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Mut zur Lücke

Das Romanheft, das Universum und die Dinge dazwischen - Die Multimedia-KolumneMut zur Lücke

Endlich! Ich habs geschafft. Ich bin befreit. Zumindest fast. Aber noch nicht ganz.

Bettinas Leitartikel war zwar nicht ursächlich für meinen „Moment der Erkenntnis“, sondern nur ein weiterer Tropfen in einem riesigen Fass, das bis vor kurzem aus unerklärlichen Gründen nicht übergelaufen ist, obwohl es eigentlich übervoll war. Aber nicht der sintflutartige Schwall tosenden Wassers drohte mich hinwegzuspülen, sondern Fluten aus Papier.

Heftromane, Hardcover, Heftromane, Taschenbücher, Heftromane, Zeitschriften, Heftromane, und eine Unmenge von Heftromanen drohten meine Wohnung und meinen Keller in ein gigantisches Papierlager zu verwandeln, in dem man die dringenden Bedürfnisse des Lebens wie Essen, Waschen, Schlafen usw. wahlweise zwischen Stapeln von John Sinclair oder Perry Rhodan verrichten konnte. So weit kam es nicht, so weit wird es auch nicht kommen.

Wer es bis jetzt und aus vorigen Kolumnen noch nicht gemerkt haben sollte: Ich bin ein Verrückter! Einer, bei dem der urmenschliche Jagd- und Sammeltrieb noch tief im Hypothalamus verankert ist. Die ganzen letzten Jahre bedauerte ich, die Glanzzeit des Heftromans verpasst zu haben. Na ja, nicht direkt verpasst, ich war dabei, war sogar sehenden Auges dabei und schaffte es, einige Serien zu sammeln. Aber das Budget eines Schülers gab eine rundum-sorglos-Sammlung nicht her. Die Entscheidung fiel zugunsten John Sinclairs aus, ein Fehler wie ich heute weiß, aber ich war jung und brauchte das Geld.

Die Natur bringt es mit sich, dass man älter wird, wenn man erst mal jung ist (bahnbrechende Erkenntnis, nicht wahr?). Manche werden sogar weiser bzw. erfahrener. Erfahrener wurde ich nun nicht gerade, weise schon mal gar nicht, es ergaben sich halt andere Prioritäten: Bundeswehr, Lehrstelle, Jobsuche, Umzug. Das erleichterte mir meinen ersten kalten Entzug Ende der Achtziger.

Als ich dann Mitte der Neunziger reumütig mit ganz anderen finanziellen und virtuellen Möglichkeiten zurückkehrte, gab es kein Halten mehr: Nachkaufen, neue Serien anfangen und noch mehr neue Serien anfangen. Es hatte den Anschein, als wollte ich Versäumtes nachholen. Dank Blitz-Verlag (Macabros), Zaubermond (Dämonenkiller) und Romantruhe (Professor Zamorra) kam man auch an ältere bzw. schwer zu beschaffende Sachen in neuer Optik ran, wenn das auch seinen Preis hatte (Ja, ich weiß, was Ebay ist!).

Unaufhörlich steuere ich nun seit vielen Jahren auf die GAL zu (die größte anzunehmende Lagerkapazität). Die Raucher unter den Lesern dieser Kolumne werden mich vielleicht besser verstehen: Wir fragen uns ab und zu mal, was wir eigentlich machen. Wir geben einen Haufen Geld aus, um unsere Gesundheit zu ruinieren und dürfen neuerdings Gaststätten erst dann betreten, wenn der Hustenanfall vorbei ist. Warum tun wir das eigentlich? Und obwohl wir keine Antwort wissen, machen wir weiter.

Warum kaufe ich  Woche für Woche die neuesten Heftromane – und gelegentlich mal einen Packen älterer – wenn ich weiß, dass ich gar nicht dazu komme, das alles zu lesen?

Man könnte jetzt anmerken, dass man, wenn man einen Roman gelesen hat, diesen weitergeben oder sogar wegschmeißen könnte. Könnte man. Im Perry Rhodan Forum schreibt jemand, dass er doch tatsächlich den neuesten Roman ins Altpapier gibt, nachdem er diesen gelesen hat. Also, da sträuben sich mir doch die Nackenhaare! Aber vielleicht hat er ja Recht? Süchtigen wie mir ist oftmals der Blick auf die Realität etwas verstellt. Und selbst wenn ich so verfahren würde (nach dem Lesen: weg damit, egal wohin, mit der Tageszeitung klappt das ja auch), wäre mein Problem nicht gelöst, sondern nur aufgeschoben. Ich schaffe regelmäßig mehr neues Material ran, als Altes weg. Sehr unbefriedigend.

Früher oder später wird mein Keller explodieren (oder nennt man das in diesem Zusammenhang implodieren?), oder wird einer der vielen Schränke in der Wohnung explodieren, oder wird meine Frau explodieren.

Um noch mal auf die Trennung von lieb Gewonnenem zurückzukommen. Das kann natürlich für mich kein ernst gemeinter Vorschlag sein. Ich unterliege einem Gesetz der Serie. Das gilt für Geschriebenes gleichermaßen wie für CDs oder DVDs. Wenn ich erstmal eine Serie begonnen habe, will ich auch alles davon haben. Einzige Ausnahme: Perry Rhodan. Ich mag vielleicht verrückt sein, aber ich bin nicht größenwahnsinnig! Wenn man dann also in eine bereits laufende Serie einsteigt, muss man ja quasi in zwei Richtungen sammeln; auf dem Laufenden bleiben und Verpasstes nachkaufen. Und dieses Gesetz der Serie verhindert es natürlich, einen gelesenen Roman einer Serie einfach wegzugeben.

