Weihnachtsüberraschungen, Konvertierung, futurelle Phantastik, Namen und Drachenlords im Taschenbuch

Auf der Weihnachtsfeier des Bastei-Verlages wurde 1985 die Einstellung der Heftreihe Fantasy bekannt geben. Vermutlich sollte das dann das Weihnachtsgeschenk für Redaktion oder Autoren sein. Eigentlich finde ich das recht makaber – aber ein Profi-Autor hat dann vielleicht die Gelegenheit, noch das Weihnachtsgeschenk an die holde Gattin oder die lieben Kinderchen zurück zu geben, weil er wegen dieser Verlagsentscheidung bald zu den Leuten gehört, welche die Besucherschlangen auf den Fluren der Sozialämter verlängern. Würde man beispielsweise „John Sinclair“ zumachen, müsste sein tatsächlich einziger Autor Jason Dark stempeln gehen. Doch das mögen die Götter und noch mehr seiner immer nachwachsende Leserschaft verhüten...

So schlimm war es bei mir nicht – obwohl mich die Einstellung von „Bastei-Fantasy“ natürlich echt getroffen hat. Aber eigentlich weniger von der wirtschaftlichen oder besser gesagt, von der finanziellen Seite, sondern weil mir plötzlich die Möglichkeit genommen wurde, meine eigene Phantasie und meine Ideen mal richtig auszutoben. Auch die umfassende Überarbeitung der Romane Werners hatte sich somit erledigt...

Wie ich schon geschrieben habe, ließ sich die Beurlaubung vom Dienst für das eine Jahr nicht rückgängig machen, weil mein Gehalt schon aus dem nächsten Haushaltsplan raus genommen war. Es galt also, das Jahr 1986 irgendwie zu überstehen. Aber dazu sahen die Chancen gar nicht so schlecht aus.

Werner war bei Mythor und Dämonenkiller voll im Geschäft und ich hatte dadurch beim Zamorra Freiräume, mehr Romane zu produzieren. Dazu kamen die beiden neuen Frauen-Grusel-Serien „Melissa“ und „Mitternachtsroman“, in die ich nach der Einstellung des „Spuk-Roman“ mit reinrutschen konnte. Und schließlich war Jürgen Grasmück mit seinem Larry Brent überlastet (nach seinen eigenen Erzählungen hat Werner sogar einige Bände zum „Brent“ geschrieben), dass er mir seine Abenteuer-Serie „Ron Kelly“ weitgehend überlassen wollte.

Zusätzlich, und das war das Wichtigste für mich, deutete Helmut Pesch an, dass er sich bemühen würde, die „Straße der Götter“ im Taschenbuch weiter zu führen und orderte, die beiden Hefte über das Geheimnis des Drachenlord als Taschenbuch zusammen zu fassen. Das war eigentlich auch problemlos möglich, weil ich eben Helmut Pesch als Redakteur hatte, der meine neue, von Hand gefertigte Seitenzahlen akzeptierte und die beiden Seiten, die ich dazwischen geschrieben habe, so einfügte, dass der damalige Setzer keine Probleme damit hatte. Schließlich gab es seinerzeit noch keine Computer – bei einem anderen Redakteur hätte ich den ganzen Text vielleicht neu schreiben müssen, weil handschriftliche Zusätze nicht gern gesehen wurde.

Auf das Titelbild vom „Drachenlord“ hat sich eigentlich die ganze Serie aufgebaut. Ich erzählte ja schon, dass Werner und ich (und die anderen Autoren natürlich auch) jeder ein Kontingent Bilder bekamen, die von den Gebrüdern Hildebrandt in den USA gemalt waren. Und das sicherlich für andere Fantasy-Romane, obwohl einige Bilder sich leicht als zum „Herrn der Ringe“ gehörig erkennen lassen. Mit dem berühmten Satz: „Wir machen Tolkien-Bilder“ hatten sie sich ja damals vorgestellt, als sie ihre Bilder zum ersten Mal bei einem Verlag vorgelegt hatten. Und das war zu einer Zeit, als die wenigsten Verlagsmenschen (auch in den USA) wussten, was Fantasy war – und weder mit Begriffen wie „Tolkien“ oder „Hobbits“ etwas anfangen konnten. Heute hat sich das natürlich geändert. Heute weiss man sogar, was ein „Oger“ ist, obwohl dieses in den Sümpfen lebende, Menschen fressende Ungeheuer  eigentlich in die Märchenwelt jenseits der Brüder Grimm gehört.

