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Die Hexenmühle (Teil 1)

StoryDie Hexenmühle
(Teil 1)

04.06.1510 A.D.
In der Nähe des Dörfchens Brist
Schon seit Stunden zogen sich dichte Wolken am Himmel über Brist zusammen. Es war gerade so, als ahnten sie, dass in dieser Nacht das Böse versuchte hier wieder Fuß zu fassen. Genau an derselben Stelle, wo es einst als ausgemerzt galt, drohte es wieder auszubrechen, um Rache zu nehmen...

Drei Männer stolperten eilig durch das Gehölz. Ihnen war eine Schar Reiter auf den Fersen. Nur Arklass, der Anführer der Fliehenden wusste, warum sie überhaupt auf der Flucht waren.

 

Michael WeberMichael Weber,
geboren 1975, lebt und arbeitet als Physiotherapeut im niedersächsischen Harsefeld.

Schon immer von Märchen und Verschwörungstheorien fasziniert, beginnt er selbst zu schreiben. Es entstehen in den Neunzigern die ersten Fantasy-Kurzgeschichten, die in der von ihm erdachten Welt Askyria spielen.

2004 beginnt er mit den ersten Romanen, die bislang noch unveröffentlicht sind.

Anfang 2009 beschließt er, sich an die Öffentlichkeit zu wenden; der erste Schritt dazu ist seine Homepage Askyria.org.

Ende 2009 beginnt er mit dem Erstellen von Hörspielen nach seinen eigenen Kurzgeschichten, welche im Juni, September und Dezember 2010 von verschiedenen Internetradios aufgeführt werden.

Bisherige Werke:
Hörspiele:
Barton (2009)
Zur falschen Zeit (2010)
Holprid, der Meisterdieb (2010)
Die Hexenmühle (2011)


Interview mit dem Zauberspiegel

 

Der junge Birro und sein Freund Fjelben waren ihrem Kameraden gefolgt, als er eilig aufbrach. Viel hielt sie in der Stadt Arthlemburg nicht zurück und da sie alles, was sie besaßen am Leibe trugen, konnten sie sofort verschwinden.  Es war nichts Neues für die drei Gefährten plötzlich aufzubrechen, denn sie verdienten ihren Lebensunterhalt hauptsächlich mit Diebstahl. Wenn sie entdeckt wurden, war Flucht die einzige Möglichkeit dem Pranger oder einer Haftstrafe zu entgehen.
Aber diesmal war es schlimmer!
Fjelben und Birro wären Arklass gewiss nicht gefolgt, wenn sie gewusst hätten, dass dieser vor wenigen Momenten einen Mord begangen hatte.
„Da vorne auf der anderen Seite des Flusses könnten wir uns verstecken!“, rief Arklass außer Atem. Am Ende des abschüssigen Weges konnte er zwischen den Bäumen ein altes Gebäude aufragen sehen. Eine alte, brüchige Holzbrücke führte dort über den Fluss. Blitze durchzuckten den Himmel in der Ferne und beleuchteten die Szene schauerlich.
„In dem Gemäuer dort? Das war wohl mal eine Mühle. Vor langer Zeit!“, erkannte Fjelben bitter, denn es passte ihm gar nicht, in der verfallenden Ruine in der Falle zu sitzen.
„Maul nicht! Du kannst dich ja gerne erwischen lassen! ICH NICHT!“, zischte Arklass böse zurück.
„Wir könnten uns auch dort im Wald verstecken!“, hielt Fjelben entgegen.
„Ich schlage mich nur ungern auf Arklass Seite, aber ich spüre, dass bald ein Gewitter ausbricht! Die Mühle ist bestimmt sicherer als der Wald“, sagte Birro der jüngste der Truppe widerwillig. Auch er war schon recht erschöpft, von dem Gewicht seines Rucksacks ganz zu schweigen. Arklass ließ ihn immer die schweren Sachen schleppen. Aber Birro hatte sich mit seinen sechzehn Jahren schon eine ganz passable Ausdauer antrainiert, die ihn einige Zeit lang solche Strapazen aushalten ließ. Doch auch diese war jetzt an ihre Grenze gelangt.
„Also gut, dann sei es die Mühle...“, lenkte Fjelben ein, der kurz den Himmel musterte. Die schwarzen Wolken hatten sich enorm aufgetürmt. Der Vollmond beschien sie bedrohlich, bis er von ihnen verschluckt wurde.
„Nun komm endlich! Die Reiter können nicht mehr weit sein!“, rief Arklass. Durch den Wald konnte er den Hufschlag schon hören. Eine ganze Meute schien ihnen auf den Fersen zu sein.
Doch nicht nur vom Erdboden drohte Gefahr, aus den Wolken erstreckte sich ein dumpfes Grollen bis zu den Fliehenden. Birro hatte mit seiner Vermutung Recht! Bald würde ... Nein, in diesem Moment brach ein Regenschauer los, als gössen die Götter ganze Meere über den Kameraden aus!

Ein Fluss schlängelte sich den Weg an der Mühle entlang. Alleine der Anblick der von Blitzen erhellten Brücke, an deren anderen Ende das Gebäude lag, war den Reitern unheimlich, als sie anhielten.
„Dort könnten sie sein!“, rief einer der Reiter.
„Da drin? So dumm sind die nicht! Die Mühle ist verhext... Seitdem die Hexe Bjanna darin verbrannt wurde, erzählt man sich die seltsamsten Dinge... Wenn sie dort drinnen sein sollten, dann werde ich sie da garantiert nicht suchen!“, protestierte ein weiterer.
Der Anführer blickte zu seinen Reitern. Es war offensichtlich, dass keiner von ihnen die geringste Lust hatte ausgerechnet in einer Vollmondnacht eine verfluchte Stätte aufzusuchen.
„Seht, nicht einmal der Regen traut sich dorthin!“, deutete einer der Reiter auf die andere Seite des Flusses. Dort war es scheinbar trocken und Nebel stieg um das Gebäude herum auf.
„Wir werden zumindest in das Gebäude sehen! Ihr zwei schaut nach, ob jemand in der Mühle ist, dann suchen wir auf der Wiese dort unter dem Schuppen Schutz vor dem Regen“, erklärte der Führer der Gruppe, ein stattlicher Mann namens Mendariel Voldes.
„Lasst uns lieber zurück nach Arthlemburg!“, beinah flehentlich blickte einer der jüngeren Reiter zu seinen Kameraden.
„Wir werden warten, bis das Unwetter vorbei ist, dann verfolgen wir die Spur weiter nach Brist! Dort können wir ebenfalls übernachten!“, erklärte der Anführer endgültig.
Im nächsten Augenblick kehrten die zwei Kundschafter zurück zu dem Reitertross.
„Es ist niemand in der Mühle... Überhaupt scheint schon seit langem keiner mehr dort gewesen zu sein!“, erklärte einer der Männer gegen den stärker werdenden Regen an.
„Vielleicht sollten wir uns dort in dem Schuppen unterstellen, bis das gröbste Unwetter vorbei ist!“, rief einer der Reiter ängstlich, als der Niederschlag so heftig wurde, dass es kaum möglich war, weiter als bis zu dem alten Schuppen zu sehen. Obwohl dieser nicht mal fünfzig Schritt entfernt schien, schien es bis zu ihm eine unendliche Entfernung zu sein.
„Dann auf zum Schuppen!“, erklärte der Anführer jetzt laut, bevor er seinem Pferd die Sporen gab. Als wollte er den Abschied beschleunigen, grollte der Himmel finster.

Die Flucht war geglückt. Erst als der Hufschlag der Verfolger im Regen verklungen war, wagten es Birro, Arklass und Fjelben sich aus ihrem Versteck. Sie hatten sich nicht in der Mühle versteckt, sondern unter der Brücke im Fluss.
Auch wenn das sanft fließende Wasser eine gut erträgliche Temperatur aufwies, konnten sie es nicht lange darin aushalten. Eine Erkältung wäre allen dreien sicher gewiss.
Schnell sahen sie zu, dass sie das Gewässer verließen und sich in die Mühle zurückzogen. Sie krochen durch das Gras, bis zu der Tür, welche von den zwei Spähern regelrecht einladend etwas offen gelassen worden war.
Erleichtert atmeten alle drei auf, als sie endlich im Trockenen waren.
„Meint ihr, dass sie zurückkommen?“, Birro befürchtete, dass sie ihre Verfolger noch nicht endgültig abgeschüttelt hatten.
„Du hast doch gehört, was der Kerl eben gesagt hat: Sie trauen sich nicht hierher... Verdammter Bengel, lern zuhören!“, fluchte Arklass vor sich hin.
„Hier sind wir auf jeden Fall erst einmal sicher!“, sagte Fjelben um das Thema zu beenden.
Dabei ahnte er noch nicht einmal im Entferntesten, wie falsch er damit lag...

