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Alte Schinken: „The Scarlet Pimpernel“ von Baroness Emmuska Orczy

Alte Schinken„The Scarlet Pimpernel“ von Baroness Emmuska Orczy
Orczy, Emmuska (Baroness): The Scarlet Pimpernel.
New York: Bantam Classic 2007 (Erstpublikation 1905).

1792 herrschen in Frankreich düstere Zeiten, vor allem für den Adelsstand. In Paris betreiben die Revolutionäre eine erbarmungslose Hetzjagd auf die sogenannten „Aristos“ und jeden potenziellen „Verräter der Republik“. Den gebeutelten Adligen bleibt nur ein Hoffnungsschimmer, der Guillotine zu entgehen: „The Scarlet Pimpernel“.
Alte Schinken: „The Scarlet Pimpernel“ von Baroness Emmuska Orczy Unter diesen Namen verbirgt sich ein wagemutiger Engländer, der es sich mit einer kleinen Gruppe verschworener Anhänger zur Aufgabe gemacht hat, wenigstens noch einem Teil des französischen Adels den Hals zu retten.

Bereits im ersten Kapitel beschreibt das Buch in plakativer Weise die Schreckensherrschaft der Revolution. Während sich täglich massenweise sensationslüsterne Pariser Bürger zusammenfinden, um sich vom zweifelhaften Schauspiel der Guillotine unterhalten zu lassen, hat sich ein Terrorregime etabliert. Wer gestern noch angesehener „citoyen“ war, muss schon morgen sein Haupt unters Fallbeil legen. Als Anlass dafür genügt der leiseste Verdacht der Konspiration gegen die Revolution. Die Wachen der Stadttore suchen mit Argusaugen mögliche Flüchtlinge – und doch schlüpft ihnen der Scarlet Pimpernel ein ums andere Mal durch die Finger, wovon er sie netterweise durch ein Briefchen mit seinem roten Stempel unterrichtet, der die Form einer fünfblättrigen Blume namens „Pimpernel“ hat.

„We seek him here, we seek him there,

Those Frenchies seek him everywhere.
Is he in heaven? – Is he in hell?
That demmed, elusive Pimpernel?“
Percy Blakeney


Der Scarlet Pimpernel ist der Meister erfindungsreicher Fluchtstrategien, die oft nur aufgrund einer seiner perfekten Verkleidungen, z. B. eine hässliche Alte, funktionieren. Er schafft es, einzelne Adlige bzw. Adelsfamilien ins Exil ins sichere England zu geleiten. Doch nun wird das Pflaster unter seinen Füssen heisser, denn sein Tun ist bei der Revolutionsobrigkeit gar nicht gut angekommen. Sie sendet einen Schwarm Spione nach England, um seiner habhaft zu werden. Deren Anführer Chauvelin ist ein hartnäckiger Widersacher, der seine Pflicht erbittert zu erfüllen denkt. Der humorlose Chauvelin ist als Gegner nicht zu unterschätzen, wenn auch als Figur nicht halb so schillernd wie der Titelheld.

Am englischen Hof erringen dessen Taten Bewunderung, und sein Name lässt die Herzen der Damen höher schlagen. Eine davon ist die junge, schöne Marguerite, deren noch junge Ehe mit Lord Percy Blakeney unter keinem guten Stern steht. Während es für die gesamte Romangesellschaft ein Rätsel ist, weshalb die geistreiche französische Schauspielerin ausgerechnet diesen offenbar einfältigen, wenn auch ansehnlichen und reichen Engländer geheiratet hat, haben sich die Eheleute durch ein Zerwürfnis nach der Hochzeit entfremdet.
Marguerite sieht sich in einem goldenen Käfig. Und besonders im Vergleich mit ihrem trägen, desinteressierten Gemahl gewinnt der agile und mutige Unbekannte an Faszination.

