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Das ist »PIPA mit SOPA« - Der Kotau der Politik vor der Wirtschaft - »ACTA«

In (Multi-)Medias ResDas ist »PIPA mit SOPA«
Der Kotau der Politik vor der Wirtschaft - »ACTA«

»Pipa« und »Sopa« hat Bettina Meister bereits im Zauberspiegel thematisiert. Das ist das, was die USA sich genehmigen möchten, um im Internet endlich (im Sinne der Medienkonzerne) hinlangen zu können. Das ist nun im Wahljahr ins Stocken geraten. Was sich hinter diesen Abkürzungen verbirgt, ist schlimm genug.

Aber das sind nur ›kleine Fische‹ gegen
»Acta«. Sozusagen »Pipa« mit »Sopa« - bisher bekannt unter »Quatsch mit Soße«.

 

»Acta« kommt nämlich seit 2006 als (deutlich mächtigeres) Schreckgespenst schleichend aber heftig um die Ecke. Ich will hier gar nicht erst den Text aufdröseln. Gleich kommt ein Link zum Text. Am Ende findet sich eine Leseliste mit Artikeln zum Thema. In erster Linie will ich meinem Ärger Luft  machen.

Es nennt sich also »Acta« (= Anti-Counterfeiting Trade Agreement, Link zum PDF des Textes) und wird gern als der ›große Bruder‹ von »Sopa« bezeichnet. Es wurde nahezu geheim verhandelt.
Parlamente (!) (die das ratifizieren sollen) (!) erhielten Texte mit geschwärzten Stellen. Es wird von denen, die über diese ›Vereinbarung‹ verhandeln, versucht, eine Überprüfung durch den europäischen Gerichtshof (EuGH) zu verhindern. Denn, so wird argumentiert, eine solche Überprüfung würde das Inkraftreten von »Acta« nur verzögern. Häh? Habe ich da was falsch verstanden? Zum Zweck der Zeitersparnis will man sich die rechtliche Überprüfung sparen? Ist man sich so sicher, dass keine Grundrechte berührt werden, keine offenen rechtlichen Fragen schwerer oder schwerster Form bestehen? Steile Behauptung.
 
Eher vermute ich die Angst dahinter, dass der Gerichtshof das Vertragswerk unzeremoniell einkassieren könnte (sprich als nicht vereinbar mit dem Europäischen Recht erklären). Und das, so könnte man annehmen, ist offenbar nicht sehr gewünscht. Der ganze Prozess von »Acta« ist kaum transparent zu nennen. Und die Unterschrift der EU-Kommission unter dieses dicke Ei kann man nur voreilig nennen (und letztlich bestätigt dies die Vorurteile über ein Europa der Beamten, der Verwaltung und der Durchführung irgendwelcher Entscheidungen, ganz egal welchen Hintergrunds). Gespannt darf man auf die Abstimmung des Europäischen Parlaments sein.   

Hart gesagt: Für mich ist »Acta« der Prolog, den Großkonzernen die Macht zu übergeben (ich fühle mich an »Die Terranauten« erinnert). Statt einen Rechtsweg vorzusehen, um ein angebliches (also vermutetes) oder tatsächliches Vergehen zu ahnden, können im Einzelfall beteiligten Unternehmen (z.B. Medienfirma und Webspaceprovider) die Verfolgung und Ahndung der Tat unter sich aushandeln, ohne Anklage oder Prozess. Damit  sind Netzsperren und Überwachungsmaßnahmen, obwohl mittlerweile aus dem Text gestrichen, immer noch möglich und nicht auszuschließen.
 
Denn: Medienindustrie und Provider können sich in ihrer Zusammenarbeit noch  immer darauf einigen, dass dies in diesem oder jenem Fall die beste/praktischste Lösung sei.
 
Was für eine Vorstellung: Eine Bestrafung einer Einzelperson ist ebenso möglich wie von Geschäftsleuten oder Unternehmen - und das Ganze ohne (!) das Einschalten einer juristischen Instanz. Da werden Rechte mit Füßen getreten und wirtschaftlichen Interessen untergeordnet. Und ein Schelm, wer auch nur in irgendeiner Form vermutet, dass diese Unternehmen nicht mit dem höchsten Interesse der Ehrenhaftigkeit und absoluten Wahrung von Rechten anderer vorgehen.
 
Dabei soll »Acta« doch ›nur‹ geistiges Eigentum schützen. Ein hehres Anliegen, und das ›nur‹ ist nicht abwertend im Hinblick auf die Bedeutung dieser Wahrung geistigen Eigentums formuliert. Mich als Nebenerwerbsautor freut das erst einmal so ganz grundsätzlich. Ich mag es, wenn jemand mein Eigentum schützen möchte. Dies wird natürlich für jene von immenser Bedeutung, bei denen es um das simple Überleben geht, da sie ihren Lebensunterhalt mit dem Verdienst aus diesem Eigentum bestreiten. Das ist doch etwas, dass mich glücklich machen sollte.
 
