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Heyne Science Fiction Classics 14 Ernst von Khuon

Heyne Science Fiction ClassicsDie Heyne Science Fiction Classics
Folge 14: Ernst von Khuon
Helium

Von den sechziger bis Anfang der achtziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts erschienen als Subreihe der Heyne Science-Fiction-Taschenbücher mehr als hundert Titel unter dem Logo „Heyne Science Fiction Classics“. Diese Romane und Kurzgeschichten werden in der vorliegenden Artikelreihe vorgestellt und daraufhin untersucht, ob die Bezeichnung als Klassiker gerechtfertigt ist.

Heyne Science Fiction ClassicsSeit dem 6. und 9. August 1945 ist unsere Welt eine andere geworden. An diesen beiden Tagen fielen die beiden Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki, die Hunderttausende Todesopfer forderten und das Ende des Zweiten Weltkrieges bedeuteten. Seit diesen Bombenabwürfen weiß die Menschheit, dass es in ihrer eigenen Hand liegt, den Weltuntergang herbeizuführen. In der Science Fiction-Literatur spielen Katastrophenszenarios bis zum Weltuntergang seit jeher eine große Rolle. In der vorliegenden Artikelserie haben wir mit Wenn Welten zusammenstoßen von Philip Wylie & Edwin Balmer bereits ein Weltende aufgrund einer kosmischen Katastrophe erleben müssen. Literatur über Katastrophen, die vom Menschen selbst erzeugt wurden, erhielt durch die traumatischen Ereignisse der Atombombenabwürfe eine besondere Aktualität. Auch einige deutsche Autoren versuchten sich an solchen Weltuntergangsszenarien. Neben dem heute vorgestellten Autor werden wir einige weitere Beispiele in den nächsten Wochen präsentieren.

Ernst von Khuon-Wildegg (1915-1997) war ein deutscher Journalist, der besonders durch Rundfunk und Fernsehen bekannt wurde, aber auch mit Sachbüchern und Romanen hervortrat. Ab 1935 war er Wissenschaftsjournalist beim Reichssender München und wurde nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Kriegsberichterstatter. Nach dem Krieg stieg er bald beim Südwestfunk ein, wo er es bis zum Chefreporter brachte. In seiner Sendung „Erdtrabant Alpha kreist 1957“ sagte er das Erscheinen des Sputniks zeitlich exakt voraus. Die Mondlandereportagen in der ARD verhalfen von Khuon zu großer Popularität. Sein Science Fiction-Roman Helium entstand bereits 1947 unter dem Eindruck der Atombombenabwürfe und nahm das Prinzip der Wasserstoffbombe vorweg. In der Realität wurden die erste Wasserstoffbomben sowohl von den Amerikanern als auch von den Russen 1952 gezündet.

Heyne Science Fiction ClassicsProfessor Zweiholz ist tief besorgt. Sein früherer Schüler Cziensky hat einen Weg gefunden, Explosionsenergie nicht aus der Uranspaltung, sondern aus der Fusion von schwerem Wasserstoff zu Helium zu gewinnen und auf diese Weise eine Waffe herzustellen, die eine Vielfaches der Wirkung der bereits mit verheerenden Folgen über Japan abgeworfenen Bomben erzeugen. Der alte, von einem Schlaganfall geschwächte Professor beschwört Cziensky, seine Entdeckung für sich zu behalten. Er schlägt vor, dass Cziensky den Vorsitz des Instituts für die friedliche Nutzung der Atomenergie übernimmt, also quasi vom Bock zum Gärtner wird. Cziensky lehnt ab, denn er hat ganz andere Ambitionen. Er wird vom Staatssekretär im Außenministerium der USA gefördert, der ebenfalls Ambitionen hat, und zwar auf den Stuhl des Ministers. Während einer urlaubsbedingten Abwesenheit des Ministers unterschiebt er dem Präsidenten Vorschläge betreffend das Verhältnis zur Konföderation der kleinen Uranländer, welche sich der Gier der Amerikaner nach spaltbarem Material entgegenstemmen. Er suggeriert, dass ein Test einer Bombe mit so gewaltiger Wirkung diese Länder so einschüchtern würde, dass sie den Forderungen der Amerikaner auf den Zugriff auf ihre Uranvorräte zustimmen würden. Als der Außenminister aus dem Urlaub zurückkehrt, wird er vor vollendete Tatsachen gestellt und tritt zurück. Der Präsident stimmt dem Bau der Waffe und einem Testversuch im Pazifik zu. Auch Dr. Friedrich Nathon, ein Vertrauter von Zweiholz, der anstelle von Cziensky zum Vorsitzenden des Instituts gewählt wird, kann sich mit seiner Überzeugung nicht durchsetzen. Obwohl er von den Gefahren des Versuchs warnt und dabei von Zweiholz unterstützt wird, sind die Würfel gefallen. Die Gefahr, welche auch Cziensky nicht hundertrozentig ausschließt, besteht darin, dass durch den überall in der Atmosphäre befindlichen schweren Wasserstoff ein Atombrand entstehen könnte, welcher die Vernichtung der Erde bedeuten würde.

