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Urteil aus dem Jenseits

StoryUrteil aus dem Jenseits

Die Sonne senkte sich und übergoss den Park der Villa mit ihrem letzten Licht. Die Schatten wurden länger und länger.

Norman Sherman und seine junge Frau machten einen kleinen Spaziergang durch die gepflegten Anlagen, die zu dem Anwesen gehörten. Es war ein gewaltiger Besitz, den Sherman vor einigen Jahren erworben hatte.

Überhaupt besaß der Millionär eigentlich alles, was sein Herz begehrte.


Nun war er fast 75 Jahre alt und hatte alles erreicht, was ein Mensch sich wünschte. Er besaß ein riesiges Haus, Geld, eine Yacht in Marbella und Susan, seine Junge Frau. Sie war ein Mannequin gewesen. Sie hatten sich in New York auf einer Modenschau kennengelernt und bereits 4 Monate später geheiratet.

Die Blondine mit der atemberaubenden Figur und den stahlblauen Augen genoss den Reichtum ihres Greisen Gatten. Es fehlte ihr an nichts, doch sie bekam nicht genug.

Auch an diesem Abend kam es wieder zum Streit, wie schon so oft in den letzten Tagen. Sherman selbst machte das ganz krank, er litt seit geraumer Zeit an unerklärlichen Depressionen.

War es der bohrende Verdacht, dass Susan einen Liebhaber hatte? Oder gar mehrere? Shermans Detektive hatten nichts herausgefunden.

„Ich bestehe aber darauf, dass ich nächste Woche allein nach St. Moritz fliege“, stellte sich Susan stur. „Ich bin nicht dein Vogel, der in einem goldenen Käfig sitzen mag.“

Sherman seufzte gequält. „Warum wartest Du nicht einen Monat, damit ich auch mit kann. Du weißt doch, die Transaktion mit dem Iran...“

„Du und Deine Geschäfte“, schimpfte Susan. „Nein, ich will nächste Woche fahren. Und ich werde fliegen...“

Langsam wurde Sherman zornig. Er war es nicht gewöhnt, dass man sich ihm wiedersetzte. Gewiss, er liebte Susan, die so vital und so furchtbar jung war, doch das ging ihm gegen den Strich.

„Du fliegst nicht“, konterte er kalt. „Ich werde es nicht dulden.“

Susans Kopf flog stolz in den Nacken. In ihren Augen glitzerte es. Plötzlich hatte sie einen Dolch in der Hand und setzte die Spitze an die Brust. Genau da, wo das Herz lag.

***

„Wenn Du mich nicht gehen lässt, bringe ich mich um!“

Sherman wurde blass.

„Aber Susan, was soll dieser Unfug. Lass bitte diese Späße. Ich finde so etwas nicht komisch oder gar amüsant.“

Unwillkürlich machte er einen Schritt nach vorne. Die Junge Frau tat dasselbe. Alles passierte so schnell, dass Sherman nicht mehr ausweichen konnte.

Die beiden prallten zusammen, der Dolch fuhr in Susans Brust.

Sherman sah die Augen der Frau vor sich. Groß und unnatürlich dunkel funkelten die Pupillen. Ein unterdrückter Schrei kam über ihre roten Lippen. Sherman begriff nicht. Erst als Susan in die Knie sank und stürzte, wusste er, was geschehen war.

Er hatte Susan umgebracht, ja, er war schuld daran, dass seine Frau den Dolch im Körper hatte.

Der Millionär sah den langgestreckten Körper, das wächserne Gesicht und das Blut, das aus der Wunde sickerte.

Das war zuviel für ihn. Voller Angst rannte er los. Er brüllte nach dem Butler, doch es war niemand da. Heute hatten die Dienstboten frei. Sherman hatte mit Susan allein sein wollen, um einiges zu klären.

Außer Atem rannte er zu Telefon. Zuerst informierte er seinen Hausarzt.