„Was machst du denn da?“, fragte Birro mit zittriger Stimme, als er im Blitzschein sah, wie Arklass seine Zunderbüchse aus seiner Tasche gezogen hatte und sich jetzt anschickte mit dem Feuerstein einige Funken hervor zu rufen.
„Wonach sieht es denn wohl aus? Meinst du nicht, dass es hier vielleicht etwas zu holen gibt, Grünschnabel? Manchmal frage ich mich, warum wir dich überhaupt mitgenommen haben!“, knurrte Arklass. Es war doch offensichtlich, dass der Kamerad etwas Licht in die Mühle bringen wollte. Eine kleine Flamme entzündete sich jetzt im Zunder.
Sofort wurde eine Kerze beflammt, bevor das Feuer wieder verglimmte.
Fjelbens Gesicht blickte finster durch die Flamme zu Arklass herüber: „Wir haben den Jungen mitgenommen, nachdem seine Eltern getötet wurden! Weißt du noch: Wir haben geschworen uns um ihn zu kümmern!“
„Was hast du eigentlich zu sagen? Es war deine Idee den Balg mitzunehmen! Erinnerst du dich?“, schnauzte Arklas zurück.
„Ich erinnere mich auch an andere Dinge!“, knurrte Fjelben besserwisserisch zurück.
„Halt dich zurück!“, sagte Arklass wütend. Im Schein der Kerzenflamme tauchte auf einmal ein blitzendes Etwas auf. Das Geräusch, dass es begleitete, ließ auf eine Klinge schließen, die gerade gezogen worden war.
„Was willst du machen? Willst du mich aufschlitzen, wie ...“, Fjelbens Worte stockten auf einmal.
„Ja, noch ein Wort von dir und ich werde es tun! Halt jetzt deine verdammte Schnauze!“, sagte Arklass in einem Tonfall, der in ihm eine Mischung aus Wahnsinn und Wut erkennen ließ. Die beiden Männer zankten sich öfter, aber so gereizt wie gerade eben war die Stimmung bisher noch nie gewesen.
Die Drohung zeigte Wirkung, denn Fjelben lenkte sofort sowohl ein, wie auch ab: „Also gut... Dann werde ich mich hier mal umschauen... Wer kommt mit?“
„Lass es doch lieber, mir ist diese Mühle nicht geheuer! Ich will gar nicht mehr davon sehen. Der Reiter hat gesagt, sie sei verflucht... Was, wenn es wirklich so ist?“, plapperte Birro einfach so los. Dem Jungen war die Angst im Kerzenschein anzusehen. Seine Körperhaltung war erschöpft, das Gesicht war von Unsicherheit und Furcht ganz bleich geworden, die Hände zitterten nervös.
„Glaube nicht jeden Unsinn! Wir gehen nur etwas weiter in den Raum, damit man uns von draußen nicht gleich sehen kann! Vielleicht finden wir sogar etwas Weiches, worauf wir schlafen können! Wie wäre es, wenn du dich mal nützlich machen würdest? Mit irgendetwas?!“, sagte Arklass, dem Fjelbens Idee gefiel, was er allerdings nie zugeben würde. Unter Umständen war hier tatsächlich etwas zu finden, das von Wert war. Immerhin war die letzte Besitzerin eine Hexe! Und die hatten meistens viel Gold und Juwelen um sich gehäuft. So erzählte man sich zumindest... Keiner von ihnen hatte jemals eine Hexe gesehen. Frauen, die auf Besen ritten und sich an Jünglingen vergingen... Meist, so sagten es die Legenden, sollten sie sich Raben als Sklaven halten, die ihnen Augen und Ohren waren. Ständig seien die Hexen auf der Suche nach dem Ewigbrunnen, der ihnen immerwährende Jugend oder Macht versprach...
Arklass, Fjelben und Birro hielten sowas für Geschwätz, aber trotzdem war ihnen die Mühle und die Geschichte darum unheimlich. Vorsichtig pirschten sich jetzt die Kameraden über die knarrenden Dielen tiefer in den großen Hauptraum hinein. Er war viel größer, als er den Anschein machte. Spinnweben hingen von den dunklen Holzbalken herab. Durch das undichte Dach tropfte Wasser dumpf auf den Boden.
„Wie spät mag es wohl sein?“, fragte Birro, dem unheimlich war. Es schien als würde die Dunkelheit nicht nur die Kerzenflamme, sondern auch die Schritte dämpfen. Ja, förmlich sogar verschlucken... Das Atmen fiel mit jedem Schritt schwerer.
In diesem Augenblick begann irgendwo eine Uhr zu schlagen. Das Läuten war im ersten Moment ohrenbetäubend. Mit jedem Schlag klang es verzerrter und leiser, als entfernte es sich immer weiter aus der Mühle hinaus in den Regen.
Krachend erhellte sich der Innenraum für einen kurzen Augenblick. Ein Blitz war durch das Dach gebrochen und direkt in den Mühlenboden gefahren. Berstendes Holz und Gestein fielen um Fjelben, Arklass und Birro auf die Dielen, in denen große Löcher entstanden.
„Verdammt, der Boden gibt nach! Wir brechen ein! AAAAAHHH!!!!“, schrie der Jüngste noch entsetzt, dann fiel er den Trümmern der Mühle folgend in den Keller.

„... wach auf Junge! Hej, Birro!“, wie aus weiter Ferne drang Arklass´ Stimme an Birros Ohren. Klatschend fühlte sich der Junge auf die Wange geschlagen.
„Wawawawas is n looos?“, stotterte der Angesprochene, der gar nicht wusste, wie ihm geschah.
Im Schein einer Fackel konnte Birro Arklass erkennen, ansonsten war es dunkel um ihn herum. Der Junge musste einige Zeit bewusstlos gewesen sein, denn er hatte gar nicht bemerkt, das sie überhaupt eine Fackel dabei hatten. Gewiss stammte sie aus Arklass Rucksack, wie so vieles, was die Gefährten gebrauchen konnten, ihr Anführer aber nicht mit ihnen teilen wollte.
Nach zwei weiteren kräftigen Ohrfeigen, schien Birro endlich wieder völlig wach zu sein. Vermutlich hätte jede weitere Brachialbehandlung nur dazu geführt, ihn langsam wieder ohnmächtig werden zu lassen.
Als der Blick des Jungen klarer wurde, erkannte er wie Arklass, sich scheinbar unbehaglich fühlend, im Keller umher blickte.
„Was machen wir denn jetzt nur?“, jammerte Birro leise auf Fjelben blickend.
„Wir sind mit dem Boden eingebrochen! Fjelben ist tot, von... von Trümmern erschlagen! Und ich bin froh, dass du noch lebst...“, sagte Arklass leise. Dabei klang er allerdings alles andere als überzeugend. Vermutlich freute er sich nur solange, wie Birro in der Lage war, den schweren Rucksack zu schleppen!
Birros Blick wanderte ungläubig durch den Raum. Die Hand des Kameraden hielt eine Kerze, die dem Kellerraum eine - wenn auch geringe - Helligkeit verlieh. In ihr konnte der Junge erkennen, dass unter einem schweren Stein die Beine von ihrem dritten Kameraden heraus schauten. In der irrsinnigen Annahme, er könnte den Stein auch nur ansatzweise bewegen, kroch Birro darauf zu. Doch schon bald musste er einsehen, dass er dem Gewicht des riesigen Felsbrockens nichts entgegensetzen konnte.
„Oh nein! Fjelben... Warum musstest du denn auch nur so neugierig sein?“, verzweifelte Birro schließlich. Wie war es möglich, dass jemand, den er so lange und gut kannte, auf einmal nicht mehr war? Fjelben sah trotz der Trümmerteile die auf ihm lagen, relativ friedlich aus. Vielleicht lag es auch an dem Schatten, der sein Gesicht abdunkelte und damit die vom Todeskampf zernarbte Mimik abmilderte. Was auch immer es war, wenn Arklass nicht erklärt hätte, dass Fjelben tot war, hätte Birro gewiss geschworen, dass er nur schlief.
„Komm jetzt, wir müssen wieder hier raus! Vor allem weg von diesem unglückseligem Mühlenwrack!“, erklärte Arklass drängelnd, während der Junge noch immer vor sich hin wimmerte.
„Lass uns... ...abhauen! Was ist das?“, beharrte Arklass am Anfang des Satzes noch bestimmt auf das Verlassen der Mühle, verstummte er im nächsten Augenblick. Irgendetwas glitzerte dort zwischen den zertrümmerten Holzdielen und Steinen hervor. Langsam ging er, ohne auf den trauernden Birro zu achten, auf das Glitzern zu. Als er sich niederkniete um seinen Fund aufzuheben, hielt er plötzlich inne. Ein ungewohntes Gefühl ließ Arklass aufmerken. Es erschien gerade so, als stünde jemand vor ihm... Doch der flackernde Schein der Fackel offenbarte nichts Ungewöhnliches. Ein kalter Schauer kroch über seinen Rücken.
Auf einmal blickte Arklass auf eine wunderschöne Frau vor sich. In seinem Kopf wurde eine flüsternde Stimme hörbar, die ihn beim Namen nannte.
„Wer seid Ihr, schöne Frau?“, fragte sich Arklass die Fremde vor sich.
Nenn mich Bjanna..., erklärte ihre sanft hallende Stimme mit einem zuckersüßen Lächeln.
Hätte Arklass sonst sofort seinem männlichen Trieb Folge geleistet und die Frau geschändet, hielt ihn diesmal etwas zurück. Er wunderte sich gar nicht darüber, dass er durch sie hindurch sehen konnte. Für ihn erschien sie auf einmal wie der Mittelpunkt der Welt.
Bring mir diesen Kristall... Ich werde dich belohnen..., flüsterte es in Arklass Kopf.
„Ja, ich... ich werde dir den Kristall bringen, schöne Bjanna...“, sagte er völlig geistesabwesend.
Ich warte auf dich, Arklass... Beeile dich, ich brauche dich bei mir..., erklang es sinnlich leidvoll in seinem Kopf.
„Ich... werde... dich finden... Bjanna...“, flüsterte Arklass leise. Er war nicht mehr Herr seiner Sinne.

