dem wir E'sch T'hut Wiyr erreicht hatten unsere Schriften sammelten.

Wir betraten den Saal. Hier waren alle Erlebnisse jedes Einzelnen fein säuberlich niedergeschrieben, dazu all unser Wissen, all unsere Weisheit und all unsere Geheimnisse.

Hyala sah mich zornig an, da sie mein Lächeln offensichtlich mißverstand.

„Lies es selbst!“

Ich wußte, sie würde nicht eher Ruhe geben, bis ich es getan hatte, und so öffnete ich das Buch der Schöpfung, welches auch das Hohe Buch, , genannt wurde.

Zum Ersten
Ein Gedanke, gedacht und der Flüchtigkeit des Augenblicks preisgegeben, bereit vergessen zu werden, fiel in den Raum ohne Zeit, der zwischen den Welten liegt, ja der selbst den Göttern trotzt und ihnen den Zugang verwehrt.

Die Idee gewann Gestalt, dachte Gedanken und wuchs, gewann an Fülle. Weitere Gedanken verirrten sich in diesen Raum ohne Zeit und wie der Angler den Fisch fängt, so fing die Gestalt diese Ideen ein und vereinigte sich mit ihnen.

Aber alles war ohne Ziel. ES war einfach nur eine Sammlung von Gedanken, die aus sich selbst heraus wuchsen. Ein Chaos aus Vorstellungen, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten. Trotz der Fülle war ES aber hohl und leer.

Etwas fehlte, etwas, daß allem, was dieses ES ausmachte, eine Form, einen Halt gab. Es fehlte ein einziger Gedanke. Und letztlich dachte ES diesen Gedanken.

ICH ...

Als ES diesen Gedanken dachte, zog sich der Zeitlose Raum zusammen als sei er von Krämpfen geschüttelt und spie das was-nicht-mehr-ES-sondern-ICH-war aus; spie es in die Zeit und in die Räume in der es Zeit gab. Aus Gedanken war Geist geworden, und dieser mußte das Zeitlose verlassen, denn Geist braucht Zeit, widerspricht Zeitlosigkeit. ES war ein Teil des Zeitlosen, ICH war eine Krankheit, so wie der zeitlose Raum schon viele Krankheiten gehabt hatte und auch noch haben würde.

ICH ...

Durch viele Welten und Universen wurde der in die Zeit gespiene Geist geschleudert, und wie ein Schwamm sog ICH alle Gedanken, gute wie böse, sinnvolle und sinnlose, wichtige und unwichtige auf.

ICH wuchs durch die Wucht dessen, was Wesen aller Art dachten. Und dann kam er zu der Frage Gut oder Böse. ICH erkannte, daß dies zwei Prinzipien waren, aber auch, daß in jedem der beiden Prinzipien Unterschiede waren. ICH kam zu dem Schluß gut zu sein. Ich ordnete seine Prinzipien und wurde ...

... Éradumahl

Éradumahl, alles in einem, wollte er heißen. Das ICH, das alles in sich vereinte und dann eine Wahl traf, so daß er sich für das Prinzip des Guten, die Vorstellung vom Licht und der Ordnung entschieden hatte.

Zwischenspiel
Ich hörte auf zu lesen und warf einen Blick auf Hyala, die mir erwartungsvoll zugesehen hatte. Ich konnte förmlich die Spannung fühlen, die ihren Seelenschatten umgab. Sie glaubte auf Unerhörtes gestoßen zu sein. Etwas, daß sofortiges Handeln erfordert, daß keinen Aufschub duldete.

 „Und ...?“ fragte sie. „Beginnst du zu erkennen was ich meine?“

Hyala blickte mich durchdringend an, als sollte ich jetzt aufspringen und ihr zustimmen, aber ich erwiderte nur ihren Blick, hielt ihrer Ungeduld stand.

„Begreifst du denn nicht?“ fragte sie herausfordernd. „Siehst du es denn nicht?“

„Was sollte ich wohl sehen“, fragte ich nachsichtig, „das mir nicht bekannt wäre? Du weißt doch, ich war der Erste und Éradumahl zeigte mir alles, als wäre ich selbst dabei gewesen. Das war ein Teil der Aufgabe vor die er mich stellte.“

Hyala zuckte hilflos mit den Schultern, ihre Augen blitzten und verengten sich dann ob der Ignoranz, die ich ihr nur allzu offensichtlich entgegenbrachte. Sie überlegte anscheinend, ob ich bösartig oder nur dumm war, weil ich ihren Gedanken nicht folgte oder folgen wollte.

Ich senkte den Blick und las weiter, um sie nicht noch mehr zu provozieren. Mir war bewußt, worauf sie hinauswollte, aber noch war nicht die Zeit, ihr die Augen zu öffnen.

 

Zum Zweiten

Éradumahl gelangte über eine Welt des Chaos und sah ein Volk mit wimpernlosen Augen und sechsfingrigen Händen, das bemüht war, das Chaos zu erhalten, um Kraft daraus zu schöpfen.

Éradumahl erkannte in einigen von ihnen einen Kern, der seinem erwählten Prinzip zugetan, der jedoch tief verschüttet war. Diesen Kern galt es zu erwecken.

Éradumahl fand einen dieses Volkes, in dem das Licht, das Prinzip der Ordnung und des Reinen, stark war, obgleich dies ihm nicht bis in sein Bewußtsein drang. Das Finstere seines Lebens verdrängte alles andere.

Er stand an einem Rosenstrauch, den er sinnend ob Träumen der Macht betrachtete. Das Wesen sah jedoch an der Schönheit der Blüten vorbei.

Er beobachtete statt dessen, wie träumend, eine Spinne, die eine Fliege in ihrem Netz einspann, um sie in ihr Vorratslager zu legen. Der Mann bewunderte die Macht der Spinne, die das Opfer fing und tötete.

Aber er war mächtiger. Seine Hand konnte den achtbeinigen Räuber zerdrücken. Schon schlossen sich die Finger um das Tier.

Doch Èradumahl ließ den Sechsfingrigen seinen Plan nicht mehr in die Tat umsetzen. Das ICH öffnete dem Mann seinen Geist und überflutete ihn mit all seinen Gedanken.

Der Eine erstarrte unter der Flut, konnte sich nicht wehren. Ohnmächtig vor Zorn erlebte er Éradumahls Gedanken, ließ sie über sich ergehen.

Éradumahl forderte ihn auf, die Wahl zu treffen, nachdem der Mann Tage, Wochen und Monate dem Aufprall der Gedanken des ICHs ausgesetzt war.

Und das Wesen mit den sechsfingrigen Händen wählte.

Er sagte Éradumahl, daß er seine Wahl getroffen habe; er sagte, das Prinzip des Lichts und der Schönheit sei etwas, daß ihn reize. Er sei ein Wanderer zum Licht. Er sei fortan Rurerrunhor t’ar'darrunarr‘etar Taburararrh'egnar gar'rh Norrorrhbar, der Erste, was hieß der Agmar.

Nicht nur das Innere des Ersten wandelte sich, auch seine äußere Erscheinung veränderte sich. Es war, als habe sich aus einer häßlichen Raupe ein wunderschöner Schmetterling entpuppt. Und siehe da: An seinen Händen waren nicht nur fünf Finger, er konnte die Augen mit seinen Lidern verschließen.

Doch das, ließ ihn Éradumahl wissen, ist nicht deine wahre Gestalt. Suche nach ihr und du wirst mich erkennen.

Noch eines bemerkte der Agmar: er konnte seine Aussehen verändern, konnte alles sein, was er wollte. Rurerrunhor konnte die Gestalt jedes toten Gegenstandes und aller lebenden Wesen annehmen. Es war die Fähigkeit des Skema’ver wie er es in einer Sprache nannte, die mit ihm, dem Ersten, entstanden war.

Die Magie war stark im Ersten der Wanderer zum Licht. Er spürte in sich Kräfte, die Welt aus den Angeln heben konnten. Sein Willen schien grenzenlos zu sein. Mächtiger als jeder Sare’o’dan war er.

Er konnte Gebirge einebnen. Nichts schien unmöglich für ihn. Doch dann erkannte, daß dieser Macht Grenzen gesetzt waren.

Er entdeckte etwas, daß er nicht kannte. Es war das Gewissen. Ein Sare’o’dan kannte dergleichen nicht. Aber ihm, dem Agmar, erschloß es sich. Das und das Wissen und die Weisheit, mußten verhindern, diese Macht willkürlich einzusetzen.

Plötzlich spürte, daß diese Macht in ihm in Zaum gehalten wurde.

Aber seine wahre Gestalt, die Kes’kel’ve, blieb dem Agmar verborgen. Doch Éradumahl ließ ihn wissen, daß sie sich ihm früher oder später offenbaren würde.

 

Zwischenspiel

 „Osore hat viel klangvollere Worte gefunden, als sie über Éradumahl und die Schöpfung nachdachte“, schnaufte Hyala und hob eine Schriftrolle, räusperte sich und holte tief Atem. Dann schloß sie die Augen und begann: „Höre:

 

Nur einen fand er,

im Verborgenen Licht erfüllt

der Rosen Schönheit sehend,

doch nicht erkennend,

die eig’ne Macht zu halten

und zu stärken

allein er sann“

 

Sie öffnete die Augen und blickte mich fest an. Alles an ihr war gespannt. Ihr Seelenschatten war voll von den hehren Worten der Elhera ergriffen. Dann setzte sie die Rezitation fort. All ihr Gefühl, ihr ganzes Wesen als Sery’dar legte sie in die Worte, die Osore Izai geschaffen hatte. Ich wurde förmlich davon überschwemmt:

 

„Im Chaos, die Wahl frei zu treffen

erschüttert des Einen Ansturms erlegen

So ...“

 

Mit einer Geste unterbrach ich Hyala: „Ich kenne Osores Dichtungen. Ihre kraftvollen Worte und wunderbaren Deutungen rühren mein Herz.

Ich werde ihr nie verwehren, unsere Geschichte und unsere Weisheit in wohlklingende Verse voller Schönheit zu schmieden, um uns lange Abende mit wohlklingender Rezitation zu vertreiben. Das wäre, als knickte ich den Stiel einer voll erblühten Rose.“

Hyala war pure Verwirrung. Statt alle Sery'de ins Caria'de zu rufen, um unsere Bücher in die hehre Sprcahe zu transponieren und die alten Versionen den Flammen zu überantworten und den Bann des Vergessens über sie zu legen, tat ich nichts.

