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»Aber so war das doch gar nicht!« - Erinnerungen fälschen in der SF

1»Aber so war das doch gar nicht!«
Erinnerungen fälschen in der SF

Unsere Erinnerungen sind nicht so verläßlich, wie wir gerne denken – darüber könnten viele Polizeibeamte und Richter Geschichten erzählen.

Oft reicht bereits eine ungeschickt gestellte Frage aus, um einem Zeugen zu einer Aussage zu bewegen, die mit den tatsächlichen Ereignissen in Details nicht übereinstimmt.

Erinnerung fälschen in der SFDr. Julia Shaw hat es sogar fertiggebracht, dass siebzig Prozent ihrer Probanden sich in einer Versuchsreihe schließlich an Straftaten zu erinnern glaubten, die sie gar nicht begangen hatten. Sehr wichtig waren dabei genug Information über ihre Jugend, mit deren Hilfe überzeugende Szenarien erstellt werden konnten.

Nach aktuellen Stand der Wissenschaft sind unsere Erinnerungen genau dann anfällig für Manipulationen, wenn wir sie abrufen. Das Langzeitgedächtnis speichert die enthaltenen Informationen in Form von Ribonukleinsäuremolekülen, und das nicht zwangsläufig nur im Gehirn! Denn wenn man Plattwürmern ein bestimmtes Handeln antrainiert und sie dann halbiert in eine vordere Hälfte mit und eine hintere ohne Kopf, dann kann die kopflose Hälfte nicht bloß einen neuen Kopf wachsen lassen, sondern verfügt auch über dieses erlernte Verhalten.

Larry Niven setzte 1976 in „A world out of time“ (1983 auf Deutsch erschienen unter dem Titel „Wie die Zeit vergeht“) auf ein ähnliches Verfahren. Der Protagonist James B. Corbell, der sich im 20. Jahrhundert mit einer für die Medizin seiner Zeit unheilbaren Krankheit kryogenisch konservieren ließ, erwacht zweihundert Jahre später in einem fremden Körper und wird von seinem „Betreuer“ aufgeklärt, dass man seine Erinnerungen aus dem gefrorenen Körper destilliert und auf einen zur Bewusstseinslöschung verurteilten Kriminellen übertragen hat. Corbells Körper ist dabei zerstört worden. Sollte sich erweisen, dass Corbell für die neue Gesellschaft kein Gewinn ist und nicht irgendwie nützlich eingesetzt werden kann, dann wird man man auch sein Bewusstsein löschen, und er wird für immer tot sein.

Die Space Marines des „Warhammer 40.000“-Tabletop-Spiels sind mit einer Anzahl künstlich gezüchteter und implantierter biologischer Zusatzorgane aufgerüstet. Eines davon, das Omophagea-Organ, ist sowohl mit dem Magen als auch mit dem Gehirn verbunden und sorgt dafür, dass ein Marine dazulernen kann, indem er (rohes) Hirn speist; das funktioniert ziemlich genau so wie es die untote Pathologin Olivia Moore in der Fernsehserie „iZombie“ vorführt.

In „Dark City“ manipuliert der Arzt Dr. Daniel Schreber im Auftrag der „Fremden“ ausgewählte Bewohner der „Stadt“, indem er ihnen einen Cocktail aus neuen Erinnerungen direkt ins Gehirn injiziert.

In den meisten SF-Romanen geht es bei der Manipulation von Erinnerungen ohne Körperflüssigkeiten ab. Philipp K. Dicks Kurzgeschichte „We can remember it for you wholesale“ - auf Deutsch „Erinnerungen en gros“ - beschreibt ein Unternehmen, das Erinnerungen an einen traumhaften Urlaub oder ein ganz großes Abenteuer verkauft – komplett mit dazu passenden Andenken und ohne dass der Kunde auch nur das Gebäude verlassen müsste. Die Erinnerungen an die aufregendsten und schönsten Momente aus zwei, drei oder vier Wochen, implantiert in einer Sitzung von wenigen Stunden. Denn Hand aufs Herz: wer erinnert sich mit der gleichen Intensität an den herrlichen Sonnenuntergang vom Balkon des Vier-Sterne-Hotels wie an die fünf Minuten in der Warteschlange an der Geschirrrückgabe der Firmenkantine?

Erinnerung fälschen in der SFEs konnte ja auch niemand ahnen, dass Douglas Quaids langweilige Erinnerungen bereits ein Gedächtnisimplantat waren, um ein Geheimnis von weltbedrohendem Ausmaß zu verdrängen.

Noch schlimmer dran ist der Journalist Neil Banning, der in Edmond Hamiltons Roman „The Sun Smasher“ in die Stadt zurückkehrt, in der er als kleiner Junge nach dem Tod seiner Eltern bei seinen Großeltern aufgewachsen ist. Nur ist er dort nicht aufgewachsen – im Haus seiner Großeltern wohnen ganz andere Leute, und das auch schon ziemlich lange. Niemand in der ganzen Stadt erinnert sich an seine Großeltern oder an ihn. Als Neil Banning dann eine Verschwörung wittert, nimmt der Sheriff ihn fest, und im Gefängnis besucht ihn ein Mann mit einer ganz außergewöhnlichen Geschichte: Neil Banning heißt in Wirklichkeit Kyle Valkan und ist der Erbe einer Dynastie von Herrschern über die Galaxis, die ihre Machtstellung aus dem Besitz einer verheerenden Waffe errangen. Der Widerstand hat ihn gefangen genommen, seine Persönlichkeit überschrieben und ihn hier auf diesem rückständigen Planeten Erde ausgesetzt, und die treuen Anhänger der Valkans werden ihn jetzt befreien, damit er sich die Macht zurückholt.