Birro war verwirrt von seiner Trauer um den erschlagenen Freund. Außerdem schmerzte sein Kopf noch immer von dem Sturz.
„Fjelben...“, sagte der Junge leise, als er sich bei dessen Körper niederließ. Aber sofort bemerkte er, dass der vermeintlich tote Kamerad noch lebte. Seine Atmung war noch intakt, wenn er selbst auch bewusstlos war. Ein Holzpfahl hatte sich durch seine Schulter gebohrt. Anscheinend war das Glück im Unglück, denn so erhielt der Stein eine Stütze und der verletzte Kamerad Platz zum Atmen.
„Arklass! Fjelben lebt noch! Er braucht unsere Hilfe...“, rief der Junge erfreut, sein Blick ging zu Arklass, in der Hoffnung, dass er irgendetwas machen würde, um zu helfen. Aber der starrte nur den Kristall an, den er gefunden hatte.
Eilig schaute sich Birro nach etwas um, mit dem er das Gewicht des Felsbrockens forthebeln konnte.
„Fjelben, hörst du mich? Wir helfen dir, bald bist du wieder  mit uns unterwegs... Arklass wird bestimmt... Arklass?“, doch der Kamerad war verschwunden.
„Arklass... ist der Mörder... deiner Eltern...“, röchelte es von Fjelben zu Birro heran, der nur verzweifelt rief: „Was? Oh verdammt, er fantasiert schon! ARKLASS!“
„...haben uns... gestritten... Wollte mich töten, als du ohnmächtig warst...“, stöhnte Fjelben leise.
„Arklass?“, fragte Birro in das Dunkel um sich herum. Er hatte lediglich eine Kerze hier bei seinem verletzten Kameraden, ansonsten hüllte ihn Dunkelheit ein, die ihn zu ersticken drohte. Der Junge war völlig verzweifelt. Was sollte er nur machen? Fjelbens Verletzungen bedurften ohne Zweifel schnellstmöglich Hilfe.
„Was soll ich nur tun? Was soll ich nur tun?“, diesen Satz wiederholte Birro immer wieder. Arklass war verschwunden, vermutlich in dem langen finsteren Tunnel, der von dem Raum unter der Mühle ins Nichts führte. Zumindest meinte Birro dort gerade noch das letzte Bisschen Licht der Fackel verschwinden zu sehen. Jetzt erleuchtete nur noch eine kurze Wachskerze den Keller, doch auch diese letzte Helligkeit, würde schon bald endgültig verglimmen. Noch immer versuchte Birro vergeblich einen Ausweg zu finden. Inzwischen war Fjelben wieder ohnmächtig geworden.
„Hej, lass mich jetzt nicht im Stich! Fjelben! Fjelben...“, bettelte der Junge verzweifelt.
Der Tunnel in dem Arklass verschwunden sein musste, wirkte in der geringen Beleuchtung nicht gerade sehr vertrauenserweckend, was den Jungen davon abhielt, ihn zu betreten. Was sollte er nur tun? Sein Entschluss wurde mit jedem Augenblick fester: Er musste Hilfe holen... Ihre Verfolger! Immerhin hatten sie es ja nicht auf Birro und Fjelben abgesehen, denn sie hatten sich in Arthlemburg benommen. Was auch immer es war, das Arklass vor den Reitern in Ungnade gebracht hatte, würde Fjelben und ihn nicht betreffen! So erhoffte sich der Junge. Wenn ihr selbsternannter Anführers jetzt vorzog allein zu verschwinden, musste auch der Junge seinen eigenen Weg gehen...

Arklass war tatsächlich in dem dunklen Gang verschwunden. Vor seinen Augen war noch immer das Bild von Bjanna. Ihr wundervolles Lächeln hatte sich in sein Bewusstsein gebrannt. Wie von fern her gesteuert, bewegte er sich immer weiter den Gang hinunter.
Arklass, liebster Arklass... Du bist zu mir gekommen... Komm, bring mir den Kristall..., sagte Bjanna erfreut, die in ihrer durchsichtigen Gestalt vor einem Grabmal schwebte.
„Hier ist er, Bjanna...“, Arklass hielt ihr den Kristall hin.
Du musst den Sarg öffnen... Gib mir den Kristall in die Hand, dann werde ich bald bei dir sein, säuselte sie.
„Wie kann ich die schwere Grabplatte öffnen?“, alleine die Vorstellung den riesigen Steindeckel zu bewegen schauderte ihm.
Du hast den Kristall... Er wird dir die Kraft geben, die du benötigst..., die Stimme der Frau klang schon beinah leidend in seinen Ohren.
„Und wenn ich die Sargplatte zertrümmern muss, ich werde dir gehorchen, Bjanna...“, Arklass war ihr schon mehr verfallen, als er es sich je hätte vorstellen können. Durch seine niederen Gelüste und dem vom Bösen bestimmten Dasein, war der Dieb und Mörder ein leichtes Opfer für den Geist der Hexe. Bjannas Erscheinung schien auf ihn hypnotisch zu wirken. Ohne zu überlegen legte Arklass eine Hand an die steinerne Grabplatte und schob sie wie einen Stapel Pergament zur Seite.
Noch während er sich über die Leichtigkeit dieser Aktion wunderte, begann der Kristall in seiner anderen Hand zu leuchten. Eine unheimliche Hitze ging von ihm aus, die regelrecht Arklass Haut verbrannte. Die Finger krampften um den Stein, so dass er ihn nicht loslassen konnte. Mit voller Wucht hieb er seine Hand immer wieder gegen das Steingrab. Bis er den Stein loslassen konnte, waren alle Finger gebrochen.
„AAAAAAAAHHH!“, schrie Arklass noch lange nachdem er losgelassen hatte.
Schweig! Leg den Kristall in meine Hand! Ich kann nicht mehr warten!, verlangte Bjanna jetzt mit ungeduldiger Stimme.
„Warum verlangst du von mir, dass ich das Ding noch einmal anfasse?“, in Arklass Stimme war Verwirrung neben Angst der stärkste Ausdruck.
Wenn du es nicht machst, muss ich mir einen anderen Retter erwählen..., sagte sie auf einmal enttäuscht. Ihr wunderschönes Gesicht nahm eine traurige Miene an.
„Nein, meine wunderschöne Bjanna... Ich werde dir gehorchen!“, erklärte Arklass fest, bevor er zögerlich den Kristall aufhob, der sich jetzt seltsam kalt anfühlte. Wie geheißen legte er den Stein in die Hand der bis auf die Knochen verwesten Hexe. Das Fleisch war schon von ihr abgefault und ihre Kleider verrottet. Trotz ihrer skelettartigen Erscheinung nahm Arklass ihre Hand und küsste sie zärtlich: „Für dich, Bjanna ... Mein Leben will ich geben...“
Fairnesshalber muss ich dir etwas gestehen, bevor ich mich erhebe... Ich sehe etwas anders aus, als in dieser Geistergestalt..., sagte sie mit einem schüchternen Lächeln.
„Dein Äußeres wird mich nicht zurückschrecken... Ich liebe dich!“, erklärte Arklass festen Glaubens.
Hui, nun sei nicht so toll! Ich stelle mir unsere Beziehung auf einer anderen Ebene vor, Sklave..., ließ sie ihre wahren Absichten erkennen.
Aber anstatt eines Protestes verbeugte sich Arklass vor ihr.
„Dann sieh meine wahre Gestalt... Mein Sklave!“, lachte auf einmal eine ungewohnte Stimme.
Als sich Arklass wieder aufrichtete, schaute er in das hässlichste Gesicht, das je von einem Menschen erblickt wurde.
„Na, immer noch scharf auf mich?“, krächzte sie lachend und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Damit legte sie einen Zauber auf ihn, der ihn versklavte. Arklass war ihr völlig verfallen...

