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Krieg um Troja - 5. Troja – Piratennest oder verdoppelte Stadt?

Krieg um Troja5. Troja –
Piratennest oder verdoppelte Stadt?

a.) Prächtige Korsaren
Homer zufolge hat es sich bei (W)Ilios/ Troie um eine mächtige und prächtige Stadt gehandelt. Konnte die Siedlung, die da auf dem Hügel Hisarlik ausgegraben worden ist, überhaupt diese hohen Ansprüche erfüllen? War sie gar nicht jene glänzende Kapitale, die wir nun woanders suchen müssen? Oder hat der Dichter vielleicht übertrieben, damit seine stolzen Recken mehr als nur einen ärmlichen Marktflecken erobern?

 

Frank Kolb hat in „Der neue Streit um Troia“ noch die zu dem Zeitpunkt wenigen Spuren der Unterstadt als Reste von Einzelhöfen und Bewässerungskanälen gedeutet. Nach seiner Darstellung hatte es sich bei dem Ort mehr um eine Art unbedeutendes „Piratennest“ gehandelt. Ja, er war sich nicht zu schade, bei der Gegenüberstellung von Trojas Grundriß mit dem anderer bronzezeitlicher Städte einen unterschiedlichen Maßstab anzusetzen, daß der Ort automatisch winzig wirkte.

Nach Mehrung der Befunde erkennt der ansonsten seiner Linie folgende Dieter Hertel inzwischen die Existenz dieser dem Burgberg vorgelagerten Siedlung an. Aber auch er ist immer noch der Überzeugung, daß der Ort bestenfalls lokale Bedeutung gehabt haben könnte. Dabei stützt er seine Annahme vor allem auf den Mangel an importierter Ware im archäologischen Fundspektrum, die auf fehlende Handelsbeziehungen hinweisen würden. Dem steht aber wiederum die Herkunft eben der wenigen bekannten Relikte gegenüber, die aus teils weit entfernten Ländern nach Troja gefunden haben.

Den archäologischen Weg also haben wir beschritten, und so viele Erkenntnisse er uns auch beschert hat, die eigentlichen Fragen hat er uns nicht beantwortet. Ist dies hier die Stadt gewesen, über die Homer geschrieben hat? Ja, hat es den Trojanischen Krieg überhaupt gegeben?

Alles, was uns die Ruinen dazu liefern, sind diverse Brandschichten, ein paar Skelettreste mit Zeichen von Gewalteinwirkung, drei Haufen runder Schleudersteine und einige Pfeilspitzen – die älteren aus Bronze, die jüngeren aus Knochen. Nirgendwo hat jemand ein „Neoptolemeos war hier“ in die Wand geritzt, nirgends hat eine tönerne Urkunde mit dem Siegel des Priamos im Schutt gelegen.

b.) Wie kommt man nach Wilusa?
Verlassen wir also die Archäologie, und sehen einmal nach, ob uns die Alte Geschichte mehr Klarheit liefern kann. Schließlich haben die Ägypter, die Assyrer und die Babylonier fleißig festgehalten, welch außenpoltischen Problemen sich ihre Herrscher widmeten. Gleiches gilt für die Hethiter, deren Aufzeichnungen freilich zwischen 1190 und 1180 v. Chr. abrupt enden, und selbst das Alte Testament mag hier und da etwas von internationaler Bedeutung verewigt haben. Ja, auch die mykenischen Griechen haben mit der Linear B Silbenschrift schon über eine Möglichkeit verfügt, ihr Wissen über die Jahrhunderte weiter zu reichen.

Ideal wäre natürlich eine Landkarte mit exakten Küstenlinien, auf der eindeutig eine Stadt namens Troja verzeichnet ist, zusammen mit anderen Orten, deren Lage nicht strittig ist. Oder aber ein Routenplan mit exakten Entfernungsangaben, so wie sie die hellenischen Seefahrer bis hin zu Pytheas von Massilla verwendet haben. Doch wenn sie in der Bronzezeit schon über solche Hilfsmittel verfügt haben, haben sie uns nichts davon hinterlassen. Allenfalls in manchen Sagen (wie Iasons Argonautenfahrt und der Odyssee) klingt an, daß sie sich auch damals schon per Wegbeschreibung orientiert haben müssen.

Und trotzdem ist uns etwas wie eine Karte erhalten. Leider ist sie in Worten, nicht im Bild abgefaßt, und enthält zudem keine Angaben über Distanz oder Himmelsrichtung. Und sie benutzt keine griechischen, sondern hethitische Ortsnamen. Die Hethiter jedoch haben sich erst spät aufs Meer gewagt. Darum handelt es sich bei dem Dokument auch nicht um ein nautisches Hilfmittel, sondern um einen Grenzvertrag zwischen dem Großkönig (Tudhalija IV.) und dem Vizekönig des Teilreiches Tarhuntassa (Kurunta). So ganz nebenbei hat man auch noch die anderen (Küsten) Provinzen des Imperiums aufgezählt, mitsamt einer Reihe von wichtigen Ortschaften, die es auch in der klassischen Antike noch gegeben hat. Daher wird unter anderem versucht, mit Hilfe der Häufigkeit von Namensähnlichkeiten eine gewissermaßen statistische Wahrscheinlichkeit zu errechnen. Hilfreich ist dabei, daß die Länder ordentlich von Südost nach Nordwest aufgereiht sind, immer an der anatolischen Mittelmeerküste entlang.

Kizzuwatna, nordwestlich von Syrien gelegen, hat später keinen ähnlich klingenden Namen mehr getragen, aber man könnte die angegebenen Orte Tuwanuwa, Kummana und Tarsa mit den in der Antike bezeugten Siedlungszentren Tyana, Komana und Tarsos gleichsetzen. Ähnliches gilt für das besagte Tarhuntassa mit seinen Städten Lusna, Ikkuwanija und Hubisna (Lystra, Ikonion und Kybistra). Noch weiter westlich davon schließt sich Lukka an, bei dem es sich um einen etwas ausgedehnteren Vorläufer des späteren Lykien handeln dürfte. Die erwähnten Lokalitäten Kuwalabasa, Tlawa, Pinala und Winuwanda wären sprachwissenschaftlich identisch mit den späteren Kolbasa, Tlor, Pinara und Oinoanda. Dann aber geht auch schon das Schlingern los, denn das spätere Karien, nordwestlich von Lykien gelegen, taucht bei den Hethitern noch nicht auf; das erwähnte „Karkisa“ hat mit ziemlicher Gewißheit im Nord, und nicht im Südwesten Kleinasiens gelegen, als Teil eines Landes „Assuwa“, von dem weiter unten noch die Rede sein wird.

