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Die Bewandtnis mit Atlantis: 4. Was wussten die alten Ägypter wirklich? - Jahrtausende, die es nie..

Die Bewandtnis mit Atlantis4. Was wussten die alten Ägypter wirklich?
Jahrtausende, die es nie gegeben hat

Mit detaillierten Angaben ist es in der Frühzeit der Geschichtsschreibung so eine Sache. Selbst Herodot, der in dieser Hinsicht als Pionier gilt, nimmt es mit den Fakten nicht immer sonderlich genau. Bei der Schilderung Babylons zum Beispiel übertreibt er maßlos, was die Länge („120 Stadien“ = 21,4 km), Dicke („50 königliche Ellen“ ~ 33 Meter) und Höhe („200 Ellen“ ~ 133 Meter) der Stadtmauer, oder aber die Höhe des berühmten Turmes (Etemenanki) angeht.

 

Was also haben wir von Plato zu erwarten. Ihm, der er kein Historiker ist und sich doch wie einer gibt? Er beruft sich auf die Geschichtsschreibung am Nil, von der wir inzwischen wissen, daß sie mit einigen Ungenauigkeiten und offenkundigen Fehlern behaftet ist. Damit sehen sich die Ägyptologen bereits konfrontiert, wenn sie versuchen, die unterschiedlichen Listen der Pharaonen und ihrer Regierungszeiten miteinander in Einklang zu bringen. Daß dann vom Untergang des Inselreichs bis zur Zeit Solons die auffallend runde Zahl von 9000 Jahren verstrichen sein soll, wirkt schon ein wenig verdächtig. Man fühlt sich erinnert an die unnatürlich langen Lebensspannen der Nachfahren Adams und Evas bis hin zu Noah, die mehr auf eine mythologische Überhöhung, und damit Übertreibung zurückzuführen sind, denn auf realistische Einschätzungen.

Ein Grund für das angeblich so Alter von Atlantis kann es gewesen sein, daß man in der Antike davon ausging, daß es einmal ein mythisches Zeitalter gegeben habe, in dem die Götter selbst auf Erden gewandelt sind. Die Herrscher des Inselreichs werden vom Riesen Atlas hergeleitet, und der wiederum vom Meeresgott Poseidon. Nun lag diese Ära aber nach Auffassung der Ägypter ein paar Jahrtausende zurück, nach derjenigen der Griechen aber in der Endbronzezeit. Es mag sein, daß dadurch ein Mißverständnis aufgekommen ist, und die beiden Datierungen miteinander vertauscht worden sind.

Wieder ist es Herodot, der zu diesem Thema eine Anekdote zu erzählen weiß. Er berichtet uns nämlich von dem Mileter Hekataios, der stolz vor der Priesterschaft des ägyptischen Theben angibt, in der sechzehnten Generation göttlichen Ursprungs zu sein. Die Geistlichen aber belächeln ihn nur spöttisch, denn für sie ist die Zeit, da die Götter unmittelbar auf Erden herrschten, schon 345 Generationen her. Für Griechen wie Hekataios endete das mystische Zeitalter erst mit der Eroberung Trojas, also in einer Epoche, in der man am Nil die Vorgeschichte schon seit mehr als anderthalb Jahrtausend ad acta gelegt hatte.

Manetho zufolge sind zu seiner Zeit seit der „Herrschaft der Götter“ 13.900 Jahre vergangen. Die Ära um 14.200 v, Chr. aber war eine, in welcher der Norden der Welt noch unter Gletschern begraben war, und auch der angebliche Untergang von Atlantis noch viereinhalb Jahrtausende in der Zukunft lag. Viereinhalb Jahrtausende, das ist der Zeitraum, der uns hier in der Gegenwart vom Neolithikum trennt. Nun muß man den Ägyptern nicht unbedingt eine genauere Zeitrechnung als den Mayas unterstellen, aber da auch Plato sein Wissen von ihnen haben will, liegt es nahe zu vermuten, daß das Zeitalter der Götter und das der Atlanter mit Hilfe ein und desselben Kalenders datiert worden sind.

Wie groß die Fehlerquote dabei ist, zeigen bereits die Widersprüche in dem Material vom Nil, das bis in unsere Tage überdauert hat. Um nur ein Beispiel zu nennen, soll der Bau der Cheops- (bzw. Chufu-) Pyramide laut dem Turiner Papyrus 23, nach Manetho jedoch 63 Jahre gedauert haben.

