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Von der Freiheit des Moist von Lipwig - VI - Der Rahmen der Freiheit

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneVon der Freiheit des Moist von Lipwig
VI - Der Rahmen der Freiheit

Zu Beginn des Romans ist Moist, der eigentliche Protagonist, auf keinen Fall frei. Wer im Gefängnis sitzt, der ist eben dies: Unfrei. Wobei eigentlich nicht Moist in der Zelle sitzt sondern sein Alter Ego Albert Spengler. Was momentan nicht weiter von Belang sein mag.

Für Moist jedenfalls, der allerdings seine Zeit eifrig damit verbracht hat zu graben:

„And he took a more positive approach to the situation and had concentrated his mind (…) on the prospect of removing all of the crumbling mortar from around a stone in his cell wall with a spoon.“

Als Leser erwartet man dann, da man eventuell den Graf von Monte Christo gelesen oder ähnliche Stoffe im Kino gesehen hat, dass Moist ausbricht und seine weiteren Abenteuer dann frei und ungebunden erlebt. Pratchett dreht das Motiv allerdings um, denn als Moist fertig mit dem Graben ist, findet er nur einen weiteren Stein - mit sehr frischem Zement versehen - und einen neuen Löffel vor. Dies sei, erklären die Wärter, so von Lord Ventinari vorgesehen, mag Moist das auch in seiner Lage als grausam empfinden. Denn es ist nicht die eigentliche Freiheit sondern nur „the prospect“. Die Aussicht also. Und zudem auch die Aussicht auf den größten Schatz, den es gibt: Die Hoffnung.

Das Thema der Aussicht auf Freiheit taucht später noch einmal kurz auf. Auch hier könnte der Leser vermuten, dass Moist vor dem Galgen gerettet wird. Denn: „I bring a message from Lord Vetinari,’ the man shouted.“ Dieser entstieg gerade einer Kutsche, die Lord Vetinaris Siegel enthält. Des Königs reitender Bote kommt also. Aber seine Nachricht ist überraschend: „He says to get on with it (…)“ Keine Begnadigung auf letzter Minute, kein Drei-Groschen-Oper-Happy-End. Moist erhält also seine gerechte Strafe, die Schlinge legt sich um seinen Hals, es gibt kein Entkommen, keine Freiheit.

Und noch einmal die Aussicht auf die Freiheit als Thema - nur wenige Seiten später erwacht Moist aus einem Nichtbewußten-Zustand im Büro von Lord Vetinari. Der ihm eine Wahlmöglichkeit bietet: Entweder nimmt Moist einen Job für die Regierung an oder er kann durch eine Tür davongehen und niemand würde ihn weiter belästigen. Moist findet die letzte Möglichkeit sehr verdächtig. Tatsächlich ist sie eine Falle: Hinter der Tür lauert ein tiefer Abgrund. Sarkastisch kommentiert Moist: „The prospect of freedom?“ Antwort Vetinaris: „Exactly, there is always a choice.“ Was Vetinari erstaunlicherweise näher an die Philosophie Gilts bringt als man denkt, allerdings folgt dann der schon weiter oben abgehandelte Monolog Vetinaris über Freiheit, was für ihn Freiheit heißt und worin auch die Einschränkungen von Freiheit zu sehen sind.

Und als wäre das noch nicht genug: Die Einschränkung von Moists Freiheit wird erneut etwas drastischer durch Mr. Pump visualisiert. Moist glaubt sich zwar nach dem Gespräch mit Vetinari frei - beziehungsweise glaubt er, dass Vetinari nicht die Mittel hat ihn zu verfolgen. Allerdings ist dies ein Irrtum, denn natürlich hat Lord Vetinari daran gedacht Moist einen „Parole Officer“ beiseite zu stellen. Einen Golem. Was - würde man den Kosten-Nutzen-Effekt berücksichtigen - durchaus eine weise Entscheidung ist. Ein Golem ist unaufhaltbar, braucht keinen Schlaf, muss nicht essen und verfolgt stur sein Ziel.

