Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit »Texas-Jack«?
: Am 27. Dezember 1913 starb eine der pitoresken Outlaw-Gestalten der amerikanischen Pioniergeschichte, die der Zeit des sogenannten „Wilden Westens“ das besondere Flair verliehen. Es waren gerade diese dubiosen Charaktere, die in den gedruckten Massenmedien für Schlagzeilen sorgten und Drehbuchautoren der Filmindustrie Stoff lieferten.
Bekannt vor allem als „Doc Middleton“, aber auch als „David Middleton“, „Texas-Jack“, „Gold-Tooth-Jack“, und anderen Alias-Namen, wurde er im Februar 1851 unter seinem richtigen Namen James M. Riley in der Kleinstadt Bastrop in Texas geboren. (Es gibt auch Quellen, die seine Geburt nach Mississippi verlegen. Sicher ist nur, daß er tatsächlich geboren wurde und sich in einigen Teilen Amerikas unvergeßlich gemacht hat.) Berühmt, vor allem aber berüchtigt, wurde er als Pferdedieb, was ihn im amerikanischen Westen durchaus hätte an den Galgen bringen können.
Mehr noch: Er galt als der „König der Pferdediebe“. Man sagt, daß er sein erstes Pferd mit 14 Jahren stahl. Mit 19 wurde er in Texas wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt, aber schon 1874 gelang ihm die Flucht aus dem Gefängnis von Huntsville.
In Iowa wurde er erneut als Pferdedieb aktenkundig und saß dafür anderthalb Jahre im Gefängnis. Am 13. Januar 1877 erschoß er in Sidney (Nebraska) einen Soldaten der 5. US-Kavallerie, nachdem dieser ihn in einem Saloon verprügelt hatte. Mit viel Glück entkam er einem Lynchmob und flüchtete nach Wyoming. Auch hier tauchten bald Steckbriefe mit seinem Namen auf. Die Viehzüchtervereinigung und die Union Pacific Eisenbahngesellschaft setzten Prämien auf seine Ergreifung aus.
Inzwischen führte Riley-Middleton eine Bande von Pferde- und Viehdieben.
Es blieb einem Offizier der US-Armee, W. H. H. Llewellyn, der verantwortlich für die Pferdeherden auf der Pine Ridge Reservation war, vorbehalten, Middleton zu stellen. Mit dem Versprechen, der Gouverneur von Wyoming werde ihn begnadigen, wurde er mit seinen Kumpanen in eine Falle gelockt. Als die Outlaws bemerkten, daß sie umzingelt waren, wollten sie sich den Weg freischießen. Zwei der Banditen wurden getötet. Ein Deputy Marshal wurde verwundet. Middleton konnte festgenommen werden und wurde im September 1879 in Cheyenne zu 3 Jahren Gefängnis verurteilt. 1883 war er wieder in Freiheit.
Die Legende erzählt – vermutlich war es sogar die reine Wahrheit –, daß er innerhalb von nur zwei Jahren mehr als 2.000 Pferde gestohlen hatte.
1884 ließ er sich mit seiner gerade 16 Jahre alten Verlobten in Gordon (Nebraska) nieder und eröffnete einen Saloon. Mehr noch – er wurde sogar kurzfristig zum Deputy Sheriff des Bezirks ernannt; so zumindest berichtet es eine Zeitung in Omaha vom 31. Dezember 1885. Eine solche Karriere war in jenen Tagen auch gar nicht so ungewöhnlich: Männer, die mit dem Revolver umgehen konnten, bewegten sich nicht selten auf einer schmalen Linie zwischen Gesetzlosigkeit und Bürgerlichkeit. Der Weg vom Outlaw zum Gesetzesvertreter und zurück zum Outlaw konnte kurz sein. Es gab eine Reihe anderer markanter Beispiele, etwa das des Deputy US Marshals Frank Canton, der zugleich als käuflicher Revolvermann berüchtigt war.
1893 wurde Middleton von „Buffalo Bill“ Cody für seine Wild West Show angeheuert. Middleton war nicht nur weithin bekannter Pferdedieb, sondern ein exzellenter Reiter. William Cody engagierte ihn zunächst als Trickreiter und Attraktion für die „Columbian Weltausstellung“ in Chicago. Dort wurde ein 1.000 Meilen Pferderennen ausgeschrieben, das von Chadron (Nebraska) bis nach Chicago führen sollte; das längste Pferderennen der amerikanischen Pioniergeschichte.
Cody rechnete sich einen starken Werbeeffekt für seine Show aus und meldete Doc Middleton für das Rennen an.
Die Idee für das Rennen kam vermutlich von einem Geschäftsmann aus Chadron, John Maher, daher wurde diese Stadt der Ausgangspunkt. Der Startschuß fiel vor dem 1888 gegründeten „Blaine Hotel und Saloon“.
Insgesamt nahmen 9 Reiter teil, meist Cowboys aus Nebraska. 7 erreichten tatsächlich das Ziel, darunter auch Doc Middleton. Er galt zeitweise sogar als Favorit, mußte sich aber letztlich Joe Gillespie geschlagen geben.
Middleton kehrte in den Westen zurück und amtierte 1897 als Town Marshal (Polizeichef) der Kleinstadt Edgemont in South Dakota.
Drei Jahre später war er zurück in Gordon (Nebraska), wo er erneut einen Saloon eröffnete – und auch hier trug er zeitweise wieder den Stern eines Town Marshals.
1913 zog er nach Wyoming, ließ sich als Salooner in Orin Junction nieder und geriet in seiner Bar in einen Kampf mit einem Gast. Danach wurde er verhaftet und des illegalen Alkoholausschanks angeklagt. Im Gefängnis erkrankte er an einer schweren Hautinfektion, die einen Kreislaufzusammenbruch verursachte und am 27. Dezember zu seinem Tod führte. Er war 62 Jahre alt.
Über Middletons Leben wurden mehrere Bücher geschrieben. Auch in einigen Filmen wird er dargestellt. Er galt als Musterbeispiel für einen Western-Outlaw, der die Pionierzeit überlebte und erfolgreich zwischen den Welten pendelte – Bürger und Gesetzloser, Bandit und Sternträger.
Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de