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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Wyatt Earp und dem Boxen?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Wyatt Earp und dem Boxen?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Die heutige Erinnerung betrifft nicht exakt die amerikanische Pionierzeit, aber eine der prägenden Gestalten dieser Ära: WYATT EARP. Am 2. Dezember 1896 stieg der fast fünfzigjährige Wyatt Earp, der den Ruf eines der spektakulärsten Polizisten der wilden Pionierjahre hatte, in San Francisco in einen Boxring.

Earp war als Ringrichter eines bemerkenswerten Sportereignisses engagiert worden, dem Weltmeisterschaftskampf im Schwergewicht zwischen Tom Sharkey und Robert Fitzsimmons. Der Kampf sollte mit einem der größten Skandale der damaligen Sportwelt enden und Wyatt Earps Ruhm aus den wilden Tagen von Dodge City und Tombstone jahrelang beschädigen..

Wyatt Earp war ein berühmter Name. Er war eher zufällig als Ringrichter gewählt worden, ein Kompromiss, weil die Manager der beiden Boxer sich nicht auf einen anderen Referee einigen konnten. Earp hatte in den 1890er Jahren mehrfach große Boxkämpfe geleitet. Er galt als ehrenhaft, kaltblütig und entschlossen. Niemand konnte ihm den Schneid abkaufen. Und er war bekannt genug, um einem solchen Ereignis zusätzliche Attraktivität zu verleihen.

Profi-Boxkämpfe waren offiziell in den USA in jener Zeit noch verboten. Aber die Stadtverwaltung von San Francisco ignorierte das Ereignis, weil selbst der größte Teil der städtischen Polizei den Kampf sehen wollte und sich fast 15.000 Zuschauer angesagt hatten.

Earp wurde vom „National Athletic Club“ als Kandidat ins Spiel gebracht. Er lehnte zunächst ab, nahm das Angebot dann aber an, denn er war ein notorischer Spieler und ständig in Geldnöten. Außerdem brachte das Ereignis Schlagzeilen.

Der Abend begann damit, dass Earp mit einem 45er Colt in den Ring des großen Mechanics Pavillon stieg. Ein anwesender Polizist musste ihn vor den Augen von Tausenden von Zuschauern „entwaffnen“.

Dann begann das Ringgefecht, bei dem Fitzsimmons von Anfang an Überlegenheit zeigte und Tom Sharkey immer wieder in die Seile drängte. Das entsprach auch den Erwartungen des Publikums und der Wettgemeinde, die bei den einschlägigen Buchmachern viel Geld auf einen Sieg von Fitzsimmons gesetzt hatte.

Tom Sharkey war am 26. November 1873 in Irland geboren worden. Er war jahrelang zur See gefahren, bevor er 1893 Preisboxer wurde. Bis 1904 stand er im Ring und gewann 40 Kämpfe, davon 37 durch KO. Er verlor 7 Kämpfe. Das „Ring Magazine“ zählte ihn zu den 100 stärksten Punchern aller Zeiten.

Sein Gegner, Robert Fitzsimmons, hatte einen Ruf wie Donnerhall. Er war am 26. Mai 1863 in Cornwall (England) zur Welt gekommen und hatte vor seiner Box-Karriere als Schmied gearbeitet. Er begann seine Boxerlaufbahn 1883 und focht nicht weniger als 101 Kämpfe aus, wobei er 61 gewann (die meisten durch KO) und 8 verlor. Er galt als der leichteste Schwergewichtler, aber hatte sich drei Weltmeistertitel erkämpft. Noch heute gilt er als einer der härtesten Puncher der Box-Geschichte, wobei es ihm gelang, selbst nie schwer getroffen zu werden.

Fitzsimmons trieb Sharkey volle 8 Runden vor sich her und dominierte das Geschehen. Aber dann geschah etwas Unerwartetes. In der 8. Runde traf Fitzsimmons Sharkey mit einer gestochenen Geraden auf den Solarplexus. Sharkey stürzte benommen zu Boden, presste seine Fäuste auf den Unterleib und stieß Schmerzensschreie aus.

Wyatt Earp beugte sich über Sharkey, begab sich zu den Kampfrichtern, sagte, dass Fitzsimmons einen Tiefschlag gelandet habe, kehrte zu Sharkey zurück, erklärte ihn zum Sieger und händigte seinem Manager einen Scheck über die Kampfbörse aus, fast 15.000 Dollar – das entsprach nach heutiger Kaufkraft fast 500.000 Dollar.