Was Pratchett dann nochmal ganz im Vorbeigehen anspricht: Zwar haben die Golems der Scheibenwelt die Aasimovschen Robotergesetze übernommen - insofern haben sie einen gewissen Rahmen und können in diesem frei wirken. Mr. Pump kann Moist auf unterschiedliche Arten und Weisen wieder zurück nach Ankh-Morpok bringen - eine kleine Art der Freiheit, das Handeln nach eigenem Ermessen innerhalb eines Spielraums also. Zudem haben die Golems eine Erweiterungsklausel im ersten Gesetz eingebaut: Sie dürfen keinen Menschen verletzen - außer eine anerkannte Autorität wie etwa Lord Vetinari oder jemand mit dieser Machtbefugnis wie die Wache ordnet es an. Man fragt sich, ob die Roboter in einem Paralleluniversum nicht ebenfalls so etwas eingebaut haben und Aasimov das nur nie erwähnte. Ebenfalls nützlich wäre für Roboter vielleicht die „Karmic Signature“ des Golems, der damit stets weiß wo sich Moist aufhält.

Der Rahmen der Freiheit

Während der nächsten Kapitel allerdings tritt das Thema der Freiheit etwas in den Hintergrund. Der Plot wird entwickelt, die Rivalität zwischen Moist und Gilt, es gilt das Geheimnis des Post-Office zu lüften, einen Zauberer der Unsichtbaren Universität zu befragen - im Grunde herrscht jetzt auf den nächsten Seiten des Romans der Alltag. Wenn nicht gelegentlich Mr. Pump ominös da stehen würde, flackernde rote Augen inklusive oder wenn nicht Lord Vetinari Moist zu sich zitieren würde - man würde als Leser nicht unbedingt daran erinnert, dass Moist selbst kein freier Mann ist.

Was wir als Leser allerdings gar nicht so bemerken und erst später explizit zur Sprache kommt: Moist erhält nachdem er den Job des Post-Masters angenommen hat ebenfalls eine Art von Freiheits-Rahmen. Gänzlich frei ist er nicht, er kann aber innerhalb dessen was das Amt erfordert nach freien Stücken handeln. Anders ausgedrückt: Lord Vetinaris Leine lässt Moist einen großen Spielraum. Wie weit dieser Spielraum reicht? Immerhin so weit, dass Mr. Pump Moist nicht folgt als dieser Post nach Sto Lat liefert. Durchaus logisch, Moist ist im Auftrag seines Amtes unterwegs und Mr. Pump wird auch wohl gehört haben, dass die Postlieferung nach Sto Lat notwendig ist, da das Clacks-System mal wieder versagt hat. Offenkundig aber ist das nicht unbedingt und die Frage ist auch, ob diese Regel sich tatsächlich ausweiten lässt. Zum Ende des Romans hin ist Moist ebenfalls im Sinne der Post unterwegs, wenn hier auch nur bis kurz vor die Tore der Stadt. Wie weit sich dieser Freiheitsrahmen also spannt, das wissen wir als Leser nicht und Moist bemerkt diese Flexibilität auch erst später.

Als Moist die Postkutschen wieder für das Post-Office gewinnen möchte spiegelt sich hier kurz das wieder, was Lord Vetinari als Eingrenzung der Freiheit definiert hat. Moist greift in die bisherige Freiheit der Upwrights ein, eine Freiheit der Umstände sozusagen. Nachdem das Post-Office nicht mehr funktionstüchtig war haben sich die Postkutschen emanzipiert und zu einem eigenen Unternehmen entwickelt. Die Gebrüder Upwright sind nun nicht unbedingt erbaut davon, dass Moist die Kutschen wieder für den Post-Transport einspannen möchte. Moist nimmt daher Zuflucht zu einem Was-Wäre-Wenn-Szenario und es gelingt ihm dann mit Panache und Stil die Beiden auf seine Seite zu ziehen. Dabei erfährt der Leser, dass es schon einmal zuvor ein Angebot zum Kauf der Kutschen gegeben hat. Der Plot wird also dichter und dichter.

In der nächsten Ausgabe verfolgen wir weiter den Weg des Moist von Lipwig und werden im übernächsten Kapitel ein Schlussfazit ziehen.

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