Auf Lukka folgt Millawanda. Aus philologischer Sicht am einleuchtendsten wäre eine Assoziation mit Milyas/ Milyanda in Karien. Herodot zufolge soll es sich dabei um eine Kolonie ausgewanderter Kreter gehandelt haben soll, aus denen dann die Lykier entstanden sind. Freilich ist auch Milet ein ursprünglich minoischen Außenposten gewesen, der später von den „Ahhijawa“ übernommen wurde. Wenn „Milyas“ ein ursprünglicher Name Lykiens war, so hat die Stadt dazugehört (und eventuell sogar den Namen beigesteuert). Die (vielleicht 60 Kilometer entfernte) Stadt Milyas auf jeden Fall kann Dieter Hertel zum Trotz nicht Millawanda selbst sein, denn Letzteres lag den hethitischen Quellen zufolge am Meer.

In der späten Bronzezeit, in der die Wellen der Kolonisation noch nicht eingesetzt hatten, stellte Milet auf jeden Fall den einzigen hellenischen Vorposten auf dem asiatischen Festland dar. Hier gibt es auch – anders als bei vielen der zuvor genannten Stätten – archäologische Belege aus eben jener Epoche.

Ähnliches gilt für Abasa/ Apasa, dessen Fundspektrum gleichfalls weit zurückreicht, und dessen Deutung als „Ephesos“ philologisch betrachtet noch umstrittener ist. Immerhin war es jedoch Regierungssitz des „Arzawa“ Staatenbundes, der sich anhand am Karabel Paß entdeckter Inschriften verhältnismäßig gut lokalisieren läßt. Er besteht im wesentlichen aus Mira im Süden, Haballa im Osten und Seha im Norden. Die Insel „Lazba“ ist ziemlich gewiß das heutige „Lesbos“.

Nordwestlich von Haballa und nordöstlich von Seha schließt sich noch ein Reich namens „Masa“ an, zu dem wohl auch das östliche „Mysien“ gehört – Es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß beide Namen miteinander verwandt sein könnten. Mysien selbst ist nach den Mysoí benannt, die wohl aus dem späteren Mösien (Serbien und nördliches Bulgarien) aus einwanderten. Vermutlich taten sie dies zusammen mit den Phrygern im 12. vorchristlichen Jahrhundert, also nach der Zeit „Masas“. Schon Strabo hatte Probleme damit, Phryger und Myser auseinanderzuhalten, und die Assyrer belegten sie (und freilich auch andere Völker) mit einem einzigen Namen: „Muški“.

Nördlich von Seha aber, und damit westlich von Masa, liegt ein Land namens „Wilusa“ – Nach den bisherigen Zuordnungen kann es sich dabei nur um die Troas handeln.
Bevor ich darauf zu sprechen komme, führte ich noch ein weiteres Land an. Dieses hat es zu Zeiten Tudhalijas IV. wohl nicht mehr gegeben, aber zu Zeiten Tudhalijas II. (ca. 1420 – 1400 v. Chr.), und es hieß „Assuwa“. Ob sich der Name nun von dem Ort „Assos“ herleitet, und/ oder mit der späteren Bezeichnung „Asia“ verwandt ist, soll in diesem Kontext eher nebensächlich bleiben. Denn bei Tudhalija II. werden hier 22 Teilstaaten genannt, neben dem bereits angeführten „Karkisa“ auch zwei Länder namens „Wilusa“ und „Taruisa“, die aufgrund ihrer aufeinander folgenden Nennung als unmittelbar benachbart betrachtet werden müssen.

Wo so viele Städte mit leicht verändertem Namen bis in die klassische Zeit fortbestanden haben, wie hätten diese beiden wohl in späteren Jahrhunderten gehießen?

Joachim Latacz hat die inzwischen weithin akzeptierte Theorie aufgestellt, „Wilusa“ wäre „Filios/ Wilios“, das später „Ilion“ heißen sollte, und „Taruisa“ „Troja“. Nun sind „Ilion“ und „Troia“ aber bei Homer zwei Namen ein und derselben Stadt – Bei Tudhalija II. aber gelten Wilusa und Taruisa als einander benachbart.

So ist argumentiert worden, daß „Ilios“ ursprünglich der Name der Oberstadt Trojas gewesen sein mag. Schließlich heißt es in der Sage von der Gründung des Ortes, daß König Ilos in der nach seinem Vater Tros benannten Siedlung eine Befestigung anlegte, die seinen eigenen Namen trug. Derlei Extra Benennungen sind in der Geschichte nicht ohne Beispiel: Der Burgberg von Jerusalem etwa hieß „Zion“. Doch aus einer Stadt zwei zu machen, nur um auf die aufgelisteten 22 Reiche der unterworfenen Assuwa Koalition zu kommen, wäre schon eine unerhörte Aufschneiderei des hethitischen Großkönigs gewesen.

Allerdings ist von ägyptischen Pharaonen der Zeit noch Dreisteres bekannt, wenn man nur an Ramses II. denkt, der seine nur mit Glück nicht vollständige Niederlage bei Kadesch 1275 v. Chr. als glorreichen Sieg verkauft hat.

c.) Etymologie
Aber vielleicht kann die Sprachwissenschaft ein wenig Licht ins Dunkel werfen! Die Gleichsetzung von „Wilusa“ und „Ilion“ ist unter diesen Gesichtspunkten relativ problemlos, hat Ilion doch ursprünglich einmal „Wilios“ oder „Filios“ gehießen. Das „W“ als Anlaut findet sich noch im aiolischen, und teilweise sogar noch im dorischen Dialekt. Homer bediente sich des (Ost) Ionischen, durchsetzte es allerdings mit aiolischen Ausdrücken. So läßt er das „W“ in der Niederschrift bereits weg, doch muß er es beim Vortragen noch zumindest als Anlaut beibehalten haben, da sonst die Betonungsfolge des Hexameters in 45% aller Fälle nicht mehr gestimmt hätte.

Etwas komplizierter ist es mit „Taruisa“ und „Troia“. Hier geht Susanne Heinhold Krahmer davon aus, daß dies nur dann möglich wäre, wenn das A und das R von „Taruisa“ die Positionen vertauscht hätten, also wenn es die (nicht belegten) Zwischenformen „Toruia“ und „Trouia“ gegeben hätte. Freilich nimmt sie an, daß es das A gewesen ist, das sich zum O gewandelt hat. Dagegen spricht aber, daß zusätzlich zu „Taruisa“ auch die Nebenform „Truisa“ belegt ist. Die Etrusker gar nannten den Ort in Zusammenhang mit traditionellen Reiterspielen „Truia“ – Hier muß jedoch ergänzt werden, daß das O im etruskischen Alphabet nicht vorkommt.