Platschend jagten Birros Schritte über die Brücke. Der Regen hatte mittlerweile den Fluss überquert und jetzt lag die Wiese mit dem Schuppen im Trockenen, während die Mühle den Guss empfing.
Mit einem Mal wurde der Lauf des Jungen beendet. Eine riesige Pranke hieb wie aus dem Nichts vor seine Brust, was ihm sowohl das Gleichgewicht, als auch den Atem nahm. Im nächsten Augenblick wurde er am Nacken gepackt. Eine kräftige Hand zog ihn ohne Erbarmen hinter sich her.
„Au! Das tut weh! Lasst mich aus! Ich flehe Euch an!“, bettelte Birro immer wieder, bis er in den Schuppen geschliffen wurde.
„Mendariel! Seht doch mal, wen ich draußen aufgeschnappt habe! Nach Hilfe schreiend ist er über die Wiese gelaufen... Als ob irgendjemand solchem Gesindel helfen wollte!“, sagte der Mann lachend, der Birro jetzt fest in den Schwitzkasten nahm und ihn seinem Anführer präsentierte.
„Lass ihn los! Er hat uns nichts getan! Wir sind hinter Arklass her! Wo steckt er, Junge?“, sagte der Mendariel genannte.
„Wir haben uns versteckt... In der Mühle, vor der Ihr vorhin standet! Mein Gefährte-“, gestand Birro.
„WAS? IN DER HEXENMÜHLE?“, schnaufte der Mann auf, der jetzt den Griff um Birros Hals löste und ihn von sich stieß, als hätte der Junge sich in eine glitschige Qualle verwandelt. Auch die anderen Verfolger waren sichtlich entsetzt.
„Lass ihn erzählen!“, befahl der Anführer scharf, was alle anderen zum Verstummen brachte.
„Sprich, Junge!“, fügte er sanft hinzu.
Ein kurzer Moment der Stille trat ein. Dann begann Birro seinen Bericht: „Wir sind auf der Flucht vor Euch in der Mühle gelandet... Arklass hat uns dorthin geführt. Als wir uns umgeschaut haben, ist der Boden eingestürzt und wir sind in einem Keller gelandet. Fjelben ist verletzt und Arklass ist verschwunden. Was soll ich nur machen? Wir wollten doch nie etwas Böses tun!“, wahrscheinlich glaubte der Junge das wirklich. Er wusste nicht, wie sich Fjelben und Arklass ihre Stehlerei aufbesserten: Arklass mordete für Geld und Fjelben war erfolgreicher Betrüger im Trickspiel und Taschendiebstahl. Lediglich Birro war darauf abgerichtet worden, Nahrung zu stehlen. Das brauchte er meist noch nicht einmal, denn viele Bewohner in den Dörfern boten dem ärmlichen wirkenden Jungen von sich aus etwas zu Essen an. So brachte er Früchte und ab und zu ein Brot mit zu den Gefährten. Feinere Sachen, wie Schinken, Käse oder Wurst waren für ihn allerdings nur durch stehlen zu erreichen.
„Helfen? Arklass hat einen unserer Stadtbewohner getötet! Hinterrücks gemeuchelt!“, schnaufte einer der Reiter entsetzt.
Das Gesicht von Birro zeigte einen ungläubigen Ausdruck. Er wusste nichts von dem Mord.
„Ich werde diesem Pack nicht zur Hilfe eilen! Ich werde lieber dieses Geschwür entfernen und mit dem da fange ich gleich an!“, schnaubte einer der Verfolger, als er auf Birro deutete und sein Schwert zog.
„LASS IHN! Er hat nichts Böses getan... Und wenn war es aus Not! Dafür darf nur Gott ihn strafen! Und wir sind vor dem hohen Herren verpflichtet zu helfen!“, erklärte der Anführer Mendariel, für den es außer Frage stand, schon im nächsten Augenblick zur Mühle aufzubrechen.
„Was wenn der Fluch der Hexe geweckt wird?“, fragte einer der Männer, der um die Vergangenheit der Mühle zu wissen schien.
„Dann sind wir alle in Gefahr! Ich werde mit zur Mühle gehen! Wer ist noch dabei?“, rief ein bislang still gewesener Mann aus. Einige Stimmen erhoben sich für den Aufbruch, andere dagegen.
„Bevor wir hier noch mehr Zeit verlieren... Wer mitkommen will ist herzlich eingeladen!“, erklärte der Anführer und erhob sich, ohne auf die wild durcheinander sprechenden Kameraden zu hören. In diesem Moment stockte die Diskussion. Mendariel hatte Schwert und Mantel genommen, die er anlegte um den Aufbruch einzuleiten. Er konnte den Anderen nicht befehlen ihn bei der Hilfsaktion zu unterstützen. Nach dem Mord, hatten sich einige blutrünstige Bewohner Arthlemburgs um ihn gescharrt, sofort gewillt bei Regen und Sturm den Tod ihres Mitbürgers zu rächen. Ging es darum jemanden zu jagen, waren sie sofort dabei, aber wenn es um Hilfe ging, brauchten sie sehr viel Antrieb.
Der Aufbruch ihres Anführers schien allerdings dieses Mal nicht genug Antrieb zu sein. Lediglich ein weiterer Mann schloss sich ihnen an.
„Klasse, wir gehen in das Unwetter raus, um in einer verfluchten Mühle Banditen und Mördern zu helfen!“, knurrte der Mann, der schon die ganze Zeit so abweisend reagiert hatte. Ganz wohl war ihm bei der Sache nicht.