Ich weiss nicht, ob ich schon berichtet habe, dass der Grund, eine Fantasy-Serie heraus zu bringen, sicher auch daher kam, dass der Bastei-Verlag die Rechte für ein Paket von hundert Hildebrandt-Bildern günstig kaufen konnte. Und nach meinem Empfinden heben sich diese Bilder weit über das Niveau der anderen Bilder, die man von den Heftromanen so gewohnt war – und auch heute noch gewohnt ist. Selbst über das, was uns seinerzeit Sebastiano Boada nach unseren Vorgaben zum „Zamorra“ abgeliefert hat. Was Fantasy-Bilder angeht, gibt es da außer den Gebrüdern Hildebrandt für mich nur noch Frank Frazetta und Boris Vallejo, nach deren Bildern ich gern Geschichten schreiben würde. Von Vallejo hatte ich vor vielen Jahren sogar meine Wohnung mit Postern voll geklebt. 

Ich bekam seinerzeit von Helmut Pesch alle Hildebrandt - Bilder zugeteilt, wo Drachen drauf waren und die Art der Bilder lässt erkennen, dass sie eigentlich zu diversen Fantasy-Romanen gehören müssen. Nur zu welchen – das habe ich bis heute nicht rausbekommen.

Dazu kamen dann noch einige Bilder mit anderen Motiven, mit denen keiner der andren Autoren was anfangen konnte. Klar, großkotzig und überheblich, wie ich damals gelegentlich war und auch heute noch manchmal sein kann, habe ich Dr. Pesch gegenüber erklärt, dass ich noch notfalls aus einem Bild von Picasso einen Fantasy-Roman machen würde. Und eines der Bilder brachte ja dann sehr schnell die Grundidee zum Konzept „Marenia -Tochter des Vulkans“, worüber ich bereits berichtet habe. Aber das schlummert in den unergründlichen Tiefen meines Archivs – ist jedoch nicht vergessen.

Nun, ich habe ja schon erzählt, dass das Titelbild für meinen ersten Roman samt Titel bereits ausgesucht und festgelegt war, bevor ich die erste Zeile geschrieben habe. Aber ich hatte das Bild dieses gerüsteten Wesens vor den Drachenthron mit hoch gestrecktem Schwert und davor in devoter Haltung ein kleines Drachentier mit ausgebreiteten Flügeln. Ja, und daher kam dann die grundsätzliche Idee für die ganze Serie. Und für den „Drachenlord“ wurde das Bild dann endlich mal benötigt.

Es sei noch gesagt, dass der „Drachenlord“ das erste Werk meiner schriftstellerischen Laufbahn war, das unter meinem „bürgerlichen Namen“ heraus gekommen ist. Der Zamorra lief ja damals unter dem Sammel-Pseudonym „Robert Lamont“. Und deshalb signiere ich gelegentlich diese Romane mit „Robert Lamont Secundus“ - weil Werner eben „Primus“, der „Erste“ ist – nach unseren Italien-Touren übrigens scherzhaft „Roberto Alimento“ genannt. Auf die Spuk- und Mitternachtsromane setzte Bastei ganz einfach das Verlags-Pseudonym „Linda Morrison“ und erst seit meiner Zusammenarbeit mit dem Kelter-Verlag habe ich da mit „Melanie Maine“ mein eigenes Pseudo.

Die Fantasy wurde unter „Erlik von Twerne“ geschrieben – eigentlich kein Pseudonym, sondern der Name, unter dem ich in meinem engsten Freundeskreis segelte – und heute auch bei gewissen Leuten auch noch bekannt bin. „Erlik“ ist ein Totengott in den Conan-Saga, bei dem ich seinerzeit mehr geflucht habe als bei „Crom“ und damit irgendwann den Spitznamen weg hatte. Und „Twerne“ ist der mittelalterliche Name des Kasseler Stadtteils „Zwehren“, wo ich so ab 12 den Rest meiner Kindheit und was danach kam verbracht habe. Erst als ich meine erste Wohnung im „Turm des Schreckens“ hatte, hauste ich offiziell im Stadtteil Helleböhn, wo auch der überwiegende Teil meiner Freunde zu Hause war. Und Helleböhn ist der Hintergrund für die Saga von „Fürstentum Helleb“.