Ein weiteres Argument gegen ihre Annahme liefern allerdings die mykenischen Achäer selbst. In ihren Linear B Archiven haben sie auch den Einsatz von „Fremdarbeiterinnen“ dokumentiert, bei denen es sich allem Anschein nach um geraubte Sklavinnen gehandelt hat. Diese werden nach ihrer Herkunft aufgelistet, und hier taucht auch immer wieder die Bezeichnung „Troi“ auf, in Zusammenhang mit anderen, der Troas benachbarten Lokalitäten. Das heißt, daß die Namen „Troi(a)“ und „T(a)ruisa“ zu ein und derselben Zeit verwendet worden sind. „Troia“ muß sich also nicht von „T(a)ruisa“ herleiten; es kann genauso gut umgekehrt gewesen sein.

Hieß die Stadt auf dem Hügel Hisarlik also „Wilusa“, „Taruisa“, oder hatte sie beide Namen gleichzeitig?

Allerdings können Ähnlichkeiten trügen. Schließlich ließe sich auf dem selben Wege auch aus „Mykene“ ein „Mykonos“, aus „Delphi“ ein „Delhi“ und aus „München“ ein „Monaco“ machen. Und es ist noch nicht so lange her, da sind Luzern, Lausanne und Lugano (alle Drei in der Schweiz gelegen) als ein und dieselbe Ortschaft bezeichnet worden, nur in jeweils deutscher, französischer und italienischer Sprache.

In der Regel braucht es also andere Bestätigungen, um Namensähnlichkeiten und gemeinsamkeiten auch als Gleichheiten deuten zu können.

Von griechischer Seite ist der Fall relativ klar: Ilion ist wieder aufgebaut und besiedelt worden, und wäre später beinahe Hauptstadt des Oströmischen Imperiums geworden. Nun mag man argumentieren, es hätte auch an einer Stelle neu errichtet werden können, den nur die Sage, nicht aber die Wirklichkeit mit dem Ort der Schlacht verbunden hätte. Dem aber widersprechen die in der Ilias aufgeführten Details, von der großräumigen Geographie bis hin zur Lage der Tore, die sich allesamt archäologisch belegen lassen. Details, die aber auch Homer selbst auf einer Reise durch die Troas hätte hinzufügen können, inmitten der Ruinen, auf denen später Ilion (Troia VIII) gegründet wurde, aber die deswegen noch nicht von der Stadt aus seiner Erzählung stammen müssen.

d.) Vasallenpflichten?
Um das Verwirrspiel noch ein wenig unübersichtlicher zu machen, läßt sich noch ein dritter Ball ins Feld schleudern: Dem Mythos zufolge soll das Volk der Dardaner vom Balkan her in die Troas eingewandert und Ilion gegründet haben. Ein nach ihnen benanntes Gebiet könnte also gleichzeitig das Umland von Troja bezeichnen.

Daß sie sich um 1275 v. Chr. schon im Dunstkreis Kleinasiens befunden haben mögen, darauf deutet der erwähnte ägyptische Bericht über die Schlacht von Kadesch hin. Dort wird erwähnt, daß auf hethitischer Seite Krieger aus einem „Fremdland D 3 r dn ji“ mitgekämpft haben.

Allerdings ist deren Gleichsetzung mit den Dardanern umstritten. Und selbst, wenn sie im Sold Hattusas gestanden haben mögen, so erfahren wir doch nicht, ob sie weiland schon in der Troas, oder noch auf dem Balkan gesiedelt haben. Daher ist ihre Erwähnung nicht sicher als Heeresbeitrag eines trojanischen Vasallen zu werten.
Aber haben die Hethiter bei all dem Material, das sie uns hinterlassen haben, nicht noch weitere Dokumente verfaßt, in dem es um die Lage der Stadt bzw. ihres Umlandes geht? Ja, haben sie!

e.) Manabatarhunta und Pijamaradu
Im sogenannten Manabatarhunta Brief von 1285 v. Chr. findet sich eine Passage, der zufolge sich die hethitischen Truppen im Staate Arzawa nach oder über Wilusa Egir Pa. Nun schreibt Susanne Helmholtz Kramer, „Egir“ habe zwei Bedeutungen, nämlich „zurück“ und „wieder“ (während sich „Pa“ mit „marschieren“ übersetzen läßt). Der ersten Variante zufolge wären die Truppen nach ihrem Zug gegen Arzawa über Wilusa heimgekehrt – Also müßte sich Wilusa irgendwo im Landesinnern befinden, zwischen Arzawa und Hattusa. Dieter Hertel behauptet, diese Deutung sei die einzig zulässige.

Die zweite Variante dagegen trifft keine genaue Aussage zur Lage Wilusas, außer der, daß man es von Arzawa aus erreichen kann. Das „Wieder“ mag sich darauf beziehen, daß es schon mal einen hethitischen Feldzug gegen das Land (bzw. die Stadt) gab, oder auch einfach nur, daß die Truppen (nach dem Sieg in Arzawa) ein weiteres Mal in eine Schlacht zogen.
Es gibt allerdings ein weiteres Dokument, daß etwas mehr Licht ins Dunkel bringt. In der Mitte des 13. Jahrhunderts nämlich wird Wilusa von einem Pijamaradu angegriffen. Mira kommt seinem Nachbarn im Norden zur Hilfe, und prompt wird seine Provinz Lazba gleichfalls von dem Aggressor überfallen. Hätten Wilusa und Lazba irgendwo im Landesinnern gelegen, wie es Dieter Hertel gerne hätte, hätte Pijamaradu zuvor einen anderen Vasallen Hattusas als Ausgangsbasis erobern müssen, und das hätten die hethitischen Quellen, die sein Tun beklagen, gewiß nicht verschwiegen. Zudem wird Lazba eindeutig als „vom Festland abgetrennt“, also als Insel beschrieben (und heute allgemein mit Lesbos identifiziert). Auch zu Wilusa gibt es in der Adjektiv Form „wilusati“ eine Formulierung, von dort kommende Leute kämen vom Meer, nur wird hier noch darum gestritten, ob sich das Adjektiv wirklich auf die Stadt bezieht (so wie z. B. „Gotisch“ nicht unbedingt mit den Goten zu tun haben muß), und ob „Meer“ hier die richtige Übersetzung ist.

An dieser Stelle wird klar, daß die Dechiffrierung des Hethitischen und erst recht des Luwischen noch nicht abgeschlossen ist.

f.) Apollo und die Quellhöhlen

Ein weiteres Beispiel stellt eine Gottheit namens appaliuna dar, bei dem am Schluß des Alaksandu Vertrages geschworen wird (Siehe Kapitel 6 b). Es ist spekuliert worden, ob es sich hierbei um niemand anderen als „Apoll(on)“ handeln mag, der auch in der Ilias auf Seiten Trojas steht. Dieter Hertel behauptet, diese Interpretation sei nicht statthaft, weil die Tafel unmittelbar vor der Vokabel gebrochen sei, es sich bei „…appaliuna“ also nur um ein Wortfragment handele, daß man so gar nicht übersetzen dürfe. Bei Latacz, der die bekannten Abschnitte des Textes abgedruckt hat, liest es sich freilich etwas anders. Zwar gibt es auch dort vor „appaliuna“ eine Lücke, doch scheint die nicht durch einen Bruch, sondern lediglich durch Verwitterung hervorgerufen worden zu sein. Zumindest hat er noch erkennen können, daß dort zwei weitere Schwurgottheiten aufgeführt worden sind, und daß diese beiden Namen nach links und rechts von den benachbarten Worten mittels leerer Stellen abgegrenzt gewesen sind. Demnach hätte sich vor „appaliuna“ also eine Leerstelle befunden, aber keine verloren gegangenen Schriftzeichen.

