Ein Abend bei Gaisbauers (Teil 17)
Ein Abend bei Gaisbauers (Teil 17)
Wenn man dann noch mal wach wird, ist es stockdunkel und man weiß erst mal gar nicht, welcher Tag ist und was überhaupt los ist. Dann kommen die Gedanken wieder und es wird klar.
Mittwoch - also Teestunden-Tag - und du hast da noch was zu tun. Denn wie üblich wurde ja die Teestunde immer wieder geschoben, weil andere Dinge auch so wichtig waren. Und jetzt ist also wieder Mittwoch - und du hast außer dem Titel ›Teestunde‹ noch nichts geschrieben. So was muss sein - denn bei einer Anfrage muss man nicht lügen, wenn man sagt, man hat angefangen und arbeitet dran. Die schönen alten Ausreden eines Autors bei einem Anruf vom Verlag. »Ich bin fast fertig« bedeutet, dass der Autor die dritte Seite geschafft hat. Und wenn er sagt: »Ich habe soeben das Wort ›Ende‹ geschrieben« kann das bedeuten, dass der Roman mit den Worten los geht: »Er wusste - die war das Ende«.
Also, wachgeworden, als es schon stockdunkel ist. Auf dem Boden liegt der Wecker - und der zeigt kurz vor 21 Uhr an. Also ist es jetzt ›höchste Eisenbahn‹, wie man so schön sagt. Hoch aus dem Bett, Atemgerät aus, tappen durch die Dunkelheit zum Lichtschalter und Stolpern über Katzen. Croms seis gedankt - Schalter gefunden.
›Es werde Licht‹. Rasch einen Tee gekocht - Assam, da muss es jetzt etwas Kräftigeres sein - und zwischendurch die Katzen gefüttert, die beleidigt vor ihrem Napf sitzen, der völlig leer ist. Gut so, denn seit ich draußen keine Katzen mehr füttere, muss sie Bande eben alles aufessen - auch wenn Cindy, Fee und Susi der Meinung sind, weil das Futter schon drei Stunden alt ist, müsste es sofort was Neues geben.
Computer aktiviert - wenigstens ›Justinian‹ funktioniert problemlos - und in einer kurzen Mail Hermann beruhigt, dass der Tee noch kommt. Der flucht garantiert wie ein Schotte, dem in London ein Penny in den Gully fällt, weil er das, was ich hier schreibe, noch ins Netz einstellen muss. Aber das ist eben ›life‹ - und genau die aktuelle Situation, die ich jetzt habe.
So, und jetzt machen wir weiter mit dem Interview ... und diversen Erinnerungen...
R.Michael: Werner, du brauchst gar nicht zu lachen. Werner besaß nämlich damals ein Skelett namens "Willibald", dass er mit Hemd, Hose und allen notwendigen Kleidungsstücken ausgestattet hatte.
Eines Abends stellte er seinen Wagen mit Willibald vor meiner Haustür ab. Am nächsten Morgen gab es ein großes Geschrei der Schuldkinder. Und nicht zu vergessen, das Werner ja so "unauffällige" Wagen fährt, von der Größe und von der Aufmotzung her, dass wir ab diesem Zeitpunkt endgültig verschrien waren.
Diese Episode fand in Ahnatal statt, als ich gerade hin gezogen war. Werner hatte den Wagen direkt vor das Haus gestellt - und zwar so, das es direkt unter meinem - uns bei Werners Besuchen ›unserem‹ Schlafzimmer stand. Ich war gerade erst eingezogen und die Leute im Dorf hatten sich schon über einiges gewundert. Beispielsweise auch, dass der neue Mieter bei ›Meister Martin‹ zwar keine Frau, aber einen Raben hatte.