Ich beugte mich wieder über das Hohe Buch und las weiter und ignorierte dabei Hyalas beinahe wütenden Blick, weil ich mich so offensichtlich weigerte, zu erkennen worauf sie hinaus wollte.

Aber ich gedachte, sie noch eine Weile hinzuhalten, denn allmählich begann mich dieses Spiel zu amüsieren und ich erwog, Hyala eine Lektion zu erteilen, was ich bisher verabsäumt hatte, die sie aber offensichtlich benötigte.

Ich beugte mich tiefer hinunter, um mein Schmunzeln zu verbergen. Schließlich wollte ich ihren Zorn nicht über Gebühr erregen.

 

Zum Dritten

Éradumahl bestimmte, daß der Erste, Rurerrunhor, nun die suchte und fand, die auch den Kern des Lichts in sich trugen und sie um sich scharte, auf daß sie Wissen und Weisheit sammeln sollten.

Wissen und Weisheit sollte denen, die dem Ersten noch folgen mochten, einstmals zugänglich gemacht werden, wenn diese Welt eine bessere und friedlichere geworden war. Wenn Mensch, Tier und Pflanze miteinander in Frieden lebten und jeder alles gab, was er zu geben vermochte.

Er gab dem Ersten die Prinzipien mit auf den vor ihm liegenden langen und harten Weg, die da lauten:

 

Tu was du willst - und schade niemanden.

Hilf!

Lehre und Leite!

Weisheit und Wissen für eine bessere Welt

Streite wider das Böse

Bringe das Gute

Suche das Gute in Jedem

 

Rurerrunhor t’ar'darrunarr‘etar Taburararrh' egnar gar'rh Norrorrhbar war erfüllt von allem, was ihm Éradumahl gezeigt hatte.

Er teilte alles mit ihm, auch wenn sich dem Ersten noch nicht alles erschlossen hatte und er nicht alles verstand.

Der Agmar wußte nicht, wie er all das erklären sollte. Seine Worte, selbst jene des Sery’lans, der Sprache, die mit ihm entstanden war, würden nicht ausreichen, anderen seine Erfahrung zu vermitteln.

Rurerrunhors Zweifel blieben Éradumahl nicht verborgen. Und so zeigte das Wesen, das Alles-in-Einem war, dem Agmar, wie er andere teilhaben lassen konnte. Der Gott wies seinem Ersten den Weg, wie er sie vor die Wahl stellen konnte, die Rurerrunhor bereits getroffen hatte.

Dann aber verließ Éradumahl Rurerrunhor, der alles erhalten hatte, um das Volk zu gründen und es zu leiten, auf daß es seine Aufgabe erfülle. Éradumahl würde sie beobachten, ihnen aber niemals zu Hilfe kommen. Der Agmar empfing die Botschaft, daß das Licht stark genug sein mußte, um sich durchzusetzen oder sie mußten untergehen.

Der Agmar aber machte sich auf die Suche, um jene zu finden, die den Keim des Lichten in sich trugen, die der Finsternis und dem Chaos entsagen wollten.

Sein Blick reichte tief in das Unsterbliche des sechsfingrigen Volkes, das nach Macht hungerte. Und er erkannte, gemäß Éradumahls Willen, jene, deren Leiber erfüllt waren mit Licht.

Die anderen ließen ihn, ob des Chaos in ihrem Innern erschauern. Rurerrunhor erkannte immer mehr, auf dem falschen Weg gewesen zu sein, je öfter er in die Herzen der Sare’o’dan blickte.

Der Agmar öffnete seinen Geist und ließ jeden, den er auswählte, an dem teilhaben, was Éradumahl ihm eröffnet hatte und jedweder konnte seine eigene Wahl treffen.

Die meisten von ihnen trafen die gleiche Wahl, die auch der Agmar getroffen hatte. Diejenigen, die sich dem Licht verweigerten, ließ er ziehen, so daß seine Taten nicht unbemerkt blieben und den Argwohn der Mächtigen unter der Sare’o’dan erregten. Jedweder, der dem Agmar folgte, wurde ein Wanderer zum Licht, legte seine alte Persönlichkeit ab und wandelte ebenfalls sein Äußeres.

Doch die Kes’kel’ve blieb ihnen allen verborgen, offenbart und zeigte sich nicht.

Und so ward Éradumahls Volk, die Wanderer zum Licht, geboren durch freie Entscheidung, ganz nach dem Willen des Einen, der da war Éradumahl, das ICH, welches alles in sich vereinte.

 

1. Epilog

„Warum ist das alles so primitiv?“ fragte mich Hyala, als ich mich von den Seiten löste, die ich gelesen hatte, und mich wieder aufrichtete.

Die Erinnerungen an die Begegnung mit Éradumahl drohten mich zu übermannen. Es gelang mir, sie zu verdrängen, um mich nicht in der Vergangenheit und der Einmaligkeit dieses Erlebnisses zu verlieren, sondern mich dem Hier und Jetzt und Hyala zuzuwenden, die einer Antwort harrte.

„Ich verstehe nicht?“, sagte ich.

„Du hast uns teilhaben lassen an den Erinnerungen Éradumahls. Und noch heute erfüllt es mich mit Schaudern, ihm so nahe gewesen zu sein. All das, was ich hier lese, ist nur ein schwacher Abglanz dessen, was uns Éradumahl eröffnet hat. Genau wie die pumpen menschlichen Zungen und Geister nie das Schöne und die Feinheiten des Sery’lan werden verstehen oder gar sprechen können.“

„Hyala“, entgegnete ich, „du solltest es besser wissen.“ Ich lächelte nachsichtig. Manchmal erkannten sie alle das Offensichtliche nicht. Zuviel Weisheit schadet manchmal mehr als sie nützt. Dazu macht sie hochnäsig. „Was wir erlebt haben“, fuhr ich fort, „war ein Geschenk Éradumahls an uns, die wir sein Volk werden sollten. Wir haben es nicht mit Worten erlebt, sondern er hat unsere Geister an seiner Schöpfung teilhaben lassen. Das kann man nicht in Worte, gleich welcher Sprache, kleiden. Selbst unsere Sprache reicht dafür kaum aus.

Dazu kommt, die Bücher sind nicht für uns, sondern die Menschen und anderen denkenden Wesen MAGIRAs. Das solltest du wissen“

„Aber trotzdem, auch in den Sprachen der Menschen kann man all das schöner, umfassender und stilvoller schreiben“, wandte Hyala ein. „Man sollte es in einer der Bedeutung angemessenen Sprache neu fassen.“

„Aber es sind die Worte, die Éradumahl gewählt hat. Er hat die Menschen ausgesucht, die dies niedergeschrieben haben, auf daß es in den Schriften der Sery'de stehen möge, als wir den Saal der Bücher errichteten. Das Zeitalter der Propheten, erinnere dich Hyala. Selbst jetzt, da die Taten eines jeden Sery'de im Caria’de wie von Geisterhand im Saal der Bücher aufgezeichnet werden und die Saskarien, die Taten des Serydur, uns vom Samaska übergeben werden, ist der Ausdruck so, wie es Éradumahl bestimmt hat. Glaube mir, ER hat seine Wahl getroffen und ich weiß, er hat es wohl getan.“

„Warum?“

„Es ist so einfach, daß du es eigentlich selbst sehen müßtest oder erweist sich deine Weisheit bar der Klugheit?“

Ich ließ diese, die ungestüme Sery’da, Sonnenschein der Höhlen, Rose unter den Sery'de nicht zu Wort kommen, um nicht ein paar wütende Worte auf mich niedergehen zu lassen. Denn war ihr Körper durch Éradumahl zu wahrer Schönheit herangereift, wie die Blüte der Blume, welche uns heilig ist, so hatte ER ihrem Geist einige Dornen verliehen.

„Sieh her, einst soll dieses ganze Archiv, das wir hier in Höhlen sammeln, den Menschen offen stehen, und sie sollen alles in Worten lesen, die alle und jeder begreifen können.

Hast du jemals eine der Schriften menschlicher Philosophen gelesen? Sie sind erschreckend unverständlich. Sie zeigen, wie man selbst die Sprachen, die du primitiv schimpfst verdrehen kann, um mehr zu verschleiern, denn zu enthüllen. All die schönen, wichtigen Gedanken werden hinter abstrakten Wortschöpfungen und Satzungetümen verborgen, die den Sinn in graue Nebel hüllen.

Ich las einmal eine Schrift von einem wichtigen Philosophen im unter den Menschen berühmten Magramor. Er verbrauchte Unmengen Pergament für etwas, daß er in zwei kurzen Sätzen hätte niederschreiben können, wenn er es nur gewollt hätte. Doch trachtete er nur danach die übrigen Philosophen beeindrucken, nicht aber danach, Weisheit im Volke säen.

Das ist aber nicht das Ziel Éradumahls und damit auch nicht das unsrige.“

„Ich verstehe“, sagte Hyala und sie klang tatsächlich ein wenig beschämt.

„Gut“, antwortete ich, „und ich dachte schon, es war ein Fehler, dir die Weisheit Éradumahla gezeigt zu haben“.

Hyalas Augen blitzten, als sie mein Lächeln sah.

Se folgte mir in meine Kammer und als wir sie betraten, begann nach meinem Willen das Wasser im Kessel zu kochen und ich lud sie zur Besänftigung auf eine Tasse Tee ein, der ja beruhigen soll.

Und genau das brauchte sie ...

 

2. Prolog

Ich saß auf einer Bank im Verheissenen Garten und blickte auf die Pracht der Blüten, die in allen Farben leuchteten. Die Begegnung mit Hyala hatte mich nicht losgelassen.

Ich sah einen Fehler, den es zu korrigieren galt. Gerade in der Einfachheit und Schlichtheit der Sprache all unseres Wissens lag sein Geheimnis. Auch wenn uns die Schriften mehr vermittelten, als einem menschlichen Leser, so war es doch eine schlichte, klare Sprache. Nur wir Sery’de sahen die Schriften im Sery’lan. Menschen sahen ihre Zeichen, aber konnte nicht deren tiefere Bedeutung erkennen.