Aus dem Stadtteil Zwehren kam die Märchenfrau Dorothea Viehmann, die den Brüdern Grimm die Märchen erzählt hat – die Sache passte also irgendwie. Und mit den Pseudonym „Erlik von Twerne“ habe ich mich echt identifiziert.

Umso größer der Schock, als der „Drachenlord“ unter „Rolf Michael“ raus kam. Helmut Pesch hat mich dazu erst gar nicht gefragt und ist davon ausgegangen, dass ich das einfach akzeptiere. Ja, was will man denn dann auch machen? Also habe ich mich einfach dran gewöhnt, meinen eigenen Namen auf den Büchern zu lesen. Auf dem Klappentext hinten stand ja genug vom Inhalt, dass der am Kauf Interessierte lesen konnte, dass des sich bei dem Buch von „Rolf Michael“ um ein neues Werk des „Erlik von Twerne“ handelte.

Bei den Lokalkrimis und allen späteren Veröffentlichungen habe ich dann, wie das auch bei deutschen Autoren Mode wurde, den Anfangsbuchstaben meines Zweitnamens „Wilhelm“ als „W“ mit eingesetzt. Meine Bücher, auch die, welche noch kommen werden, laufen also grundsätzlich jetzt unter „Rolf W. Michael“. Frauengrusels und sonstige Heftromane werden weiter unter Pseudonym wie z.B. Melanie Maine heraus kommen.

Den Namen „Rolf“ hat mir meine Mutter gegeben, weil es der Name vom mittleren Bruder meines Vaters war und sie ihn besonders schön fand. Nun, gegen einen alten Wikinger-Namen für mich ist ja auf wirklich nichts auszusetzen. Wilhelm war der Name ihres Vaters – und meine hat ihn als Zweitnamen genommen, um ihren Papa zu beruhigen. Immerhin war ich als „nicht ehelich geboren“ ja ein „Kind der Sünde“ und die Eltern meiner Mutter waren mehr als gut katholisch. Deswegen ist meine Großmutter am nächsten Tag aus Hohengandern im Eichsfeld angereist und hat dafür gesorgt, dass ich ja das richtige, sprich, das katholische Taufwasser bekam. Denn mein Vater, das wusste sie, kommt aus Hettstedt im Mansfelder Gebirgskreis und war evangelisch. Aber geheiratet haben meine Eltern dann genau ein halbes Jahr nach meiner Geburt katholisch und ich war in meiner Kindheit und Jugend auch dadurch bedingt, dass ich katholischer Georgspfadfinder war, sehr religiös. Das hat sich allerdings gegeben, als ich zu viel kirchengeschichtliche Bücher gelesen hatte und nachdenklich geworden bin.

Und mit ungefähr 45 Jahren bin ich dann durch Anordnungen seiner Heiligkeit in Rom, deren Sinn ich absolut nicht einsehen konnte, zur evangelischen Kirche konvertiert. In meinem Schreiben an den damaligen Erzbischof von Fulda habe ich auch bewiesen, dass aufgrund dieser päpstlichen Anordnungen auch Jesus einen Grund gehabt hätte, aus der Kirche auszutreten. Übrigens hat mir Erzbischof Dyba auf das Schreiben geantwortet und mir empfohlen, mich einem „Seelsorger“ anzuvertrauen.

Also habe ich das mal wissen wollen, wie mutig unser damalige Pfarrer war und ihm eine Kopie meines Briefes und eine Antwort seines Vorgesetzen in Fulda in den Briefkasten geworfen. Ich muss allerdings sagen, dass auf die vier Seiten, die ich Dyba geschrieben habe, nur dann argumentiert werden kann, wenn man nicht nur seine Bibel samt der Apostelbriefe, sondern auch die Kirchengeschichte voll im Kopf hat. Hochwürden ist nicht gekommen und ich nenne das Ganze mal „Feigheit vor dem Feind“. Allerdings – bei mir haben auch die Zeugen Jehovas nach mehreren Sitzungen aufgegeben. Zumal, als mir dann die Worte des Mephisto aus Goethes „Faust“ einfielen – und ich sie etwas umgesetzt habe. „Ich bin des trockenen Tons nun satt – muss wieder recht den Teufel spielen...“ Aber das ist alles eine andere Geschichte...