Für einen Moment war es totenstill in der Halle, dann brach ein unbeschreiblicher Tumult los. Buh-Rufe. Protestgebrüll, Drohungen. Wyatt Earp musste unter Personenschutz aus dem Ring gebracht werden, sonst hätte die Menge ihn wohl gelyncht. Was in den Tagen darauf folgte, war allerdings noch weitaus dramatischer.

Das Management von Fitzsimmons focht den „Sieg“ Sharkeys juristisch an und verlangte die Herausgabe der Kampfbörse. Das wurde abgelehnt, weil der Richter logisch erklärte, dass dieser Kampf nach den Gesetzen illegal gewesen und eine hier geschlossene Vereinbarung somit wertlos sei und nicht eingeklagt werden könne.

Die Presse allerdings schoss sich auf Wyatt Earp ein. In ganz Amerika wurde er als Betrüger und Schwindler bezeichnet. Schon wenige Tage später kam die Vermutung auf, er sei angeblich mit 8.000 Dollar bestochen worden, um den Kampf zu manipulieren. Diese Behauptung wurde niemals in irgendeiner Form bewiesen, sie blieb reine Spekulation. Viele der Zuschauer, die dicht am Ring gesessen hatten, bestritten den vermeintlichen Tiefschlag. In den Zeitungen hieß es: „Earp ist ein Revolverschwinger, der unzählige Menschen gewissenlos niedergeschossen hat. Nach jeder Schießerei hat er den Pulverdampf von seinem Colt geblasen und eine neue Kerbe in den Griff geschnitten.“

Absoluter Blödsinn, aber Sensationsjournalisten gab es eben damals auch schon; sie degradierten Wyatt Earp vom vorbildlichen Frontier-Marshal zum völlig skrupellosen Gesetzlosen. Die Wut war allerdings verständlich – die meisten Zuschauer hatten auf Fitzsimmons als Sieger gewettet und verloren jetzt all ihr Geld.

Dazu passte dann, das Earp am 4. Dezember 1895 vor Gericht erscheinen musste, um sich dafür zu verantworten, dass er im Ring einen Revolver getragen hatte. (Es gab ein Waffentrageverbot in San Francisco.) Earp entschuldigte sich damit, dass er die Waffe vergessen habe, weil er immer einen Revolver tragen würde; es sei schließlich möglich, auf jemanden zu treffen, den er mal ins Gefängnis gesteckt hatte und der Rache nehmen wollte. Er wurde zu einer Geldstrafe von 50 Dollar verurteilt. Es folgten weitere Anzeigen gegen Earp, die zur Pfändung von zwei Rennpferden führten, an denen er Anteile besaß. Earp war zu dieser Zeit mal wieder fast pleite. Auf die Frage des Richters nach seinem Besitz antwortete er: „Ich besitze nichts außer der Kleidung, die ich trage.“

Der bekannte amerikanische Historiker Jack DeMattos schrieb: “Kein vorheriges Ereignis in seinem Leben erwies sich als so bedeutsam wie dieser Boxkampf. Erst diese Veranstaltung machte seinen Namen wirklich national bekannt.”

Er war in San Francisco, wo er aktiv an Pferdewetten beteiligt gewesen war, gesellschaftlich erledigt und verließ 1897 mit seiner Frau die Stadt, um im Goldrausch von Alaska einen Saloon zu eröffnen. Für den Rest seines Lebens verteidigte er seine Entscheidung: „Ich hätte Sharkey viel früher zum Sieger erklären sollen, weil Fitzsimmons während des gesamten Kampfes mit schmutzigen Tricks vorgegangen war.“

Einige Journalisten beurteilten Earp milder und verwiesen darauf, dass ihm die Erfahrung für einen so bedeutenden Kampf gefehlt und Tom Sharkey ihn getäuscht habe. Spätere Untersuchungen durch Boxexperten und Juristen sprachen Wyatt Earp vom Verdacht der Manipulation frei. Aber ein Gutteil seines bis heute dubiosen Rufs liegt nicht etwa in seinen Taten in Dodge City oder Tombstone begründet, die weitgehend als juristisch unanfechtbar beurteilt werden, sondern in seiner Rolle als Schiedsrichter dieses Boxkampfes, wofür er in den Medien regelrecht vernichtet wurde.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2020Die aktuelle Ausgabe

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