Ja, sollte, denn schon bei einem näheren Blick auf das Vertragswerk (»Acta« ist eben kein Gesetz, sondern ein auf internationaler Ebene ausgehandeter Vertrag) zeigt mir, dass es nicht um die Schaffenden, sondern um die ›Scheffelnden‹ geht.
 
Dieser Vertrag geht auf massive Lobbyarbeit zurück und hat seine Wurzeln klar in Japan und den USA hat. Es geht nicht um den Schutz von Urheber-, sondern von Verwertungsrechten, und das ist ein entscheidender Unterschied.
 
Ja, ich bin für den Schutz der Urheberrechte und der Verwertungsrechte, aber nicht auf eine Art und Weise, die schlicht und ergreifend abzulehnen ist. Da bekommt man doch unwillkürlich das Gefühl, dass der Urheber mit seinen Rechten als Feigenblatt, als Vorgeschobener höchst willkommmen benutzt wird. Das Alibi. Für das Umgehen der Justiz herhalten zu müssen ist frech und ganz und gar nicht in meinem Sinne. Worum geht es eigentlich? Um den Schutz von Rechten? Um das Sparen hoher Summen für den Staat und hoher Aufwendungen an Human- und sonstigen Ressourcen? Schließlich sind Nachforschungen teuer. Es ist absolut überambitioniert und wie eine »Dicke Berta« in der Hand von Gruppierungen, die keinerlei (!) legislative oder exekutive Gewalt in einem demokratischen Staat haben sollten. Eindeutig zu groß sind die Eigeninteressen und zu gering die Unabhängigkeit gegenüber individuellen Interessen.
 
Es ist (reichlich polemisch und bestimmt hinkend) vergleichbar mit der Situation beim Abladen des Rindviehs am Schlachthof, wo der Metzger und der Bauer miteinander abklären, ob das Vieh gesund ist. 
 
Was Jay Lake zu »Pipa« und »Sopa« gesagt hat, gilt genauso für »Acta«.  Unter anderem sagte der Autor:
Like setting fire to your house to get rid of ants in the kitchen.
Als Argument für diese Vereinbarung wird immer wieder genannt, dass man der unendlichen Masse an Rechtsbrüchen und der damit verbundenen Aufgabe nicht mehr Herr werden kann. Sicher nicht ganz zu Unrecht, denn es gibt fast nichts, dass man auf (je nach Definition und Einstellung legalen, halblegalen oder illegalen) Downloadseiten oder bei (Internet-)Händlern nicht finden kann.
 
Immer wieder finden wir Nachrichten von Freunden auf Facebook, die sich darüber beschweren, dass CDs mit ihren Schöpfungen bei dem Internethändler mit den vier Buchstaben verkauft werden, dass mit einer Cam vom Screen abgefilmte Kinofilme nach kürzester Zeit bei Tauschbörsen verfügbar sind, ihre Bücher gescannt oder ihre eBooks gehackt wurden und man sie auf einschlägigen Seiten finden kann. Das macht wütend, und angesichts der Schwemme an Medien, die man im Handumdrehen in Terabytemengen laden kann, liegt der Ruf nach dem Morgenstern nah.
 
Aber man soll bitte nicht so tun, als könnten die Rechteverwerter nicht schon jetzt etwas ausrichten. Die Legislative der einzelnen Länder hat den Weg dafür geebnet, dass Copyrightverletzer verfolgt werden können. Dafür gibt es die Exekutive und die Judikative (als die anderen beiden staatlichen Gewalten in einer Demokratie).
 
Wenn diese Gewalten ihre Möglichkeiten wahrnehmen und konsequent durchsetzen, können sie zu überraschenden Ergebnissen kommen und Urteile sprechen, die denen, die Acta durchsetzen wollen, so gar nicht in den Kram passen (siehe hier das Urteil zu Netlog). Denn: Sie waren gerade sehr erfolgreich dabei, Urheberrechtsverletzungen und Verwertungsrechtsbrüche auszubremsen. Denn das FBI hat nicht nur die Seite "Megaupload" auf Neuseeland schließen können, sie haben Verantwortliche verhaftet, die Seiten sind down. Und noch während diese Neuigkeit die Runde machte, zogen weitere bedeutende Downloadseiten nach und löschten in großem Stil Serverinhalte. Es ist also machbar, etwas zu erreichen, ohne auf ›Big-Brother‹-Gesetze und -Verträge zurückgreifen zu müssen. Es ist mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit schwieriger, teurer und komplizierter als bei »Acta«-Existenz. Aber es wäre mit Sicherheit mindestens 100% gesetzeskonformer als eben diese unselige »Acta«-Vereinbarung. Hier sollen nach dem Willen der Industrie Rechte bis hin zu Grundrechten ausgehebelt werden. 
 
Im Grunde bin ich wie gesagt für solch einen Schutz des Urheber- und Verwertungsrechts. Aber die Musik- und Filmindustrie hat von Anfang an die tatsächlichen Schäden so übertrieben, dass es schwer fällt, Sympathien zu entfalten. Sicherlich entsteht ein Schaden, aber auf keinen Fall in derart astronomischen Bereichen, wie alle Jahre berichtet wird. Was für ein horrender Schwachsinn.
 