Allerdings sind die Jahre als Erdling nicht spurlos an ihm vorübergegangen: Neil Banning ist entsetzt von dem Mann, der er offenbar einmal war, und der neue, reformierte Neil Kyle Valkan-Banning tut etwas, was seinem früheren Ich nie in den Sinn gekommen wäre …

In „Blade Runner“ hat der Konzern, der die künstliche Menschen (Replikanten) produziert, die Entdeckung gemacht, dass untergeschobene Erinnerungen an eine vermeintliche Kindheit die Psychen ihrer Produkte stabilisieren, so dass sie sich selbst als Menschen verstehen. Als Nebenwirkung wird ihre Psyche der eines Menschen so ähnlich, dass sie mit dem verbreiteten Voight-Kampff-Test nur noch sehr schwer entdeckt werden können. Tyrells Replikanten-Sekretärin Rachel fällt aus allen Wolken, als der Polizist Rick Deckard ihr Erinnerungen beschreibt, die sie für ihre eigenen hielt und nie mit jemandem geteilt hatte. Deckard benötigte über hundert Testfragen, um sie als Replikantin zu erkennen, wo bei „normalen“ Replikanten der Status schon nach zwanzig bis dreißig Fragen deutlich zu erkennen sein sollte.

Zivilisationen mit entsprechend weit fortgeschrittener Neurobiochemie könnten in der Lage sein, maßgeschneiderte Erinnerungen in RNS zu kodieren und zu implantieren. Die Ara-Attentäterin mit dem Namen Einundsiebzig trug im Taschenbuchzyklus „Ara-Toxin“ Informationen über die verschiedenen Phasen ihrer Mission in Phiolen bei sich. Wer diese Wissenschaft nicht zur Verfügung hat, der muss die künstlichen Erinnerungen auf dem Umweg über die Sinne ins Gehirn einbringen – wobei Augen und Ohren wahrscheinlich größere Anteile übernehmen müssen als Geruchs-, Geschmacks- und Tastsinn.

Im Banne des HypnoBei Perry Rhodan wird quasi von Anfang an mit Gedächtnismanipulationen gearbeitet. Ob Psychostrahler oder Hypno-Mutanten: wenn die Interessen der Dritten Macht es geboten erscheinen lassen, dann lässt man Menschen vergessen, was sie getan haben. Ein von Crest eingerichteter hypnotischer Block soll verhindern, dass Captain Flipper sich an die Arkoniden auf dem Mond erinnert und über sie spricht; als der australische Geheimdienst diesen Block schließlich aufzubrechen beginnt, stirbt Flipper an einer Hirnblutung.

Perry Rhodans Sohn mit Thora da Zoltral, Thomas Cardif, bekommt nach seinem Verrat an Terra über Hypnose eine komplett neue Persönlichkeit verpasst. In seiner neuen Identität als Edmond Hugher kann er sich nur schwach an seine Jugend erinnern, erklärt sich das jedoch mit den Folgen einer schweren Krankheit. Der hypnotische Block wird schließlich von einer Gruppe Báalols gesprengt, und Cardif erhält all seine Erinnerungen zurück – zusammen mit dem Hass auf seinen Vater, der ihn geformt hat.

Im Jahr 2401 schickt Allan D. Mercant fünf an der unheilbaren Zentrumspest erkrankte Raumfahrer der Explorerflotte als vorgebliche Überläufer zu den feindlichen Maahks. Zur Vorbereitung auf die Mission wird bei ihnen jede Erinnerung an ihre Krankheit unterdrückt, bevor sie mentalstabilisiert werden; die Mission schlägt fehl, und Duplos der Überläufer werden in die Milchstraße zurückgeschickt, die allerdings nicht an der Zentrumspest leiden und dadurch einen Anfangsverdacht erwecken.

Neue Erinnerungen und darauf aufbauend eine neue Persönlichkeit als Summe dieser Erinnerungen werden bei Terranern und anderen Milchstraßenvölkern offenbar überwiegend auf dem gleichen Weg eingerichtet wie Hypnoschulungen in Sprachen, technischen Zusammenhängen oder Hintergrundwissen für Geheimdienstmissionen.

Bei den Gedächtnismanipulationen der Thoogondu spielen dagegen speziell behandelte Hyperkristalle mit der Bezeichnung Hooris eine große Rolle. Mit Hilfe dieser Kristalle können Erinnerungen überschrieben werden, und das ziemlich schnell. Im Zusammenhang mit den Kristallen ist auch immer wieder die Rede von kleinen Kassetten aus Holz, mit deren Innenleben sich aus noch nicht geklärten Gründen niemand außer den Besitzern beschäftigen möchte. Dabei ist noch zu klären, ob die Mentalstabilisierung führender Galaktiker vor der „Re-Engrammierung“ genannten Gedächtnisfälschungstechnik der Thoogondu schützen kann; auf jeden Fall spürt auch Perry Rhodan das „Lass die Finger von mir!“-Gefühl, das die Holzkassetten ausstrahlen.

Auf der anderen Seite findet man die Sheoshesen. Einige dieser Vogelartigen haben die Fähigkeit, sowohl eigene Erinnerungen als auch die Erinnerungen anderer Wesen zu psionisch aktiven „Gewöllen“ zu spinnen. Auch die Botschaften dieser Gewölle durchdringen den vermeintlichen Schutz einer Mentalstabilisierung ohne Mühe.

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