Dementsprechend gibt es mehrere Ansätze, diese vollkommen absurden 13.900 Jahre zu erklären. Eine ähnliche Zahl gibt es auch bei Herodot. Da sind zum einen die 345 Generationen, die zur Zeit des Mileters Hekataios vergangen sein sollen, seitdem die Götter auf Erden regierten. Zum anderen aber ist da auch seine Liste von Pharaonen, in der freilich ein heilloses Durcheinander herrscht. Ihr zufolge sollen von Menes, dem ersten menschlichen Herrscher Ägyptens, bis zu Sethos, der die Assyrer abgewehrt hätte, 11.340 Jahre vergangen sein. Der Name Sethos gehört jedoch in die 19. Dynastie, also ins 14. und 13. vorchristliche Jahrhundert. Zu dieser Zeit hatte man eher mit den Hethitern Ärger; die Assyrer waren damals keine wirkliche Bedrohung. Anders war es dagegen im Jahre 664, als die äthiopische 25. Dynastie von den Truppen Assurbanipals geschlagen, und das Land assyrische Provinz wurde. Zu der Zeit hatten die Pharaonen jedoch Namen wie Taharka und Tanutamun; ein Sethos hat weiland nicht regiert.

Das von Plato gewählte Saïs ist in der Tat eine auch für ägyptische Verhältnisse alte Stadt. Schon in vordynastischer Zeit war sie Sitz der Herrscher Unterägyptens (Siehe oben im Kapitel über Nordafrika). Doch auch, wenn der Philosoph ihre Gründung ein Jahrtausend nach dem Untergang von Atlantis und Ur- Athen ansetzt, bis 9600 v. Chr. reicht ihre Geschichte nicht zurück.

Als erster „offizieller“ Pharao regierte um das Jahr 3000 v. Chr. herum Menes, der möglicherweise identisch ist mit Pharao Narmer (der jedoch auch sein Nachfolger Aha sein kann) und dem Skorpion- König (der jedoch nur archäologisch nachgewiesen ist, und auch sein unmittelbarer Vorgänger gewesen sein kann). Er eroberte Unterägypten, und galt somit als Einiger des Reiches und allererster Pharao. Herodot nennt ihn als ersten „menschlichen“ Pharao, während seine Vorgänger Götter gewesen seien. Die Krone von Saïs als Symbol Unterägyptens wurde Teil der ägyptischen Doppelkrone.

Sethos I. (1308 – 1290 v. Chr.) begründete die 19. Dynastie. Er unternahm Feldzüge bis nach Syrien, bei denen es auch zu Zusammenstößen mit Hethitern gekommen ist. Außerdem wehrte er in Kanaan einfallende Apiru ab, von denen ein Stamm mit Namen „Asser“ hervorgehoben wird. Die Asser treten später als Teilvolk der Hebräer (wohl von „Apiru“ abgeleitet) in die Geschichte ein.

Sethos II. dagegen ist eine eher blasse Erscheinung kurz vor Ende der Dynastie, also spät im 13. Jahrhundert. Zahlreiche Inschriften vom Norden bis in den Süden bezeugen seine Existenz, doch nur eine davon enthält eine Datierung. Vom zweiten bis zum fünften Regierungsjahr scheint es zu inneren Unruhen gekommen zu sein, in deren Verlauf ein Oberaufseher bei dem Bau des Königsgrabes ermordet worden ist. In seinem sechsten Jahr starb Sethos auch schon. Interessant ist, daß sein mutmaßlicher Gegenkönig Amenmesse in den Texten auch unter dem Namen „Mose“ auftaucht. Dessen Königsgrab ist nie vollendet oder benutzt worden, just als wäre er nicht in Ägypten gestorben.

Doch für diese Ära hat das Alte Testament noch mehr Anspielungen bereit, denn just gegen 1210 v. Chr. jammerte ganz Vorderasien über eine Hungersnot, während Ägypten noch über Vorräte verfügte. Freilich liegen die „sieben mageren Jahre“ in der Bibel deutlich vor dem Auftreten Moses, während der geschichtliche Kontext hier bestenfalls eine Zwischenzeit von wenigen Jahren erlaubt. Und was die Israeliten als Volk angeht, so werden sie erstmals erwähnt bei Pharao Merénptah (1224 – circa 1210), dem Vater Sethos II.. Wörtlich heißt es da im Kontext eines Zugs nach Palästina: „Israel ist verwüstet, und hat keinen Samen mehr“. Demnach müßten die Hebräer bereits in Kanaan ansässig gewesen sein, statt doch bis zum nächsten Pharao an den „Fleischtöpfen Ägyptens“ zu hängen.