Bei den von Frank Starke in Umschrift dargestellten Keilschrift luwischen Texten werden die einzelnen Worte auf jeden Fall samt und sonders durch Zwischenräume voneinander abgetrennt, wie es auch bei den anderen Schriften der Zeit üblich war, und bis auf den heutigen Tag Usus geblieben ist.

Dazu findet sich bei Margarete Müller Marsall der Hinweis, daß in den hethitischen Archiven insgesamt sechs Exemplare des Vasallenvertrages erhalten geblieben sind. Da müßte Dieter Hertel schon persönlich mit Hammer und Meißel zu Werke gegangen sein, sollte sich bei ihnen allen unmittelbar vor dem „appaliuna“ ein Sprung befinden.
Der philologische Beweis, daß der Name „Apollo“ „nicht mehr zweifelhaft“ von dem griechischen „apella“/ „apellai“ herzuleiten sei (vgl. lat. „appellare“, von dem das deutsche „Appell“ abstammt), ist entgegen seiner Behauptung auch weiterhin strittig. Daß er sich in diesem Punkt dermaßen definitiv festlegt, verwundert ein wenig angesichts der Tatsache, daß er die Assoziation von „Wilusa“ mit „(W/ F)Ilios“ und „T(a)ruisa“ mit „Troja“ mit nahezu der gleichen Gewißheit ablehnt. Doch auch wenn der Name des Gottes griechischen Ursprungs sein sollte, ist dies noch kein Argument dagegen, daß ihn die Luwier nicht auch verehrt haben könnten. Troja war eine Handelsstadt, und schon allein die geographische Lage läßt es für wahrscheinlich erachten, daß hellenische Seefahrer nicht zu den seltensten Gästen gehört haben dürften. Daß diese auch in der Fremde ihre eigenen überirdischen Geschöpfe angebetet haben, dürfte logisch sein. Hafenstädte waren schon immer ein Ort kulturellen, und damit auch religiösen Austausches. Auch Trojas Fundspektrum deutet auf einen erkennbaren griechischen Einfluß hin. Zwar sind nur wenige Scherben wirklich mykenischer Amphoren gefunden worden, dafür aber viele einheimische Imitationen. Dies ließe darauf schließen, daß man nicht viel aus den Landen der Achäer importiert hat, das in solchen Gefäßen transportiert worden ist (Öle, Nahrungs und Genußmittel), aber eventuell dorthin exportiert, so daß der nachgeahmte Stil auf den Bestimmungsort hinweisen könnte. Und selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, so war die frühgriechische Töpferkunst doch bekannt und beliebt genug, um sie zu kopieren. Würde es da verwundern, wenn man auch einen Gott von dort übernommen, oder aber einem einheimischen Götzen seinen Namen verliehen hätte?

Im Alaksandu Vertrag wird aber noch eine weitere Schwurgottheit genannt: „KASKAL.KUR“. Wörtlich übersetzt bedeutet dies: „Weg in die Unterwelt“.

Er wird in Verbindung gebracht mit dem ausgedehnten System künstlicher Quellhöhlen, die zur Zeit von Troia II in den Fels gehauen worden waren.

Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Passage in der Ilias, in der Achilles Hektor in der Nähe zweier Quellen tötet. Sollten diese mit den erwähnten Tunneln identisch sein, hätte sie Homer nicht einfach nur als Ortsbestimmung eingefügt, sondern als Metapher für den „Weg in die Unterwelt“ nach dem Glauben der Trojaner.

Natürlich bestreitet Dieter Hertel die Möglichkeit einer solchen Beziehung, würden sich doch „Dichtung und Grabungsbefund… vollkommen“ widersprechen. Warum, erklärt er nicht, aber er meint wohl, daß Homer von Quellen, und nicht von Grotten geschrieben hat. Aber für den Poeten hatte Achilles‘ Jagd auf Hektor im Vordergrund gestanden; Erwähnungen geographischer Besonderheiten dienten mehr als Kolorit, um der Szene Tiefe zu verleihen, als daß ihre Details für den Handlungsverlauf wichtig gewesen wären.

g.) Ikonoklasten
Mit Gottheiten hatte es allerdings im zweiten Jahrtausend vor Christus seine besondere Bewandtnis. Zum einen waren etwa die Hethiter dafür berüchtigt, in jeder eroberten Stadt die Tempel zu plündern, um die erbeuteten Idole und Götzenbilder heim nach Hattusa zu verschleppen. Da die Abbilder als Wohnsitze der Götter gedacht waren, wurde die hethitische Hauptstadt damit zum Kultort der unterworfenen Völker. Diese Praxis ist jedoch auch von anderen Völkern bekannt, darunter auch den frühen Griechen bei ihren Beutezügen an der Küste Kleinasiens. Ja, als der Großkönig in Hattusa – damals ihr Bundesgenosse – einmal krank war, sandten sie ihm sogar solche Götzenbildnisse zur besseren Genesung. Selbst die Juden sind diesem Brauch dem Alten Testament zufolge nachgegangen. Dementsprechend heißt es wohl nicht umsonst in den zehn Geboten, daß man sich kein Bild von Jahwe machen solle. Ein Götze, der sich von Ungläubigen entführen läßt, kann nicht allmächtig sein.
Auch spätere Zeiten kannten noch vergleichbare Praktiken, wenn man etwa an die Bedeutung der Heiligen Lanze während der Kreuzzüge denkt. Und welche Schande war es noch im vergangenen Jahrhundert, wenn die eigene Nationalflagge in die Hände des Feindes geriet!
Zum anderen überwanden Religionen aber auch auf friedlicherem Wege die Grenzen von Reichen und Stadtstaaten. Die assyrische „Kubaba“ ist da ein besonders gutes Beispiel, die letzten Endes als „Kybele“ bei den Lydern landete. Besonderen Vorschub für derlei Wanderungen schufen in klassischer Zeit die Interpretatio Graeca und die Interpretatio Romana, die in der Fremde vorgefundene Gottheiten (vereinfacht gesagt) mit vergleichbaren eigenen gleichsetzten (z. B. Apollon = Mercur = Wotan/ Odin). Dies bot den Vorteil, viele Glaubensgemeinschaften, wie es sie etwa im Römischen Reich gegeben hatte, unter einen Hut bringen zu können (Der Tempel des Mercur war somit auch dem Apoll und dem Wotan geweiht). Allerdings gab es immer auch Zusätze, welche an die lokal bedingten Unterschiede erinnerten (z. B. „Mars Thingsus“ für Tiuz/ Tyr, um zu betonen, daß dies nicht der griechische Ares bzw. der römische Mars war).