Dr. Nathon erhob sich. Er war blaß wie der Tod. Mermals griff er nervös an den mitteren Knopf seines Jacketts.

„Herr Prof. Zweiholz“, führte er aus, „sieht in diesem Versuch eine entsetzliche Gefahr für unseren Erdball heraufbeschworen. Er glaubt, daß damit eine Lawine ausgelöst werden könnte, die von niemandem mehr aufzuhalten ist; eine Lawine, die in Sekunden die Welt umrasen und unsere Erde in eine glühende Gaswolke verwandeln würde. Prof. Zweiholz sieht die Möglichkeit eines Atombrandes, der das Ende der Welt, das Ende der Menschen bedeuten müßte. Wer garantiert, daß die von Dr. Cziensky entfesselte Kettenreaktion sich mit dem Schweren Wasserstoff der Superbombe begnügt? Daß sie nicht weiter Nahrung an sich reißt? Im Wasserdampf der Luft, in jeder Wolke, in jedem Tropfen des Meres bietet sich Nahrung an. Jedes 5000. Tröpfchen könnte die Rektionskette fortsetzen, die Lawine zur Erdkatastrophe anschwellen lassen. Die Wort Atombrand gibt eine falsche Vorstellung. Es würde kein Brand sein, den man mit Feuerwehren bekämpfen könnte. Er würde mit rasender Geschwindigkeit sich in der Atomsphäre und im Meer fortsetzen. Denken Sie sich bitte nur einmal aus, daß dieser Brand der Atome bis zum Meeresgrund hinunterschlägt. Was geschieht, wenn Hitze und Druck im brennenden Ozean die Erdrinde sprengen – das flüssige Erdinnere ins Meer quillt – unter den Wassermassen des Stillen Ozeans ein Vulkan aufbricht? Ich überlasse es Ihrer Fantasie, sich das auszumalen. Es wäre das Ende der Welt, unserer Welt.“ […]

Morrison kniff die Augen zusammen: „Und Sie, Nathon, was meinen Sie?

Nathon stand langsam auf.

„Ich bin“, gestand er „nicht unbedingt davon überzeugt, daß eine Katastrophe eintreten muß. Ich möchte es aber als möglich, ja bis zu einem gewissen Grad als wahrscheinlich bezeichnen.“

„Na also“, lachte Morrison, „das klingt schon freundlicher.“

(Zitiert aus: Ernst von Khuon: Helium. München 1973, Heyne SF 3327, S. 60f)

Die Falken setzen sich durch. Zweiholz kann Nathon nicht mehr unterstützen, denn er stirbt, geschwächt von den Bürden des Alters und des Schlaganfalls. Die Bombe wird gebaut, ein Testgelände auf einem Atoll im Stillen Ozean muss von den einheimischen Bewohnern geräumt werden, wie das in der Wirklichkeit auf Bikini und Eniwetok passiert ist.

Das Kriegssschiff Erynnia der US-Navy ist im Pazifik mit den Kontrahenten Cziensky und Nathon sowie einer Anzahl von eingeladenen Gästen unterwegs, um die Auswirkungen des Versuchs aus vermeintlich sicherer Entfernung zu beobachten. Die Bombe muss von einem ferngesteuerten Überschallflugzeug aus abgeworfen werden, denn eine Flugzeugbesatzung könnte nicht rechtzeitig aus dem Wirkungskreis der Waffe wegkommen. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Die X Z 1, halb Flugzeug, halb Rakete, geht auf Kurs zum Testgelände. Doch dann weicht sie vom vorprogrammierten Kurs ab, es muss ein Fehler in der Seitensteuerung vorliegen. Damit würde die Explosion aber außerhalb des Beabachtungsraumes der Begleitflotte landen, und Cziensky würde um die Beweise für die Wirkung seiner Waffe umfallen. Da gibt er die wahnwitzige Anweisung, zu versuchen, eine grobe Kurskorrektur vorzunehmen und das Flugzeug in Richtung der Erynnia zu lenken. Das gelingt, doch es ist sehr nahe, zu nahe, als Cziensky den Hebel zur Auslösung der Bombe betätigt...

Und dann geschah Unfaßliches. Eine erschreckende Sonne stieg über den Horizont. Sie wuchs und wuchs: es wurde keine Vollkugel daraus.

Eine Lichtglocke, von Riesenkräften aufgeblasen, schien in die Unendlichkeit wachsen zu wollen. Die Hülle dehnte sich wie eine Seifenblase.