Sethos II. auf jeden Fall muß sehr jung gestorben sein (im Roten Meer ertrunken?), denn sein Sohn Ramses-/ Merénptah- Siptah war noch ein Kind, als er die Nachfolge antrat, und dementsprechend mächtig war sein Berater, Kanzler Bai (in dem man schon den biblischen Jakob gesehen hat, um die Chronologie vollends durcheinander zu bringen). Der wichtigste Gegner dagegen war wohl ausgerechnet die eigene Mutter, Sethos‘ Gemahlin Twosre, gegen die es einen Beistand wie Bai brauchte. Ramses-/ Merénptah- Siptah regierte zehn Jahre, und hatte wohl aufgrund seiner Jugend noch keinen Nachfolger gezeugt. Königin Twosre (bzw. „Thuoris“ bei Manetho) trat seine Nachfolge an, und wurde zunächst wohl auch allgemein anerkannt. Bald aber schon kam es erneut zu inneren Wirren, die womöglich einen syrischen Usurpator auf den Thron brachten. Allerdings stammen die letztgenannten Angaben aus der Zeit der 20. Dynastie, deren Herrscher ihren Anspruch auf die Königswürde damit begründeten, die Ordnung wieder hergestellt zu haben.

Wenn man sich Herodot gegenüber auf einen „Pharao Sethos“ bezog, dann wird man wohl eher den mächtigeren und prächtigeren Sethos I. gemeint haben.

Die einzig nennenswerte Schlacht gegen die Assyrer wurde – wie bereits erwähnt – nicht gewonnen, sondern verloren: 664 v. Chr. wurde Theben zerstört, und spätestens ab 662 v. Chr. war Ägypten für sieben Jahre dem assyrischen Imperium untertan.

Solons Reise nach Saïs müßte nach Beendigung seiner politischen Laufbahn, also zwischen 600 und 570 v. Chr. anzusetzen sein.

Manetho war ein ägyptischer Priester in Heliopolis, der im dritten Jahrhundert vor Christus für Pharao Ptolemaios II. eine Geschichte Ägyptens verfaßte. Sie ist leider größtenteils dem Brand der Bibliothek von Alexandria (48 v. Chr.) zum Opfer gefallen, doch sind noch Exemplare erhalten geblieben, derer sich frühe christliche Schriftsteller bedient haben. Unter den Auszügen, die sie uns überliefert haben, ist auch seine 31 Dynastien umfassende Liste der Herrscher Ägyptens samt Regierungsdauer.

Von Menes‘ Ära bis zu der Manethos sind also 2700 bis 2800 Jahre verstrichen – Schönt man die Zahl auf 2780 Jahre, entspricht das genau einem Fünftel der angegebenen Zeitspanne.

Von Menes bis Sethos I. sind dagegen 1700 Jahre vergangen, und bis zum Krieg gegen die Assyrer etwa 2330 bis 2340 Jahre. Ersteres läge bei einem knappen Siebtel, Letzteres bei einen Fünftel des genannten Wertes.

Wie es zu diesen krassen Übertreibungen gekommen sein mag, soll nicht Thema dieses Aufsatzes sein, aber sie sind gewiß nicht ohne Auswirkungen auf den Bericht Platos gewesen. Wenn er die Schriften Herodots auch gewiß nicht immer zur Hand gehabt haben mag, so wird er sie doch gelesen haben. Manche seiner Passagen lassen zumindest darauf schließen, daß er hier und da dessen Stil imitiert.

Nun führt er aber das Herrschergeschlecht von Atlantis direkt auf Poseidon zurück. Nach Herodots Angaben aber lag die Zeit, in der die Götter direkt über Ober- und Unterägypten herrschten, unmittelbar vor der Herrschaft des Menes, und damit eben 11.340 Jahre vor „Pharao Sethos“. Wollte Plato dieser Tradition glaubhaft folgen, mußte auch das persönliche Regiment Poseidons über Atlantis zu dieser Zeit beendet gewesen sein. Im Anschluß hat er eine nicht genannte Anzahl von Generationen eingesetzt, während der das einst göttliche Herrschergeschlecht durch menschliche Beimischung zunehmend entartet, bis es schließlich zum Krieg gegen Ur- Athen, und kurz darauf zum Untergang kommt. Setzen wir voraus, daß Plato Herodots 11.340 Jahre im Kopf gehabt, und „Pharao Sethos“ mit dem Assyrerkrieg in Verbindung gebracht hat, dann müßte diese Dynastie in etwa 2400 Jahre Bestand gehabt haben. Dies ist natürlich eine vollkommen sagenhafte Zahl, aber derlei Übertreibungen waren bei allen Völkern gang und gäbe, wenn es um die Schilderung ihrer eher mythologischen, denn geschichtlich dokumentierten Anfänge gegangen ist. In einem Umfeld, wo von 9.000 und gar 11.340 Jahren die Rede ist, fallen sie gar nicht mal auf.