Die fünf Männer und Birro näherten sich der Mühle, die im Licht der Blitze sehr alt und verfallen wirkte. Ob er wollte oder nicht, der Junge wurde erbarmungslos mitgezogen. Doch wahrscheinlich war dies das Beste für ihn, denn was die zurückgebliebenen Häscher mit ihm angestellt hätten, wäre gewiss kurz und schmerzhaft gewesen. Vor allem aber endgültig!
Mit jedem Schritt wuchs Birros Angst weiter an. Lebte Fjelben überhaupt noch? War Arklass vielleicht schon längst geflohen? Er war so seltsam nachdem er...
„Da war noch etwas! Arklass hat irgendetwas gefunden und ist damit in einem Tunnel verschwunden...“, Birro hatte das bislang nicht erzählt.
„Erzähl genauer!“, befahl Mendariel interessiert. Auch die vier anderen Männer wurden aufmerksam. Der Junge folgte der Aufforderung: „Es war ein unheimliches Leuchten! Ich hätte schwören können, dass es von einem Kristall ausging. Es schien Arklass zu verändern...“
„Der Fluchstein! Er ist bewegt worden!“, stammelte einer der Verfolger entsetzt, als er, wie die Anderen direkt vor der Brücke stehenblieb. Lediglich Birro und der Anführer betraten die Holzbalken der Flussüberquerung, doch auch sie stoppten ihren Lauf, um zu ihren Begleitern zu sehen.
„Dann ist schon alles verloren! Ich werde zurück nach Arthlemburg reiten und meine Familie schützen!“, erklärte einer der Unentschlossenen, bevor er sich umdrehte und zu dem Schuppen zurücklief.
„Warte, ich komme mit!“, rief ein zweiter, der dem ersten schnell folgte.
„Und? Was ist? Wollt ihr zwei vielleicht auch noch abhauen?“, schnauzte der Anführer die Verbliebenen an. Peinlich berührt schauten sie zu Boden, aber tapfer setzten sie endlich ihre Füße auf die Holzplanken der Brücke. So waren es schließlich drei Männer und Birro, die jetzt bei der Mühle eintrafen.
Der Anführer hatte seine Ruhe endgültig verloren und fluchte vor sich hin, weil seine Kameraden ihn derartig im Stich gelassen hatten. Doch schon der nächste Moment musste Ruhe bringen, denn Zorn war ihnen jetzt ein mehr als unnützer Begleiter.
„Passt auf, der Boden ist kurz hinter der Tür eingebrochen“, warnte Birro, als sie vor dem Eingang der Mühle standen.
„Zündet die Fackeln an, nicht dass einer von uns sich noch verletzt“, sagte der Anführer, aber statt den Fackeln, wurden die Schwerter gezogen.
„Da stimmt was nicht... Es geht eine unheimliche Macht von dieser Mühle aus... Gerade als wäre die Hexe hier her zurückgekehrt!“, sagte einer der Verfolger bitter, als er den Abstieg begann.
„Was ist hier denn nur geschehen?“, fragte Birro, der von dem Anführer eine Fackel bekommen hatte und jetzt durch die Tür auf den eingebrochenen Boden blickte.
„Hier hat früher ein magisches Weib gewohnt... Sie hat Kinder aus der Gegend getötet, damit sie länger leben konnte. Als sie von Inquisitoren aus Arthlemburg in ihrer eigenen Mühle eingesperrt worden war, stieß sie einen Fluch aus. Allen, die im nahen Umkreis der Mühle starben, soll der Weg aus ihren Körpern verwehrt sein... Daraufhin haben sich die Dorfbewohner mit Fackeln bewaffnet und die Hexe mitsamt der Mühle verbrannt... Ein Magier hat angeblich sogar einen Bann gesprochen, der die Hexe und ihren Geist in diesen Mauern hält...“, erklärte Mendariel.
„Ein Bann? Das ist doch nicht Euer Ernst, oder?“, Birro fühlte sich auf den Arm genommen.
„Du hast ihn schon erlebt, als er Arklass angefallen hat. Du selbst hast gesagt, dass er auf einmal völlig verändert war. Und man beschreibt den Zauber des Magiers in einem Kristall...“, erklärte der Anführer, der jetzt aufmerksam in die Tiefe schaute, in der sich seine zwei Kameraden dem riesigen Felsbrocken näherten, der Fjelben unter sich barg.
Die Stimme des ersten Mannes der bei dem Verletzten angelangt war, klang hoffnungsvoll: „Er ist bewusstlos, aber er lebt... Nur weiß ich nicht, ob wir ihn lebend ins Dorf schaffen können, die Wunden... Moment... Da sind ja Stichwunden!“
„Fjelben hat gesagt, dass Arklass ihn angegriffen hätte... Ichch dachte er fafantasiert...“, stotterte der Junge unter Tränen. Er hatte es nicht wahr haben wollen, aber die Erkenntnis der Stichwunden war sehr ernüchternd gewesen.
„Ein Wunder, dass er überhaupt noch lebt...“, überlegte einer der Männer laut.
„Nein, sein Geist kann den Körper nicht verlassen...“, bemerkte Mendariel grübelnd in die Tiefe.
„Dann ist der Zauber wirklich aktiv? Oh nein! Ich glaube es nicht! Ich will es nicht glauben!“, verzweifelte einer der anderen Männer.
„Glaub es endlich und hör auf zu jammern! Gegen dich ist der Knabe da oben ja schon richtig mutig!“, brummte der zweite Mann zu Birro am Eingang nickend, als er mit seiner Fackel umher leuchtete.
„Wenn wir etwas von diesem Elfentrank dabei hätten, dann könnten wir deinem Freund vielleicht helfen, aber so...?“, erklärte der Anführer, der mittlerweile ebenfalls in den Keller gestiegen war und Fjelben jetzt begutachtete. Tatsächlich schien noch Leben in dem Körper zu stecken, aus dessen Wunden nicht einmal mehr Blutstropfen herausdrangen.
Birro war alleine oben am Eingang. Ängstlich schaute er sich um. Sollten alle diese Geschichten tatsächlich wahr sein? Befand er sich wahrhaftig in einer verfluchten Hexenmühle?
Aber selbst er, der keinerlei Wundenkunde hatte, war ziemlich sicher, dass Fjelben schon längst seinen Verletzungen hätte erliegen müssen. Um seinen Körper herum war alles voll Blut, das jetzt auch noch von den Füßen der Männer im Raum verteilt wurde.
Auf einmal wurde ein dumpfes Lachen hörbar, das aus dem Tunnel herüber schallte. Ohne zu zögern rannten Birros Begleiter auf den vermeintlichen Ursprungsort des Gelächters zu. Wieder war der Junge alleine, als er zwischen der offenen Mühlentür und dem gähnenden Abgrund unschlüssig auf die Rückkehr der Männer wartete. Was auch immer die drei Männer in die Finsternis gelockt hatte, war jetzt auch für ihn spürbar. Es drang nach draußen...
Noch ehe der Junge nach den Männern rufen konnte, sah er etwas in der Dunkelheit, in der man ihn zurückgelassen hatte. Mit einem Donnerschlag erschien das Gesicht einer alten Frau vor dem seinen. Es war riesig und furchteinflößend.
Auch du wirst mir nicht entkommen, mein Jüngling... Hahahihaha!, lachte eine hallende Stimme in Birros Kopf.
Langsam verschmolz das Gesicht mit dem Dunkel.
Hatte er es sich nur eingebildet? Auf jeden Fall war der Junge sehr erleichtert, als der Tunnel ein Licht preisgab. Seine Begleiter kehrten zurück. Aber der Fackelschein stoppte, noch bevor er den Keller erreichte. Auch die Schritte, die mit dem Licht näher kamen, verebbten mit einem Donnerschlag, der die Grundmauern der Mühle erbeben ließ.
Birro wurde es unheimlicher als noch zuvor.
„Herr Mendariel? Seid Ihr in Ordnung? Warum kommt Ihr nicht näher?“, fragte der Junge mit zitternder Stimme, als sein Herz immer schneller schlug. Nicht ein Ton war mehr aus dem Keller oder dem Gang zu hören...
„Wieso bin ich nur so dumm?“, fragte sich Birro, als er in den Keller herunter kletterte. Die Antwort blieb er sich schuldig...
Sein Blick wanderte durch das Dunkel zu Fjelbens schemenhaften Körper. Gab es überhaupt noch Rettung für seinen Freund? Was war dieser Elfentrank, mit dem Fjelben geholfen werden konnte?
Birro lenkte sich absichtlich ab, weil er nicht in den Tunnel gehen wollte. Auch von hier unten war nicht zu erkennen, warum das Licht seiner Begleiter stehengeblieben war. Nach wie vor schienen nur die Flammen aus dem Tunnel.
Nimm... dich in acht... Das Böse ist hier am Wirken..., flüsterte eine Stimme.
„Fjelben? Wie geht es dir? Hast du Schmerzen?“, fragte der Junge schnell.
Natürlich hab ich Schmerzen... Obwohl... Ich weiß es nicht genau..., antwortete der Kamerad erst patzig, dann nachdenklich.
„Du bist tot...“, stammelte Birro und wich ein paar Schritte zurück.
Erzähl doch nicht so ein dummes Zeug... Bei allen Göttern! Vielleicht hast du Recht?, Fjelben hatte sich erhoben, denn die Last der Steine war auf einmal von ihm gewichen, gerade so, als seien sie durch ihn hindurchgefallen. Erst als er durch seinen eigenen Arm schauen konnte, entdeckte er, dass er völlig durchsichtig war.
Ich bin... ein Geist... Na toll!, erkannte Fjelben ebenso entsetzt, wie richtig.
„Tu mir nichts an!“, bettelte Birro ängstlich.
Hab keine Angst! Ich werde dir kein Leid zufügen... Schließlich bin ich nicht Arklass..., erklärte Fjelben bestimmt.
Vorsichtig betrachteten sich die beiden Freunde. Scheinbar waren sich beide nicht sicher, ob das körperlose Auftreten Fjelbens nicht ihre familiäre Beziehung beeinträchtigen würde. Damit trat eine peinliche Stille in der ohnehin schon unangenehmen Dunkelheit ein.
„Was meintest du vorhin damit, er habe meine Eltern getötet?“, fragte Birro, um von der Stille abzulenken. Neben seiner eigenen, lenkte er auch die Aufmerksamkeit des Geistes von dem Schicksal der drei Männer ab. Wie würden sie reagieren, wenn ihnen gewahr wurde, dass Fjelben nicht mehr in seinem Körper befand?
Er hat damals deine Eltern getötet, als wir euch überfallen hatten. Aber dich zu töten fehlte ihm der Mut. Du warst noch ein kleines Kind. Wir haben dich aufgezogen... Arklass wollte dich heranziehen, um dich dann als Sklaven zu verkaufen, wenn du reif genug wärst... Aber ich konnte das nicht zulassen, gestand der Körperlose.
„Nein, das ist nicht wahr!“, stammelte Birro entsetzt.
Ist es wohl!, erklärte der Geist schon beinah zickig, was für Fjelben völlig anormal war. Die neue Gestalt schien ihm schon zu Kopfe gestiegen zu sein.
Der Junge brauchte einen Moment, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass sein ganzes bisheriges Leben eine einzige Lüge war. Nicht nur, dass ihn die Mörder seiner Eltern großgezogen und er als Sklave verkauft werden sollte, sondern auch dass sein >Freund< Fjelben jetzt als Geist vor ihm stand, verwirrte ihn ziemlich.
Dann jedoch riss ihn die seltsam hallende Stimme Fjelbens aus den Gedanken: Wir sollten hier verschwinden...
„Aber was ist mit den Anderen? Sie sind schon dort im Tunnel... Aber sie kommen nicht... Haben sie vielleicht Angst vor dir?“, Birro wurde unterbrochen.
Jetzt wohl nicht mehr... Sie sind tot..., erklärte der Geist, dessen Blick auf den Gang gerichtet war. Aus diesem jagten jetzt drei violett leuchtende Gestalten auf Birro und Fjelben zu. Es waren die Geister von Mendariel und seinen Begleitern, das konnte der Junge noch in den geschockten Gesichtern erkennen, bevor sie ihn regelrecht durchfuhren. Dann rasten sie aus dem Eingang und verschwanden im Regen.
Birro hatte jetzt kein Verlangen mehr danach weiterhin in der Mühle zu verbleiben. Voller Angst kletterte er die Teile des eingestürzten Fußbodens wieder herauf... Dann begann er zu laufen, so schnell wie nie zuvor...