Mit dem Rauben der Standbilder aber hat es noch eine besondere Bewandnis. So nahm Nebukadnezar I. den Raub einer Statuette des babylonischen Nationalgottes Marduk zum Anlaß, Krieg gegen Elam zu führen. Dabei waren zu diesem Zeitpunkt bereits vier Jahrzehnte seit der Entführung ins Land gezogen.

Nun stellt Latacz die Hypothese auf, auch bei Helena möge es sich weniger um die Gattin des Königs von Sparta gehandelt haben, als gleichfalls um eine Göttin. Nicht nur sind ihre sämtlichen Verwandten laut Mythologie göttlich, und nicht nur soll sie einem Ei entschlüpft sein, auch habe es noch in der klassischen Zeit in Sparta und auf Rhodos Helena Kulte gegeben. Er führt dies auf eine indogermanische Sage zurück, die sowohl in mythologischen Liedern der Letten, als auch im alt indischen Rigveda ähnlich erzählt werde. Dort ist von einer „Tochter der Sonne“ die Rede (die bei den Letten sogar aus einem Ei geboren wird), und der griechische Name „Helena“ leite sich (fide Wilhelm Mannhardt, 1875) von „Swelena“ her, wobei „Swel“ Sonne bedeutet habe. In der Tat steht die Silbe „Hel“ im Griechischen für das Himmelsgestirn, wie auch der Name des Sonnenwagenlenkers, Helios, erkennen läßt. Die Sonnentochter wird einem von zwei Söhnen des Himmelsgottes versprochen, aber vom Mond geraubt. Letzten Endes muß sie von den Brüdern zurückgeholt werden, und wir haben eine hübsche Erklärung dafür, warum der Mond die Sonne zu verfolgen, aber doch nie einzuholen scheint.

Dann wäre der Raub der Helena also nicht die Entführung einer Gemahlin, sondern die eines heiligen Götzenbildnisses? In diesem Zusammenhang könnte Agamemnons Frevel im Apollon Tempel (Raub der Chryseis) und Odysseus‘ (und Diomedes‘) Diebstahl der Athene Statue als Vergeltungsmaßnahmen gedeutet werden.

Nun ist es doch arg unwahrscheinlich, daß die Gesänge unserer baltischen Nachbarn inhaltlich unverfremdet bis in die Jungsteinzeit (in der die Indogermanen lebten) zurück reichen! Und was die Rigveda anbelangt, nennt Latacz außer dem des Himmelsgottes Dyaus (Die Ähnlichkeit mit „Zeus“ und „Tiuz“ ist übrigens nicht zufällig) keine Namen. Es steht zu vermuten, daß es in diesem Punkt keine Parallelen zur Ilias gibt. Daher enthalten die Ilias und der altindische Mythos zwar hier und da Ähnlichkeiten, aber die ließen sich auch bei anderen Sagen finden (etwa bei Friggs/ Freyas Zeit als Gattin von Vili und Ve, oder dem „Raub der Sabinerinnen“), ohne daß deswegen zwingend ein gemeinsamer Ursprung angenommen werden muß.

h.) Die Danaer, von Israel bis nach Dänemark
Mit dem Raub der Helena sind wir aber auch schon bei einem anderen Volk angelangt. Schließlich sind es nicht die Trojaner, sondern die Griechen, aus deren Perspektive die Ilias erzählt wird! Wie sehen für sie die historischen Belege aus? Daß Homer nicht von „Graecoi“ schreibt, ist klar; dieser Name stammt erst aus römischer Zeit. Auch „Hellenen“ erwähnt er an keiner Stelle; diese Bezeichnung kam erst später in Gebrauch (und rührt von der Landschaft Hellas her, das zum Reich der Myrmidonen gehört hat). Doch genauso wenig benutzt er die zeitgenössischen Vokabeln, als da wären die Einzelstämme der Aioler („Achäer“ im engeren Sinne), der Ionier und der Dorer (Der Einfachheit halber zähle ich die Arkadier zu den Aiolern, die Attiker zu den Ioniern und die Nordwest Griechen zu den Dorern). Bei ihm ist stattdessen von „Dananoi“, „Achaioi“ und „Argeoi“ die Rede – Begriffe, die in den zeitgenössischen Dokumenten nicht auftauchen. Doch hätte seine Zuhörerschaft nichts mit ihnen anfangen können, hätte er sie möglichst früh erklären müssen – Er hat es nicht getan. Sie mußten also bekannt gewesen sein, und wenn so die Vorfahren bezeichnet wurden, stammten womöglich auch die Namen aus jener glorreichen Frühzeit.
Hier allerdings lassen uns die Ahnen im Stich: Auf den Linear B Tafeln ist nur die Herkunft der „Gastarbeiter“ festgehalten worden, nicht aber die eigene.
Aber die Mykener, die Griechen der Bronzezeit, sind auch überregional aktiv gewesen. Zum einen hatten sie auch damals schon am internationalen Handel teilgehabt, zum anderen haben sie zwischen 1420 und 1375 v. Chr. das kulturell hochstehende Kreta samt seiner Kolonien erobert. Sie können ihren Nachbarn also nicht verborgen geblieben sein. Nachbarn wie die Hethiter, Assyrer und Ägypter, die uns ein reiches Arsenal an Schriftquellen hinterlassen haben.

Auf der Stele Amenophis‘ III. (1388 – 1351 v. Chr.) ist Kreta („Keftiu“) noch als eigenständiger Staat aufgeführt, und die meisten „danaischen“ Städte werden noch mit einem „U“ an Stelle eines „Y“ geschrieben (Mukana = Mykene, Misana = Messene, Nuplija = Nauplios/ Nafplio, Kutira = Kythera, Weleja = Elis und Amukla = Amyklai). Es handelt sich um Orte, die auf der Peloponnes gelegen sind – Naturgemäß ist dies die Gegend auf dem griechischen Festland, die Ägypten am nächsten liegt, also am ehesten als Handelspartner in Frage kommt. Es ist aber auch argumentiert worden, daß mit „Danaya“/ „Tanaya“ nicht ganz Hellas, sondern eben nur die genannte Halbinsel gemeint sein könnte. Da die Liste von Mukana angeführt wird, muß es für das 15./ 14. vorchristliche Jahrhundert als Kapitale des Reiches betrachtet werden.

