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Kann die klassische Erzählweise von TV-Krimis heute noch überzeugen? - Ein 90-Minüter schafft das spielend…

Fernsehkrimis im Wandel der ZeitEin 90-Minüter schafft das spielend…
Kann die klassische Erzählweise von TV-Krimis noch überzeugen?

Vor 30, 40 Jahren wurden Krimis klassischerweise ganz anders als heute im TV erzählt. Meistens begann die Geschichte mit einem Beziehungsdrama, einem Gangsterkomplott oder irgendeiner anderen Vorgeschichte. Aus dieser Vorgeschichte entwickelte sich der Mord oder das andere Verbrechen. Somit gingen meist 15-30 Minuten für eine Vorgeschichte drauf, ehe der Ermittler oder das Polizeiteam erst ins Spiel kamen.


Das Beispiel war von vielen US-Krimis und vor allem französischen Krimis abgekupfert. Man nehme nur als landläufiges Beispiel einmal die TV-Serie „Columbo“. Ehe Peter Falk im Knittermantel seinen ersten, „rübekratzenden“ Auftritt hatte, war das erste Drittel der Krimifolge bereits gelaufen. Nun folgten die Ermittlungen. Und am Ende dann, sozusagen als Finale die Entlarvung des Mörders. Aber nicht immer war der Mörder dabei dem Zuschauer bekannt. Dieses Prinzip behielt sich ausschließlich die Columbo-Serie vor. Andere Serien praktizierten dieses Schema des „Howcatchem“ nur gelegentlich und folgten lieber der Variante des „Whodunit“. Einem Stil, der vor allem schon sehr früh von Autoren geprägt worden waren, die erste Detektivgeschichten entsannen. Edgar Allan Poe und Arthur Canon Doyle z.B.

Im Kino lief das etwas anders. Hier wurden Krimis wiederum anders gemacht um sie einer breiteren Masse zugänglich zu machen. Doch das soll hier nicht das Thema sein.

Heutzutage werden im TV vor allem schnelle Bilder gezeigt. Es liegt keine Ruhe mehr auf den Gesichtern und Szenen. Die Kamera schwenkt schnell oder entfernt sich und die Schnitte wirken so beruhigend wie das Blitzlichtgewitter einer Pressekonferenz auf einen Epilepsie-Kranken. Ich habe mich immer gefragt, warum man das Format der 90-Minüter heutzutage nicht einfach nutzt um bessere Filme zu machen. Klar, früher waren 45-60 Minuten nicht immer ausreichend, um einen Krimi sorgfältig genug und mit all seinem Potenzial auf Zelluloid zu bannen. Aber heute…?

Man dreht doch sowieso lieber längere Episoden. Da muss doch der Mord nicht immer in den ersten 90 Sekunden geschehen. Auch wenn es beim „Tatort“ heute so läuft. Und natürlich auch fast überall anderswo. Aber dieses Reißbrettschema war mir einfach zu wider in den letzten Jahren und so kehrte ich vielen Krimis immer mehr den Rücken. In den „Tatorten“ der 70er und 80er Jahre geschah der Mord meistens erst nach einer halben Stunde. Im „Derrick“ nach 15-20 Minuten. Ende der achtziger Jahre rückte man in Punkto Krimiserien immer mehr von diesem Schema ab. Die Begründung: „Man will die Leute auf dem Sender halten“. Wenn nach 10 Minuten noch nichts passiert ist, zappen sie einfach weg. Die TV-Macher glaubten die Zuschauer besser zu kennen, als sie sich selbst. Der Inhalt eines Krimis sollte maßgeblich sein und nicht die Leiche am Anfang. Früher so glaubte man, schaltete der Zuschauer womöglich erst später ein, und man konnte ein längeres Vorspiel laufen lassen (ähnlich wie im US-Kino der 60er Jahre etwa). Doch schon damals kannten die TV-Macher den Zuschauer offenbar schlecht. Man saß damals oft Punkt 20.15 Uhr vor dem TV-Schirm, und zwar gestriegelt und gebügelt, um den TV-Krimi zu sehen.

Man sollte im TV nicht krampfhaft versuchen, den Krimi irgendeinem Schema zu unterwerfen. Das ist der größte Fehler, den Fernsehschaffende in den vergangenen Jahren gemacht haben. Denn dies kann auf Dauer nicht funktionieren. Ein Krimi ist ein Krimi und lebt von der Abwechslung. Klar, kann der Mord auch mal am Anfang stehen. Das muss aber nicht immer sein.

Neulich sah ich voller Überraschung eine Folge der Krimiserie „Soko Leipzig“. 85 Minuten lang und damit ein Special. Normalerweise sind die Folgen nur 45 Minuten lang. Überrascht war ich aufgrund von zwei Dingen. Erstens fesselte mich mein Magen-Darm-Infekt länger ans Bett als gedacht und zweitens war der Krimi so gut, dass ich dachte: Leute es geht doch.

Wer den Wind sätSOKO LEIPZIG - Folge 319 „Wer den Wind sät“
Die Handlung: Die Theaterschauspielerin Hannah Falck wird tot auf einem Rastplatz aufgefunden. Sie hatte eine leidenschaftliche Affäre mit dem Politikberater Lars Möller. Jedoch verschwand sie spurlos nach einem heftigen Streit, weshalb Möller in Untersuchungshaft muss. Die Kollegen der Autobahnpolizei und ein LKW-Fahrer, der dort übernachtet hat, könnten mögliche Zeugen der Tat sein. Unter Verdacht stehen außerdem noch Hans Wachsler, der Ex-Mann der Toten, und dessen neue Freundin Frieda Sukova.