Dass ich im allgemeinen Dorftratsch nicht als homosexuell angesehen wurde, lag daran, dass ich doch immer mal aufgrund von Zeitungsannoncen in der Woche ›Damenbesuch‹ hatte. Kontaktanzeigen über die Zeitung machten es möglich. Aber von denen wollte natürlich keine in eine Wohnung ziehen, wo die Toilette auf der halben Treppe und die Dusche eine umgebaute Speisekammer war. Es blieb also meist bei einmaligen Besuchen - die jedoch von den ›Beobachtern‹ im Dorf gesehen wurden und dafür sorgten, dass mich nicht die ›Damnatio‹ der Homosexualität traf - was damals für viele Leute von eine Art von ›Verbrechen‹ war. Denn fast an jedem Wochenende war Werner da - und da mussten in dörflicher Atmosphäre sich zwangsläufig solche Gedanken entspinnen.
Denn schon die alte Dame in der Wohnung über mir beachtete mit Argus-Augen, was sich bei mir abspielte und konnte als eine Ahnataler ›Super-Illu‹ angesehen werden. Und überhaupt - Leute auf dem Land sind, wenn es um ihre Mitmenschen geht, wie die Indianer. Du siehst sie nicht - aber sie sind da und beobachten sich. Und wenn du dich sicher fühlst - schlagen sie zu. Auf jeden Fall habe ich des Öfteren für Dorf-Tratsch gesorgt mit oder ohne W.K.Giesa. Zumal dann auch immer noch so ein vermutlicher Seemann mit Mütze kam, der rein von der Optik her schon dreimal mit Felix Graf von Luckner ums Kap Hoorn gesegelt sein musste. Wie bekannt, war auch der Herausgeber des Zauberspiegels des Öfteren in Ahnatal mit dabei und hat fast alles, was ich hier beschreibe, auch mit erlebt.
Grund für die Aufregung am frühen Morgen war eben Willibald, der doch ganz harmlos unten im Wagen die Nacht verbracht hatte. Für Werner war es normal, dass der Knochenmann bei ihm im Auto saß. Er hat sich auch nichts dabei gedacht, ihn einfach dort sitzen zu lassen.
Ich habe ja schon erzählt, dass W.K. Giesa den Skelett mal eine Art Chauffeur-Anzug mit Mütze aufsetzte und seine Hände ans Steuerrad festband. Da Werner grundsätzlich Automatik-Wagen fuhr, konnte er vom Beifahrer-Sitz aus Gas geben, bremsen und auch mit der linken Hand lenken, so das es aus einiger Entfernung so aussah, als wäre Willibald der Fahrer. So fuhr er dann, angetan im üblichen weißen Anzug mit Zylinder kreuz und quer durch Lippstadt. D a s - liebe Freunde, war Werner Kurt Giesa in der ›alten Zeit‹. Ständig bereit, den Leuten eine Show zu liefern, in deren Zentrum er stand.
Bei jener Situation in Ahnatal hatte er Willibald eben im Auto vergessen oder besser gesagt, sich keine Gedanken darüber gemacht, welchen Wirbel ein Knochenmann bei kindlichen an ›Fünf Freunden‹-, ›TKKG‹- oder den ›Drei ???‹-geschulten Gemüter verursachen würde.
Jedenfalls wurden wir beide durch ohrenbetäubendes Kindergeschrei zur ›unchristlichsten Zeit‹ geweckt. Also vor 8 Uhr - bekanntermaßen brauchte man bei Werner vor 14 Uhr nicht anzurufen - aber morgens um vier war er problemlos erreichbar.
Aus dem Fenster sehend hatten mindestens fünfzig Kinder Werners Auto umringt und waren aufgeregt am überlegen, was das bedeutete. Ganz klar, für die kleinen ›Jerry Cottons‹ lag hier ein Mord vor und die Polizei musste eingeschaltet werden. So gut es nach einer durchzechten Nacht ging zogen wir uns an und gingen runter, bevor jemand wirklich die Jungs von ›Grünweiß Wiesbaden‹ verständigte. Damals waren die Polizei-Autos noch in Grün und Weiß und alle hatten die Zulassung der Hessischen Landeshauptstadt - daher dieser Begriff.