The Scarlet Pimpernel ist überall und bleibt doch ein Phantom, da seine Identität nur den zwanzig Angehörigen seiner „Liga“ bekannt ist. Insofern ist es ganz passend, wenn nicht er der Protagonist ist, sondern sich seine Gestalt nur über den Blickwinkel anderer Figuren erschliesst – dies bleibt auch in den Fortsetzungsbänden so. Den grössten Teil der Geschichte erlebt der/die Leser/-in (in diesem ersten Band) mit Marguerite. Sie glüht vor Sympathie für diesen romantisch-rätselhaften Mann und würde ihn nur zu gerne kennen lernen.

Da tritt Chauvelin an sie heran und macht ihr ein erpresserisches Angebot. Marguerite soll ihm helfen, die Identität dieses Revolutionsfeindes aufzudecken, damit er diesen unschädlich machen kann. Tut sie dies nicht, wird er ihren geliebten, einzigen Bruder Armand, der noch in Frankreich lebt, der blutrünstigen französischen Staatsgewalt ausliefern, denn er ist im Besitz eines Briefes, der Armands Teilnahme an den Unternehmen des Scarlet Pimpernel beweist und welchen er ihr als Lohn für ihre Dienste überlassen will.
Marguerite sieht sich in einem schweren Dilemma. Als auch ihre Hoffnung auf Beistand von ihrem Gemahl zerschlagen wird, geht sie verzweifelt auf Chauvelins Forderung ein. Obwohl ihre Aktion den Gesuchten nicht entlarvt, glaubt Chauvelin, den entscheidenden Hinweis erhalten zu haben. Nachdem er ihr den belastenden Brief übergeben hat, reist er ab, um das nächste, unmittelbar bevorstehende Unternehmen des Scarlet Pimpernel zu verhindern.
Dann – knapp nach der Hälfte des Buches – findet Marguerite zufällig heraus, wer sich hinter The Scarlet Pimpernel verbirgt. Sie will das Unvermeidliche verhindern und versucht ihrerseits, Chauvelin zuvorzukommen und den Scarlet Pimpernel wenigstens zu warnen – denn dass er an seinem Rettungsvorhaben festhalten wird, ist ihr klar. Tatsächlich scheint dies zunächst zu gelingen. Den Scarlet Pimpernel in greifbarer Nähe,  verhindert jedoch Chauvelins Auftauchen ihre Warnung, und die Dinge beginnen schiefzugehen …

Percy Blakeney: „A duel? La! Is that what he meant? Odd’s fish! You are a bloodthirsty young ruffian. Do you want to make a hole in a law-abiding man? … As for me, Sir, I never fight duels,“ he added, as he placidly sat down and stretched his long, lazy legs out before him. „Demmed uncomfortable things, duels, aint they, Tony?“


„The Scarlet Pimpernel“ erschien erstmals 1905. Trotz dieses angestaubten Jahrgangs ist das Buch immer noch leicht und spannend zu lesen. Von jenen Pimpernel-Romanen, die ich bisher gelesen habe, ist dieser der packendste, obwohl er über einige Passagen eher einen melodramatischen Liebesroman darstellt als eine Abenteuergeschichte über einen eleganten Draufgänger. Dafür darf es auch einige Schwächen haben, die wohl v. a. der Entstehungszeit des Romans zuzuschreiben sind.

Zunächst fällt auf, um wie viel edler und überhaupt in allen Belangen tauglicher die englischen „Gentlemen“ vor allem als die Franzosen dargestellt werden. Dies ist stellenweise etwas zu viel des Guten und kann etwas penetrant wirken, war zur Zeit der Entstehung der Geschichte in der englischen Literatur aber seit einigen Jahrzehnten gang und gäbe (vgl. G. A. Henty oder R. M. Ballantyne). Was auf Dauer ebenfalls stört, sind die Flucheuphemismen (z. B. „demmed“ statt „damned“). Und auch wenn Marguerites „womanly instinct“ über „womanly decorum“ triumphiert, liest man am besten einfach schnell weiter.