Zeitgleich ist allerdings auch von einem Volk namens „Dananu“ an der syrisch kanaanitischen Küste die Rede. Dies müssen freilich nicht unbedingt die Griechen gleichen Namens gewesen sein. So taucht die Bezeichnung „Dan“ später auch bei den proto rumänischen Dakern wieder auf, so daß man sich durch Namensähnlichkeiten und gleichheiten nicht ohne Weiteres zu Rückschlüssen verleiten lassen darf. Namen können auch von fremden Völkern verliehen worden sein. Was ist da nicht alles als „Skythen“ klassifiziert worden, von den Teutonen bis hin zu Turkvölkern, nur weil die so Benamsten nördlich oder nordöstlich von Griechenland siedelten?

Gerade bei den Indo Europäern kommt es aber auch immer wieder vor, daß sich verschiedene Stammesgruppen unabhängig voneinander nach den selben oder ähnlichen Worten und Begriffen benennen. So leiten sich von „Dan“ auch die Dänen her, die mit den Danaern gewiß nichts zu tun gehabt haben. Und als wäre das noch nicht genug, trug auch einer der semitischen Stämme Israels diesen Namen. Und die Donau (Danube), an der Daker wie Dardaner einmal gesiedelt haben dürften, hat ihren Namen von keinem dieser Völker, sondern dem keltoromanischen Flußgott Danuvius.

Weitere Beispiele gibt es en masse. Die Hethiter nannten sich selbst „Hatti“, was „Chatti“ ausgesprochen wurde, hatten aber keinerlei Beziehungen zu den germanischen „Chatti“, von denen sich der Name des Bundeslandes Hessen herleitet. Die Pariser, die um Lutetia (die spätere Hauptstadt Frankreichs) siedelten, hatten keinerlei Beziehungen zu dem gleichnamigen Prinzen von Troja. Mit „Hispani“ wurden nicht nur die frühen Iberer bezeichnet, sondern auch ein Volk in Georgien. Die (nicht indogermanischen) „Kymria“ Großbritanniens tauchen in der Literatur zwar immer wieder auch als „Kimmerier“ auf, hatten aber mit dem gleichnamigen Reitervolk nichts zu schaffen. Und unter den „Veneti“ schließlich verstand man sowohl einen Stamm seefahrender Gallier in der Bretagne, als auch ein illyrisches Volk, von dem die Stadt Venedig ihren Namen hat, als auch die frühen Slawen, die so zu ihrer Bezeichnung „Wenden“ gekommen sind.

Manchmal spielen auch Mythen eine Rolle. So haben sich die Etrusker nach Herodot auch als „Lyder“ gesehen, da sie der Sage zufolge aus Kleinasien stammen und Nachbarn Troias gewesen sein sollen. Dem archäologischen Befund nach hat sich ihre Kultur jedoch ohne erkennbare Sprünge in Norditalien selbst entwickelt (Villanova Kultur). Wenn sich allerdings nur die Herrscherschicht geändert hat, ist das archäologisch meist sehr schwer zu fassen. Die Goten beispielsweise haben in Italien nur sehr wenig hinterlassen, was erkennen läßt, daß sie hier einmal geherrscht haben.

Es ist also nicht alles griechisch, wo „Danaer“ draufsteht.

Leider taucht dieser Name bei den Assyrern und Hethitern nicht auf, und auch bei den Ägyptern soll es an die zwei Jahrhunderte dauern, bis wieder von „Danua“ die Rede ist.

i.) Danaer, Achäer, Argeier, aber weit und breit keine Griechen!
Aber es stehen ja noch zwei andere Namen zur Auswahl: „Achaioi“ und „Argeoi“. Und tatsächlich kennen die Hethiter des 14. und 13. Jahrhunderts ein Volk, das sie „Ahhijawa“ nennen, und mit dem sie einen diplomatischen Briefwechsel führen. Die Stadt Millawanda an der Westküste Kleinasiens gehört zu ihrem Machtbereich; sie selbst waren jenseits des Meeres ansässig, also entweder in der Ägäis, und/ oder auf dem griechischen Festland selbst.

Der Stele Amenophis‘ III. zufolge schien die Macht im 14. Jahrhundert noch von der Peloponnes auszugehen. Für das 13. Jahrhundert aber sieht es so aus, als ob sich die Verhältnisse gewandelt haben. Nicht nur sind die Bauten Thebens gewaltiger als die Mykenes, auch scheint sich der thebanische Macht und Verwaltungsbereich den Tontafeln zufolge bis über ganz Euböa erstreckt zu haben. Dazu werden im Briefwechsel zwischen Hellas und Hattusa ein „Ete(w)okles“ (hethitisch: „Tawaglawa“) als Vertrauter, und ein „Kadmos“ als Ahnherr des griechischen Monarchen genannt – Beide Namen sind eng mit der mythologischen Vorgeschichte der Stadt verknüpft.

Diese Verhältnisse spiegeln sich eventuell auch in der Ilias wieder. Zwar ist es der König von Mykene (Agamemnon), der die Heere anführt, doch der Sammelpunkt der Flotte ist die böotische Hafenstadt Aulis. Außerdem beginnt der Schiffskatalog in seiner Aufzählung mit den Truppen Böotiens, und nicht denen der Argolis.

Homer hat also Namen aus der Bronzezeit benutzt, um sein Volk zu bezeichnen. Eventuell, weil es damals gar keinen Namen dafür gab. Er nennt es „Danaer“, was mit dem auf der Stele Pharao Amenophis‘ III. erwähnten Reich „Danaya“ (bzw. „Tanaya“) korrespondiert, und „Achäer“ (jetzt im weiteren Sinne, Ionier und Pelasger mit einschließend), was wiederum dem „Ahhijawa“ der Hethiter entspricht. Für seine dritte Bezeichnung „Argeoi“, was „Flachlandbewohner“ bedeutet, findet sich freilich keine zeitgenössische Quelle.