Zumeist bleiben die Auseinandersetzungen mit »Acta« bei den Fragen des Internets und der Lobby der Medienindustrie hängen. Dabei geht es um mehr - viel mehr. Und wenn man diese anderen möglichen Konsequenzen anstößt, dann wird deutlich, wie umfassend und wirklich unannehmbar »Acta« in Wirklichkeit ist.
 
Denn es geht um weit mehr als nur das Internet und die Freiheit darin. Da droht ein Monster, das jeden Bereich unseres Lebens erfassen kann. Da ist das Internet fast nur ein Nebenkriegsschauplatz. Auch wenn mit dieser Note ein Quasi-Verbot der Privatkopie möglich sein könnte. Auch da schießt das Ding über das Ziel mehr als deutlich hinaus und ist auch nicht im Sinne des Erfinders.

Es geht auch um mehr als das Internet. Das ›T‹ in »Acta« bedeutet nämlich ›Trade‹(also Handel). Und der findet eben nicht nur im Netz statt.

Egal ob der Pestizid- und Saatgutkonzern Monsanto seine (in meinen Augen höchst fragwürdigen) Gen-Patente durchsetzen will, und renitente Bauern und Länder auf diesem Weg in die Hand bekommt, nicht mehr das gewohnte Saatgut zu verwenden, sondern bei ihnen zu kaufen. Und nicht nur diese Krake ist bereits heftig dabei, den Boden hierfür vorzubereiten. Beispiel gefällig? Eine Firma enträtselt das Genom einer bestimmten Kartoffelart. Dies können sie sich sichern lassen und haben dann das Monopol auf die entsprechende Verwendung von Saatgut mit diesem Genom. Jeder Bauer und Kleingärtner, der diese Sorte anpflanzt, begeht ein Vergehen im Sinn von »Acta« und ist damit entweder zum Kauf bei dieser Firma gezwungen oder aber wird rechtsbrüchig. Wäre ich religiös, so würde ich zu Gott beten, dass er auf der Erde erscheint und Monsanto ob seines Copyrights verklagt.
 
Das betrifft auch Generica im Pharmabereich, was damit unmöglich werden würde. Lebensmittel jeder Art, jede Art Handel. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen und da geht es dann nicht mehr um den Schutz geistigen Eigentums, sondern um Bevormundung, um das Sichern von maximalen Erträgen. Das alles unter dem Feigenblatt des Schutzes von geistigem Eigentum. So unfassbar einem dies erscheint, wenn man davon liest, so unglaublich die Tatsache. Man fühlt sich wie in einer schlechten Dystopie, die schlagartig Realität werden kann, wenn »Acta« in der geplanten Form in Kraft gesetzt wird. Und wir reden hier nicht von Gesetzen. Auch nicht von einer Nachbesserung des Grundgesetzes, für die eine 2/3-Mehrheit unseres Parlaments notwendig wäre. Es muss einfach nur passieren. Das ist pervers.

Also Pustekuchen  bitte, meine Damen und Herrren! Die Gruppe der Kreativen ist doch nur vorgeschoben, weil es sich so gut nach vorne schieben lässt: Es ist bestenfalls ein Kniefall der Politik vor der Wirtschaft, ein devotes ›Macht-was-ihr-wollt‹. Wie kann ein klar denkender Mensch, der sich als Politiker der Aufgabe verschrieben hat, die Interessen der Menschen dieses Landes zu schützen, eine solche Entscheidung mit sich vereinbaren? Ein lange Liste von Ländern hat das bereits unterschrieben (aber zum Glück noch nicht ratifiziert). Die ersten haben zum Glück einen Rückzieher gemacht - und zu unserem Glück ist Deutschland dabei. 
 
Und jetzt gilt es allen Begehrlichkeiten entgegenzuwirken, die Rechte beschneiden wollen, und die Industrie und die Konzerne darauf hinzuweisen, dass die Welt kein Selbstbedienungsladen ist. Sie sollen die bestehenden Möglichkeiten nutzen und keine Szenarien heraufbeschwören, die sie über die Staatengemeinschaft und die Rechte anderer stellt.
 
Ich bin erzürnt ...
 

Kommentare  

#1 Jonas Hoffmann 2012-02-17 08:46
Da gibts nur eins zu tun. Am 25. Februar wieder auf die Strasse gehen.

maps.google.de/maps/ms?msid=203278948462179317585.0004b8f17eabb296cfbcc&msa=0
#2 Laurin 2012-02-17 18:02
Da stimme ich dir völlig zu, Jonas. Sie müssen spühren das die Menschen nicht so dumm sind, wie sie es gerne hätten.
#3 Harantor 2012-02-22 15:41
www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,816896,00.html Jetzt wird überprüft. Der Vertrag bedarf einer Nachbesserung und keine Aktionen ohne die jeweils nationale Justiz ...
#4 Jonas Hoffmann 2012-02-22 16:33
Ist klar, kaum steht der Aktionstag vor der Tür macht die Politik wieder auf "Dialog". War vor dem 11.02. genauso. Und kaum war Montag war alles wieder vergessen. :-x
#5 Harantor 2012-06-21 14:14

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