So viel erst mal zu Pseudonym und bürgerlichem Namen. Bleibt noch zu sagen, dass der Traditionsname der Familie Michael „Karl“, den ich dann zur Enttäuschung meines Vaters nicht bekommen konnte, weil er von meiner Geburt gar nichts wusste und er in seiner Heimatstadt Hettstedt weilte, während ich in Kassel das Licht der Welt erblickt habe, dann vierzehn Jahre später mein Bruder Peter als Zweitnamen bekommen hat, weil meine Mutter ihn als Hauptnamen nicht wollte. Der „Kleine „ ist jedoch stolz auf den Namen „Karl“ und mag ihn mehr als seinen eigentlichen Namen Peter. Doch nun wieder zurück zum „Drachenlord“...

Viele Leser des Buches haben seinerzeit die Figur der kleinen, geheimnisvollen Kindzauberin Shara interessant gefunden. Aber die ist keine Erfindung von mir, sondern die Shara hat meine damalige Frau Petra erdacht. Ehre, wem Ehre gebührt – zumal Petra wirklich eine ganze Menge Ideen zu der Fantasy-Serie beigesteuert hat – die ich dann manchmal nur anders interpretiert habe. Einige von Petras Ideen, und die kleine Shara gehörte an erster Stelle dazu, hätte ich gern weiter ausgebaut, wenn die Heft-Serie weiter gelaufen wäre. Und noch einige ganze Reihe von Petras Fantasy-Ideen liegen bei mir im Archiv. Allerdings – um gleich allen Spekulationen vorzubeugen – im Professor Zamorra, wie ich ihn damals mit geschrieben habe, sind keine Ideen von Petra dabei.

Woher kam das eigentlich, dass ich von Anfang an so viele von Petras Ideen akzeptiert und eingebaut habe? Das ist eigentlich nicht meine Art und selbst beim Zamorra habe ich, vom Dynastie-Zyklus mal abgesehen, niemals ein gemeinsames Konzept mit Werner gemacht. Ich habe nur manchmal, um beide Handlungsebenen zu verbinden, einige Begriffe oder Handlungsebenen von ihm erwähnt, ohne sie direkt einzubeziehen.

Und das ist auch einer der Gründe, warum ich später weder bei „Torn“ noch bei „Vampire“ eingestiegen bin. Die Konzepte gefielen mir nicht und meine Vorschläge zur Veränderung oder Verbesserung wurden nicht akzeptiert. Also habe ich erst gar nicht mitgeschrieben, weil ich beiden Serien keine wirklichen Überlebenschancen gegeben habe. Werner damals auch nicht, gerade über „Vampire“ haben wir sehr lange am Telefon geredet – zumal Holger Kappel, der Redakteur von „Vampire“, damals auch den Zamorra redaktionell betreute.

Aber Petras Ideen habe ich akzeptiert. Und das nicht nur, weil sie erst meine Freundin, dann meine Verlobte und danach meine Ehefrau war. Nein, ich habe sie akzeptiert, weil sie einfach gut waren und in das Konzept passten, was ich gemacht hatte und später noch mit den Ideen, die W.K.Giesa für seine Handlungsschiene vorgesehen hatte, kombinieren musste. Sie wurden vielleicht von den Fantasy-Romanen inspiriert, die Petra damals neben den Büchern von Stephen Kind gelesen hat. An erster Linie sind hier Tanith Lee und Marion Zimmer Bradley zu nennen.

Was Petra zur Bastei-Fantasy beigetragen hat, waren keine ganzen Handlungsstränge, sondern nur Ideen für Figuren oder Begriffe. Sie setzte sich an ihre Schreibmaschine, fing an zu hämmern und reichte wir dann das Ergebnis für eine Figur oder einen Begriff rüber, den man sofort oder irgendwann später in eine Fantasy-Handlung einbauen konnte. Hierzu gehört beispielsweise den Thron des Zwergenkönigs mit seinen magischen Fähigkeiten. Ich habe die Blätter mit Petras Ideen dann im Ordner abgeheftet. Und da blieben sie dann, bis ich sie brauchte – und einige sind heute noch da – und bis heute ungebraucht.

Dass ich Petras Ideen dann, wenn ich sie im Roman verwendet habe, innerhalb der Handlung gelegentlich weiter entwickelten und uns sie anschließend nicht mehr so waren, wie Petra sie vorgegeben hat, ist eine andere Sache. Aber das hat sie nicht so richtig gemerkt, weil sie sich nach unserer Hochzeit immer weniger für meine schriftstellerischen Arbeiten interessierte und die Sachen natürlich auch nicht mehr gelesen hat.