Immerhin können wir alles in allem zu dem Schluß kommen, daß es Stadt und Staat Wilusa/ Taruisa gegeben hat, die ziemlich sicher mit Ilios/ Troie identisch sind. Und es hat Danaer und Achaier gegeben, auch wenn nicht ganz klar ist, ob die Namen „Danaya“ und „Ahhijawa“ ein und das selbe Volk bezeichnen, so wie es bei Homer der Fall ist. Den aufgelisteten Städten nach könnte „Danaya“ nur die Peloponnes meinen, und „Ahhijawa“ vielleicht nur eine bronzezeitliche Hegemonie von Theben.

j.) Der Schiffskatalog und eine Stadt namens „Sparta“
Aber gibt es da nicht auch noch andere Völker in den Überlieferungen, die ihre Spuren in den Annalen ihrer Zeit hinterlassen haben könnten? Besonders häufig genannt wird der sogenannte „Schiffskatalog“ in der Ilias, also die Liste derjenigen Völker, die Kontingente aufgeboten haben, um Menelaos und Agamemnon bei ihrem Kampf gegen Troja zu unterstützen. Diese Zusammenstellung ist voll mit griechischen Städten, die ein asiatischer Wanderdichter wie Homer gar nicht alle hätte bereisen können, um sie mit passenden Attributen zu belegen. Hinzu kommt, daß ein Großteil von ihnen zu Zeiten des Poeten gar nicht mehr existierte, daß selbst Historiker des Altertums sie nicht mehr lokalisieren konnten. So ist es zum Beispiel mit Eleon, Hyle und Peteon in Böotien, deren Existenz in späthelladischer Zeit durch eine thebanische Tontafel bestätigt wird. Heißt dies, daß es sich bei dieser Aufstellung um ein Relikt handelt, das unverändert aus der Bronzezeit bis Homer überdauert hat?

Nun, die Annahme steht und fällt mit der Erwähnung einer einzigen Stadt. Sparta spielt in der Ilias eine nicht unbedeutende Rolle. König hier ist Menelaos, Bruder von Agamemnon, der seinerseits Herrscher von Mykene und oberster Feldherr der versammelten Griechenheere ist. In diesem Ort ist es gewesen, wo Menelaos‘ Frau Helena von dem trojanischen Prinzen Paris (Alexander) entführt worden ist. Per Schiff übrigens, obwohl sich Sparta nicht unbedingt als ausgeprägte Hafenstadt charakterisieren läßt, und zudem noch weit von der Küste entfernt liegt.

Zu Homers Zeit war es in der Tat schon ein Ort mit einer gewissen Bedeutung gewesen. Es beherrschte Lakonien, hatte gegen 720 vor Christus das benachbarte Messenien unterworfen, 707 die Kolonie Taras (Tarent) gegründet, und sich allgemein den Ruf erworben, eine Schmiede ausgezeichneter Krieger zu sein.

In der Bronzezeit jedoch hatte es die Stadt noch gar nicht gegeben. Sie war erst gegen 900 v. Chr. entstanden, durch Zusammenlegung der vier Dörfer Limnai, Mesoa, Kynosura und Pitane im Tal des Flusses Eurotas.

Tontafeln aus dem mykenischen Theben nennen nur die Region („Lakedaimon“), nicht aber die weiland beherrschende Metropole. Dies tut allerdings die Stele Pharao Amenophis‘ III., denn sie führt das etwas südlich von Sparta gelegene Amukla (Amyklai) als eines der Zentren Danayas (bzw. Tanayas) an. Tatsächlich war der Ort auch im klassischen Altertum noch bedeutend genug, daß er allein von Sparta in Lakonien und Messenien als gleichrangig behandelt wurde.

Wie aber verhält es sich mit dem Schiffskatalog?

Da ist aller Geschichte zum Trotz schon von Sparta die Rede, und auch das im östlichen Messenien gelegene „Messe“ untersteht bereits seiner Herrschaft. Diese Passage kann also keinesfalls der späthelladischen Epoche entstammen.

Mag der griechische Schiffskatalog auch überwiegend mykenische Verhältnisse wiedergeben, unverändert ist er nicht geblieben. Noch weniger authentisch aber ist sein Gegenstück, die Liste der Verbündeten Ilions. In der Bronzezeit waren die Karer nicht bekannt, die Phryger hockten in Europa und die Lyder waren wohl noch Luwier. Homer führt sie trotzdem alle als Völker Kleinasiens auf.

k.) Der Schiffskatalog und eine Stadt namens „Halpa“

Aber werden nicht auch dort Völker genannt, die eindeutig in eine frühere Epoche verweisen? Nun, man mag an die „Aithiopis“ denken, in der die Ägypter in den Krieg eingreifen. Die waren zur Bronzezeit mächtig, hockten im 8. Jahrhundert v. Chr. aber auf dem absteigenden Ast. Doch gerade zu Homers Zeit, von 715 bis 663, befand sich das Land unter äthiopischer Fremdherrschaft. Im Übrigen wäre ein Unternehmen dermaßen weit im Norden am Nil gewiß irgendwo dokumentiert worden. Nichts dergleichen ist je gefunden worden.

Und die Hethiter? Interessant könnte hier bei Homer ein Kommentar bei der Erwähnung des Nordöstlichsten der kontinentalen Griechenstämme sein, der Stamm des Prinzen Polypoites. Es soll sowohl gegen „Zentauren“ gekämpft haben, als auch „vom Pelion herab“ gegen ein Volk namens „Aithiker“. Das Wort klingt durchaus nach „Hethiter“, doch entstammt unsere deutsche Bezeichnung für dieses Volk der Bibelübersetzung Martin Luthers. Die alten Israeliten nannten es „Chittim“, und es selbst sich „Hatti“ – Da hat der Begriff „Aithiker“ doch mehr Ähnlichkeit mit „Attiker“, und weder die, noch die Hatti trieben sich in der Spätbronzezeit im Norden Thessaliens herum.

Aber wenn Troja ein Vasall von Hattusa gewesen ist, wäre es da nicht logisch, das auch der Oberherr ein paar Truppen schickt? Nun, sehen wir uns die aufgeführten Verbündeten der Stadt einmal an: Homer beginnt auf dem südlichen Balkan, arbeitet sich dann von West nach Ost die südliche Schwarzmeerküste entlang, führt ein Völkchen namens „Halizonen“ an und schwenkt dann hinüber zur Küste von Kleinasien, die er von Norden nach Süden abfährt. Die Halizonen, in deren Hauptstadt Alybe „das Silber geboren“ wurde, hat man auch schon mit den Hethitern in Verbindung gebracht, mit dem Argument, daß sie – der Abfolge der Stämme an der Schwarzmeerküste entsprechend – als nächstes an der Reihe gewesen wären. Doch ist vergessen worden, daß dies in der Zeit des hethitischen Großreichs Kaskäergebiet gewesen ist, die Hethiter dort also keinen Zugang zum Meer gehabt haben. Auch liefert die im Osten beliebte Vorsilbe „(C)Ha“ keinerlei sichere Hinweise auf die Hatti (Hethiter) und ihre Hauptstadt Hattusa. Zumal Hattusa zwar für sein Eisen bekannt war, und vielleicht auch für seinen Reichtum und seine zusammengeraubten Götterstatuen, aber ein eventuelles Vermögen an Silber wird nirgends erwähnt. Auch archäologisch und geologisch ist bislang nichts dergleichen nachgewiesen worden.

