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Gestern, heute, morgen: Wie »How to get away with murder« funktioniert

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneGestern, heute, morgen
Wie »How to get away with murder« funktioniert

Wie schafft man eigentlich den gelungenen Spagat zwischen einer Handlung, die in der aktuellen Gegenwart - oder besser Seriengegenwart - spielt und den Voraus- bzw. Rückblicken in der Serie selbst?

Das ist durchaus ein Problem, denn wenn zu oft zwischen den Ebenen hin- und hergesprungen wird, wird der Zuschauer verwirrt irgendwann abschalten.

Was bei LOST etwa durchaus passieren kann, die Serie ist ja nicht nur mit Rückblicken gesegnet sondern benutzt auch noch Zukunftsausblicke. Genau diese nutzt "How to get away with murder" auch. Und da die Serie mittlerweile in die 4. Staffel geht, scheinen die Macher hier etwas richtig gemacht zu haben. Nur - was genau?

"How to get away with murder" könnte man in die Schublade der Anwaltsserien einordnen, vor allem weil es generell auch immer einen "Fall der Woche" gibt, den die Anwältin Annalise Keating zu lösen hat. Gemeinsam mit ihrem Team, das aus fünf Studenten besteht der Middleton University besteht plus ihrer Sekretärin und ihrem Handlanger Frank. Daneben aber gibt es noch ein größeres Rätsel: Wer ermordete die Studentin Lila Stangard? Die Ereignisse um ihren Tod werden in Rückblicken erzählt, was nun nichts Ungewöhnliches ist. Die Gegenwartshandlung - die die Auswirkung der Nacht erzählt, in der Lila umgebracht wurde - und die Vergangenheitsebene steuern in der ersten Staffel konsequent aufeinander zu, allerdings lassen die Rückblicke durchaus immer einen gewissen Spielraum. Was die Serie für Cliffhanger nutzt, um den Zuschauer erstmal generell bei der Stange zu halten. Und um die Rückblicke als solche zu kennzeichnen nutzt die Serie vier Mittel: Setdesign, eingeblendete Zeit- und Ortsangaben, Rückspul-Techniken, Zwischenschnitte.

"How to get away with murder" nutzt Zwischenschnitte, Einsprengsel von schon bekannten und gesehenen Szenen, um den Zuschauer an bestimmte Situationen und Dialoge zu erinnern. Dabei wahrt die Serie die Balance zwischen Zuviel und Zuwenig. Zuviele Wiederholungen würden den Zuschauer langweilen, da er die Szenen ja schon gesehen hat, zuwenige Wiederholungen wiederum würden ihn mystifiziert zurücklassen. Durch diesen Rückbezug auf sich selbst ist die Serie in der Lage einen sehr dichten Erzählkosmos zu schaffen - was nun nichts Neues ist. Die Zwischenschnitte in "How to get away with murder" haben aber nicht nur den Zweck, den Fan der Serie an Vergangenes zu erinnern. Sie holen auch den Zuschauer ab, der vielleicht beim Umschalten in eine Folge geraten ist und den übergeordneten Handlungsbogen nicht kennt. Zudem: Falls der Zuschauer eine Folge verpasst haben sollte, ordnen die Zwischenschnitte die aktuelle Handlung für ihn ein und sorgen dafür, dass er bei der Stange bleibt. "How to get away with murder" nutzt dabei das Standardmittel der Soap-Operas - nur, dass Soap-Operas in der Regel ihre vergangenen Ereignisse für den Zuschauer in Dialogen mitteilen statt in Rückblenden. Wobei Schnitt und Gegenschnitt auch durchaus genutzt werden um zeitlich parallel ablaufende Ereignisse darzustellen oder um Kontraste deutlich zu machen. So etwa wenn die Plädoyers zu Beginn einer Gerichtsverhandlung gezeigt werden und so geschnitten wird, dass es zu einer Collage kommt: Der begonnen Satz der Staatsanwältin wird durch die Verteidigerin beendet. Etwas, was häufiger in der Serie vorkommt. Auch das ein Mittel, um dem Zuschauer deutlich zu machen, wo er sich gerade befindet. 

