Amazing Pulps – Pulp Treasures 15 - George Allan England The Elixir of Hate (1911)
Pulp Treasures 15
George Allan England
The Elixir of Hate (1911)
Wer sich ernsthaft mit Pulp fiction beschäftigt, kommt an Ed Hulse nicht vorbei. Er zählt heute zusammen mit Mike Ashley und Will Murray zu den drei großen Super-Gurus des Genres.
Hulse brach einst auf als Fan und Sammler – und kreierte daraufhin 2002 sein eigenes Fan-Magazine Bood 'n' Thunder (Blut und Donner) - das sich bald zu einem der führenden Magazinr mit Schwerpunkt Pulp fiction entwickelte. Viele essentielle Aufsätze zu dieser Literaturgattung erschienen hier zum erstenmal.
Doch das Magazin wurde 2016 eingestellt – zum Bedauern vieler Fans. Ed Hulse faßte allerdings die besten Aufsätze und Beiträge noch einmal in einer vierbändigen Anthologie zusammen, die ebenfalls als großformatiges Magazin erschienen. Zusammen mit seinem epochemachenden „Guide to Pulp fiction“, der 2018 in dritter erweiterter Ausgabe erschien, bilden sie den Grunstock des nötigen Wissens, um sich in den Dschungel der Pulp-Magazine zu wagen.
Doch Ed Hulse war seitdem nicht untätig. Nach so vielen Worten über Pulps beginnt er nun, seine Lieblingsromane aus den Heften in seinem Murania-Verlag selbst herauszubringen. Die erste (und hoffentlich nicht letzte) Serie „Forgotten Classics of Pulp fiction“ umfasst 10 Romane, die zwischen 1908 und 1921 in diversen Pulp-Magazinen als Fortsetzungen oder komplett in einem Heft erschienen sind und niemals in Buchform nachgedruckt wurden. Man staunt, dass unter diesen Schätzen auch Romane bekannter Autoren wie Talbot Mundy (dem wichtigsten Vorbild von Robert E. Howard), Western-Bestsellerautorin B.M. Bowers und J. Bedford Jones sind, doch es finden sich hier auch völlig unbekannte Namen, von denen selbst Freaks wie ich noch nie gehört haben, wie Francis Lynde und George Bransom-Howard.
Viele dieser Romane sind dem Hulse-Schmökerer allerdings nicht unbekannt, sie tauchen in seinem Pulp-Führer und in diversen Aufsätzen auf, wo er sie ausgiebig preist.
Es ist eine gute Mischung aus Krimi, Abenteuer, Grusel, Western, Fantasy und Spionage. Manch einer mag Englands Roman „The Elixir of Hate“ der SF zuordnen, ich empfinde sie eher als SF/Grusel-Mischung.
Auch George Allan England (1977-1936) ist kein Unbekannter bei Fans phantastischer Literatur. Besonders zwei Werke sind heute noch im Gedächtnis. Zum einen seine epochale Roman-Trilogie „Darkness and Dawn“ (1912-14), ein Klassiker der postapokalyptischen Literatur und Vorbild für alle ähnlichen Vehikel (spielt in einem zerstörten Amerika der Zukunft, in das zwei Menschen des frühen 20. Jahrhunderts hineingeraten.)
Außerdem steuerte England für das erste SF-Magazin überhaupt, Amazing Stories 1926/4, eine berühmte Horror-Geschichte bei, „The Thing from Outside“, deren Thrill noch heute zupackt, die aber deutlich den Einfluß von Maupassants Geschichte „Der Horla“ verrät. Kein Wunder, England war ein großer Bewunderer Maupassants und übersetzte die Geschichte ins englische.
Auch „The Elexir of Hate“ verrät den starken Einfluß der französischen Horror-Literatur. Und zwar so sehr, dass man, wüßte man nicht, wer den Roman geschrieben hat, eher auf französische Klassiker des Makabren wie Maurice Renard käme. Tatsächlich erinnert das Buch in manchen Zügen stark an Renards „Le Docteur Lerne“ (1908) – möglich, dass England das gekannt hat.
Der Plot und Stil ist für einen Pulp-fiction-Roman mehr als ungewöhnlich. Er spielt komplett in einem Landhaus an der Steilküste der französischen Riviera, und ist ein Kammerspiel für drei Personen (läßt man mal das Dienstpersonal beiseite), die handelnden Hauptfiguren sind zwei alte verrückte Wissenschaftler. Dr. Dennison, ein sterbender Arzt aus den USA, sucht einen berühmten italienischen Spezialisten auf, der in dem Roman nur „Il Vecchio“ (Der Alte) genannt wird. Dennison ist verzweifelt, Il Vecchio ist die letzte Hodffnung für sein Krebsleiden. Der gütige Alte verspricht, sich zu um den sterbenden Mann zu kümmern, doch der ist ungeduldig. Es geht das Gerücht, dass Il Vecchio das berühmte Lebenselixir der Alchimisten gefunden hätte. Il Vecchio bestätigt das, räumt aber ein, dass die mühsam über Jahre gekelterte Flüssigkeit sich erst in der Versuchsphase befindet und noch nicht an Menschen ausprobiert werden kann. In einem Akt der Verzweiflung entreißt Dennison dem alten das Fläschchen, trinkt den gesamte Inhalt aus und raubt so dem verzweifelten Kollegen die Essenz seiner jahrzehntelangen Forschung. Als Wiedergutmachung fordert der Alte, dass Dennison sich weiter in der Villa behandeln läßt, um wenigstens die Wirkungen des Elixirs zu beobachten. Dennison stimmt zu.