***

Dr. Kingston schaltete rasch und befahl seinem Patienten, nichts weiter zu unternehmen. Auf keinen Fall die Polizei rufen. Das würde einen riesigen Skandal geben.

Kingston war eine Viertelstunde später da und fand einen völlig aufgelösten Norman Sherman im Living-Room vor. Er war weggetreten und nicht mehr er selbst.

Auf Fragen antwortete er nur eintönig und abwesend. Immer wieder murmelte er: „Ich habe sie getötet, ich bin ihr Mörder!“

Der Arzt gab ihm eine Spritze und versucht, mehr zu erfahren. Sherman erklärte, was und wo es passiert war. Der Millionär sagte es, obwohl es lange dauerte.

Kingston machte sich auf den Weg in den Garten. Bei den Rosenhainen also hatte Sherman seine Frau ermordet, erdolcht. Warum,hatte er noch nicht erfahren können. Kingston empfand kein Mitleid für die junge Frau. Sie war ein Luder gewesen und nur hinter Geld und Macht her. Sie hatte Sherman nur deshalb geheiratet, doch Norman schien es nie gestört zu haben.

Er kam zu den Rosenstöcken, doch einen Leichnam fand er nicht. Über eine halbe Stunde suchte er alles ab, doch vergeblich.

Sollte Norman langsam verkalken? Nein, das konnte nicht sein. Er war lediglich etwas überarbeitet und litt an diesen Depressionen.

Kingston ging zum Haus zurück. Er fand den Millionär neben dem Terassenfenster. Er starrte nach draußen.

„ Hast du sie gefunden?“

Kingston sah keinen Grund, es zu verschweigen.

„Nein Norman“, sagte er, „ da draußen gibt es keine Tote. Nicht mal die winzigste Spur.“

Er hatte damit gerechnet, dass Sherman zusammenzuckte, doch der Mann drehte nur den Kopf, schaute ihn an und meinte: „Ich habe vielleicht geträumt. Schaue selbst einmal nach.“

Mit leeren Blick machte er sich auf den Weg. Kingston blieb zurück. Es hatte in dieser Situation keinen Zweck, mit Sherman zu reden. Er musste sich erst beruhigen.

„Paranoia“, dachte der Doktor erschrocken. „ Das sind die ersten Anzeichen. Er muss dringend in eine Klinik.“

Geduldig wartete er. Eine halbe Stunde verging. Der Millionär ließ sich nicht blicken. Langsam wurde Kingston unruhig. Er machte sich auf, um seinen langjährigen Freund und Patienten zu suchen. Weit konnte er nicht sein

Der Schock fuhr in seine Glieder, als er den Rosenhain erreichte. Am Ende des Wandelgangs stand eine alte Eiche. Zuerst sah er die Beine, die im leichten Abendwind baumelten.

Norman Sherman hatte sich selbst gerichtet.

Dr. Kingston spürte die Gänsehaut, die bis in die Haarspitzen reichte. Ihm wurde warm und kalt.

Wie von Furien gehetzt jagte er zur Villa zurück. Die Polizei musste her.

Gerade wollte er den Hörer abnehmen und Scotland Yard verständigen, als die Haustür aufging.

„Was ist denn hier los?“ Susan ließ die vielen Einkaufpakete zu Boden gleiten.

Kingston hatte das Gefühl, man würde ihm mit einem Kübel Eiswasser überschütten.

„Wo kommen sie denn her?“ Fragte er entsetzt und neugierig zugleich.

Aus London“, gab die Blondine bereitwillig Antwort. „Norman hat mich doch losgeschickt, damit ich mich für St. Moritz neu einkleide. Wo ist er überhaupt?“

***

Ein Jahr später. Es war der 16. November, Norman Shermans Todestag. Sein erster.

Wieder spazierten zwei Menschen durch den weiten Park der Villa, diesmal allerdings war der Mann ein anderer. Nur die Frau war die selbe geblieben.

Susan Sherman, die Witwe von Norman Sherman, der sich in einem Anfall von Wahnsinn oder tiefster Depressionen zu Freitod entschieden hatte. So stand es in den Polizeiakten. Anzeichen für ein Verbrechen gab es nicht.

