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Aus Twitter wird X – Vorbild WeChat

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneAus Twitter wird X
Vorbild WeChat

Wie lange Twitter-Nutzer*innen noch die Eskapaden von Elon Musik mitmachen werden – das ist eine gute Frage. Seit dem Kauf von Twitter kommt eine unverständliche Änderung nach der Anderen. Kein Wunder, dass viele schon zu Threads gewechselt sind. Jetzt kommt der nächste Paukenschlag: Musk ändert den Namen von Twitter zu X, wirft den Vogel aus dem Logo raus und verkündet, er wollte Twitter zu einer Art WeChat aufbohren. Ob das funktionieren wird?

Wer in China unterwegs ist, der kommt an WeChat nicht vorbei. WeChat ist das Betriebssystem Chinas geworden. Zwar ist der Dienst als Messenger-Anbieter gestartet – entwickelt in China selbst als Alternative zu Whatsapp. Doch WeChat hat sich im Laufe der Zeit zu einer Plattform-App für Alles entwickelt. Selbst der kleinste Straßenhändler hat irgendwo einen QR-Code hängen mit dem man seine Waren per WeChat bezahlen kann. Ob Kinokarten, Überweisungen, Kontoauszüge, Taxis oder natürlich auch Dinge des täglichen Lebens – alles kann man mit WeChat bestellen und bezahlen. Dass die Regierung da natürlich auch aktiv mit überwacht was die Bürger*innen so treiben, davon sollte man ausgehen. Wo sich viele Daten ansammeln, da wachsen auch die Begehrlichkeiten.

Nicht nur in China, sondern auch in Südkorea gibt es eine Plattform, die einige Dienste in sich vereinigt. Es ist "KakaoTalk", eine App ähnlich wie WeChat in China, die mehrere Funktionen in einer einzigen Plattform integriert. Auch KakaoTalk begann ursprünglich als Messaging-App hat aber im Laufe der Zeit eine Vielzahl von Funktionen hinzugefügt. Heute können Nutzer nicht nur Textnachrichten, Bilder und Videos austauschen, sondern auch Online-Spiele spielen, in Online-Shops einkaufen und sogar Taxi-Dienste bestellen. Außerdem gibt es eine Funktion namens "KakaoPay", mit der Benutzer*innen mobile Zahlungen und Geldtransfers durchführen können, ähnlich wie mit WeChat Pay in China. KakaoTalk ist in Südkorea äußerst beliebt und hat eine hohe Marktdurchdringung. Die App hat eine aktive Benutzerbasis von Millionen von Menschen und wird für eine Vielzahl von täglichen Aktivitäten verwendet.

Und jetzt möchte Musk die Twittersoftware aufbohren und ein ähnlichen Ökosystem aufbauen. Kann das gelingen? Zuerst einmal: Der westliche Kulturkreis ist gegenüber digitalen Dingen skeptischer als China oder Südkorea. Während in China und Südkorea längst Bargeld nicht mehr so die Rolle spielt, hat erst Corona hierzulande das Bezahlen per Karte verankert. Diese Skepsis gegenüber neuen digitalen Entwicklungen erleben wir derzeit bei der Diskussion um Künstliche Intelligenzen. Wir sehen zwar die guten Seiten, aber der Frankenstein-Komplex lauert immer noch im Hintergrund. Oder ist es eher der Skynet-Komplex? Unsere Kultur tickt anders als die in Asien.

Die Vorteile für Twitter lägen jedenfalls auf der Hand: Die Integration mehrerer Funktionen in eine einzige App könnte die Benutzererfahrung verbessern. (Nun ja, könnte. Wer momentan Kunde der Postbank ist wird wissen, dass eine IT-Integration verschiedener Apps eine Katastrophe sein kann.) Statt unendlich viele Apps auf dem Smartphone zu installieren, wovon man eh nicht alle nutzen wird, könnten mehr Aufgaben ohne Wechsel erledigt werden. Man ruft eine App auf und bleibt in dieser. Für aktive Twitternutzer*innen könnte das attraktiv sein. Zudem strampelte Twitter sich schon immer auf der Suche nach einem tragenden Geschäftsmodell ab. Die blauen Haken sind mittlerweile ein Witz. Durch die Erweiterung der Funktionen könnte Twitter aber neue Einnahmequellen erschließen, beispielsweise durch Gebühren für E-Commerce-Transaktionen oder durch neue Werbeformate. Für Elon Musk durchaus von Vorteil. Aber auch für die Nutzer*innen?

Der Datenschutz in Deutschland ist hoch. Die Integration von Funktionen wie E-Commerce und Zahlungen würde wahrscheinlich hier zu erhöhten Datenschutz- und Sicherheitsbedenken führen. Und nicht nur hier. Wo viele Daten sind, wachsen die Begehrlichkeiten. Zudem: Könnte Twitter wirklich versichern, dass Hacker nicht an die Daten rankommen? Wer würde das schon glauben angesichts der letzten Hacks und im Netz herumschwirrenden Daten … Ein weiterer Punkt: Twitter würde wahrscheinlich in direkte Konkurrenz zu etablierten Plattformen in diesen Bereichen treten, wie z.B. Amazon für E-Commerce oder WhatsApp für Messaging. Dies könnte eine Herausforderung sein. Und Apple sollte ebenso wie Facebook nicht vergessen werden. Facebook hat ja schon ein Ökosystem zur Hand, dass, wenn Zuckerberg es wollte, zumindest das Wechseln von einer App zur anderen sehr einfach und smooth veranstalten könnte. Das ist ja heute schon zwischen Messenger und Facebook auf dem Smartphone so.

Allerdings: Nicht alle Twitter-Benutzer könnten eine solche Erweiterung der Funktionen der Plattform begrüßen. Einige könnten die Einfachheit der aktuellen Twitter-Erfahrung bevorzugen und gegen zu viele neue Funktionen sein. Und: Damit Nutzer bereit sind, eine erweiterte Plattform zu nutzen, müssen sie den Mehrwert sehen, den diese für sie bietet. Bisher ist noch nicht ganz klar, was Musk wirklich vorhat. Oder welche Firmen er als Partner für seine Idee gewonnen hat. Es mag auch sein, dass Musk sich in der nächsten Woche schon wieder anderen Dingen zuwendet. Bei Musk weiß man das ja nie so genau.

Aktuell muss man also mal wieder abwarten. Die eigentliche Frage ist: Brauchen wir eine All-In-One-App eigentlich? Sicherlich ist es von Vorteil alles in einer App zu haben. Nur: Wenn alles in einer App ist und diese App mal nicht funktioniert … Zudem: Viele Daten an einem Ort sind für Hacker paradiesische Zustände. Irgendwie bin ich skeptisch, dass eine All-In-One-App im westlichen Kulturkreis Fuss fassen wird. WhatApp hätte das ja längst sein können, ist es aber nicht geworden. Zudem: Solange wir den Frankenstein-Komplex in unseren Seelen tragen, wird das mit der digitalen Freudigkeit angesichts kommender Entwicklungen auch so eine Sache sein.

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