Er darf sich in der Villa und im Ort frei bewegen. Bei einem Gang zum Strand glaubt Dennison eine Abkürzung durch einen Tunnel durch den Felsen hinunter zur Küste zu finden. Doch er verläuft sich dabei in einem uralten Gänge-Labyrinth. Dabei stößt er auf eine merkwürdige Totenkammer, in der 18 Särge stehen – auch Kindersärge. Die Aufschriften auf den Särgen sind in einer Geheimschrift verfasst, doch eins ist klar – es ist die Handschrift des „Alten“.
In der Bibliothek des Anwesens entdeckt Dennison gewisse Notizbücher in derselben Schrift. Es gelingt ihm nicht, sie völlig zu entziffern, doch eins bleibt anhand von Zeitungsausschnitten in den Notizbüchern unzweifelhaft: Der scheinbar so gütige Mediziner entführt Menschen, um an ihnen Versuche durchzuführen!
Soll Dennison fliehen? Er denkt kurz darüber nach. Doch nun beginnt das Elixir zu wirken – Dennison fühlt sich tatsächlich jünger stärker, agiler, bracht kaum Schlaf, die Krankheitssymptome verschwinden – und er verliebt sich in die junge Nichte des Gelehrten. Seine Liebe wird erwidert – ein Grund mehr, nicht zu verschwinden. Ein tödlicher Fehler - denn Il Vecchio ist seinem Patienten alles andere als wohlgesonnen. Als erste Nebenwirkungen des Elixiers einsetzen, nimmt Il Vecchio grausame Rache...
Ein wunderbares geschriebenes Buch – auch wenn der Ausgang ab spätestens der Hälfte erahnbar ist, liest man es doch gerne weiter, es nimmt sich trotz der spannenden Handlung immer auch Zeit für Beschreibungen der Stimmungen und der faszinierenden französischen Landschaft, und es präsentiert uns etwas in der Trivialliteratur recht Ungewöhnliches: Zwei alte Herren, die beide dem Leser herzlich unsympathisch sind, plus eine blasse schöne Nichte, die dem Leser herzlich egal ist. Keine einnehmende Konstellation für den Durchschnitts Pulp-Magazin-Käufer von einst. Außerdem vermeidet G. A. England klischeehafte Imitationen ähnlicher Klassiker wie „Dr. Jekyll und Mr. Hide“ - obwohl man eine Imitation dieser Art erwarten könnte.
Der Roman erschien von August bis November 1911 im Pulp-Heft „The Cavalier“. Das war ein kurzlebiges All-Story-Magazin des Munsey-Konzerns, das von 1908-14 an den Kiosken auslag. Doch erst ab 1911 wurde es zum dem Kultmagazin, das Sammler heute noch suchen und zu Höchstpreisen erbeuten. Im Sommer 1911 beschloß die Redaktion als eine der ersten der Welt, sich verstärkt fantastischen Themen zu öffnen. Den Beginn machte „For 100 $ Cash“ von Edwin Baird in der Juni-Ausgabe, ein würdiger und symbolischer Einstieg, denn Baird sollte 12 Jahre später der erste Chefredakteur von „Weird Tales“ werden – er hat in dieser Funktion Lovecraft entdeckt. In der Juli-Ausgabe begann die Urmutter aller Natur-Katastrophenromane zu erscheinen: „The Second Deluge“ (Die Zweite Sintflut) von Garett Serviss, außerdem kam in dieser Ausgabe eine phantastische Kurzgeschichte von England „The Ribbon of Fate“ zum Abdruck. Und dann in der Augustausgabe, parallel zur Zweiten Sintflut, die erste Folge von Englands „Elixier of Hate“! Phantastik-Fans müssen völlig durchgedreht sein, angesichts dieses neuen Eldorados, das auf dem Zeitschriftenmarkt damals einzigartig war, denn "The Black Cat" (1895-1923) hatte sich von einem vielversprechenden Dark-Magazin allmählich in den eine Kram-Ecke für schräge Short-Shorts (fast) ohne fantastischen Bezug entwickelt. im Januar 1912 begann im "Cavalier" der oben erwähnte Klassiker „Darkness and Dawn“ zu erscheinen, der Februar präsentierte die sofort von den Lesern heißgeliebte Occult-Detective-Serie „Semi Dual“ von Giesy & Smith. Und dann, ab Frühjahr 1912, brach eine Flut von Phantastik über die Leser das „Cavalier“ herein, deren auch ein Mensch mit viel Zeit kaum Herr werden konnte. Zur selben Zeit allerdings erschien bei der Schwesternzeitschrift "All Story Magazine" Burroughs Mars-Spektakel "A Princess of Mars" - und verdunkelte damit sogar die große Ära beim Cavalier... im Oktober sollte Tarzan folgen. Tolle Lese-Tage, fast könnte man ein bißchen neidisch werden, trotz Amazon und Fernsehserien!
„The Elixir of Hate“ erschien übrigens zweimal als Nachdruck in späteren Fantastik-Magazinen – allerdings gekürzt. Diese neue Buchausgabe dürfte die erste mit dem ungekürzten Originaltext der Erstfassung sein.
Eine gelungene Wiederentdeckung ist dieser Roman auf jeden Fall – man schaun, ob sich eines Tages wer an eine Übersetzung wagt. George Allan England ist in der Public Domain.