Birro hatte durchgehalten bis zu dem nahen Dorf Brist zu rennen. Aber kaum war er dort angekommen, fiel er den beiden Wachen an dem kleinen, befestigten Tor regelrecht in die Arme.
„Die Mühle... Mühle... Mühle...“, wiederholte der Junge immer und immer wieder.
„Wat hat n der? Nen Volmondkoller, oder wat?“, ulkte einer der Wachleute.
„Keene Ahnung, der is voll fertich... Der secht watt vonner Mühle! Meent der wohl die Hexenmühle? Dann lass ich den hier aber nich rinn!“, antwortete der Andere eher mit Sorge, als belustigt.
„Bringt ihn zu mir...“, erklärte eine brummende Stimme, deren Sprecher jetzt langsam aus dem lichtlosen Hintergrund hervortrat.
Die beiden Wachen fuhren erschreckt zusammen. Sie hatten den hageren Mann, der auf einmal wie aus dem Nichts hinter ihnen im Schatten stand, noch nicht bemerkt, bis er sein Wort an sie richtete.
„Wie kommst du denn ins Dorf? Ick heb dich dor garantiert nich rinn gelassen!“, erklärte der eine Wächter mit verwundertem Blick auf den Fremden. Dieser war ein sehr hochgewachsener Mann, mit ebenholzfarbener Haut. So einer war hier selten zu sehen, und wenn einer von ihnen auftauchte, dann war es meist um die Vollmondzeit.
Neben seiner Hautfarbe war auch die spitz zulaufende Ohrform etwas Unheimliches, denn sie bedeutete hier in der Gegend nichts Gutes. Mit solch einem ließ man sich besser nicht ein.
„Wat willsu mit dem Jung? Willsu dich mit dem wohl vergnügen oder watt?“, fragte die andere Wache, die offenbar etwas mehr Alkohol im Blut hatte, als es ihm gestattet war.
„Natürlich... Ich will meinen Spaß mit ihm haben... Jetzt bringt ihn hier rüber in den Schatten! Ihr erregt ja schon die Aufmerksamkeit der Schlafenden!“, sagte der Spitzohrige mit ungewöhnlich ruhiger Stimme.
„Dat kost aber een Goldstück! Schließlich müssen wer jor unseren Posten im Stich lassen, hehehe!“, scherzte der Wächter mit dem Alkoholproblem.
„Ihr geht euch jetzt übergeben und Ihr bringt den jungen Mann dort zu mir!“, sagte der Fremde, der sich nicht aus dem Schatten herauszutrauen schien.
Die Worte des Spitzohrigen zeigten Wirkung... Zumindest >Würgung< bei der betrunkenen Wache.
„Warst du dat? Ihr verdammt´n Spitzohren! Hier nimm den Jungen!“, erklärte die zweite Wache und zog Birro zum Schatten herüber.
„Vergiss, dass du mich gesehen hast!“, erklärte die schwarze Gestalt, als sie den noch immer vor sich hin faselnden Birro auf die Arme nahm.
Wie angewurzelt blieb der Wächter stehen und starrte in den leeren Schatten vor sich. Warum er es tat wusste er nicht... Er hatte irgendetwas hier gesehen, aber was war es? Auf einmal sprang etwas an ihm vorbei. Es war eine hässliche Katze, deren plötzliches Auftreten hart mit der Anspannung der Wache zusammenstieß. Das war Pech für die Katze, denn ein Hieb mit dem Speer, beendete ihren Sprung unsanft.
„Alder wat machsu denn? Gehsu jetzt auf Katzenjagd? Wat starrst du denn so ins Dunkel? Schon seit zehn Minuten reagierst du auf gar nichts mehr... Hasu nen Vollmondkoller?“, lachte die Stimme des scheinbar ziemlich angetrunkenen Kameraden.
„Vollmondkoller?“, dieses Wort hatte er doch an diesem Abend schon einmal gehört... Aber wann und wo? Er hatte es völlig vergessen...

„Wo... wo bin ich?“, stammelte Birro leise vor sich hin. Er lag auf einer weichen Matratze scheinbar in einem Gasthaus. Wie kam er hier her? Die letzte halbe Stunde war für ihn völlig verschwommen. Neben ihm saß eine Gestalt, die gerade aus einem scheinbar schlafenden Zustand erwachte. Sie hatte, soweit der Junge es erkennen konnte, spitze Ohren und schwarze Haut... Der Blick des Fremden wandte sich zu Birro.
„Du bist in Sicherheit... Hier, trink das, dann geht es dir bald wieder besser...“, erklärte der Spitzohrige, der jetzt langsam in Birros verschwommenem Blick klarer erkennbar wurde. Wenn der Junge an Fabeln und Mythen geglaubt hätte, wäre er sicher gewesen gerade einem Elfen gegenüber zu sitzen. Aber die gab es doch nur in Kindermärchen.
„Danke...“, der Junge nahm ein kleines Glas entgegen, das er ohne zu zögern in einem Zug leerte.
Sofort wurde ihm ganz heiß. Er fühlte sich unheimlich gestärkt, beinahe als hätte er von dem Elfentrank bekommen, den Mendariel erwähnt hatte.
„Das Gebräu heißt Eles...“, sagte der Fremde sehr ruhig.
„Was? Wovon sprecht Ihr?“, Birro war entsetzt. Der Kommentar des Spitzohrigen war so gesprochen, als wäre er die Antwort auf eine Frage. Waren die Geschichten über diese Elfen etwa wahr? Konnten sie wirklich Gedanken lesen?
„Nicht alle... Ich schon... Dein Freund hat mir alles über eure Nachtwanderung erzählt... Normalerweise würdest du dich jetzt ausschlafen und morgen an nichts mehr davon erinnern, aber ich habe dein Gedächtnis nur aus einem Grund geschont, denn du, Birro, bist ein Askyrier...“, erklärte der Fremde ruhig.
„Ein was?“, fragte der Junge kurz.
„Du entstammst einer anderen Welt... Fjelben hat mir erzählt-“, der dunkelhäutige Mann wurde harsch von Birro unterbrochen: „Fjelben? Wo ist er? Lebt er noch? Äh- ich meine ist er noch tot? Also...“
Der Junge wurde sich gerade bewusst, dass er in diesem Moment etwas erlebte, das weit über seinen geistigen Horizont hinausging.
„Na toll... Jetzt hast du ihn völlig verwirrt!“, erklärte eine kratzige Stimme von einem der Sessel in der Mitte des Raum. Ein kleiner Mann mit grauem Vollbart blickte jetzt über die Lehne. Er sah beinahe schon niedlich aus mit seinem fröhlichen Gesicht, der großen Nase und den Pausbacken, aber die Axt, die an der Lehne stand, strafte den Anblick Lügen.
„Vielleicht sollten wir dich tatsächlich aufklären...“, sagte der Spitzohrige. >Auf die sanfte Art< wollte er noch seinem Satz hinzufügen, aber da plapperte der kleine Mann schon munter drauf los: „Er ist Elf, ich bin Zwerg... Der ist aus´m Wald, ich komm vom Berg...“
Birros Blick war verständlicher Weise ungläubig.
„Sehr feinzüngig, Herr Erzklamm! Die korrekte Bezeichnung lautet Darun, oder bei den Menschen bekannt als Dunkelelf! Oder noch besser gesagt: Unbekannt!“, sagte der Schwarzhäutige gelassen.
„Ihr treibt Schabernack mit mir... Los gesteht es!“, die Stimme des Jungen zitterte.
Nein, Birro... Sie haben recht! Du bist ein Halbling. Deine Mutter war eine Elfe und dein Vater ein Mensch. Das war auch der Grund, warum Arklass sie getötet hat. Er verurteilte diese Liebschaft, als er sie erkannte!, erklärte Fjelben telepathisch, der jetzt in seiner durchscheinenden Gestalt neben dem Bett auftauchte.
„Ja, Birro, mein Junge, ich fürchte solche Beziehungen sind in dieser Welt nicht gerne gesehen...“, erklärte der Zwerg.
Ihr wisst meinen Namen! Aber wer seid Ihr und was wollt Ihr von mir?, dachte Birro die Worte, die er sich nicht auszusprechen wagte.
„Oh, wo bleibt nur unsere Etikette... Naja, ich bezweifle, dass der Zwerg sowas besitzt... Ich bin Aykim von Rafur, der Winzling dort wird Gabriel von Erzklamm genannt...“, erklärte der Dunkelelf, der schon wieder die Gedanken von Birro gelesen hatte.
„Kannst mich Gaby nennen“, erklärte der kleine Mann freundlich.
Ihr benutzt einen Weibsnamen? Wie passend, bei Eurem Bart, lachte Fjelben, woraufhin der Zwerg vom Sessel sprang, seine Axt hochriss und vergeblich nach dem Geist schlug, was diesen allerdings noch mehr zum Lachen brachte. Immer wieder fuhr das Axtblatt durch Fjelbens nebelartigen Körper.
Er soll aufhören! Das kitzelt!, lachte der Geist vergnügt.
„Lass ihn sich austoben, dann schläft er wenigstens gut...“, sagte Aykim kopfschüttelnd. Sein Blick wanderte zurück zu dem Jungen.
Birro hatte sich im Bett aufgesetzt und starrte nur entsetzt vor sich hin.
„Was wollt Ihr?“, fragte er matt und leise. Die Geschehnisse hatten von ihm viel Kraft gefordert.
„Wir haben die Aufgabe >Zwischenfällen< zu begegnen! Und du scheinst mitten in einen solchen >Zwischenfall< hineingeraten zu sein...“, erklärte Aykim geheimnisvoll.
„Also?“, fragte Birro nach. Ihm gefiel der Ton nicht, mit dem Aykim das Wort >Zwischenfall< bedacht hatte. Vor allem hatte er noch immer nicht heraushören können, was genau der Winzling und der schwarzhäutige Elf mit ihm vorhatten.
„Im Sinne unsere Welt Askyria geheim zu halten, verhindern oder vertuschen wir magische Vorfälle... Die Menschen können mit der Magie nicht umgehen, daher versuchen askyrische Soldaten - wie wir - sie davor zu schützen!“, erklärte Aykim stolz.
„Diese mordgierige Rasse ist schon einmal über uns hergefallen! Die Feenwälder brannten, die Einhörner wurden enthornt, die Drachen gehäutet und Zwerge an Zoos verkauft! Nur die Elfen verschwanden mal wieder in den Wäldern... Typisch!“, sagte der Zwerg jetzt theatralisch, aber müde. Seine Axtschwingerei hatte ihn sichtlich erschöpft.
„Der Zwerg erzählt mal wieder Unsinn... Unsere Geheimhaltung ist eher ein Beitrag zur Erhaltung des Menschen... Aber das ist jetzt nicht unser Problem, sondern die Geschehnisse in der Mühle!“, sagte der Dunkelelf.
„Drei Männer sind dort unten gestorben... Und Fjelben!“, erklärte Birro, der noch immer nicht mit der Situation umzugehen wusste. Alles war einfach zu schnell gegangen. Auch das er Elfenblut in seinen Adern tragen sollte, trieb seine Verwirrung noch weiter an. Das war doch lächerlich... Aber Aykims Fähigkeit Gedanken zu lesen und der leibhaftige Geist von Fjelben ließen Birro schließlich verstehen, dass all dies wirklich geschah.