Eingeblendete Zeit- und Ortsangaben nutzt die Serie ebenfalls, aber nicht so oft wie man denken könnte. So fällt auf, dass in Staffel 2 die Zeitangabe "10 Jahre zuvor" zwar eingeführt wird, um das Geschehen um Annalise und den Selbstmord eines Nebencharakters zu erklären - das passiert aber nicht bei jedem Wechsel der Erzählebene. Häufiger ist das Einblenden einer Zeitangabe zu sehen, wenn auf ein wichtiges Ereignis - in der Staffel 1 der Mord an Lila, in Staffel 2 die Ereignisse in dem Haus der Hapstalls - hingewiesen wird. Oder mit anderen Worten: Der Countdown wird als Mittel zum Spannungsaufbau genutzt. Dabei sind die wichtigen Ereignisse übrigens in der Mitte der Staffel platziert und das ist natürlich kein Zufall. So kann man am Anfang der Staffel mit den Rück- oder Vorwärtsblenden den Zuschauer in Spannung halten - denn man möchte natürlich wissen, warum eigentlich das passiert, was passiert ist oder passieren wird. Ebenfalls wird, wie ich schon vorher anmerkte, das eigentliche Rätsel nicht komplett gelöst, so dass bis zum Ende der Staffel die Spannung erhalten bleibt. Zeit- und Ortsangaben sind jeweils zu Beginn einer Handlungsebene zu sehen, um das Setdesign zu etablieren. Danach werden sie nur dann genutzt, um den Zuschauer daran zu erinnern, wo er sich gerade in der Gegenwartshandlung befindet oder wie lange es noch bis zum auslösenden Ereignis dauert.

Nachdem Zeit-und Ortsangaben eingeblendet werden, weiß der Zuschauer durch das Setdesign, dass er sich in einer anderen Zeitebene befindet. "How to get away with murder" macht das sehr geschickt: In der ersten Staffel spielt die Vergangenheitsebene in der Nacht, wenn also das Licht nach einer Szene wechselt wird dem Zuschauer klar, dass er gerade einen Zeitsprung erlebt hat. Staffel 2 macht dies ähnlich: Durch die wechselnden Lichtverhältnisse wird deutlich, dass man die Ebene gewechselt hat. So ist das Licht in der Ebene der zweiten Staffel, die 10 Jahre vorher spielt deutlich heller. Zudem schafft die Serie sehr weiche Übergänge zwischen den Ebenen - so fährt die Kamera bei Rückblicken meistens am Schauspieler vorbei und blendet dann mit einem Element über, das in beiden Zeitebenen vorhanden ist. Das kann durchaus die Stellung der Schauspieler in einer Szene sein, etwa bei Recherchearbeiten, wo die Kartons und die Studenten fast gleich in beiden Zeitebenen positioniert sind. Der klassische Fall, dass der Charakter durch eine Tür geht und man dann die Zeitebene durch Ab- und Aufblende wechselt ist ebenfalls vorhanden. Wichtig ist aber: Der Wechsel geschieht nicht durch abrupte Jump-Cuts, sondern durch sehr organisch wirkende Übergänge. So weit wie "13 Reasons Why" - "Tote Mädchen lügen nicht" - geht "How to get away with murder" allerdings nicht. Bis auf die Folge, in der Annalise wegen ihrer Medikamente halluziniert und somit Gegenwart und Vergangenheit verschmelzen. Wobei dem Zuschauer aber auch durch den Charakter der Sekretärin Bonnie immer klar an die Hand gegeben wird, was in dieser Folge echt und was eingebildet ist. Generell lernen wir als Zuschauer aber schnell, dass eine gewisse Kameraeinstellung für einen anstehenden Rückblick steht, ebenso wie wir schnell in der Serie uns daran gewöhnen, dass ein gewisses Setdesign - Licht, Ton, Atmosphäre - für eine gewisse Zeitebene steht. Wir wissen als Zuschauer also immer genau, wo wir sind.