Bedenkt man die Entstehungszeit, so ist Marguerite aber eine interessante weibliche Hauptfigur. Von einem moralischen Dilemma ins nächste rutschend, ist sie eigentlich eine „maiden-in-distress“. Da ihr aber keiner hilft und sie schliesslich selbst handelt, bleibt sie aber nicht auf diese Rolle beschränkt. Spätestens bei der Pimpernel-Rettungsreise wird dies klar (auch wenn ihre Aktionen letztlich nicht wirklich von Erfolg gekrönt sind, sondern nach wie vor der Mann der Retter ist, der ihre Selbstständigkeit aber durchaus estimiert). In den Pimpernel-Fortsetzungen hat es sowohl aktivere als auch passivere Protagonistinnen.

(Achtung, in diesem Abschnitt folgt für Kombinierer ein Spoiler!) So spannend die Figuren auch sind, die eine oder andere Ungereimtheit muss man hinnehmen, besonders was Percy Blakeney betrifft: Er erscheint als modebewusster, gedankenloser Einfaltspinsel, der dank einem reichen Erbe einem ausschweifenden (aber skandalfreien) Lebensstil führen kann. Gleichzeitig steht er beim König in hoher Gunst, offiziell wegen seiner prunkvollen Klamotten und seinen leichten Verse (wie jener über The Scarlet Pimpernel). Dass jemand, der amüsante höfische Verse schmieden kann, ein strohdummer Tölpel sein soll, scheint doch eine etwas inkongruente Charakterzeichnung.
Wenn man etwas Toleranz gegenüber englischen Snobismus und anderen Zeitphänomenen aufbringt und auch nichts gegen Abenteuer-Liebesromane hat, ist „The Scarlet Pimpernel“ immer noch lesenswert. Die (aufgrund des Alters verzeihlichen) Schwächen des Buches werden durch die faszinierende Figur des Scarlet Pimpernel wettgemacht, der hier seinen ersten Auftritt hat und ohne Zweifel ein Vorläufer von bekannteren Gestalten wie Zorro und Co. ist.
Der Scarlet-Pimpernel-Stoff hat über die Jahrzehnte mehrere filmische Bearbeitungen erfahren, darunter drei in der Stummfilmzeit und mehrere TV-Serien, und diente auch als Vorlage für ein Broadway-Musical von 1997.

Noch einige Worte zur Autorin: Baroness Emmuska Orczy (1865–1947) emigrierte mit 15 Jahren von Ungarn nach England (eventuell ist hierin mit ein Grund für die hehre Zeichnung der Engländer zu sehen). Sie studierte zuerst Kunst (sie war mit dem Buchillustrator John Montague Barstow verheiratet), bevor sie zu schreiben begann. „The Scarlet Pimpernel“, ihr erstes Werk, war erst ein Theaterstück (1903), bevor sie es zu einem ziemlich erfolgreichen Roman umarbeitete. Sie schrieb (neben andern Werken) mehrere Romane um diese Figur, darunter einen über die Taten eines Nachkommen im 1. Weltkrieg („Pimpernel und Rosemary“) und zwei über dessen Vorfahren im 17. Jahrhundert.

Quelle Bild (Buchcover): www.amazon.de

 

Kommentare  

#1 Bettina.v.A. 2008-10-26 20:35
*dream* Scarlet Pimpernel ... ich LIEBE es ... am allerliebsten, da schmelze ich seit Teenagertagen einfach dahin, ist mir die Verfilmung mit Anthony Andrews. Ich kenne wahrhaft keinen, der so wie er die Oberlippe arrogant kräuseln kann.

Die Geschichte um den Pimpernel ist wunderschön ... schade, dass du mir mal wieder voraus warst mit einem Artikel :roll:
#2 Aleta-Amirée von Holzen 2009-01-18 17:36
Hallo KelpiE
Danke für deinen Kommentar. War eine Weile weg vom Fenster, drum kommt mein Kommentar Monate später. Ja, der Scarlet Pimpernel ist schon toll! Und hast du The Laughing Cavalier schon gelesen, von seinem Vorfahren im Mittelalter, in Holland und Schlittschuhen? Fand ich auch sehr zum Mitfiebern. Tut mir leid, dass ich dir das weggeschnappt habe (was heisst "mal wieder"?), aber ich fände es sehr schön, wenn du zur Ergänzung einen Artikel über diesen Film schreiben würdest - den kenne ich nämlich nicht!

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