Sollten die Menschen einst dafür reif sein, würde jeder, vom Geringsten bis hinauf zum Höchsten, vom Unverständigsten bis hin zum Klügsten unter ihnen, es verstehen können.

Ich hatte es allzu offensichtlich versäumt, diesen Gedanken in meinem Volk zu säen. Wir waren anders als die Menschen, aber wir, die ihnen helfen sollten, durften uns nicht selbst erhöhen, denn dann waren wir auf dem Weg zurück zur Finsternis, auf den Weg zurück in eine Existenz, die wir abgeschüttelt hatten.

Ich machte mir nichts vor. Wir hatten nur gewählt. Nach wir vor gab es in uns, den Sare’o’dan, unser dunkles Ich. Es war auf dem Sprung, wie ein Panther, der auf seine Beute lauerte. Es galt den Anfängen zu wehren.

Ich hatte nichts dagegen, wenn jemand unsere Geschichte und unser Wissen zu unserer und seinem Vergnügen in Verse schmiedete oder in einer gewählteren Sprache faßte, wie Osore Izai dies tat, aber den Willen Éradumahls mußte ich ihnen vermitteln. Das war meine Pflicht.

ER, der alles in allem war, hatte Schlichtheit, Bescheidenheit und Demut gewünscht, was die anderen dieser Welt betraf, denn wir waren nur Diener.

Unwillkürlich schweiften meine Gedanken zu den Sery’de-sery’, die in ihren Höhlen schliefen und weder die Pracht des Unterirdischen wahrnahmen, noch die Schönheit des Gartens, der uns allen Ruhe und Kraft gibt.

Den ganzen Vormittag hatte ich hier verbracht und meine Arbeit getan. Es machte mir Spaß, von Zeit zu Zeit hier zu sein und nicht mit Magie, sondern mit den Händen etwas zu schaffen.

Nun, da die Sonne im Zenit über mir stand, hatte ich Muße für eine Pause und ich trank einen Schluck Wein und aß Käse und Brot.

Ich hörte das Plappern der anderen, die sich in einer anderen Ecke des Gartens ergingen und ihre Mahlzeit verzehrten.

Ich dachte an Somnolar, der einst das Wort derer führte, die den Dingen ihren Lauf lassen wollten, der schon immer andere Ideen hatte. Aber gerade das hatte mich oft beflügelt und mir den Weg gewiesen, den wir zu gehen hatten.

Ich dachte an unsere Auseinandersetzungen und Wortgefechte, nachdem wir E'sch T'hut Wiyr endlich gefunden hatten und eine wehrhafte Heimstatt gegen die Sare’o’dan errichteten.

Er war ein so tapferer und guter Kamerad, aber ohne jeden Glauben daran, daß die Aufgabe, die ich uns im Namen Éradumahls gestellt hatte, erfüllbar wäre.

Auch ich hatte Zeiten des Zweifels, des zagenden Herzens und der Niedergeschlagenheit erlebt, wo es mich beinahe unwiderstehlich in meine Höhle zog, um dort die Jahrtausende zu verschlafen. Doch ich wußte, es war nicht unmöglich, die Aufgabe zu erfüllen; es war nur ungemein schwierig, aber jedwede Aufgabe, deren Erfüllung eine große Befriedigung war, war schwierig.

Somnolar, der Menarh'kin. Somnolar, der Wortführer. Somnolar, der hitzige Redner. Somnolar, der Mann der radikalen Lösungen.

Doch, ich hatte gehofft ihn, gerade ihn, für unseren Kampf zu gewinnen, denn er ist Inspiration und Widerpart. Etwas, das ich nun in Ke’mana wieder zu entdecken hoffte.

Meine Gedanken schweiften zum Hohen Buch. Was war darin über die ersten Jahre zu lesen, nachdem mich Éradumahl vor die Wahl gestellt hatte? Und die Worte kamen zu mir.

 

Zum Vierten

Sie waren Wanderer zum Licht. Sie liebten die Ordnung, sie verehrten die Schönheit. Die Sare’o’dan, jenes Volk, aus dem sie hervorgegangen waren, verachteten und haßten sie dafür. Diese brauchten das Chaos, sie liebten die Macht, sie sahen keine Schönheit in der Natur, nur sie selbst und die Dinge, die sie erbauten, galten ihnen als schön und es wert, beachtet zu werden. Die Wanderer zum Licht erkannten sich am Duft ihrer Seele, die da roch wie Rosen und die nur sie wahrnehmen konnten, bis sich erwies, daß dem nicht so war.

Fast ein ganzes Tausend an Zahl waren sie, die dem Licht folgen. Und doch, ihr Sanftmut, ihr Sinn für Schönheit und Ordnung verärgerte die Sechsfingrigen. Sie begannen, die Wanderer zu jagen und zu hetzen, wo sie ihrer ansichtig wurden.

Doch sie fanden heraus, daß es mehr Beschränkungen als ihr Gewissen gab, was das Einsetzen ihrer Macht anging.

Die Wanderer zum Licht entdeckten, daß ihnen die Fähigkeit fehlte, Zauber zu weben, die jedwedem Lebewesen direkten Schaden zufügten. Und doch waren ihre Fähigkeiten, sich der Magie zu bedienen, vielfältig.

Sie konnten Schutzwälle aus der Kraft ihrer Gedanken errichten, sie konnten heilen und ihre Gestalt wechseln, aber der Kampf mittels des Übersinnlichen war ihnen verwehrt.

Diejenigen, die es versuchten, wurden zu Idioten, die nur noch dahinvegetierten, oder ihre Körper deformierten sich zu obszönen Karikaturen ihrer selbst, und sie verloren die Fähigkeit, ihre Gestalt zu wandeln. Ihre Heilung war unmöglich. Der Agmar hieß sie die Kesver'de.

Die Kesver'de wurden mitgenommen und bei Gefahr und bei Reisen im Meer oder in der Luft in Blasen aus reiner Kraft geschützt, auf daß sie keinen weiteren Schaden nahmen. Manchmal glaubte der Agmar, es wäre ein Akt der Barmherzigkeit, ihrer Existenz mit der Klinge ein Ende zu setzen, aber er gab die Hoffnung nicht auf, ihnen zu helfen und sie heilen zu können.

Wenn sie doch nur einen sicheren Hafen finden würden, in den sie sich zurückziehen konnten. Aber wohin sie sich auch wandten, es schien keinen Schutz für sie zu geben.

Sie flohen über die ganze Welt, nahmen die Gestalt von Vögeln, Fischen und allem möglichen Getier an, aber ihren Jägern, den Sare’o’dan, gelang es wieder sie zu finden, sie aufzuspüren und zu hetzen wie ein Stück Wild.

Dann wurden die Wanderer zum Licht an einer Steilküste von einer größeren Horde ihrer Häscher gestellt und ein großer Kampf entbrannte.

Die Wanderer hielten den Sare’o’dan zehn lange Tage stand, obwohl die Feinde drei zu eins überlegen waren und mit ihrer ganzen Macht angriffen. Immer wieder wurden neue Finten ersonnen und Wälle aus reiner Magie errichtet. Auch mit dem Schwert in der Hand stellten sie sich den Sare’o’dan entgegen und schlugen sie zurück.

Dann erlahmten ihre Kräfte zusehends. Weitere waren gefallen. Es waren noch sechshundert von ihnen übrig.

Der Agmar wußte sich in verzweifelter Lage. Was konnte ihnen noch helfen?

Éradumahl würde nicht erscheinen. Er hatte ihnen alles gegeben, was sie zum Überleben brauchten. Reichte das nicht, so wußten sie seine Gaben nicht zu nutzen. Und er, der Agmar selbst, am allerwenigsten.

Da trat Somnolar vor. Er bot sich und eine Gruppe anderer an, die sich selbst opfern wollten. Sie würden Schadenszauber über ihre Feinde werfen, um den übrigen die Flucht zu ermöglichen.

Der Agmar lehnte ab. Ein derartiges Opfer war nicht angemessen, wenn es nur dazu diente, ihnen einen weiteren Aufschub bis zur nächsten Schlacht zu gewähren. Es bedurfte einer großen List, einer letzten Anstrengung, um zu entkommen, aber wohin?

Die dauernde Flucht und der ewige Kampf hatten sie alle zermürbt. Die Wanderer zum Licht hatten sich verausgabt. Ihre Kräfte waren am Ende. Sie brauchten eine dauerhafte Zuflucht, eine, von der aus das Licht in die Welt gebracht werden konnte.

Somnolar drängte auf das Opfer der wenigen, um viele zu retten, denn wenn sie an dieser Küste verharrten, war es alsbald für alle zu Ende.

Der Agmar erbat sich Zeit bis zum Sonnenuntergang, um darüber zu meditieren. Nur unwillig gab der zum größten Opfer bereite Somnolar nach.

 

Zwischenspiel

„Ho, Agmar?“ die junge Stimme erreichte mich in meinen tiefsten Gedanken. Es war Che’don, der Junge, den Hyala und Ke’mana vor gar nicht allzu langer Zeit mitgebracht hatten und der in unserer Obhut aufwuchs. Dabei hatten sie es geschafft, sich den Saskarien zu entziehen. Nur wenigen von uns gelang es, manche Ihrer Taten vor ihrem eigenen Buch und damit allen anderen zu verbergen. Bisher hatte ich mir darum keine Sorgen gemacht, aber die Eigenmächtigkeiten Hyalas und Ke'manas waren vielleicht doch Anlaß genug, einzuschreiten und derartiges zu untersagen.

Wohin sie gegangen waren und woher die Kinder kamen, war uns allen ein Rätsel. Hyala und Ke’mana hüllten sich in Schweigen.

Obwohl er ein Sare’o’dan war, war er noch nicht erleuchtet worden.

Aber war das wirklich nötig? Konnte der Junge, ebenso wie Che’di, die ich munter mit Laurentyus plaudern sah, den Weg zum Licht nicht allein finden? War das Böse, die Finsternis wirklich vom Augenblick der Geburt an in den Sare’o’dan?