Susan blickte sich um. Sie kamen zum Rosenhain. Die Blumen waren längst verblüht. Niemand außer Peter Margallo, ihr Geliebter und ständiger Begleiter war in der Nähe.

„Hier hat es damals stattgefunden“, erklärte sie. „Es hat überhaupt keine Schwierigkeiten gegeben. Der Trick mit dem präparierten Dolch und dem Farbstoffbeutel hat gut geklappt.“

Der Mann räusperte sich und grinste breit. „Ja, wenn man in einem Filmstudio arbeitet, lernt man manchen Trick, mein Liebling. Er hat dich um 20.000.000 reicher gemacht. Dazu die Villa, die Yacht und all das andere. Wie fühlt man sich eigentlich als Universalerbin?“

Susan blickte ihren Liebhaber misstrauisch an. Irgendetwas in seiner Stimme gefiel ihr nicht.

„Bist du nicht zufrieden?“ fragte sie. „Du hast doch alles. Autos, schicke Sachen und so weiter.“

„Solange bist du meiner überdrüssig bist und mich wie einen Hund auf die Straße jagst...

“Genauso wird es kommen!“

Margallo fuhr herum. Nicht Susan hatte diese Worte ausgesprochen. Niemand war in der Nähe.

„Wer war das?“ fragte er entsetzte. „Ich habe die Stimme genau gehört. Ist das eines deiner Spielchen?“

Er wollte Susan packen, doch da sah er ihr bleiches Gesicht. Sie öffnete die Lippen, doch kein Wort kam aus ihrem Mund. Hastig zeigte sie über seinen Rücken zu der alten Eiche.

Margallo zuckte zusammen.

Zwei Henkerschlingen baumelten im Wind. Darüber, im Wirrwarr der Äste und Blätter, die noch am Baum hingen, sahen sie ein Gesicht.

Alt, grau und voller Hass!

Es gehörte Norman Sherman!

„Nein, nein...“ keuchte Susan, außer sich vor Angst. Sie wollte weglaufen, doch sie konnte nicht. Eine fremde Macht hielt sie fest.

„Das ist der Lohn für euren Komplott und Verrat“, donnerte die Stimme des Geistes. „Wenn nicht die Menschen euch richten, dann tu ich es.“

Die Henkerschlingen schwangen näher. Blitzschnell legten sie sich um die Hälse der beiden Menschen. Sie wollten sich wehren, doch die Kraft des Geistes war stärker.

***

Am nächsten Morgen fand der Gärtner des Anwesens Susan Sherman und ihren Lebensgefährten an der alten Eiche. Sie hatten sich erhängt.

Der Polizei war dies unbegreiflich. Fremdverschulden fiel aus. Es gab auch kein Motiv. Susan Sherman war die reichste Frau ihres Landes, abgesehen von den Windsors. Ebenso wenig war sie seelisch labil oder in irgendeinem Konflikt gewesen. Und warum hatte sich Pete Margallo aufgehangen?

Alles sah nach einer Liebestragödie aus, daran glauben mochte keiner, die Wahrheit blieb verborgen. Die Mächte des Bösen gaben ihr Wissen nicht frei.

Kommentare  

#1 Zakum 2015-08-27 19:40
Diesen Beitrag kann man wohl als ein Lebenszeichen von Klaus-Dieter Schmidt werten, oder?
#2 Harantor 2015-08-27 19:44
zitiere Zakum:
Diesen Beitrag kann man wohl als ein Lebenszeichen von Klaus-Dieter Schmidt werten, oder?


Nein Leider nicht. Denn wie in der Einleitung aus dem Interview zu entnehmen stammt die Geschichte aus den Achtzigern www.zauberspiegel-online.de/index.php/durchblick-hintergrnde-mainmenu-15/fanwelten-mainmenu-181/26791-fanzine-classics-klaus-dieter-schmidt-aka-gordon-scott-das-interview

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