Es gab nur eins. Auto aufschließen und den Kindern zu zeigen, dass die Knochen künstlich waren und mit Drähten zusammen gehalten wurden. Sie durften Willibald dann auch mal anfassen. Erst nur von ein paar ganz Mutigen - die sicher dann in der Schule die Helden des Tages waren. Aber dann trauten sich sogar ein paar Mädchen ... »Ooooch, das ist ja Plastik«... aber Gesprächsstoff im Dorf gar es doch.
Wer sich so durch fast fünf Jahre Teestunde durchackert, der wird viele Episoden aus Ahnatal finden, wo die Bevölkerung erst mal nichts mit anzufangen wusste. Aber schließlich hatte man erkannt, dass es sich um zwei harmlose Spinner handelte, die Gruselhefte schrieben - und deshalb auch über ausreichend Geld verfügten, sich solche ›Späße‹ erlauben zu können.
Nur einmal hätten sie sich fast noch zusammen gerottet und mir die ›Hütte‹ gestürmt wie weiland das Volk von ›Frankenstein‹ die Mühle. Das war bei der Synchronisation des Magier-Films, wo die Haupt-Dreharbeiten in Ahnatal ihren Abschluss fanden - und ich war gerade zugezogen.
Die letzte Szene war einfach, weil neben dem Haus, wo ich residierte, eine Eisdiele war. Die ›Heldinnen‹ sollten sich nach nicht vorhandenem Drehbuch austauschen, dass die Nachts spukenden Besuch hatten. Und weil Regina, Tina und Sandra gerne ein Eis naschen wollten, saßen sie auf den Stühlen vor der Eisdiele, leckten für den männlichen Betrachter recht sinnlich an den Eiskugeln und unterhielten sich über ›Mädchenkram‹, der dann später ganz anderes synchronisiert wurde. Dazu wuselte Werner mit der Kamera um sie herum und machte verschiedene Einstellungen - so dass die ›Entschuldigung‹ für das, was gleich erzählt wird, dann doch einigermaßen akzeptiert wurde
Bei der ›Synchronisation‹ ging es um einen Schreckens- und Angstschrei der Mädchen, der authentisch klingen sollte. Die ›Beobachter‹ hatten natürlich gesehen, dass Werner und ich mit Regina (im Zamorra dann ›Regina Stubbe‹) und Christina (Tina Berner) zwei junge Schönheiten in die Wohnung mitnahmen. Die eine kannte man - die hatte den ›Fürsten‹ schon mal mit dem Fahrrad besucht.
Der ›Fürst‹? Nun, in jedem Dorf hat man so seinen Spitznahmen, das war meiner in Ahnatal, wobei das ›unbedarfte Volk‹ ja keine Ahnung hatte, wie nahe sie mit dem Namen ›Fürst‹ der Wahrheit kamen. Auch wenn das ›Fürstentum Helleb‹ damals die dritte Straße rechts nach der Einfahrt nach Wolkenkuckuksheim liegt...
Und es stimmt, Regina fuhr viel mit dem Fahrrad durch die Gegend und kam immer mal auf einen Kaffee vorbei. Es ist natürlich nie was ›passiert‹, obwohl die Situation für mich war wie für einen Tiger, vor dessen Gehege man ein Steak vorbei trägt.
Sonst hat sich Regina nie was dabei gedacht, wenn sie mich besuchte. Und ich habe schauspielerische Leistungen vollbracht, denen ein Gustav Gründgens Achtung gezollt hätte und die mich fürs ›Charakterfach‹ geeignet gemacht hätten. Dafür, das sich Regina nichts dabei dachte, wenn sie mit dem Fahrrad vorbei kam und mich für eine Stunde oder so besuchte, dachten sich die Leute im Dorf umso mehr.
Es kam dann also dann bei den Synchro-Arbeiten zum ›Magier‹ die Stelle, wo Regina und Christina zu Kreischen hatten. Das mussten sie natürlich vorher erst mal üben. Und so sorgten Töne, wie sie Mädchen in höchster Not ausstoßen dafür, dass die Sonntag-Nachmittag-Spaziergänger aufmerksam wurden, stehen blieben und begannen, sich zusammen zu rotten. Es war von unten her zu vernehmen. Da gab es nur eins. Fenster auf und die beiden Mädchen gucken quietschvergnügt auf die Leute herab, die schon drauf und dran waren, den ›Palast des Fürsten‹ zu stürmen und zwei unschuldige Mädchen aus den Fängen von zwei Bestien zu retten.