Ohnehin zielten die ägyptischen Tempelinschriften nicht primär darauf ab, eine Chronik zu erstellen. Ihre Funktion war es in erster Linie, kultische oder wirtschaftliche Begebenheiten zu dokumentieren. So finden die Großtaten der Pharaonen zwar Erwähnung, aber das Abhalten noch so banaler religiöser Feste wurde als wichtiger erachtet, als beispielsweise die Regierungszeit oder die Familienverhältnisse der Herrscher. Auch gab es Verwirrung, weil die Pharaonen zwei Namen trugen, aber manche Quelle nur den einen, und manche nur den anderen nennt. Beispielsweise wissen wir bis auf den heutigen Tag nicht, ob Narmer nun mit dem zweiten Pharao Aha identisch ist, oder mit dem allerersten, Menes mit Namen, der wiederum König Skorpion sein kann, aber auch nur dessen Nachfolger. Desweiteren werden in Zeiten der Reichsspaltung Dynastien nacheinander aufgeführt, die gleichzeitig geherrscht haben (z. B. in der zweiten Zwischenzeit).

Als wären dies nicht schon mögliche Fehlerquellen genug, begeben wir uns mit dem Bericht über Atlantis auch noch in eine Ära, die lange vor der Erfindung der Hieroglyphen, und damit der Geschichtsschreibung lag. Wie können überhaupt Dinge aus einer solchen Zeit auf uns kommen, wenn uns weder Schrift, noch Archäologie zur Verfügung stehen?

Wer die letzte Folge der Fernsehserie „Roots“ gesehen hat, wird die mündliche Überlieferung in Betracht ziehen. Hier aber haben ethnologische Forschungen ergeben, daß Informationen auf diese Weise nur einige wenige Generationen überdauern. Eine Ausnahme stellen lediglich Kunstformen dar, in denen Versmaß oder Reimschema eine Verfremdung erschweren. So wird beispielsweise von vielen Wissenschaftlern (Korffmann, Latacz etc.) angenommen, daß in Homers „Ilias“ noch viele Verse aus der Bronzezeit überdauert haben, obwohl die zur Zeit des Dichters schon ein halbes Jahrtausend zurücklag.

Im Falle von Jahrhunderten und gar Jahrtausenden kommt allerdings noch das Problem auf, daß es nach einer solchen Ewigkeit noch jemanden geben muß, der die Sprache versteht. Ein Mykener von 1200 v. Chr. hätte sich noch einigermaßen mit einem Aioler, Ionier oder Dorer von 700 v. Chr. verständigen können; ein Atlanter von 9600 v. Chr. hätte da eine ganz andere Sprache gesprochen, als die saïtischen Ägypter. Da hätten auch die schönsten Hexameter nicht mehr zur Verständlichkeit beigetragen – Einmal vorausgesetzt, es wurde so kurz nach der Eiszeit bereits gedichtet!

Das gilt natürlich auch für die schriftliche Überlieferung. Der schönste Text hilft einen nicht weiter, wenn man weder die Glyphen, noch die dazu gehörige Sprache kennt. Zweisprachige Texte helfen beim Dechiffrieren, aber sie sind sehr selten. So können wir beispielsweise das Linear A der alten Kreter bis auf den heutigen Tag nicht übersetzen, und ihre Kultur erlosch vor „nur“ 3300 Jahren.

Und selbst, wenn wir es geschafft haben, die Botschaft zu entziffern, heißt das nicht, daß wir auch auf essentielles Wissen gestoßen sind. Manches behandelt alltägliche Banalitäten, anderes mythologischen Aberglauben, und manchmal versucht man selbst in höchst offiziellen Quellen, dem Leser einen Bären aufzubinden. Wer es nicht glaubt, möge bei Manetho nachlesen, wie Pharao Menes von einem Nilpferd entführt wird.

Bilder und plastische Kunstwerke sind da etwas leichter zugänglich, aber auch vielfältiger interpretierbar. Als Beispiel mag man sich ein paar Werke von Erich van Däniken zu Gemüte führen, der Raumschiffe und Landebahnen entdeckt, wo die offizielle Archäologie ganz andere Dinge sieht.

 

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