Ich war einer gewesen, hatte eine Wahl getroffen. Aber ich hatte die Hilfe eines Gottes.

Che’don und Che’di würden es zeigen. Ich hatte insbesondere die eifrige Osore Izai mehrfach zurückweisen müssen, die mich bedrängt hatte, die beiden mit Éradumahls Gedanken zu überfluten, sie schon jetzt vor die Wahl zu stellen.

Oft ertappte ich mich dabei, wie ich in die beiden Kinder hinein zu lauschen versuchte, ob sich die eine oder andere Richtung herauskristallisierte. Aber noch waren es nur Kinder, die manchmal fordernd, manchmal boshaft waren, manchmal die Geduld strapazierten und manchmal einfach nur unglaublich lieb sein konnten.

Noch nie hatte es ein Kind der Sery'de gegeben. Nur eine Ausnahme gab es ...

Ich vermutete, daß wir erst Kinder haben würden, wenn sich unsere Kes’kel’ve offenbarte. Doch ich sehnte mich danach, Kinder zu haben, die aus den Sery'de ein Volk machen würden, daß an Zahl wuchs und sich seines Nachwuchses erfreute.

Che’don und Che’di waren fast wie die Menschenkinder, spürte man in ihnen nicht die Anlagen für mächtige Zauber und zerstörerische Magie. Aber gehörte auch der absolute Wille zu Macht und Herrschaft dazu, der allen Sare’o’dan zu eigen war?

Konnte es wirklich sein, daß ein Sare’o’dan auch ohne den überwältigenden Ansturm von Éradumahls Gedanken, als Gegengewicht zum eigenen Inneren, den Weg zum Licht finden konnte? Hatte ich einen Fehler gemacht, indem ich nur Erwachsene suchte, welche die Wahl treffen sollten?

Vielleicht zeigte Hyalas und Ke’manas Reise einen völlig neuen Weg für die Sery'de und auch die Sare’o’dan, um vielleicht zum besten dieser Welt zusammenzuleben und zu arbeiten.

Oder in eine andere Richtung gedacht: War das nicht eine Möglichkeit? Konnten Che’di und Che’don die Ersten eines neuen Geschlechtes von Kämpfern für das Gute sein? Die Fähigkeiten des Muttervolkes, gepaart mit dem Sanftmut der Sery'de. Nein, es war zu früh daran zu denken.

War es überhaupt recht, daran zu denken? Mußten wir dazu nicht Kindern ihren Müttern entreißen? War das der Sery'de würdig, selbst wenn die Mütter aus den Kindern machtgierige Monstren schufen?

Viele Fragen drängten in kürzester Zeit auf mich ein. Und vielleicht würde es Äonen dauern, Antworten zu finden. Doch Che’don und Che’di trugen einen Teil der Antwort in sich und ich hoffte, daß sich diesmal alles zum Guten wandte.

„Agmar“, wiederholte der Junge seine Ansprache. Mein Name war ihm noch zu kompliziert.

„Was gibt es denn, Che’don?“ fragte ich und wußte im selben Moment, es war eine dumme Frage.

Er hielt mir einen hölzernen Wagen hin, von dem sich ein Rad aus dem Dübel gelöst hatte. Hyala hatte ihn gebastelt. Sie war ungeheuer geschickt mit Werkzeugen, nie schuf sie einen Gegenstand oder ein Spielzeug nur mit der Kraft ihres Geistes. Sie sagte immer, daß man sich auf beides, Hand und Geist verlassen können müßte.

Ich nahm ihm den Wagen ab und drückte das Rad wieder auf die Achse. Der Junge schenkte mir ein strahlendes Lachen, dann nahm er den Wagen in seine sechsfingrigen Hände und lief wieder zu Che’di hinüber.

Ich wußte, einige von uns fürchteten insgeheim diese beiden Kinder und selbst ich hatte manchmal das Gefühl, ich müßte sie überwachen, aber konnte man das den Sery'de verdenken?

Ich nahm mir vor, die beiden einmal zu fragen und vielleicht, ja vielleicht würde ich meine ganze Autorität einsetzen ...

 

Zum Fünften

Der Agmar versetzte sich in ein Reich zwischen Tod und Traum. Sein Herz schlug kaum noch, sein Atem schien einzuschlafen. Er nutzte das Mächtigste, was ihm gegeben war. In ihm ruhte ein Teil Éradumahls, dessen Natur er bisher nur genutzt, aber doch nie begriffen hatte.

Es war nicht der, der Alles-in-Einem war selbst, sondern ein Teil des Gottes ohne Bewußtsein, ein Werkzeug.

Der Agmar tauchte in sich selbst hinab. Im wurde schwindelig, wie ein Perlentaucher, der zu tief hinabstieg, um eine besonders große Muschel zu finden, aber der Agmar gab nicht auf.

Tiefer und immer tiefer gelangte er. Rurerrunhor sah Teile seines Inneren, die er überwunden geglaubt hatte und es entsetzte ihn, daß es sie noch gab. Da erkannte der Agmar, daß er die Wahl jeden Tag von Neuem zu treffen hatte und die Prüfung nie aufhören würde.

Dann spürte er, daß er seinem Ziel näher und näher kam. Er spürte SEINE Gegenwart, seine Nähe, aber nicht sein ICH. Rurerrunhor hatte gefunden, was er gesucht hatte.

Nun galt es, einen Weg zu finden, sich diesen Teil eines Gottes nutzbar zu machen.

Der Agmar sammelte sich. Noch nie zuvor hatte er versucht, was er jetzt tat, aber er drang in Éradumahls Gabe ein, und verwob seinen Geist mit dem Geschenk seines Gottes, um endlich eine Zuflucht für sein Volk zu finden. Rurerrunhor hatte das Gefühl, daß ihm die Gabe erst dann erlaubte, sich mit ihr zu verweben, als er seine Aufgabe klar vor sich sah.

Dann verließ Rurerrunhor t’ar'darrunarr‘ etar Taburararrh'egnar gar'rh Norrorrhbars Geist seinen Körper. Nur beiläufig nahm er das Schlachtfeld und den verzweifelten Kampf seines Volkes wahr.

Für einen Lidschlag drohte ihn diese Auseinandersetzung in ihren Bann zu schlagen, drohte ihn der Wunsch zu übermannen, mit seiner neu gewonnen Kraft in die Schlacht einzugreifen, aber das war nicht das Ziel der Verbindung gewesen und der Geist des Agmars drohte im Nichts zu vergehen. Innerlich verhärtete sich der Wille des Agmars, damit ihm der Kampf seines Volkes nicht zu nahe ging und er im Überschwang des Zorns das Falsche tat.

Dann schwang der Geist des Agmars sich auf, und er konnte mit einem Blick die ganze Welt erfassen; nie zuvor hatte er ähnliches erlebt und er war sich nicht sicher, ob er ähnliches noch einmal vollbringen konnte oder wollte.

Mit neuen Sinnen, deren Natur er nicht erkannte, erforschte er die Welt, drang in deren tiefsten Tiefen ein und stieg zu ihren höchsten Höhen empor, fast hätte ihn seine Begeisterung fort ins Universum gerissen, aber im letzten Moment erinnerte er sich seiner Aufgabe und kehrte auf die Welt zurück. Dort ließ er alle seine Sinne über die Meere schweifen und schließlich und endlich fand er es, die letzte Zuflucht, E'sch T'hut Wiyr in seiner Zunge.

Mühsam und voller Qualen kehrte er zurück in seinen Körper und löste seinen Geist von der Gabe Éradumahls. Dann tauchte er wieder aus den Tiefen seines Geistes auf, zurück in seine Welt und ein gewaltiges Bedauern erfaßte ihn, das er mit aller Macht abschütteln mußte.

Als er die Augen aufschlug, umstand ihn, bis auf wenige Ausnahmen, sein Volk.

Die Sare’o’dan hatten ihre Angriffe eingestellt. Sie sammelten sich für den letzten gewaltigen Sturm. Neue Schiffe waren gekommen, auf ihnen mehr Krieger und Magier. Die wenigen Späher der Wanderer zum Licht hielten Ausschau.

Der Agmar versuchte alle zu überzeugen, daß es nur noch einer letzten gewaltigen Anstrengung bedurfte, um zu entkommen und E'sch T'hut Wiyr zu erreichen.

Wortgewaltig wandte sich Somnolar gegen den Agmar.

Woher wisse er denn, auch wenn er der Erste wäre, daß es eine sichere Zuflucht sei?

Er redete mit Engelszungen und versuchte die Wanderer zum Licht von einem neuen Plan zu überzeugen, der ihnen Freiheit oder einen Untergang in Ehre bringen würde.

Einige würden sich hier opfern, und die anderen würden mit vereinter Kraft einen Kontinent versenken. Imcwyar, Heimat der Sechsfingrigen sollte in den Fluten versinken. Wenn es nötig würde, wollte Somnolar mit seinen Anhängern ganz MAGIRA von den Fluten des Endlosen Ozeans überschwemmen lassen.

Hätten sie dies geschafft, winke ihnen die Freiheit. Gelang es ihnen nicht, fielen sie alle für die Freiheit der Welt.

Neue Götter konnten Neues schaffen. Vielleicht wäre das sogar der bessere Weg für MAGIRA und das Universum, schloß der Menarh’kin.

Der Agmar sah einen letzten Ausweg, um den Weg in den Untergang zu verhindern. Er öffnete, als sich immer mehr Somnolar anzuschließen drohten, seinen Geist, wie er es getan hatte, als er sie alle vor die Wahl stellte.

Er zeichnete ein anderes Bild der Zukunft. Er zeigte ihnen, daß es nicht der Wille Éradumahls sein konnte, einen ganzen Kontinent zu versenken und neben den Sare’o’dan unzählige andere, zum größten Teil versklavte Wesen, die Tiere und Pflanzen zu töten.

So folgten alle dem Plan des Agmars. Sie vereinten sich und mit den letzten Kräften schufen sie einen gewaltigen Schutzschild und Trugbilder, die Geister derer aus denen sie hervorgingen, verwirrte.

Dann wandten sie sich dem Meer zu und sprangen von der Klippe in die Tiefe, und bald darauf zog ein Schwarm Makrelen, gefolgt von seltsamen Luftblasen, in denen Gestalten zu sein schienen, durch das Meer, der letzten Zuflucht entgegen.

