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Ein schlechter Schüler

Magirian Wonder TaleEin schlechter Schüler?!

Am liebsten hätte ich das Pergament vor Wut zerknüllt und zu Boden geschleudert, aber Pergament ist teuer und ich hatte schon Probleme genug. Und den Bericht, den ich zu verfassen hatte, würde ich dadurch auch nicht zu Ende bringen. Es ist immer schwierig, jemandem, der weder Einsicht in die Realitäten hat noch imstande ist, sich ein Bild der Verhältnisse zu machen, einen Vorfall zu erklären, ohne dass ein bitterer Nachgeschmack bleibt, ob nicht doch etwas Wichtiges vergessen oder verschwiegen wurde.

Aber ich möchte von vorn beginnen.


Meine Aufgabe hier ist nicht weniger wichtig, als die der anderen Ausbilder, allerdings wird sie nicht von allen so betrachtet.

Natürlich, denn im Gegensatz zu denen, die edle Ritterkünste vermitteln, wie den Kampf mit dem Schwert, den Lanzenkampf zu Pferde oder die hohe Kunst des Bogenschusses, ist meine Kunst eher schmutzig.

Ich versuche, meinen Zöglingen die Kampftechniken beizubringen, die nicht so edel und aufrichtig sind, aber tatsächlich sicher schon mehr Leben gerettet haben, als der Schwertkampf.

Kurzum, ich bin der Ausbilder für den Nahkampf mit und ohne Waffen.

Mit meiner Kunstfertigkeit kann man nicht vor den schönen Damen angeben oder sich im Kreis der Edlen hervortun.

Man kann damit aber Schlägereien in üblen Spelunken überleben. Oder Begegnungen in dunklen Gassen, wo man mit ‚diskreter Höflichkeit’ zur Übergabe des Geldbeutels überredet wird. Versuchen Sie doch einmal, in einer solchen Situation ihr Schwert zu ziehen. Falls es Ihnen gelingt, ohne sofort einige Klingen im Körper zu haben, ist Ihnen mein Respekt sicher.

Etwas, was ich bei meinen Schülern leider zu oft vermisse: den Respekt, meine ich.

Sicher, im Laufe meines Lebens gab es einige Schüler, die sich im Nachhinein bei mir bedankt haben, gerade weil sie nur durch meine Ausbildung besagte Situation überlebt haben. Aber das ist leider die Ausnahme.

Manchmal besuche ich die Friedhöfe der Dörfer, die ich bereise. Und wenn ich auf einem Grabstein oder an einer Gruft einen Namen lese, der mir bekannt vorkommt, würde ich sofort wetten, die Situation zu kennen, in der Jener sein Leben verlor.

Oh ihr ritterlichen Träumer, natürlich singt man von euren Heldentaten, aber hört ihr das noch?

Trotzdem: ich bin immer noch leidenschaftlich dabei, meinen Schülern das notwendige Wissen zu vermitteln. Manchmal fällt der Same eben doch auf fruchtbaren Boden.

Und damit komme ich auf mein momentanes Problem zurück.

Schüler mit den unterschiedlichsten Auffassungsgaben hatte ich schon viele, aber derjenige, über den ich nun einen Bericht verfassen darf, schlug sie alle um Längen.

Er war von jener Sorte, die man gelegentlich ans Atmen erinnern musste, damit sie nicht ersticken.

Hätte ich nicht schon vorher ergrautes Haar gehabt, nach diesem Schüler hätte ich sie.

Nichts war ihm klarzumachen. Grundlegende Bewegungen konnte er nicht nachvollziehen. Fast konnte man sich darauf verlassen, dass er bei einem Angriff der Klinge nicht auswich, sondern hineinsprang.

Ein Bein brauchte man ihm nicht stellen, er stolperte über seine eigenen.

Leider konnte ich diesen Schüler auch nicht ablehnen.

„Er ist von Adel!“, sagte man mir: „Einen Misserfolg in der Ausbildung werden wir nicht hinnehmen!“ - „Wird er nicht ausgiebig ausgebildet, kann die Schuld nur bei euch liegen!“, und andere aufbauende Sprüche bekam ich zu hören.

Also versuchte ich alles, was mir nur einfiel. Ja, selbst Methoden, die ich vorher noch nie angewendet hatte, kamen mir in den Sinn.

Daher habe ich ihn persönlich in die besagten Spelunken und Gassen geführt, natürlich nur zu ungefährlichen Zeiten, um ihm zu zeigen, welche Gefahren dort lauerten!

Alles umsonst. Eher hätte ein Pferd mit seinem Reiter die Plätze getauscht und wäre Turniersieger geworden.

Aber da ein Erfolg von mir erwartet wurde, verlegte ich die Trainingsplätze.

Um ihm einen zusätzlichen Anreiz zu verschaffen, aber auch, um ihn und mich vom Gespött anderer fernzuhalten, trainierten wir in einer abseits gelegenen Ruine.

Natürlich blieben auch hier Stolperunfälle und Blessuren nicht aus, aber er war nicht mehr die Zielscheibe des Spottes und ich spürte auch nicht mehr ständig die wachsamen und bohrenden Blicke meiner Oberen auf mir.

So langsam gab es sogar einige Fortschritte. Und mit jeder Bewegung oder jedem Kunstgriff, die ich ihm nun endlich beibringen konnte, wuchs meine Zuversicht und sein Selbstvertrauen.

Bis zu jenem verhängnisvollen Tag!

 

Ich war gerade dabei, ihm eine etwas fortgeschrittene Form des Messerkampfes nahe zu bringen und voll auf ihn und seine Bewegungsrichtung konzentriert. Schließlich wollte ich nicht, dass er wieder in Richtung meiner Klinge sprang.

Dabei überhörte ich die verdächtigen Geräusche, die ein umstürzender Mauerrest verursachte.

Ich sah die Mauer aus den Augenwinkeln fallen, wollte einen Warnruf in Richtung meines Schülers ausstoßen, als ich auch schon von ihm heftig angesprungen wurde.

Dadurch schleuderte er mich aus dem Bereich der fallenden Steine, geriet allerdings selber genau darunter. Ich konnte keinen Schrei vernehmen, aber bei dem Gepolter der fallenden Massen war das auch kaum möglich.

Und nun saß ich hier vor dem Pergament und musste einige unbequeme Fragen beantworten.

Eine davon stelle ich mir selber immer wieder. Warum fiel die Mauer um? Wir hatten oft dort trainiert und nie irgendwelche Merkmale der Brüchigkeit festgestellt.

Natürlich wollen meine Oberen wissen, wie es zu dem Vorfall kam, allerdings würde es keine größeren Probleme als üblich geben. Denn alles wäre durchaus als Trainingsunfall zu werten, auch wenn die Tatsache, dass ein Adliger beteiligt war, der Sache doch eine gewisse Brisanz verlieh.

Für mich ist allerdings noch nicht gewiss, dass es tatsächlich ein Unfall war.

Dem würde ich später noch nachgehen müssen, wenn ich Gelegenheit dazu erhielt.

Mein größtes Problem aber ist die Tatsache, dass nach dem Entfernen der Geröllmassen kein Leichnam gefunden wurde. Sicher, die Bekleidung des Schülers war vorhanden, aber keinerlei sterblichen Überreste.

Und das ist meine größte Frage.

Wer oder was war mein Lebensretter?

Wolfgang Lenz (April 2005)

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