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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit den Nachfahren von Jesse James?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit den Nachfahren von Jesse James?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler werden wir diese Beiträge im Zauberspiegel übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Ergänzend zu meinem Artikel über den Tod von Jesse James, möchte ich zwei seiner Nachkommen erwähnen, die ich getroffen habe und mit denen ich eingehende Gespräche über ihren Urgroßvater führen konnte. Beide haben DNA-Material zur Verfügung gestellt, als die sterblichen Überreste von Jesse James 1995 exhumiert und untersucht wurden.

Beide sind direkte Nachkommen der zwei Kinder, die Jesse James und seine Frau Zerelda überlebten: Jesse Edward (geb. 1875) und Mary Susan (geb. 1879).

Besonderen Eindruck hat der Urenkel James R. Ross bei mir hinterlassen, mit dem ich befreundet war. Er ist leider vor 11 Jahren, am 5. März 2007, im Alter von 80 Jahren an einem Herzinfarkt verstorben.

Jim war ein eindrucksvoller Mann, der starke Ähnlichkeit mit seinem Urgroßvater hatte. Der Sohn von Jesse James, Jesse Edward James, war sein Großvater, unter dessen Obhut Jim mehrere Jahre aufwuchs. Insofern war er dem berüchtigten Outlaw besonders nahe.

Jesse E. James war 1875 – auf dem Höhepunkt der kriminellen Karriere von Jesse James – geboren worden. Er starb 1951. Daher erhielt Jim Informationen über seinen Urgroßvater aus erster Hand. Auf dieser Grundlage schrieb er später sein Buch „I, Jesse James“. Er erzählte mir, daß sein Urgroßvater kurz vor seinem Tod mit seiner Familie in den schwach besiedelten Südwesten ziehen und ein Leben als Rancher beginnen wollte. Ein letztes Mal wollte er noch eine Bank berauben, um sich eine finanzielle Grundlage zu schaffen. Diese Entscheidung brachte ihm den Tod; denn dafür benötigte er die Hilfe der Brüder Ford, die bereits beschlossen hatten, ihn vorher zu töten.

Wenig bekannt ist, daß der Sohn von Jesse James Jura studierte und niedergelassener Rechtsanwalt war. Allerdings geriet er 1898 in Verdacht, an einem Zugüberfall beteiligt gewesen zu sein. Die Beweise reichten letztlich nicht aus, aber der Richter erklärte ihm: „Ich bin sicher, Sie waren dabei. Wenn ich Sie noch einmal in meinem Gericht sehe, kommen Sie nicht mehr davon.“

Jesse E. James hielt sich daran. Zweimal spielte er in frühen Stummfilmen die Rolle seines Vaters.

James Ross erzählte mir viele Geschichten über seinen Großvater, wenn wir uns trafen. Er war ein ungemein humorvoller, liebenswürdiger Mensch, der ebenfalls Jura studierte und 29 Jahre lang als Anwalt in Los Angeles arbeitete, bis er 1983 zum Bundesrichter ernannt wurde. Er amtierte bis zu seiner Pensionierung 1995 und arbeitete danach noch vertretungsweise am Obersten Gericht Kaliforniens.

Bundesweit Schlagzeilen in den USA machte 1984 sein Urteil gegen DISNEYLAND wegen Diskriminierung von Homosexuellen. Im Jahr darauf mußte die Disney Company entsprechende Regeln gegen gleichgeschlechtliche Paare in ihren Vergnügungsparks aufheben. Jims Urteil hatte weitreichende Wirkungen und machte ihn zeitweise zur Zielscheibe für konservative Politiker. Er ließ sich in seiner Haltung nie beirren. Sein Credo war: „Ein Nachkomme von Jesse James weicht nicht zurück.“

James Ross hatte allerdings auch keine Illusionen über seinen Urgroßvater. Er erklärte mir offen: „Er war ein Krimineller. Wäre er in meinen Gerichtssaal gebracht worden, hätte ich ihn verurteilt.“ Zugleich empfand er Stolz auf seine Abstammung. Denn der Name „Jesse James“ stand eben nicht nur für schwere Verbrechen, sondern auch für eine bestimmte historische Periode in der Zeit des Amerikanischen Bürgerkrieges und danach, und James Ross war sich dieses Erbes bewußt.

Geboren am 6. Juli 1926, hatte Jim lebhafte Erinnerungen an seinen Großvater, Jesse E. James. Die Gespräche mit ihm waren immer aufschlußreich, interessant und witzig. James Ross war eine charismatische Persönlichkeit mit festen humanistischen Prinzipien. Ich vermisse ihn noch heute.

Ähnliche Erfahrungen machte ich mit Betty Barr, der Urenkelin von Jesse James. Die Tochter des Outlaws, Mary James (gestorben 1935), war ihre Großmutter. Im Gegensatz zu ihrem Cousin, James Ross, versuchte Mary meist, die Öffentlichkeit zu vermeiden. Schon ihre Großmutter hatte Wert darauf gelegt, daß über ihren Vater, Jesse James, wenig geredet wurde. Auch Bettys Großvater, der Schwiegersohn des Outlaws, war bemüht, die Verwandtschaft zu verschweigen. Bettys Eltern schärften ihr ein, möglichst nicht über ihre Herkunft zu sprechen. Sie befürchteten Nachteile in der Öffentlichkeit. So begann Betty erst als erwachsene Frau sich mit ihrem berühmt-berüchtigten Vorfahren zu beschäftigen, weil die Verwandtschaft sich letztlich nicht verschweigen ließ. Immer wieder kamen Historiker und Amateurforscher auf die Familie zu und fragten nach Informationen.

Aber auch wenn Betty Barr sich schließlich damit abgefunden hatte – glücklich war sie darüber nicht. Sie tauchte daher eher selten auf Familientreffen der anderen James-Nachkommen auf und zeigte sich relativ selten an historischen Plätzen, wie der James-Farm in Kearny, die mit ihrer Familie verbunden waren.

Meine Fotos zeigen mich zusammen mit James Ross, der mir auch die Exhumierung und die DNA-Tests beschrieb, mit denen eindeutig festgestellt wurde, daß tatsächlich sein Urgroßvater in St. Joseph erschossen worden war. Er schrieb mir eine Widmung in sein Buch „I, Jesse James“.

Ferner bin ich zusammen mit Betty Barr zu sehen, der Urenkelin von Jesse James, mit der ich mich vor allem über ihre Kindheit und Jugend unterhielt, als sie und ihre Eltern versuchten, die Familiengeschichte totzuschweigen.

Das Bild zeigt uns bei einem Empfang der Historischen Gesellschaft von Northfield, bei dem wir gesprochen haben, ich über die Geschichte der James-Bande und sie über ihre Familiengeschichte.

Desweiteren zeige ich Bilder von Jesse Edward und Mary Susan James, den Kindern des Outlaws, sowie einen kurzen Zeitungsartikel über den Tod von Mary Susan 1935.

Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, März 2018Die aktuelle Ausgabe

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