Zurück blieben die Sare’o’dan, die nicht wußten, wie ihnen geschah.

 

Zwischenspiel

Ich erinnerte mich gut des Augenblicks, in dem ich mich mit der Göttlichkeit Éradumahls in mir verwob. Ich konnte alles mit unzähligen Sinnen durchdringen. Mir ist immer noch nicht klar, wie und was ich alles sah, fühlte und wahrnahm. Ich nahm die Welt und jede Einzelheit auf ihr zugleich wahr und für einen Atemzug verstand ich den Sinn des Lebens und der Welten.

Leider war dieses Verständnis nicht von Dauer, denn es bedarf all dieser zusätzlichen Sinne, um umfassend das Gespinst dieser Welt zu begreifen. Kaum hatte ich sie abgelegt und mich wieder den Beschränkungen meiner Gestalt hingegeben, da schwand diese Übereinstimmung mit der Welt, der sich ein Wesen, egal ob Mensch, Sare’o’dan, Sery'de oder was auch immer für ein Wesen nur mehr oder weniger annähern kann. Erreichen wird er sie nie. Der Abschied davon beschwert immer noch mein Herz.

Ich hatte Mühe damit, das Bedauern darüber abzuschütteln, dies aufgegeben zu haben. Obwohl ich es inzwischen mehrfach versucht habe: Dieses Einvernehmen mit Éradumahls Gabe in mir habe ich bislang nie wieder erlangen können. Aber noch nie war die Gefahr der Vernichtung so groß wie in jenen Tagen. Vielleicht ist die absolute Todesgefahr der Schlüssel. Die Zukunft und neue Gefahren würden es zeigen.

Das blaue Leuchten ist ein erster Hinweis darauf daß Zeiten der Prüfung kommen mögen.

„Der Garten wird nie fertig“, hörte ich die Stimme Ke’manas zu mir herüber klingen. „Diese Arbeit währt ewig und ist uns Prüfung!“

Ich schmunzelte. Das war eines der Worte, die im Zusammenhang mit dem Garten immer wieder fielen.

Hier wurde nicht mit Magie und Zauber erschaffen, sondern immer mit Spaten, Hacke und Harke gearbeitet.

Der Garten war mit unserer Hände Arbeit entstanden. Das Kraut wuchs und mußte von den Rosen fern gehalten werden. Nur der Winter, der vor einigen Jahren die Inseln in festem Griff hatte, ließ uns von diesem ehernen Grundsatz abweichen Mit Zaubern hatten wir die Blumen erhalten.

Jeder hatte hier gelernt, sich, nach Hyalas Motto, wieder auf seinen Körper zu verlassen, denn der Schlaf währte lang...

 

Zum sechsten

Eine Insel, beherrscht von einer mächtigen Caldera, ragte aus dem Ozean hervor. Aus den Fluten sprangen wie silberne Pfeile Makrelen, aber noch bevor sie den grauen Sand des Strandes berührten, wo sie unweigerlich verenden würden, verwandelten sie sich in menschliche Gestalten, die eher taumelten als gingen, weil sie der völligen Erschöpfung nahe waren.

Der Weg durch das Meer war lang gewesen und einige von ihnen wären während der langen Wanderung fast gestorben, aber der Agmar und Hyala, deren Heilmagie herausragend war, hatten sie zu den Kesver’de gebracht.

Der Agmar begrüßte sein Volk auf der letzten, wahren Zuflucht, welche da E'sch T'hut Wiyr genannt wurde.

Nach einer Pause am Strand führte sie Rurerrunhor t’ar'darrunarr‘etar Taburararrh' egnar gar'rh Norrorrhbar einen Bach entlang in die Berge. Das Volk murrte ob der neuen Anstrengung, wußten sie doch nicht, was sie erwartete. Nur eines spürten sie: Den Frieden, der von dieser Insel ausging; etwas, daß ihnen lange gefehlt hatte.

Schließlich erreichten sie einen Steilhang, vor dem das Unterholz besonders dicht wuchs. Der Agmar stellte sich vor das Hindernis, mit einem Zauber öffnete er ein Tor durch das Holz, und Tageslicht fiel in eine Höhle, die sich dahinter auftat.

Er hieß den Wanderern zum Licht, ihm zu folgen. Und sie taten es. Sie traten durch den Torbogen aus Holz und Stein, um dann den Atem anzuhalten.

Einige von ihnen fielen beim ersten Anblick der Höhlen auf die Knie um Éradumahls Schöpfung zu preisen, andere blieben erstarrt stehen und die nächsten sahen sich staunend um.

Die Wände des Höhlendoms waren über und über mit Edelsteinen übersät. Und aus den Wänden kam Licht, das sich in den Edelsteinen brach und wieder zurückgeworfen wurde, so daß es unmöglich war zu erkennen, woher das Licht eigentlich kam.

Doch diese Schönheit war noch nicht vollkommen. Jeder von ihnen begann Pläne zu schmieden, welcher Stein ein klein wenig versetzt werden könnte, um den Effekt zu erhöhen, die Schönheit in aller Pracht erstehen zu lassen.

Es war, als hätte Éradumahl ihnen einen Rohdiamanten hinterlassen, den sie zu schleifen hatten, um ihm zu seiner wahren Schönheit zu verhelfen. Und je tiefer sie in dieses schier endlose Labyrinth aus Gängen, Hallen und Domen vordrangen, desto mehr schlug sie die Schönheit dieser unterirdischen Welt in ihren Bann, denn jede Höhle war anders. Manchmal waren sie von schlichter Schönheit und das Licht fahl, manchmal von überbordenden Adern von Edelsteinen übersät.

Jeder von ihnen erlangte neue Kräfte allein durch den Anblick. Tatkraft kam, die Erschöpfung ging.

Der Agmar fand einen Saal, der zu ihm zu sprechen schien. Zuerst verstand er das Flüstern nicht, aber als er genau zuhörte, wußte er, an welchem Ort er sich befand, dem Caria’de, dem Saal der Bücher.

Hier würden sie alles sammeln, was sie an Wissen und Weisheit zusammentragen konnten und es allen auf der Welt zur Verfügung stellen, wenn MAGIRA reif dafür war, wenn alle die Wahl zum Licht getroffen hatten und die Welt eine bessere war.

Außerdem sollte ihre Geschichte dort gesammelt werden, und für jeden noch Lebenden der Wanderer zum Licht entstand aus dem Nichts ein Buch, das auf einem Pult lag.

Immer wenn auf der Insel etwas geschah, welches über das alltägliche Maß hinausging, oder ein Wanderer zum Licht die Insel verließ, würde ein Federkiel mit niemals versiegender Tinte diese Taten aufschreiben.

Der Agmar empfing die Botschaft des Caria’de. Was passierte, bis die Wanderer zum Licht und der Agmar E'sch T'hut Wiyr betreten hatten, war von Menschen aufgezeichnet worden, wie Éradumahl ihm nach der Wahl eröffnet hatte.

Aber nun war das Zeitalter der Propheten vorbei und ein neues Zeitalter hatte begonnen. Doch es galt, die Schriften dieser Propheten nach E'sch T'hut Wiyr zu holen, auf daß sie verwahrt würden, bis die Welt eine gute geworden war.

Der Agmar rief sein Volk und erzählte ihnen von der Erleuchtung durch das Caria'de. Sie waren von Ehrfurcht erfüllt und jeder von ihnen sah nach seinem Buch. Noch waren alle Seiten weiß und keine Taten verzeichnet.

Der Agmar spürte, daß es an der Zeit war, die verlorene Kraft zurückzuholen. Die Schriften der Propheten und die anderen Aufgaben mußten warten, bis sie sich von den jahrelangen Kämpfen gegen die Sare’o’dan erholt hatten.

Die Kesver'de wurden in eine besondere Höhle gebracht und ein Zauber über sie geworfen, der ihnen Ruhe und Frieden schenkte, bis es einen Weg gab, ihnen zu helfen.

Es wurden Vorkehrungen getroffen, was die Sicherheit der Insel betraf. Éradumahl hatte dem Vorschub geleistet, aber das Volk des Agmars wußte um die Fähigkeiten der Sare’o’dan, und so verstärkten sie die Zauber des Gottes oder veränderten sie. Kein Wesen konnte diese Insel finden, vielleicht nicht einmal Éradumahl selbst.

Dann suchte sich jeder von ihnen eine Höhle, machte sie zu seiner eigenen, und dann schliefen sie Tage, Wochen, Monde, Jahre und mehr, um neue Kraft zu schöpfen und bereit zu sein für die Aufgabe, die Éradumahl ihnen auferlegt hatte, Weisheit für eine bessere Welt bereit zu halten.

 

2. Epilog

Unsere Ankunft auf E'sch T'hut Wiyr war wie eine Befreiung. Zum ersten Mal, nachdem wir zu dem geworden waren was wir sind, konnten wir uns erholen, mußten nicht fürchten, daß die Sare’o’dan uns aufspürten und vernichteten.

Wirr konnten uns erholen. Unser Schlaf währte hundert und mehr Jahre. Als wir erwachten, war nichts mehr so, wie wir es gekannt hatten.

Aber unsere Aufgabe war eher schwerer geworden, denn nicht nur die Sare’o’dan brachten das Finstere und Böse über diese Welt.

Andere Mächte waren erstarkt und auch die Menschen waren, nachdem sie das Sklavenjoch der Sechsfingrigen abgeschüttelt hatten, nicht das, was wir uns erhofft hatten. In ihnen rangen beide Prinzipien, und nur allzu oft behielt das Böse die Oberhand und sie dienten Finster willig.

Ich lehnte mich zurück und schloß die Augen. Letztlich war der erste lange Schlaf auf E'sch T'hut Wiyr etwas, das wir gebraucht hatten, denn für unsere Aufgabe benötigten wir all unsere Kraft.

 

3. Prolog

„Rurerrunhor!“ hörte ich die fordernde, kräftige Stimme Osore Izais. „Die Pause ist vorüber und noch viel Arbeit zu tun, bevor die Sonne untergeht. Du bist zwar der Erste, aber bei der Arbeit willst du doch nicht der Letzte sein?“

Ihr Spott brachte mich zum Schmunzeln. Sie konnte schon immer gut mit Worten umgehen.