Nicht weit von dem Dorf Brist entfernt lag die Stadt Arthlemburg, in der ein besonderes Militärkommando seinen Sitz hatte. Es war die Einheit zur Vertuschung und Elimination von magischen Vorfällen, die sich in einem noblen Haus der Oberstadt einquartiert hatte. Durch die Gänge rannte jetzt ein bärenartiges Wesen, dessen schwere Schritte durch das ganze Gebäude hallten. Es war ein Tárckír, der seinem Vorgesetzten eine beunruhigende Nachricht überbringen wollte. Kaum hatte das Bärenwesen den Raum erreicht, der sein Ziel war, riss er die Tür auf und trat ungebeten herein: „Herr Exekutor, wir haben erhalten eine telepathische Nachricht! Magische Vorkommnisse zwischen Brist und Arthlemburg sich ereignen... Geschickt von einem Aykim von Rafur, Einheit Charvelle. Euch das etwas sagt?“
Der angesprochene Dunkelelf drehte seinen Kopf überrascht zu dem Botschafter: „Brist? Die Hexenmühle, ja ich weiß von ihr. Eine Hexe namens Bjanna wurde dort in ihrer eigenen Mühle eingesperrt und gebannt. Es hat irgendetwas mit einem Fluch zu tun...“
Der Exekutor stand sofort auf und durchwühlte einen Stapel Pergamente die an der Wand in einem Regal lagerten. Schnell hatte er gefunden, was er gesucht hatte: Eine Notiz, die alle Informationen um die Hexenmühle beinhaltete.
„Als die Hexenverbrennungen um 1450 begannen, hat man sie gestellt und gerichtet. Sie rief aus dem Fenster ihrer brennenden Mühle einen Fluch aus. Der überlieferte Wortlaut ist: >Ihr seid Narren, wenn Ihr meint euch auf diese Art einer Hexe entledigen zu können. Ich kehre zurück und mit mir werden die Toten auferstehen und sich an euch rächen! Ihr werdet brennen, Ihr Christen! Genau wie ich...< Ziemlich hochtrabend. Aber Bjanna wurde auf der Magierskala mit dem Grad drei belegt... Äußerst ernst zu nehmen...“
„Aber ist sie denn nicht vernichtet worden!? Menschen sind doch recht schnell in solchen Dingen...“, wunderte sich der Bote.
„Ja, die Menschen hatten Angst vor ihr und wendeten sich an die Kirche. Folgende Nachforschungen ergaben, dass es sich bei Bjanna um eine Hexe aus unserer Welt handelte, was uns die Verantwortung übertragen hat. Wie du wissen solltest ist die Vereinigung der Darun mit den Oberhäuptern der Menschen übereingekommen, dass nur wir Askyrier in Geschehnisse um wirkliche Hexen eingeweiht werden dürfen. Bjanna wurde verbrannt, weil sie öffentlich Magie praktiziert hat“, der Exekutor druckste etwas herum. Entschlossen nahm der Dunkelelf sein Schwert sowie seinen Umhang. Bevor er den Raum verließ, warf er noch einen Blick zu dem Boten, der immer noch nicht zu verstehen schien, warum der Exekutor auf einmal so eilig war.
„Muss ich es denn wirklich noch deutlicher sagen? WIR waren es! WIR, die Darun! WIR haben uns als Dorfbewohner ausgegeben! Der Zorn der Hexe ist gegen die Menschen gerichtet, dabei sind sie völlig unschuldig... Unsere Leute sind damals zur Mühle gezogen, die erst im Namen der >Kirche< abgebrannt und dann magisch versiegelt wurde. Als nächstes wurden die Dorfbewohner >behandelt<... Zweihundertvierzig Menschen verloren einen großen Teil ihrer Erinnerungen... Sie wurden einfach gelöscht... Alles was sie an uns erinnern würde verschwand und das war eine ganze Menge. Bis dahin mussten wir uns noch nicht im Verborgenen halten“, erklärte der Exekutor, der offenbar nicht sehr stolz darauf war, was er getan hatte.
„Es klingt fast so, als täten Euch die Menschen leid...“, klang es erstaunt von dem Boten herüber. Eine Welle des Zweifels klang mit den Worten.
„Niemand sollte einen Teil seiner Erinnerung verlieren... Menschen sind wie kleine Kinder, denen ich die Angst nehmen möchte... Angst vor Zauber, Magie und uns selbst...“, klang es von dem Exekutor.
„Es wohl gibt allen Grund dazu, denn Übertragung ist plötzlich abgebrochen. Von Rafur wohl hat einen Zauber gesprochen...“, vermutete der Bote.
„Das wäre doch etwas töricht, sich selbst während der Übertragung zu unterbrechen! Nein, ich befürchte, dass etwas den Schutzzauber an der Mühle aufgelöst hat. Wir haben uns erlaubt, eine Sicherung einzubauen, die eine magische Kommunikationsbarriere erzeugt...“, erklärte der Exekutor.
„Aber wie wir sollen jetzt weiter vorgehen? Wir doch einfach könnten aufbauen eine magische Kapsel um die Mühle...-“, der Bote dachte er hätte schon eine Lösung gefunden.
„Wenn das so einfach wäre, meinst du wir hätten uns dann die ganze Mühe gemacht, die Einheit um Aykim von Rafur dort zu stationieren?“, der Exekutor klang schon beinahe belustigt.
Dann aber fuhr er fort: „In dem Punkt mit der magischen Kapsel, will ich zugeben, dass wir tatsächlich probiert haben, die Mühle abzuschotten. Kein magisches Wesen konnte sie von da an betreten oder verlassen. Jetzt allerdings scheint der Bann gebrochen worden zu sein... Wir sollten aufbrechen! Es ist Zeit zum Vollstrecken...“, erklärte der Exekutor mit dem Schlachtruf des Dunkelelfenkommandos, aus dem Raum gehend. Für ihn war die Zeit gekommen zu handeln.