Aber das Jahr 1986 und seine Ereignisse zu schreiben, heißt Eulen nach Athen tragen. Das habe ich hier schon einige Male durchgekaut. Jedenfalls war die Bezahlung des Taschenbuches, auch wenn es nicht mal ein Monatsgehalt ausmachte, was mir mein Arbeitgeber so bezahlte, noch mal ein „warmer Regen“ für mein Konto. Aber bei der Leere auf meiner „Haben - “ und der Fülle auf meiner „Soll-Seite“ hatte das Geld für das Taschenbuch den gleichen Effekt wie in deutscher Landregen in der indischen Wüste Tharr hätte – da regnet es nämlich, wie ich von den Einheimischen erfahren habe, oft viele Jahre nicht.

Im Maharadschapalast von Jaisalmer hat man deshalb am damaligen Kinderzimmer für den Nachwuchs des Maharadschas blaue Tropfen an die Decke gemalt. Die sollen den Regen symbolisieren, den diese Kinder vielleicht niemals kennen gelernt haben . Aber die Ableger seiner Majestät sollten auf diese Art drauf vorbereitet werden, dass sie dann einen Regen nicht als Strafe der Götter ansahen oder den Versuch irgendwelcher Hindu-Dämonen, das Himmelsgewölbe auf die Erde stürzen zu lassen.

Wer das nicht glaubt, kann sich ja einen Reiseführer beschaffen und das nachlesen. Ich war jedenfalls nicht nur in diesem Raum, sondern bin auch per Kamel in der Wüste Tharr gewesen (20 km von der Grenze nach Pakistan entfernt) und die Kamelführer konnten es gar nicht glauben, dass es in Deutschland fast jeden Tag regnet und es da Leute gibt, die darüber maulen und meckern. Aber genug davon, bevor ich jetzt anfange, von Indien zu erzählen.

Also, das Geld für das Taschenbuch ist in meinem damaligen Schuldenberg verwunden wie ein Wassertropfen auf einer heißen Herdplatte. Allerdings hatte ich jetzt etwas, mit dem man sich schon mal sehen lassen konnte. Ein Taschenbuch, das man ins Regal stellen kann und das nicht um fällt. Autor von Heftromanen zu sein, das kommt in gewissen Zirkeln der schreibenden Zunft so an, als ob ein Reporter jenes Boulevard-Blattes, das BILDet, beim Bundespresseball in einer ähnlich illustren Gesellschaft behauptet, er sei Journalist. Mit Heften, auch wenn es mehrere hundert Stück sind, kann man bei Verlagen kaum Eindruck schinden. Ich erwähne zwar bei Gesprächen auf der Buchmesse oder ähnlichen Veranstaltungen, dass ich mit dem Romanheft begonnen habe – aber als Referenzen gebe ich immer meine historischen Hardcovern an – und natürlich auch die Lokal-Krimis, die ja auch als Taschenbücher raus gekommen sind. Ja, und seit einige Jahren wissen inzwischen auch die meisten Verlagsleute, was „Fantasy“ ist und ich kann auch  diese drei Taschenbücher als Referenzen für meine „literarische Produktion“ nennen.

Hach, das hört sich vielleicht abgehoben an – literarische Produktion. Aber – ich habe mich auch schon mal als „Literat“ präsentiert – und bin sogar von meinen Gesprächspartnern anerkannt worden. Und dabei hatte ich nicht eine professionelle Veröffentlichung – von unserem Fanzine „Antares“ mal abgesehen. Na gut, weil ihr jetzt neugierig geworden seid, erzähle ich diese lustige und skurrile Episode einfach mal.

Ich gehe davon aus, dass jeder halbwegs gebildete Mensch, und dazu zähle ich alle Leser meiner Teestunde, mit dem Begriff „documenta“ was anfangen kann. Das ist eine alle fünf Jahre in meiner Heimatstadt Kassel stattfindende Ausstellung zeitgenössischer Kunst, die seit Anfang der 50er Jahre alle fünf Jahre stattfindet.