Aber so gelöst war die Elhera nicht immer. Meist war sie vom Ernst ihrer Aufgabe durchdrungen.

Im Garten aber verlor sie ihren Ernst und ihre Förmlichkeit. Manchmal machte ich mir Sorgen um sie, daß sie sich zu sehr in ihren Obliegenheiten verlor. Was wir zu tun hatten, war zwar wichtig, aber wenn man sich nahezu ohne Unterlaß mit allem Ernst seiner Aufgabe widmet, wird man zum Gefangenen derselben. Oder aber die Aufgabe wandelte die Person. Fanatismus war ein gefährliches Schwert und der Weg von dort zum Finsteren in sich war nicht weit. Manchmal besteht die Gefahr, sich in seinen Obliegenheiten zu verlieren. Es war wie bei Somnolar, den ich mehr vermisse, als ich zuzugeben bereit bin.

Ich erhob mich und ging hinüber zu den anderen, bewaffnete mich mit meinem Spaten, aber die Gedanken an Somnolar kehrten zurück.

Die Schönheit der Rosen dieses Gartens hat er nie sehen dürfen. Er lag in seinem ewigen Schlaf in seiner Höhle, ebenso überzeugt das Richtige getan zu haben wie ich selbst.

Wer von uns beiden das richtige getan hatte, würde sich erst in ferner Zukunft zeigen. Vielleicht erwies es sich auch, daß wir beide Recht behielten. Ich wußte zwar nicht, ob das möglich war. Doch die Zeit, die Menschen soviel Bedeutung beimaßen, würde es zeigen.

 

Zum siebten

Sie erwachten nach und nach alle, und der Agmar rief sie zu sich. Er eröffnete ihnen, daß der Name Wanderer zum Licht für sie seine Schuldigkeit getan habe. Fortan sollten sie die Sery'de heißen, was Schläfer und Friedensbringer in einem bedeutet, weil Schlaf und Frieden in den Jahren der Verfolgung eins geworden waren. Ser’y, der Schlaf - Ser’y, der Frieden.

Die Verkündung des Agmar fand allgemeine Zustimmung unter den seinen, und so waren sie von diesem Augenblick an die Sery'de von E'sch T'hut Wiyr.

Einigen von ihnen gab der Agmar den Auftrag, in die Welt zu gehen, um zu schauen, ob und wie sich die Welt verändert habe. Auch er selbst würde aufbrechen, um über die Welt zu wandeln.

Auch verkündete er, daß die Bücher der Propheten mit den Zeugnissen ihrer Schöpfung, ihres Werdens und Seins auf MAGIRA heim geholt werden müßten, wo sie zum Hohen Buch der Schöpfung, dem Sher’dar verschmelzen würden.

Die übrigen würden an den Höhlen arbeiten und den Schutz der Insel weiter vervollkommnen.

„El'mararr Agmar! - Der Agmar hat gesprochen!“ schloß der Erste seines Volkes.

Dann wandte sich jedweder seiner Aufgabe zu. Der Agmar selbst wandelte seine Gestalt in die eines Albatros und wandte sich über das Meer nach Westen, wo er auf Ceresidon stieß. Dort fand er nahe einer Stadt, die Jeljokren hieß, das erste Buch der Schöpfung, welches die Entstehung Éradumahls beschrieb.

Daraufhin wandte sich der Agmar der Stadt zu und fand allerlei Volk, aber keine Sare’o’dan, die hier nur noch als ferner Schatten der Erinnerung existierten.

Er suchte die Mächtigen der Stadt auf und riet ihnen, an der Stelle, wo er den ersten Teil des Buches gefunden hatte, einen Tempelbezirk zu Ehren jedweden bekannten Gottes zu gründen und ihn Tuvelon zu nennen, doch die Herren der Stadt fanden, es gäbe genügend Tempel in der Stadt und es sei zu teuer, weitere zu errichten und dann noch außerhalb der Mauern der Stadt.

Sie fanden es unbequem, dahin zu gehen und zudem konnte der Reichtum der Tempel von jedem dahergelaufenen Plünderer geraubt werden.

Der Agmar verneigte sich kurz und verließ die Stadt, aber nur zum Schein. In einer Neumondnacht jedoch kehrte er zurück.

Plötzlich war der Himmel über Jeljokren taghell erleuchtet und aus dem Licht erschien ein Drache, groß wie ein Palast und schwebte, bedrohlich Feuer speiend, über der Stadt.

Das Volk drängte sich ratsuchend vor dem großen Rathaus der Stadt zusammen, von dem aus die Kaufherren die Geschicke derselben lenkten, aber hier konnten sie nicht helfen. Was nützte all das Geld und die Großsprecherei gegen einen Drachen.

Ein alter Mann trat vor, und wie durch Zauberei war seine Stimme überall in der Stadt zu hören. Der Alte predigte von Großmannssucht und der Vernachlässigung des Glaubens an die Götter. Er beschwor alle, das Tuvelon zu bauen. Ein Gelübde, durchdrungen von starkem Glauben, könnte den Sendboten der Rache, den die Götter geschickt hatten, vertreiben.

Er forderte alle in der Stadt auf, zu beten. Einige der Kaufherren zögerten, auf die Knie zu sinken und den Göttern die Ehre zu erweisen, aber ein durch Mark und Bein gehendes Gebrüll des Drachens und sein heißer Atem belehrten die Zauderer eines Besseren. Auch sie begannen, inbrünstig die Götter zu preisen.

Da fiel die Kutte des alten Mannes in sich zusammen und ein Adler erhob sich mit schrillem Ruf in den Nachthimmel, und an der Stelle, wo der alte Mann eben noch gestanden hatte, wuchs ein Rosenstrauch.

Die Bürger von Jeljokren begannen noch am nächsten Tag mit dem Bau des Tuvelon, und sie pflanzten überall zwischen den Tempeln Rosen, um die Götter wohl zu stimmen. Der Rosenstrauch auf dem Marktplatz wird von den Kaufherren mit besonderer Aufmerksamkeit gepflegt. Trotz ihres Geizes haben die Gilden einen Gärtner bestellt.

Der Agmar zog weiter, um mehr von der Welt zu sehen und den Spuren der Sare’o’dan zu folgen. Er flog auf die Alte Welt zu, aber auch von dort hatten sich die Sare’o’dan zurückgezogen.

Doch nicht nur die Sare’o’dan hatten Finsternis auf diese Welt gebracht. MAGIRA war längst noch nicht reif für das Licht. Das Herz des Agmars füllte sich mit Trauer und Zorn, den er beherrschen mußte.

Auf Imcwyar aber, im Nor des endlosen Ozeans, da spürte er sie noch. Da waren die Sare’o’dan noch stark. Sie waren noch immer eine Gefahr, was immer sie auch bewogen haben mochte, sich nur auf diesen Kontinent zu beschränken.

Der Agmar spürte eine gewaltige Macht, als hätten alle Götter MAGIRAs ein Schatten über Imcwyar geworfen. Doch fühlte er, daß das Volk aus dem er und die anderen Sery'de hervorgegangen war, einst die Fesseln abstreifen würde, um wieder gnadenlos über das herzufallen, was Sie Ihr Eigentum wähnten: MAGIRA und alles was darauf lebte.

Auch schaffte es der Agmar nicht, dem Kontinent näher als einen Tagesflug zu kommen. Der Schatten über Imcwyar wehrte ihn ab, ließ nicht zu, daß er den Kontinent der Sare’o’dan betrat. Fast verwirrte er seinen Geist so sehr, daß der Agmar sich in der Gestalt des Adlers verlor.

Der Adler drehte endlich ab und flog wieder nach E'sch T'hut Wiyr.

Auf seinen Wegen bemerkte er Wesen mit großer Macht und einem hellen, lichten Geist, der sich danach sehnte für die Sache des Guten zu streiten.

Er kam nach Ceresidon. In Bandalon stieß er auf eine Frau, die ihn anzog und er landete in der Nähe der Stadt. Er gab sich die Gestalt eines Priesters und beobachtete die Frau. Rurerrerunhor drang in den Geist der Frau vor, erkannte gewaltiges Potential. Doch sie erkannte ihn.

Ich erwarte dich, ließ sie ihn wissen. Ich bin hier und erwarte dich.

Verwirrt zog sich der Agmar zurück und verwandelte sich wieder in den König der Lüfte. Doch der Geist der Frau rief ihm nach. Brukida erwartet dich, Agmar.

Der Adler flog über die Weiten Ceresidons. Nur langsam legten sich Aufregung und Verwirung.

Ein Gedanke begann sich in ihm zu formen und er erkannte, daß es nicht zu warten galt, wann sich die Welt zum Licht wendet. Die Sery'de mußten von E'sch T'hut Wiyr etwas tun.

Er hatte den Schlüssel gefunden. Ein Zeichen Éradumahls.

 

Zwischenspiel

Eine Spinne spann vor mir ihr Netz und ich konnte nur an den Moment denken, als ich noch ein sechsfingriger Sare’o’dan war, und dann Éradumahl kam, der mich zu dem werden ließ, was ich jetzt bin. Der erste Sery'dar und der Erste der Sery'de.

Welche Last lag seitdem auf meinen Schultern. Erst nachdem wir E'sch T'hut Wiyr erreicht hatten, war diese Last ein wenig leichter geworden, und wir waren in Sicherheit. Dieses Gefühl sollte auch den Rest MAGIRAs erreichen.

Aber der Flug über die Welt hatte sie wieder schwerer werden lassen. Er hatte mir gezeigt, daß die finsteren Mächte stark auf MAGIRA und die Sare’o’dan nicht das einzig böse auf dieser Welt waren.

Es gab so viel davon. Ich hatte auch Licht gespürt, auch Gutes, das nicht von Éradumahl stammte und auch gegen die Finsternis kämpfte, aber konnte das ausreichen?

Wie sollte die Welt den Weg zum Licht finden? Diese Frage quälte mich, und hätte ich rechtzeitig eine Antwort gefunden, dann wäre manches nicht passiert. Aber ich fand nun mal zunächst keine Antwort auf diese Frage.