Die Vertonung eines Films - das klickerte erst langsam im Bewusstsein der braven Bürger von Ahnatal als Grund für diese schrillen Kreischtöne am heiligen Sonntag-Nachmittag. Eines Gruselfilm - aha, daher also. Und man konnte ja erkennen, dass den Mädels nichts passiert war. Und so konnten wir den Film dann weiter synchronisieren - völlig ohne Textvorlage - so was zu schreiben hatten wir keine Zeit gehabt. Über die Filme und ihre Produktion habe ich ja extra Teestunden gemacht - wer das mehr von wissen will.
Über Willibald - der nicht nur gewichtige Nebenrollen in unseren Filmen übernahm sondern auch seit meinem Roman »Geister-Party« als ›Special Guest‹ in einigen Zamorra-Romanen mitspielte, gäbe es viel zu erzählen. Beim Zamorra nahm ich diese Figur dann nach kurzer Zeit von der Platte, weil sie meiner Meinung nach ›ausgereizt‹ war.
Figuren, die mal als Gag gedacht waren wie Willibald oder zu stark wurden - wie später Tina Berner, Sandra Jamis und Regina Stubbe - wurde auf eine einigermaßen für den Leser verträgliche Art von der Platte genommen. Werner war das beim Gejammere der Leser, die man heute als ›Hardcore-Fans‹ bezeichnet, nicht so einerlei wie mir. Deshalb hat er niemals einen richtigen ›Rundum-Schlag‹ zur ›Flur-Bereinigung‹ gemacht, um Platz zu schaffen für ›neu nachwachsende‹ Helden.
Das Einzige, was den Zamorra dann vom ›Wander-Zirkus Mythor‹ unterschied war die Tatsache, dass immer nur mal ein Held oder eine Heldengruppierung im Zamorra mitspielte - während Mythor den ganzen ›Rattenschwanz‹ an Helden ständig mit sich rum schleppte und jeder eine gewisse Rolle im Roman haben musste - auch wenn sie noch so kurz und unbedeutend war.
Ich müsste jetzt noch mal weitere Willibald-Episoden schreiben und auch mal auf W.K.Giesas Leidenschaft für Personen-Kraftwagen eingehen - immerhin hatte er, was den Begriff ›Auto‹ anging, diverse Vorstellungen und Normen. Aber das heben wir uns für das nächste Mal auf. Ich wollte ja einigermaßen synchron alles noch einmal erzählen, was sich in den Zeiten bis ungefähr 1987 abgespielt hat - jedenfalls die Dinge, die nicht zu privat sind. Und da sind wir durch dieses Interview eigentlich voll drin. Denn wie Werner und ich und kennen gelernt haben, wie er ins Schreibe-Geschäft rein gekommen ist und wie ich dann auch meine ersten Romanverkäufe hatte, das habe ich vor dem Interview noch einmal haarklein erzählt.
Was hier durch das Interview kommt, ist das Hochkochen von Ereignissen zwischen 1980 und maximal 1987 - und gerade in der Zeit zwischen 1981 bis 1984, als ich dann meine spätere Frau kennen lernte, waren sie so turbulent, dass ich sie nicht mehr richtig datieren kann. Nur was abgelaufen ist, kann ich noch erzählen - aber nicht mehr, wann das genau war.
Also, nächstes Mal geht es um Werners Autos, wie er Willibald ›erlöste‹ und wie das Skelett überall mit dabei war - ein Teil davon ist in meinem privat gedrehten Film ›Wallensteins Lager‹ noch zu sehen - und was aus Willibald wurde.
Bis in einer Woche... und jetzt setze euch auf eure geistigen Drachen und fliegt rüber nach Chrysalitas, in die Adamanten-Welt...