Bei der ersten documenta ging ich gerade in die erste Klasse – und habe schon damals nicht begriffen, dass die Sachen, die da gezeigt wurden, Kunst sein sollen. Und so ist das eigentlich bis heute geblieben, wenn ich auch während meiner Rotweinphase Mitte der 70er mit Hilfe des bewusstseinserweiternden roten Rebensaft (billiger wie jede Designer-Droge und schmeckt besser) versucht habe, die Kunst der Moderne zu begreifen. Leider ist es mit selbst damals nicht gelungen – und weil ich dann, natürlich leicht vom Rotwein beflügelt, anfing, innerhalb der „heiligen Hallen“ meine und auf gut Kasselänisch Meinung über die Artefakte und Ausstellungsstücke zu sagen, hat man mich der Ausstellung verwiesen – oder besser gesagt, einfach rausschmeißen lassen.

Also, was ich damals selbst unter einer gehörigen Portion Lambrusco nicht begriffen habe, das ist mir auch bis heute fremd geblieben. Die Geschmäcker sind eben verschieden. Für die einen ist es Kunst – für andere die teuerste Sperrmüllhalde der Welt. Und wenn es um Kunst geht, die mich begeistert – da hat Kassel wirklich jede Menge zu bieten – beispielsweise die Gemäldegalerie alter Meister im Schloss, in ihrer Größe nur von der Eremitage in Leningrad...ach, nee... das heißt ja jetzt wieder St. Petersburg... übertroffen wird. Und für Horror-Freaks – wir haben auch ein Museum für Sepukral-Kultur in Kassel. Wer sich für Särge, Sarkophage, Beerdigungen und so was interessiert hat also jetzt ein Ziel...

Aber wir sind ja bei der documenta (doch, dieser Begriff wird offiziell grundsätzlich klein geschrieben) und mich in meiner Eigenschaft als „Literat“.

Das war, wenn ich mich recht erinnere, im Jahr 1977. Ich war damals beim Amt der Kasseler Rathausverwaltung und hatte selbstverständlich bei manchen Veranstaltungen Dienst. Meist war das eher so eine Art „zbV.“ (zur besonderen Verwendung). Das bedeutete, dass ich mit einem Kontakt-Piepser in der Tasche unterwegs war und als „schnelle Eingreiftruppe“ anrollte, wenn ich gebraucht wurde. Es gibt ja nichts, was ein deutscher Soldat nicht kann.... auch wenn es nur drum geht, einen hochkarätigen Politiker zum Kotzen über das Klo-Becken zu halten, weil er sich anlässlich eines Empfang im Kasseler Rathaus, wo es Freibier gabe, so zugedröhnt hat wie ein Penner vom Königsplatz, der eine Freibier-Situation ausnutzen muss. Den Namen dieses Herrn verschweige ich hier diskret, er ist auch schon lange tot. Ja, ich habe in meinem Leben so allerhand interessante und verrückte Situationen erlebt und ich konnte da noch ganz andere Stories zum Besten geben...

Diesmal war es der documenta-Empfang im Bürgersaal des Rathauses. Ein buntes Völkchen, bestehend aus Prominenten aus Politik, Wirtschaft und Kunstszene sowie aktiven Künstlern bildeten ein fröhliches Durcheinander. Es gab Kasseler Kochwurst mit Kartoffelsalat und Senf. Unsere arme Stadt hat schließlich kein Geld für ein Schlemmer-Buffet vom „Gude“, der Kasseläner Antwort auf „Käfer“ und ähnlichen Gourmet-Spezialisten. Und natürlich gab es dazu auch Bier.

Ja, und in diesem Trubel von allem, was Prominent und Primitiv war, war ich mitten drin. Alle Probleme und technische Störungen, soweit so was bei einer solchen Veranstaltung anfallen konnte, waren schon beseitigt. Die Show rollte – und da konnte ich für mich zum gemütlichen Teil übergehen und mich unters Volk mischen.
Besser gesagt, unter all die Leute, die entweder Kunst Schaffende, Kunst Liebende oder Kunst kritisierende waren.

Und weil's nichts kostete, konnte ich nicht nur mit einigen Kochwürste zur Auspolsterung meines körperlichen Äquators beitragen, sondern auch einige Gläser Gerstenkaltschale, auch Hopfenblütentee genannt, über den Knorpel jagen. Ich war satt, eigentlich recht guter Stimmung – und zu allen Schandtaten aufgelegt.