Éradumahl hatte uns seine Gebote mit auf den Weg gegeben, und die besagten deutlich, daß wir unsere Kraft für eine bessere Welt einzusetzen hatten.

Ich hörte das Geplauder der übrigen Sery’de, das Spiel der Kinder, aber beides konnte nicht das Gespinst meiner Gedanken durchdringen, die an diesem herrlich Ort so trübsinnig waren, denn vieles in den Tausenden von Jahren unseres Wirkens war traurig.

In der Regel konnte ich hier im Garten Ruhe und Frieden finden, nur hatte Hyala mir wieder so vieles bewußt gemacht, daß mich die Gedanken an Vergangenes nicht mehr los ließen. Und ich konnte mich an mehr als nur an dürre Worte erinnern. Ich hatte all das erlebt und das ist unendlich viel eindringlicher, als nur einen Text zu lesen.

Dennoch schien mir alles ein wenig gemildert hier im Garten. Ich glaube auch, daß Osore Izai aus diesem Grunde damals, in einer der ersten Sitzungen des Konzils, darauf gedrungen hatte, den Garten zu errichten und ihn ausschließlich mit der Arbeit der Hände zu pflegen. Hier konnte sie alles ein wenig leichter nehmen. Und sie hatte mit ihrer Idee nicht nur sich einen Gefallen getan, sondern auch mir und wahrscheinlich auch vielen anderen.

Das Konzil war wie ein Stichwort und die Erinnerungen stiegen wieder in mir auf. Was sagte das Buch der Schöpfung dazu?

 

Zum achten

Nachdem alle nach E'sch T'hut Wiyr zurückgekehrt waren, die der Agmar ausgesandt hatte, setzten sich die Sery'de von E'sch T'hut Wiyr in einem großen Felsendom zusammen, um zu beraten was zu tun sei.

Jeder von ihnen, der über die Welt gewandert war, berichtete von seinen Erlebnissen und Eindrücken, die er gesammelt hatte.

Zunächst wurde von den vielen Wesen berichtet, die auf, über und unter der Welt lebten. Wesen auf zwei Beinen, die da aussahen wie Katzen und Bären und viele andere.

Die Finsternis sei stark, hieß es. Das Böse sei unter den Menschen weit verbreitet. Von Herrschsucht, Mord, Totschlag und allen erdenklichen Sünden war die Rede bei jenen, die über MAGIRA gewandert waren.

Die Welt war noch nicht reif für die Weisheit und das Wissen der Sery'de von E'sch T'hut Wiyr, dies war das Urteil, das nahezu alle über ganz MAGIRA fällten.

Nur wenige stemmten sich dem entgegen. Die meisten der verdorbenen Wesen scherten sich nur um die Mehrung des eigenen Reichtums und der Macht.

Das Erbe der Sare’o’dan sei stark auf dieser Welt. Und es gäbe noch andere Quellen der Finsternis.

Osore Izai berichtete von einem Krieger, den sie gesehen hatte. Er hatte Menschen wahllos getötet, weil eine finstere Subtanz einer Herr geworden ist. Er hatte sein von Haß verzerrtes Gesicht hinter einer Kapuze verborgen. Osore Izai hatte einen Baum auf ihn stürzen lassen. Eine Opfer hatten sich zusammengerottet und den nun wehrlosen getötet. Aber nicht nur das. Mit demselben Haß hatten sie ihn vernichtet.

Solche und ähnliche Erfahrungen hatten einige gesammelt. Manche hatten Schlachten gesehen, andere Räuber, Diebe Mörder und Meuchler. Haß Hochmut und Eifersucht, eben das Finstere war da und die Wesen auf MAGIRA gaben sich dem hin.

Es war auch das, was der Agmar gesehen hatte. Nichts anderes war ihm widerfahren.

Was man tun könne, um die Welt zu verbessern, auf daß sie reif werde für alles was die Sery'de zu geben hätten, fragte der Agmar in die Runde.

Somnolar erhob sich. Es gäbe zwei Wege, ließ er verlauten. Zum ersten könne man sich die Welt Untertan machen und sie auf diesem Wege lehren, miteinander in Frieden zu leben. Der hitzige Sery'dar, der Menarh’kin, was da hieß der Wortführer, erhob seine Stimme weiter. Alles Volk MAGIRAs müsse an die Hand genommen und wie Kinder geleitet werden.

Der andere Weg wäre, in die Höhlen zu gehen, zu schlafen und zu warten, daß die Völker MAGIRAs einen Weg zum Guten und Reinen finden würden, auf daß sie würdig wären, die Gaben Éradumahls durch die Hand der Sery'de zu empfangen.

Der Agmar aber sah betrübt, daß dies die falschen Wege waren. Der erste ließ sie nicht besser sein als die Sare’o’dan, auch wenn ihre Ziele hehrer waren. Aber ihn gemahnte das eigene Innere, das er gesehen hatte, diesen Weg nicht zu verfolgen, denn Macht konnte das Finstere zum Vorschein bringen, um das Richtige mit falschen Mitteln durchzusetzen und so doch nur wieder das Falsche zu tun.

Der zweite Weg hieß nichts zu tun und auch das war falsch. Es galt nicht, erst dann zu helfen, wenn alles erreicht war.

Der Agmar brachte seine Bedenken vor und mahnte einen dritten Weg an. Er forderte, daß die Sery'de in sich hinein hören sollten, wo sie feststellen würden, daß die finstere Seite noch in ihnen ist. Sie selbst wären nicht gefestigt genug, um die Welt zu beherrschen.

Sollten, so der Agmar, all ihre Taten umsonst gewesen sein. Die absolute Macht anzustreben würde sie korrumpieren. Sie wieder zu Sare’o’dan machen und das Geschenk Éradumahl wäre umsonst gewesen.

Somnolar erhob sich. Er verlangte, daß der Agmar dies nicht allein entscheiden möge, sondern sein Volk befrage. Er verhöhnte den Agmar wegen der fehlenden inneren Stärke.

Der Agmar nickte nur, und jeder Einzelne wurde gehört. Alle erhoben die Stimme entweder für den dritten Weg oder den des Menarh’kin.

Die Stimme des Agmars gab den Ausschlag. Es sollte ein dritter Weg gesucht werden, den Völkern MAGIRAs zu helfen.

Somnolar war erbost. Er redete sich in hitzigen Zorn und sagte, er würde in seiner Höhle schlafen, bis die Welt es wert war und die Völker MAGIRAs einen Weg nach E'sch T'hut Wiyr gefunden haben würden. Jeder, der bei Verstand wäre, würde ihm folgen. Und all jenen, die nicht genügend Stärke aufbrächten, um die Finsternis in ihnen im Zaum zu halten, der solle dasselbe tun. Dabei funkelte er den Agmar an.

Somnolar und jene, die ihm, aus welchen Motiven auch immer, folgten, verließen den Saal und verschwanden in ihren Höhlen, um den Ewigen Schlaf zu schlafen.

Nur wenig mehr als dreihundert der Sery'de von E'sch T'hut Wiyr blieben, um der Welt einen besseren Weg zu weisen.

Wer nicht den Weg des Somnolar gegangen war, der hatte eine Bürde auf sich geladen, stellte der Agmar fest, die so wenige kaum tragen konnten. Aber, so fuhr er fort, nur die schweren Bürden brächten das Beste hervor.

 

Zwischenspiel

Das war eine der dunkelsten Stunden in der Geschichte der Sery'de. Die Hälfte der noch lebenden und unversehrten von uns zog sich in die Höhlen zurück, um dort ewig zu schlafen. Somnolar, der Menarh’kin an der Spitze.

Ich war damals gezwungen, mich zu entscheiden, aber es war das letzte Mal, daß Somnolar mich forderte. Irgendwie war danach alles schwerer, weil keiner mich derart reizen konnte.

Vielleicht würde Ke’mana diese Rolle in nicht allzu ferner Zukunft übernehmen, aber auch ihr Widerspruchsgeist hatte Jahrtausende gebraucht, um zu reifen. Aber in den letzten Jahrzehnten hatte er sich sehr gesteigert. Ich hoffte das beste.

Hyala hatte auch nie in die Rolle Somnolars schlüpfen können. Zwar war ihr Geist voller Dornen, aber sie war nicht immer willens zu widersprechen. Außerdem gingen ihre Gedanken in andere Richtungen. Sie sann zu sehr auf Auseinandersetzung mit den Sare’o’dan und versuchte es auch mit ihren Reisen, die an die seltsamsten Ort MAGIRAs führten, wo sie Hilfe, Macht und Magie zu finden hoffte.

Das Ergebnis einer ihrer Reisen, Che’don und Che’di, versuchte sich gerade gegenseitig einzufangen und umkreiste mich lachend. Und auch dieses Problem mußte noch gelöst werden.

Immerhin hatte ich das Vakuum um mich herum aufgefüllt. Aber daß mich erst Somnolar verlassen mußte, bis ich erkannte, was mir fehlte.

 

Zum neunten

Der Agmar ließ seinen Blick über die verbliebenen seines Volkes schweifen. Ernst sah er aus, aber dann straffte er seine Gestalt und richtete sich auf.

Mit eindringlicher Stimme sprach er zu den Sery'de über den dritten Weg. Er sagte, die Sery'de sollten mit ihrem Tun allen Völkern MAGIRAs ein Beispiel geben, das sie auf den rechten Weg führt. Darüber hinaus mußten sie den Völkern helfen, wenn die Sare’o’dan wieder zurückkehren sollten, um wieder über die ganze Welt herrschen zu wollen. Und zu guter letzt mußten sie ständig ihr Wissen mehren, damit die Völker dieses erhalten konnten, wenn MAGIRA eine Welt des Friedens und der Eintracht geworden war.

Wie das zu erreichen sei, wollten die Sery'de wissen und sahen den Agmar erwartungsvoll an. Die Spannung in der Felsenhalle stieg. Wie konnten dreihundert Sery'de einer ganzen Welt den Weg weisen? Das sei doch unmöglich und nicht zu bewerkstelligen. Es sei doch wohl besser, Somnolar in die Höhlen zu folgen.