Die Rückspul-Technik hat eigentlich "ReGenesis" vervollkommnet. Nicht nur, dass in kanadischen Serie die komplette erste Staffel als Rückblick erzählt wird - nichts Neues - sondern auch, dass in gewissen Situationen der Zuschauer tatsächlich den Eindruck hat, dass jemand mit einer Fernbedienung gerade die DVD zurückspult. In "ReGenesis" setzt dann die Handlung dort an, wo wir als Zuschauer zuvor schon waren - aber wir bekommen dann die Ereignisse gezeigt, die parallel zu den bisherigen gelaufen sind. Genau diesen Effekt nutzt auch "How to get away with murder", weil sie sehr viel mit Dialogen und weniger mit Action arbeitet. Was auch "ReGenesis" macht. Bei Actionszenen hat der Splitscreen wie in "24" etwa durchaus eine Berechtigung. Zeitgleich stattfindende Explosionen können wir erfassen, würden aber mehrere Personen in einem Splitscreen zeitgleich miteinander reden, würden wir nur wenig vom Dialog selbst mitbekommen. Das Gehirn kann sich immer nur auf einen Kanal konzentrieren. Durch das Mittel des Zurückspulens aber, dass dann auch noch visuell deutlich sichtbar gemacht wird, bekommen wir Zuschauer erneut ein Mittel zur Orientierung an die Hand. Zugleich haben wir einen Wissensvorsprung: Wir wissen, was zeitgleich passiert ist und bekommen durch das Zurückspulen einen tieferen Einblick in Ereignisse, die später wichtig werden oder die vorangegangene Entwicklungen beenden.

"How to get away with murder" lässt den Zuschauer also nie im Regen stehen. Er weiß immer genau, woran er ist und wo er sich gerade befindet. Er bekommt mit den filmischen Mitteln stets einen Hinweis, was gerade in welcher Ebene der Handlung passiert. Sicherlich ein Grund, warum "How to get away with murder" sich momentan in der vierten Staffel befindet. Der andere Grund, der auch schon gefallen ist: Die Soap-Opera lässt grüßen. Einerseits, weil die Charaktere zwar ihre starken und schwachen Seiten haben und gerade Annalise zeigt, wie komplex ihr Charakter ist. Andererseits entwicklen sich diese Charaktere kaum. Annalise bleibt in jeder Folge Annalise, die Studenten bleiben ihrem Charakterprofil der ersten Folge treu. Dann ist die Serie sehr dialoglastig. Was in einer Anwaltsserie durchaus normal ist, da viele Szenen vor Gericht oder auf Polizeiwachen spielen. Allerdings drehen sich die meisten Dialoge nicht darum, wie man den Fall an sich löst - oder kaum - sondern im Vordergrund stehen eindeutig eher die Beziehungen der Charaktere untereinander. Die Kriminalhandlung tritt bisweilen ganz in den Hintergrund.

Ebenfalls gibt es immer überraschende Entwicklungen, die glücklicherweise nicht im obligatorischen Zwillingsbruder enden. Zwar sollen diese Enthüllungen aus der Vergangenheit die Charaktere etwas mehr vervollständigen, ihre Beweggründe erläutern, aber im Grunde genommen dienen diese Enthüllungen und Geheimnisse nur dazu den Plot voranzutreiben. Und dann sind da noch die zahlreichen Sex-Szenen zwischen Mann und Frau, Frau und Frau, Mann und Mann. Wobei die Serie glücklicherweise kein großes Tamtam darum macht oder die Charaktere als "besonders schwul/lesbisch/bisexuell" auszeichnet, sondern diese Beziehungen durchaus als normal darstellt. Allerdings ist das auch nur Mittel, um die Handlung voranzubringen.

Warum "How to get away with murder" dennoch keine schlechte Serie ist? Weil sie es trotz der Soap-Klischees und der stellenweise sehr unglaubwürdigen Handlung versteht menschliche Charaktere darzustellen, die ihre Ecken und Kanten haben. Teilweise sind diese auch etwas überzeichnet, ja, aber trotz all des Drecks, den sie am Stecken haben: Sie haben unsere Sympathie, weil auch wir Skelette im Keller liegen haben, die wir mit allen Mitteln vor den Anderen verbergen. Zudem: Mag der Handlungsbogen an sich auch unrealistisch sein, die Serie verstehe es geschickt den Spannungsbogen durchzuhalten. Ständig sind die Charaktere in Gefahr, dass ihr Geheimnis offenbart wird, ständig allerdings schaffen sie es, sich aus bedrohlichen Situationen zu entziehen. Gerade das schafft - wie in einem guten Heist-Movie - das Vergnügen für den Zuschauer.

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