(Um jetzt Missverständnissen vorzubeugen: Wir befinden uns hier beim Zauberspiegel, ich besitze weder Arztromane, noch irgendwelche Staffeln von ‚Hör mal, wer da hämmert’).

Bereits im Jahr 2007 begann ich mit einer konzertierten Aktion, der einige Serien und Buchreihen zum Opfer fielen. Zuerst traf es die Serien, in denen die Autoren versuchen, mir ihre persönliche Meinung mit dem Holzhammer einzutrichtern, indem sie ihre Protagonisten als Sprachrohr benutzen. Welche das sind, darf jeder selbst herausfinden. Das ist heute nicht das Thema. Dann diejenigen Serien, von denen ich mir sicher war, sie eh nicht zu lesen, sondern irgendwie nur besitzen wollte. Die Überlebenden dieses Gemetzels heißen Tony Ballard, Perry Rhodan, Maddrax und Reverend Pain. Soweit bin ich noch nicht, auch diese vier zu opfern, aber wer weiß, was die Zukunft bringt, respektive an Platz zur Lagerung bereit hält?

Im Buchbereich bin ich leider von dieser Radikallösung noch etwas entfernt. Den Sachbuchbereich mal ausgeklammert, nutzen hier vor allem die Autoren Stephen King, Terry Pratchett, Tad Williams und Kai Meyer mein Gesetz der Serie schamlos aus, um mich wahlweise finanziell zu ruinieren oder in die Klaustrophobie zu treiben. Buchversender wie Weltbild und Jokers oder Zweitausendeins schicken mir monatlich einen Katalog, wohl wissend, ein paar Tage später eine Bestellung von mir vorliegen zu haben, und Amazon weiß mittlerweile sogar besser als ich, was mir gefällt.

Manchmal kam es gar so weit, dass mir beim Blättern in den Katalogen Bücher auffielen, die ich unbedingt haben wollte, die mir aber irgendwie bekannt vorkamen. Beim Wühlen in meinen Regalen – in denen die Bücher teilweise in Dreierreihen stehen – musste ich dann feststellen, dass ich das Buch längst hatte.

Immerhin konnte ich mich bisher der Attacken der verschiedenen Geisterjäger, Sonderermittler und Von-irgendwem-Berufenen („wer mag mir diesen magischen 24er Ring-Gabelschlüssel wohl vermacht haben, und warum?“) mit maximal Kreisliga-Format erwehren.  Alle Kreisligaspieler mögen mir jetzt verzeihen. Ich weiß, dass da ehrlicher Sport geboten wird, aber bei den meisten reichts eben nicht, um oben mitzuspielen. Okay ich weiß: John Sinclair ist in der Überlebensliste nicht aufgetaucht, und meine Meinung zu John Sinclair ist auch bekannt. Aber: „John Sinclair ist eine Marke, ein Traditionsverein. Der gehört einfach in die Bundesliga!“

Die Flut der Neuerscheinungen, Nachdrucke oder überarbeiteter Sonderauflagen ist einfach erdrückend geworden. Selbst, wenn man nicht alles kaufen kann und will, ist es heutzutage schon schwer, auch nur  annähernd den Überblick zu behalten. In der aktuellen Ausgabe der Mystery-Press (Zaubermond Verlag) schreibt Dennis Erhardt – auf neue Serien angesprochen – sinngemäß, dass bei Zaubermond so langsam das Ende der Fahnenstange erreicht ist.

Die Verlage haben mich wohl einfach übersättigt. Wenn Sie Ihr Lieblingsessen jeden und jeden Tag vorgesetzt bekommen, kommt es Ihnen doch auch irgendwann zu den Ohren raus. Durch Internet und bod-Verfahren kann mittlerweile jeder sein Geschreibsel der Öffentlichkeit zugänglich machen. Aber ich möchte hier nicht den Verlagen die Schuld geben. Keiner hat mich gezwungen, auch alles zu kaufen, was so angeboten wird.

Wo wird diese Entwicklung hinführen? Das Internet wird das gedruckte Buch ebenso wenig verdrängen, wie es die Tageszeitungen verdrängt hat. Erleben wir im Moment das Ende des (Verlags-)Universums? Es dehnt sich immer weiter aus, nur um in einem gewaltigen Urknall zu vergehen und sich danach wieder neu zu erschaffen? Wir werden sehen.

Dennoch: Startete morgen der Bastei-Verlag eine neue Mystery-Serie, wäre ich sicherlich wieder dabei. Vielleicht sollte man im Heftroman-Bereich weg von den Konzepten der möglichen Endlos-Serie, die sich irgendwann immer wiederholt, im schlimmsten Fall selbst karikiert. Hin zu Kurzserien von zwölf bis zwanzig Bänden, ähnlich wie Fernsehserien. Bei Erfolg wird der nächste Zwölfer-Block angehängt. VPM hat das mit Atlan versucht. Allerdings ist Atlan eingestellt worden. Gilt dieses Konzept jetzt auch generell als gescheitert? Ich sage nein, denn viele Fernsehserien werden auch bereits nach der ersten Staffel eingestellt, trotzdem werden nach wie vor ständig neue Serien produziert. Ein hinkender Vergleich, klar, werden Fernsehserien doch primär produziert, um Geld von Werbekunden einzunehmen.

Für die Zukunft habe ich mir jedenfalls vorgenommen, weniger, viel weniger zu kaufen. Erst denken, dann zur Kasse. Brauche ich diesen Schinken jetzt wirklich? Wann will ich den lesen? Und warum eigentlich? Aber jetzt geht’s erst mal in die Stadt. In einem Prospekt ist mir aufgefallen, dass es die Wolkenvolk-Trilogie von Kai Meyer jetzt als Komplettband für zwanzig Euro gibt. Muss ich doch glatt haben.

 

Jochen „Captain Elch“ Stude

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