Gastdarsteller: Thomas Heinze als Dr. Lars Möller, Emily Cox als Hannah Falck, Simon Schwarz als Frank Gruber, Maik Solbach als Hans Wachsler, Oona Devi Liebich als Frieda Sukova, Barbara Sotelsek als Frau Möller, Jörg Westphal als Klaus Diepholz, Julia Schäfle als Sandra Ramcke, Carolin Haupt als Marie Kresslin

Zunächst mal lebt der Fall von viel winterlicher Atmosphäre und einem dichten Schauspiel. Dazu kommt eine längere Vorgeschichte von etwa 25 Minuten bis man die Leiche findet. Aber schon kurz davor beschäftigt sich das Team der Soko mit dem Fall, da Hannah als verschwunden gilt. Was ist geschehen? Als man ihre verkohlte Leiche findet, scheint der Fall klar. Der Mörder ist der Liebhaber. Alle Spuren führen zu ihm. Der wird zugleich von Thomas Heintze in typischer Bösewicht-Manier mit arroganten Gehabe gespielt, das selbst der Zuschauer an seiner Schuld nicht zweifelt. Als er sich aber in der U-Haft das Leben nimmt, wendet sich das Blatt. Hier ist der Film noch über 30 Minuten lang und man ahnt, das da noch mehr kommen muss. Nachdem auch ein LKW-Fahrer in Verdacht gerät und der Ex-Mann der Tote kann letztlich der wahre Täter gestellt werden.

Das war jetzt nur ein gewöhnliches Serienspecial, aber wenn man die Krimis generell auf diese Weise flexibler aufbauen würde, könnte ich wieder regelmäßiger Gast werden. Denn viele TV-Krimis sind es nicht mehr, die mich hinter dem Ofen herlocken. Und die ausländischen schon mal gar passé nicht. Also ich mag weder die englischen noch die skandinavischen Krimis besonders. Sie sind mir zu dialoglastig und zu Hauptpersonen-Fokusiert. Und die Amerikaner – naja. Die waren in den 70er und 80er auch mal gut, liefern aber nur noch sehr unglaubwürdiges Zeugs ab.

Kommentare  

#1 Falk 2017-01-10 12:16
Tja, die Länge und Dialoglastigkeit von Fernsehserien: Ein wohl endloses Thema. Grundsätzlich gegen den Strich gehen mir die vielen psychisch schwer angeschlagenen Ermittler überwiegend skandinavischer Herkunft. In der Realität wäre wohl der größte Teil von ihnen vom Dienst suspendiert.

Englische Serien mit witzigen oder lakonischen Dialogen wie in „Midsomer Murders” oder „Lewis” kann ich dagegen durchaus genießen. Zumal man hier auch meist mit wunderbaren Schauspielern der britischen Theater- und Filmszene verwöhnt wird.

Bewundern muss ich allerdings die Drehbuch-Autoren der 60er und 70er Jahre, denen es gelang in einer 25-minütigen TV-Folge mehr Handlung und z.T. auch differenziertere Charaktere unterzubringen als ihre heutigen Kollegen in 90 Minuten. Von Serien wie „Dezernat M” mit Lee Marvin oder „Kein Fall für FBI” mit Robert Taylor könnten sich viele 60 oder gar 90 Minuten lange Serien eine Scheibe abschneiden.
#2 Kerstin 2017-01-11 09:16
Ein weiteres typisches Format für Krimis geht doch so: Eine Leiche wird gefunden, der Kommissar eilt zu dem bereits mit Flatterband abgesperrten Fundort, guckt sich die Sauerei an und ermittelt im Umfeld des Opfers.

Ich freue mich immer, wenn ich, gleich in welchem Genre, mal eine andere, unverbrauchte Erzählweise sehe, sei es beim Film oder bei Büchern. Nicht alle funktionieren.

Und die Ermittler, die selber düstere Geheimnisse und unverarbeitete Traumata mit sich schleppen: Das ist wirklich nicht realistisch und alles andere als unverbraucht. Genauso nervt es mich, wenn den Figuren auf Biegen und Brechen fragwürdige Liebesbeziehungen untereinander auf den Leib geschrieben werden. Ein Krimi ist ein Krimi und keine Schnulze. Basta. Außerdem müsste ein Kommissar, der sich in eine Frau verguckt hat, die in den Fall verwickelt ist, sofort den Fall einem weniger von Gefühlen beeinflussten Kollegen überlassen.

Zu den vielen Dialogen: Die sind oft deshalb nötig, um dem Zuschauer die Ergebnisse der Ermittlungen nahe zu bringen. Natürlich kommt in der Realität der Laborbericht schriftlich. Aber woher soll der Zuschauer dann wissen, was drin steht? Also verlangt der Filmkommissar von seinem Mitarbeiter eine kurze, mündliche Zusammenfassung der Ergebnisse. Kurz aus Zeitgründen und weil der Zuschauer die Einzelheiten und Fachausdrücke ohnehin nicht so richtig versteht - und der Drehbuchautor kein Rechtsmediziner ist.
#3 Grubert 2017-01-15 16:14
Also ich finde die Krimis heute meist viel besser als früher. Von den Alten sind die meisten nur noch schwer anschaubar.
Und viel besser inszeniert und ausgeleuchtet sind die Neuen sowieso. Was jetzt aber nicht heißt das nicht früher auch ein paar wirklich gute Sachen gemacht wurden, wie z.B. die Rockford Files.

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