Da war eine Gruppe von mehreren Personen, teils im dunklen Designer-Anzug, teils im Abendkleid oder auch ganz flippig nach dem neusten Trend gekleidet. Und dieses Völkchen führte ein interessantes Gespräch über Kunst. Wie das denn bei mir gelegentlich so ist, ich habe mich daneben gestellt, mit eingeklinkt und mitgeredet. Und es ist mir glücklich gelungen, das Gespräch in Bahnen zu lenken, wo ich auch mitreden konnte. Schnell war eine interessante Diskussion im Gange, wo ich von meinen Diskussionspartnern als durchaus gleichwertig angesehen wurde. Wenn die gewusst hätten....

„Sind Sie vielleicht auch künstlerisch tätig?“ wurde ich dann irgendwann von einer Dame gefragt, deren Abendkleid sicher die Hälfte meines damaligen Obersekretärs-Gehalt ausgemacht hätte. Klar, ich war, was damals wie ein Satre-Jünger völlig schwarz gekleidet. So liefen damals Existenzialisten und natürlich auch Künstlertypen rum. Übrigens war das totale Schwarz damals auch der Stil von W.K. Giesa – das war so die Zeit, als wir uns kennen lernten.

Was eine Frage? Ich und Künstler? Die Antwort gab weniger ich mit meinem Verstand, sondern es gab sie der Geist des bereits genossenen Bieres.

„Ja, natürlich bin ich künstlerisch tätig.“ erklärte ich sinngemäß und sehr förmlich. „Allerdings arbeite ich nicht in der bildenden Kunst. Ich bin – Literat!“ und setze auf die Frage hinzu: „Ich schreibe Novellen im Bereich der futurellen Phantastik!“ Ach wie interessant – und an ihren Augen und Mienen war zu erkennen, dass sie mir das voll abgenommen haben. Mit Fantasy konnte damit ohnehin keiner was anfangen und SF galt damals nur in ganz speziellen Kreisen nicht als Schundliteratur. Und ich bin sicher, das meine Gesprächspartner mit dem Begriff „futurelle Phantastik“ auch nicht viel anfangen konnten. Aber – keine wagte sich, eine Frage zu stellen. Man hätte sich ja sonst vielleicht eine Blöße gegeben.

Ja, und deshalb ist dieses ganze Sache nicht aufgeflogen. Heiliger Graf Caligostro und heiliger Graf von Saint Germain, die ihr zu euren Lebzeiten die Leute betrogen und reingelegt habt – ich danke euch für euren Beistand. Denn die Welt will betrogen werden – damals wie heute. Nur – im Gegensatz zu euch habe ich keinem das Geld aus der Tasche gezogen oder sonst wie geschädigt...

Ja, und dann zählte ich meinen erstaunten Zuhörern einige rasch improvisierte Buchtitel auf, die ich angeblich veröffentlicht hätte – und siehe da, alle hatten nicht nur von diesen Büchern gehört, einige hatten sie sogar gelesen. Allerdings – es war gut, dass ich mich dann mit einem strategischen Rückzug absetzen konnte. Das war möglich, weil mir ein Kollege aus der Entfernung ein Handzeichen gab, dass ich kommen sollte. Lange hätte ich mir das Lachen nämlich nicht mehr verkneifen können. Und, vergessen wir mal nicht, dass sich meine „Veröffentlichungen“ damals auf nichtkommerziellen Spiritus-Umdruck beschränkten und damals absolut nicht absehbar war , dass ich jemals einen Text von mir in professionell aufbereiteter Form sehen würde.

Naja, zum Literaten hat es nicht gereicht – aber „Schriftsteller“ kann ich mich nach meiner Meinung wegen all der Druckwerke, die ich so verbrochen habe, schon nennen. Und ich gedenke, in dieser Hinsicht noch einiges zu „verbrechen“, bevor man mit den Deckel auf der Nase zumacht. 

Doch ich muss jetzt leider schon wieder Schluss machen, weil ich morgen wieder ein wildes Wohnzimmer habe. Sascha und Janine Prehn kommen zu Besuch – und natürlich ist Chayenne mit dabei. Das bedeutet, für Sascha (der eine gute Küche über alles schätzt) und Janine die Produkte unseres Hähnchen-Wagens in Borken zu beschaffen – und für Chayenne gutes Rindfleisch von unserer Landmetzgerei – da ist sie ganz verrückt nach. Also, morgen tobt hier in meiner Hütte der Bär – gedoubelt durch einen jungen Tiger... nein, ein Baby ist Chayenne wirklich nicht mehr – eher schon so was wie ein Teeny...

Also dann, bis nächste Woche...