Sie war, durch die dunklen Gläser der Schutzbrille hindurch, schneidend grell wie ein Magnesiumblitz. Der Kern der Glocke war tiefschwarz, wie die vollkommene Nacht. Und um diesen Kern herum flammten Farben, wie sie Moore noch nie gesehen hatte. Die Helligkeit der Explosion überstieg das, was die Augen aufnehmen konnten.

(Zitiert aus: Ernst von Khuon: Helium. München 1973, Heyne SF 3327, S. 118f)

Ein gigantischer Orkan schüttelt die Erinnya durch, gefolgt von einer riesigen Flutwelle, hoch wie ein vierstöckiges Haus. Das fordert bereits eine Reihe von Opfern auf dem Schiff, doch das ist nicht das Schlimmste: Alle sind mit einer tödlichen radioakiven Dosis verstrahlt. Am Horizont brennt das Meer. Die Wasserstoff-Helium-Kette läuft, der Energiebrand reißt immer mehr Nahrung in sich hinein. Wenn sich das Feuer weiterfrisst, geht die Erde tatsächlich dem Ende entgegen. Millionen von Fischen treiben tot auf der Meeresoberfläche. Cziensky gesteht Nathon, dass auch er mit der Möglichkeit des Atombrandes gerechnet hat. Die beiden Wissenschaftler diskutieren angesichts ihres bevorstehenden Todes, ob es irgendeine Möglichkeit gibt, den Atombrand zu stoppen. Die letzte Möglichkeit, die sie sehen, ist, Cadmium als „Feuerlöscher“ einzusetzen, der die Energie des Brandes aufzehren könnte. Dazu wäre aber ein Vielfaches der Jahresproduktion auf der ganzen Erde für dieses Element notwendig. Raketen in die Brandzone zu schießen wäre eine Möglichkeit, den Brand zu ersticken. Diese Information wird von Nathon noch per Funk weitergegeben, verbunden mit folgender Botschaft:

„Unser Testament an die Welt. An die Welt. An alle Brüder und Schwestern jeglicher Hautfarbe. An alle Bewohner der Erde. An jedes denkende Lebewesen auf diesem Stern: Schließt euch zusammen, und haltet, wenn die Rettung gelingen sollte, endlich den Frieden. Beginnt die neue Zeit mit dem Verzicht auf Gewalt!“

(Zitiert aus: Ernst von Khuon: Helium. München 1973, Heyne SF 3327, S. 156)

Auf weitere Konaktaufnahmevesuche kommt von der Erynnia keine Antwort mehr.

Wer das Vorbild für Professor Zweiholz war, ist unschwer zu erraten, das war vom Autor auch so beabsichtigt. Der Antagonismus zwischen Cziensky und Nathon erinnert sehr an das Verhältnis zwischen Edward Teller und J. Robert Oppenheimer. Das war allerdings ein Zufall. Von Khuon versuchte, die Verantwortlichkeit des Wissenschaftlers anzusprechen und dachte sich polare Wissenschaftler-Typen dazu aus. Dass es die Vorbilder in diesem Zusammenhang tatsächlich gab, erfuhr er erst später. Nun gibt es in der Zwischenzeit die Wasserstoffbombe bereits seit Jahrzehnten und die Welt ist keineswegs untergegangen. Ist von Khuon deshalb gescheitert? Keinesfalls, denn er wollte natürlich nicht, dass die Welt untergeht, sondern vor dem unkontrollierten Kernwaffeneinsatz warnen. Immerhin gibt es in der Zwischenzeit einen Atomwaffen-Sperrvertrag, der die weitere Ausbreitung der Kernwaffentechnologie verhindern soll. Immerhin blieben die Bomben von Hiroshima und Nagasaka die einzigen, die jemals im Krieg eingesetzt wurden. Immerhin wurden die Kernwaffenversuche drastisch reduziert. Dennoch: Auch wenn die Atomwaffengefahr etwas in den Hintergrund gerückt ist, so würden die Kernwaffenvorräte der Atommächte nach wie vor groß genug sein, um unsere Lebenssphäre zu zerstören. Dieser Gedanke hat wahrscheinlich dazu geführt, dass mittlerweile auch der friedliche Einsatz der Atomenergie in Misskredit geraten ist. Die scherwiegenden Unfälle von Three Mile Island 1979, Tschernobyl 1986 und zuletzt Fukushima 2011 sind deutliche Beweise dafür, dass hier mit riesigen Gefahren für das gesamte Leben auf der Erde gespielt wird. Die durch die Atombombenversuche der Amerikaner radioaktiv verseuchten Pazifikinseln konnten bis heute nicht wieder besiedelt werden.


Titelliste von Ernst von Khuon

Anmerkung:
Es werden die Ausgabe in den Heyne Science Fiction Classics sowie die Erstausgabe des Werks angeführt.

1973

3327 Helium
deutsche Erstausgabe: München 1949, Reich


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