Schon Strabo hatte in den Halizonen die Bewohner (C)Halybons gesehen, und in Alybe die Metropole dieses Stadtstaates, das auch heute noch bedeutende Aleppo/ Halpa/ Haleb/ Halib/ Chalybon/ Beröe. In Mesopotamien galt die Mine Silber als Währung, und in Aleppo als Knotenpunkt bedeutender Handelsrouten wurde besonders viel davon verdient. Nur lag es weder im Norden, noch im Westen Kleinasiens, sondern weit weg in Syrien.

Außerdem heißt es bei Homer „Wo das Silber geboren wird“, und nicht: „Wo das Silber verdient wird“. Freilich sind unsere Kenntnisse, was die in der Bronzezeit bekannten Lagerstätten anbelangt, noch sehr lückenhaft. Das in der klassischen Antike bedeutsame Silbervorkommen von Laureion (Attika) war weiland noch nicht entdeckt, und Ägypten war mehr für sein Gold berühmt. Der Diercke Weltatlas führt die nächsten Abbaugebiete (für die Gegenwart) erst wieder in Spanien, Polen und dem Kaukasus an.

In der Tat wurden im Kaukasus schon recht früh Bronze, Eisen und Gold verarbeitet. Die Sage vom goldenen Vlies geht vermutlich auf die Sitte zurück, das Edelmetall mit Tierfellen auszuwaschen. Silber scheint jedoch eine eher untergeordnete Rolle gespielt zu haben. Auch werden nirgends Volks oder Stadtnamen erwähnt, die an „Halizonen“ oder „Alybe“ erinnern.

Doch woher das Silber auch kam, Aleppo/ Halpa war ein wichtiger Umschlagplatz. In der Spätbronzezeit allerdings war dieser einstige Kleinstaat gerade mal ein Vasall des Imperiums von Hattusa. Erst nach Zusammenbruch entstanden hier in der Region mehrere hethitisch luwische Kleinstaaten, die auf den alten Vizekönigreichen fußten. Bei den Einwohnern eines unabhängigen Aleppo handelte es sich also nicht um die Hethiter im engeren Sinne. Und trotzdem bedeutet gerade ihre Erwähnung, daß jenes untergegangene Volk doch noch seine Finger im Spiel gehabt haben muß. Denn was um alles in der Welt hat Aleppo in einem Krieg im fernen Troja verloren? Genauso gut hätten sich dann auch die Kanaaniter oder gar die Assyrer einmischen können! Landgewinne und lohnenswerte Beute lassen sich eher beim Angriff, denn bei der Verteidigung machen. Und wenn sie doch anfallen sollten: Erstere lassen sich so weit im Nordwesten kaum halten, und Letztere müßten die gesamte anatolische Küste entlang transportiert werden. Da erscheint es viel plausibler, daß Troja wie Aleppo einmal einer größeren Staatengemeinschaft angehört hat, dessen Verteidigungsbündnisse immer noch wirksam waren.

Aus Quellen des Nahen Ostens aber wissen wir, daß die syrischen Staaten als Nachfolger Hattusas galten, ja, ganz Syrien wurde von den Assyrern als „Hatti“ bezeichnet. Auch Uriah, der in der Bibel erwähnte hethitische Söldner König Davids, entstammte dieser Gegend.
Was für das abgelegene Aleppo galt, trat natürlich erst recht für die Nachfolgestaaten Masas und Arzawas zu, die der Myser, Phryger und Maionen.

Suppiluliuma II. hatte seiner Siegestafel zufolge auch Lukka erobert. Dementsprechend finden sich Karer und Lyker ebenfalls auf der Seite Ilions, wobei extra erwähnt wird, daß sich Milet im Besitz der Erstgenannten befindet.

Also standen die Nachfolgestaaten Hattusas im Bund mit Troja. Welch anderen Grund könnten sie gehabt haben, als daß auch Troja selbst einmal Teil dieses Reiches gewesen ist?
Belegt werden solche Koalitionsverpflichtungen durch eine hämische Antwort des Vizekönigs von Karkamisch auf ein Hilfegesuch der syrischen Hafenstadt Ugarit. Er warf ihr vor, sie hätte doch eine Flotte, nur würde die gerade fern der Heimat kämpfen.

Daß Ugarit und seine Nachbarstädte in dem Schiffskatalog nicht erwähnt werden, kann bedeuten, daß sie zum Zeitpunkt des Trojanischen Krieges bereits zerstört waren, muß es aber nicht. Genauso gut können ihre Flotten anderswo zum Einsatz gekommen sein (zum Beispiel vor Zypern), oder aber wurden von den Mykenern – eventuell aus geographisch politischer Unkenntnis, was das ferne Syrien angeht – als Teil Chalybons betrachtet. Schließlich hatte Ugarit schon früher zu einem Staat namens „Jamschad“ gehört – Die Hauptstadt von Jamschad war Aleppo/ Halpa gewesen.

Auch muß daran erinnert werden, daß uns der Schiffskatalog nicht als historische Quelle, sondern als Teil einer Sagendichtung überliefert worden ist. Manch ein Detail mag des Klangbildes halber verfälscht worden sein, manch ein Vers verlorengegangen, hinzugefügt oder späteren Verhältnissen angepaßt worden sein.

Schließlich deutet einiges darauf hin, daß Ugarit, Alalha und Karkamisch noch eine Weile standen, während Mykene und andere in der Ilias aufgeführte Griechenstädte bereits in Schutt und Asche lagen.

Die Namen der in den Epen verewigten Völker bringen uns im Vergleich mit den historischen Dokumenten also kaum weiter. Um mehr Gewißheit zu erlangen, bräuchten wir noch weitere Bestätigungen. Atreus, Kadmos, Ete(w)okles – Kann es nicht sein, daß in einem der erhaltenen Dokumente auch mal einer der Helden von Troja auftaucht?

 

Kommentare  

#1 Friedrich Kelm 2010-11-25 01:25
Dein Hinweis, dass es mehrere Kopien des Alaksandu-Vertrages gebe und es eigentlich unmöglich sei, dass alle Kopien an der selben Stelle (vor Appaliuna) eine Beschädigung aufweisen, möchte ich ergänzen mit der Bemerkung, dass Joachim Latacz (5. aktualisierte und erweiterte Auflage, 2005) auf Seite 368 in Anmerkung 147 (u. a.) schreibt: Dass drei Exemplare (Kopien) des Vasallenvertrages zur Übersetzung durch Franz Starke (1999) herangezogen wurden und in der Wiedergabe bei Latacz durch die Buchstaben A,B und C markiert: "die Übersetzung legt die jeweils besterhaltene Fasung zugrunde".

Die Stelle mit Appaliuna wurde der Kopie A entnommen.

Nun müßte Dieter Hertel nur noch sagen, auf welche der drei Kopien (oder welche andere) er sich in seiner Ablehnung der Übersetzung bezieht.

Freundliche Grüßen
Deinen Beitrag zur Troia-Diskussion finde ich toll.

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