„Wir sollten jetzt überlegen, wie wir uns von dem Zustand das magischen Schutzringes überzeugen, es ist nicht unwahrscheinlich, dass euer Auftritt in der Mühle den Zauber dort beeinträchtigt hat...“, überlegte Aykim laut.
Du könntest ja einfach dorthin gehen... Grüß meine Leiche von mir..., schlug Fjelben abwertend vor.
„Was ist denn dort so Aufsehen erregendes? Ich verstehe den ganzen Trubel nicht!“, erklärte Birro jetzt laut.
„In den Katakomben unter der Mühle ist die mächtige Hexe Bjanna in einem todesähnlichen Schlaf gefallen. Sie hat sich damals regelrecht selbst verbannt, damit unsere Spürer und Magier keine magischen Aktivitäten mehr feststellen und abziehen würden. Das hat auch wunderbar geklappt, denn dass sie noch lebte haben wir erst viel später erfahren. Unser Kommando hat es nicht für nötig gehalten, den Bannzauber wieder zu lösen, um der Hexe endgültig den Garaus zu machen. Stattdessen passen wir auf, dass sie nicht von magischen Zwischenfällen betroffen und wieder zum Leben erweckt wird. Verstehst du das? Ihre Magie und Rache könnten sehr viel Aufmerksamkeit auf uns lenken! Auf uns Askyrier!“, der Dunkelelf klang auf einmal sehr lehrerhaft. Dabei erklärte er ohne Scham, dass ihm mehr an der Geheimhaltung gelegen war, als an dem Wohlergehen der Menschen.
„Man würde unsereins mit der Hexe über einen Kamm scheren... Dann brennen bald wieder die Wälder!“, sagte Gaby mit weit ausholenden Gesten.
„Das es Menschen gibt, die unsere Leute fürchten und hassen, ist dir wohl spätestens klar, seitdem du weißt, warum deine Eltern ermordet wurden. Menschen haben die Elfen, Einhörner und Drachen aus ihrer Welt vertrieben! Sie fürchten uns... Mittlerweile zu Recht...“, erklärte Aykim.
„Ja, und wir verwischen hier unsere Spuren so gut es geht, damit wir im Geheimen bleiben können. Die Geschichte mit der Hexenmühle hat uns bisher immer neugierige Blick abgehalten. Nur jetzt ist ihr Zauber gefallen, was den Weg für alle Neugierigen frei macht. Der dämliche Magier, natürlich ein Elf, der den Schutzzauber überwachen sollte, ist vor vielen Jahren verstorben. Seitdem mussten wir beide rund um die Mühle Angst und Schrecken verbreiten, durch Hexengeschichten. Mit großem Erfolg!“, lachte der Zwerg Gaby.
„Mich wundert nur, dass Ihr noch nicht auf dem Weg zur Mühle seid, wenn es Euch so wichtig ist“, fragte sich Birro, um den sich alles zu drehen schien.
„Wir sind nur zu zweit, ich und das Spitzohr... Bei Nacht werden wir dort bestimmt nicht hingehen...“, erklärte Gaby sehr bestimmt.
Auch der Elf schien es nicht für notwendig zu halten, zu reagieren: „Der Zwerg hat Recht, um unsere Tarnung nicht zu gefährden, werden wir nicht ausrücken, wenn keine akute Gefahr besteht. Das ist etwas für unsere Kameraden aus Arthlemburg. Die Magie der Hexe ist im Moment noch zu schwach, um uns gefährlich zu werden. Und wenn Arklass da unten herumläuft, dann wird er das Tageslicht nicht wieder erblicken... Dort gibt es magische Fallen... Kein normaler Mensch hat die Fähigkeit dem Angstzauber dort zu widerstehen. Ihr ward schon länger dort als alle anderen! Vor allem Arklass hätte gar nicht in die tieferen Katakomben vordringen dürfen...“
„Er wollte mit seinem Kristall fliehen...“, sagte Birro leise.
„Der Stein könnte ihm genug Kraft verliehen haben, dass er die Magie, die auf ihn einwirkte nicht spüren konnte... Sie bleibt einfach effektlos... Wenn der Kristall bis an das Grabmal von Bjanna gelangt, könnte sie aus ihrem magischem Schlaf erwachen... Mit seiner Macht wäre sie in der Lage unglaublich Schreckliches zu tun!“, sagte Aykim überlegend. Er schien eine Befürchtung zu haben, denn er wurde sehr unruhig.
„Wie könnt ihr nur zulassen, dass quasi der Schlüssel und das Schloss so nahe bei einander sind?!“, fuhr Gaby dazwischen, der sich vor Schreck sogar jede Beleidigung verkniff.
„Der Magier, der hier alles versiegelt hat, ist ein wenig verrückt gewesen... Jeder, der mit der hohen Magie verbandelt ist, erleidet dieses Schicksal... Er wird nicht darüber nachgedacht haben! Außerdem, wer kommt schon auf die verrückte Idee die Mühle soweit zu zerstören, dass der Schutzzauberkristall frei gelegt wird?“, Aykim und Gaby blickten jetzt zu Birro und Fjelben herüber.
„Es war ein Unfall... Wir hatten nicht beabsichtigt, dass der Boden einstürzt!“, erklärte Birro.
Ich erst recht nicht!, bekräftigte Fjelben, der seine Hand demonstrativ direkt durch seinen Kopf hindurch steckte.
Aykim und Gaby blickten einander an: „Wir müssen sofort aufbrechen!“
Während Gaby und Aykim ihre Sachen zusammensuchten, die sie bei der Mühle brauchen konnten, richtete sich Birro auf seinem Bett auf: „Ich werde euch zur Mühle begleiten! Ich will Arklass stellen!“
„Junge, du verstehst anscheinend nicht, worauf du dich einlässt!“, zeterte Gaby.
„Ja, der Zwerg hat recht! Eine Geschichte um die Mühle ist nicht erlogen: Wer im nahen Umkreis der Mühle stirbt, kann seine Seele nicht von dieser Welt trennen und ist verflucht, als Geist zu enden.“, erklärte Aykim.
„Darum haben wir auch den da bei uns!“, mit einem abwertenden Blick zu Fjelbens Geistergestalt schüttelte sich der Zwerg.
„Ein Teil der schwarzen Hexenmagie ist noch immer dort in dem Gemäuer und den Tunneln darunter... Sie könnte Monster beschwören, die sie beschützen!“, erklärte Aykim.
Als wollten sie die Worte des Elfen unterstreichen, begannen die Glocken des Dorfes zu läuten.
„Was ist denn jetzt los?“, wunderte sich Gaby, der sich am Bart kratzte.
„Wir werden es gewiss erfahren, wenn wir uns an die Wachen wenden!“, erklärte Birro schnell.
Schon im nächsten Moment verstummte das Läuten. Von draußen drang kein Laut mehr zu ihnen.
Nervös griff Gaby nach seiner Axt, die er in seinen Händen umher schwang.
Währenddessen war Aykim scheinbar in Gedanken versunken. Er saß mit seinen Händen auf dem Gesicht am Tisch und regte sich nicht.
Mit einem leisen Knarren öffnete sich die Tür durch Birros Hand. Er blickte auf die leere Straße.
„Junge, wo willst du hin?“, fragte Gaby erstaunt.
„Ich will nachsehen, was los ist!“, antwortete der Junge leise.
„Warte... Lass unseren Freund hier zuerst die Lage erkunden!“, riet Aykim, der wieder aus seiner Gedankenverlorenheit erwacht war.
Stolz nickte Fjelben und flog mitten durch die nächste Wand, um seinen Erkundungsflug zu starten.
„Wenigstens für sowas ist es nützlich, dass es Geister gibt...“, knurrte Gaby in seinen Bart. Er riskierte einen Blick aus der noch immer geöffneten Tür. Auf der Straße tat sich gar nichts. Sie lag still da, als wären die Glocken die ganze Nacht über stumm geblieben.
„Warum kommt denn keiner auf die Straße? Wo sind die Wachen?“, fragte sich Birro.
„Sie haben Angst... Ich kann sie förmlich spüren...“, erklärte Aykim leise.
„Na toll, die machst du dem Jungen jetzt auch gerade...“, knurrte der Zwerg, der nur davon ablenken wollte, dass er sich ebenfalls fürchtete.
„Da kommt Fjelben zurück...“, Birro deutete auf die Geistergestalt, die sich ihnen von dem Dorftor näherte.
Ein seltsames Leuchten ist über der Mühle entstanden! Die Wachen haben sich eingeschlossen und sich fast in den Wams gemacht, als ich sie fragen wollte was das Geläute zu bedeuten hat..., der Geist war offensichtlich verwirrt.
„Ha, das habe ich auch, als mir das erste Mal ein Geist erschien!“, gab der Zwerg Gaby sehr offen zu.
„Ja, das eine Mal hattest du wenigstens einen Grund dazu...“, sagte der Elf mit seiner ruhigen Stimme.
Gaby winkte nur kurz ab, bevor er sich seinen Rucksack auf den Rücken schnallte.
„Was habt ihr jetzt vor?“, fragte Birro, um von den absurden Geschichten der anderen abzulenken.
„Wir gehen raus... Ich fürchte, dass ein Zauber ausgelöst wurde, als die magische Barriere fiel. Er hindert mich auch daran, mit meinen Kameraden in Arthlemburg zu sprechen...“, Aykims Stimme war schon wieder leicht abwesend, als er regelrecht durch den Tisch vor sich starrte.
„Vielleicht ist das ja alles nur ein Fehlalarm...“, erklärte der Zwerg hoffnungsvoll verzweifelt.
„Das fürchte ich, war es nicht... Es gibt keine Möglichkeit der magischen Kommunikation mehr. Wir haben keine andere Wahl, wenn wir das klären wollen: Wir müssen zur Mühle...“, sagte Aykim, der jetzt seinen Bogen nahm und entschlossen aus dem Haus ging.
„Zur Mühle? Was war das vorhin noch für ein Spruch mit: Wir sind nur zu zweit... Ach das war ja ich...“, auch Gabys Einwurf konnte nichts an der Meinung des Elfen ändern.

 

Ende des 1. Teils

Kommentare  

#1 Hermes 2011-04-08 16:03
Wieder eine schöne Geschichte!

Die erste Hälfte ist flott und spannend geschrieben, in der zweiten wird es etwas betulicher. Vielleicht hätte man da ein wenig straffen können. Aber endgültig lässt sich erst was dazu sagen, wenn ich die Fortsetzung gelesen habe.

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