Dies erboste den Agmar. Er gebot Schweigen und sein zorniger Blick schwebte über den seinen. Er war wie ein Vater, der seine Kinder zur Raison brachte.

Rurerrunhor erhob seine Stimme. Nichts, was Éradumahl wollte, sei unmöglich. Es sei eine schwierige, ungemein schwierige Aufgabe, aber sie alle sollten überlegen, warum Éradumahl ihnen wohl die Unsterblichkeit verliehen habe.

Diejenigen, die nicht mit Somnolar, dem Menarh'kin, gegangen waren, mußten sich nun dieser Aufgabe stellen, ob sie wollten oder nicht.

Die Sery'de hätten große Pein ertragen, um E'sch T'hut Wiyr und ihre Freiheit zu erreichen. Jetzt wolle man in Sicherheit leben und alle anderen sollten ihrem Schicksal überlassen bleiben? Das konnte und durfte nicht sein.

Ein Somnolar und dessen Gefolge war genug. Dreihundert Sery'de mit ihren Fähigkeiten waren mehr als ausreichend. Éradumahl hatte nie verlangt, daß sie diese Aufgabe allein bewältigen mußten. Es gab einen dritten Weg zwischen dem Beherrschen der Welt und dem Nichtstun. Eben den würden sie beschreiten, verkündete der Agmar.

Es sollte so geschehen, daß zum Ersten die Sery'de nicht mehr nur vom Agmar, sondern vom Konzil der Elheri geführt werden sollten. Im Konzil sollten sein dreizehn. So rief der Agmar zwölf Sery'de zu sich und nannte sie Elhera oder Elheru, die mit ihm das Konzil bilden würden, das immer ein offenes Ohr für die Nöte und Sorgen der Sery'de haben sollte, sie führen und den Agmar beraten würde bei seiner schweren Aufgabe. Darüber hinaus gab es noch etwas.

Das Konzil sollte etwas werden lassen, das der Agmar da nannte: den Sery’dur, die Friedensstreiter. Sie sollten da sein der verlängerte Arm der Sery'de.

Zu oberst des Sery'dur sollte sein der Samaska. Er sollte das Bindeglied zwischen Sery'de und dem Sery’dur sein, denn jede Tat des Sery'dur sollte aufgezeichnet werden und der Samaska würde die Saskarien den Sery'de überbringen.

Unter dem Samaska sollten sein die Tscherwak, jene sollten die Unterweiser und Leiter der Streiter sein, die zunächst als Kel'mey bei ihnen in die Lehre gingen, um alle nötigen Fertigkeiten zu erlernen, um als Ce'vey nach einer Prüfung für das Licht zu streiten und Völkern durch Rat und Tat ein Beispiel sein sollten, um MAGIRA den Weg zum Licht zu weisen.

Jeder Kel'mey sollte auf der E'sch T'hut Wiyr vorgelagerten Insel, welche fortan Lo'Thame, Insel der Prüfung, genannt werden sollte, sich bewähren und zeigen, daß er würdig sei Ce'vey genannt zu werden.

Nachdem das Konzil der Elheri sich zum ersten Mal beraten hatte, würden sie sich aufmachen, um die erste Generation des Sery'dur zu suchen unter den Völkern MAGIRAs.

Die übrigen Sery'de sollten das Wissen und die Weisheit mehren und im Caria'de sammeln, auf daß die Völker MAGIRAs, nachdem sie den Weg zum Licht gefunden hatten, eine große Belohnung erwartete.

Die Sery'de fanden, der Agmar hatte wohlgetan und jedweder ging seinen Obliegenheiten nach.

Doch eine von ihnen erhob sich. Es wr Larvania t’ar Maralos. Die so stille Sery'da bat darum nach Ceresidon gehen zu dürfen.

Der Agmar sah sie an. Zorn wallte in kurz in ihm auf, wollte doch eine der seinen, dem Weg nicht folgen.

Doch Larvania hatte nichts dergleichen im Sinn. So öffnete sie ihren Seelenschatten und ihren Geist dem Agmar.

Der Agmar nahm das Geschenk und warf einen Blick in das Innerste der Sery’da und wurde ihrer Pläne gewahr.

Der Agmar erkannte einen Turm, einen Garten und mehr noch. Der Zorn verschwand schneller, als er gekommen war. Ein Gefühl der Erleichterung überkam den Ersten der Sery'de und er zog sich zurück.

Mit einem Lächeln gab er seinen Segen und Larvania verwandelte sich in einen Falken und verließ E'sch T'hut Wiyr, um sich ihren Platz auf Ceresidon zu suchen.

Er selbst, verkündete der Agmar würde, den oder die Samaska suchen.

Die Elheri sandte er aus, die ersten Tscherwak zu suchen und zu finden. Menschen, die dem Licht dienten und außergewöhnliche Fähigkeiten hatten.

Andere Sery’de sollten die Kel'mey suchen, die die ersten Streiter des Lichts sein würden. Wieder andere würden aus dem Felsen vor E'sch T'hut Wiyr Lo'Thame, die Insel der Prüfung machen.

El'mararr Agmar! Der Agmar hat gesprochen. Die Sery'de handelten. Eine Schar Möwen verließ noch am gleichen Tag das Eiland im endlosen Ozean.

Der Agmar sah ihnen nach und lächelte, obwohl er den Menarh’kin und seine Anhänger verloren hatte.

Die Zeitalter der Schöpfung, der Propheten und des Schlafes waren vorbei. Das Zeitalter des Kampfes um die Seele der Welt hatte begonnen.

Ein einzelner Albatros schwang sich auf, die Samaska zu suchen und er hatte auf seinen Reisen jemanden entdeckt, der ihm geeignet erschien für diese Aufgabe.

 

Letzter Epilog

Mit diesen Worten endet das erste Buch unserer Schöpfung. Seither sind viele Jahre vergangen, die Finsternis gekommen und gegangen. Die Finsternis, als E'sch T'hut Wiyr kurz vor dem Untergang stand und ...

Ich schüttelte die trüben Gedanken daran ab, denn es war gefährlich daran zu denken, was hätte geschehen können. Der Blick mußte nach vorn gerichtet werden.

Unser Weg war hart und steinig. Wir haben große Siege errungen und gewaltige Niederlagen hinnehmen müssen. Doch scheint es, wir stünden mit unseren Bemühungen erst am Anfang des Weges. So wenig scheint geschafft. Die Macht der Finsternis ist ungebrochen. Aber was hatte ich erwartet? Ich wußte es selbst nicht. Und dennoch, ich war bereit, diesen langen und harten Weg zu gehen, um der Völker MAGIRAs willen.

Meine größte Niederlage heißt Brukida. Brukida, meine Hoffnung, die sich nicht erfüllte.

Zuviel hatte sie uns angetan. Lange war nichts von ihr zu hören. Aber die Zeit würde es erweisen.

Es gab einige unter uns, die fürchteten, da im Nor das Blaue Leuchten zu sehen war, die Zeit der Wiederkehr der Cyro'nay sei zusammen mit der unheilvollen Botschaft gekommen. Aber das hatten sie auch schon vermutet, als der Winter über Jahre hinweg nicht weichen wollte. Wir hatten auf Ceresidon viel Not lindern müssen. Unser Zauber, unsere ganze Macht hatten wir gebraucht und doch hatte es viel Not, Hunger und Tod gegeben. Gewaltige Mächte, stärker als Éradumahl hatten sich wider die Welt verschworen.

Ich konnte, mein Volk und den Sery'dur nur mit Mühe davon abhalten vor der geheimnisvollen Zitadelle im Nor zu kämpfen und ein besonderes Wesen holte ich nahezu im letzten Moment von den Schiffen eines alten Bekannten, den ich den Jahren nach der Finsternis mehrfach begegnete.

Gerade hatte er die Insel verlassen, um seine Tochter zum Licht zu führen, sie zu unserer Verbündeten zu machen. Ich hatte mit mir genommen und an den Hängen eines Vulkans sich und seiner Aufgabe überlassen.

Harantor Adandil Errandir so sein Name hatte auch noch andere Aufgaben übernommen. Er würde eine alte Weggefährtin suchen, um sie ebenfalls für uns zu gewinnen. Sie kamen aus einer anderen Welt, wenn sich meinem Blick auch verschleierte aus welcher. Ihre Kräfte und Fähigkeiten mochten nützlich sein.

Leider hatte ich den Ringmeister, Harantors alten Herren, nicht für uns gewinnen können. Er hatte sich jedem Ruf verschlossen. Leider. Dennoch waren wir als Freunde geschieden. Immerhin hatte Elrod Cormatur mir den Weg gewiesen, wie ich Harantors Schmerz lindern konnte. Dann hatte er seinen Turm verschlossen und war seinem eigenen Weg gefolgt.

Ich schüttelte die Gedanken an die neuen Streiter und Pläne ab. Ich dachte an die Himmelserscheinung im Nor.

Viele von uns waren, als das Blaue Leuchten erschien, in sich gegangen und hatten ihre Seelen erforscht, andere hatten geraten, den Somnolar zu erwecken, denn das Ende wäre nah, wieder andere waren in die Welten gezogen und hatten beunruhigende Kunde von Flotten gebracht, aber keine war in die Nähe E'sch T'hut Wiyrs gekommen.

Wenn man in die Welt hinein hörte, konnte man die Kunde von etwas gewaltigem hören, aber ich spürte darin nichts Endgültiges.

Aber noch konnte ich nicht erkennen, ob das was dem Blauen Leuchten folgte bedrohlich war oder uns helfen konnte. Es gab einen, von dem ich hoffte Antworten zu erhalten.

Die Sonne war jetzt völlig im Meer verschwunden und die Dunkelheit der Nacht war über E'sch T'hut Wiyr. Zeit zur Ryokan zu gehen und zu meinem Volk zu fahren.

Morgen war auch noch ein Tag. Ein Tag, an dem Osore aufbrechen würde, um die Saskarien, die Berichte des Serydur, zu uns zu bringen. Der mittlerweile dritte der Samaska würde sie an uns übergeben.

Dann würden wir sehen, was unsere Streiter, und damit wir, vollbracht hatten, um aus der Welt eine bessere zu machen. Man brauchte Geduld, soviel Geduld ...


Ende des Anfangs...

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