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Sieben gegen die Hölle - Friedrich (Teil 2)

Sieben gegen die HölleSieben gegen die Hölle

Friedrich (Teil 2)
Ermittlungen
Robert Norden war Reporter der Neuen Presse Hessens. Ein überregionales Blatt mit Einfluss. Der etwa 56jährige Mann hatte schon über alles Mögliche berichtet. In seinem Buch „Unglaubliche Erlebnisse“ befasste er sich sogar einmal mit der Begegnung mit Monstern. Dazu trug er Erlebnisse von Menschen aus aller Welt zusammen. Seien es Dinosaurier, der Yeti oder das Monster Frankenstein. Alles schien irgendwo möglich zu sein.


Ein Japaner behauptete mal einen leibhaftigen Samurai gesehen zu haben, der einem Dorfbewohner den Kopf abschlug. Der Japaner hatte es selbst fotografiert. Eindeutige Beweise für den Wahrheitsgehalt dieser Geschichten gab es nicht. Alles blieb nebulös. Aber es gab genug Menschen, denen diese Berichte genügten um wild spekulieren zu können. Mit dem Buch verdiente er vor zwanzig Jahren gutes Geld. Heute war Norden nicht mehr an diesen Geschichten interessiert. Die Zeiten haben sich geändert. Doch als sein alter Freund Friedrich Schalmüter ihm eine interessante Geschichte anbot, wurde er neugierig. Er erwartete Schalmüter noch heute in seinem Büro in der Redaktion. Gegen Mittag traf der samtäugige Geistliche bei ihm ein. Stets hatte er einen schnellen Schritt. Geradezu ungestüm öffnete er die Bürotür seines Freundes im Office seiner Redaktion.

„Na Schale, was gibt es. Dich trifft man nur selten in meinem Büro. Um ehrlich zu sein nie. Also was gibt es?“ Schale war der landläufige Spitzname von Friedrich Schalmüter.

„Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um den Absturz eines Hanges im großen Meißner. Ich bin davon überzeugt.“

Der Redakteur staunte nicht schlecht. Eigentlich hatte er erwartet der Kaplan würde mit einer Geschichte aus seiner Gemeinde aufwarten.

„Hat dir das irgendjemand gebeichtet?“

„Ja, aber nicht in meinem Beichtstuhl.“

„Sondern?“

„Auf dem Berg selbst.“

Norden musste die Stirn runzeln und sein kahler Kopf verfärbte sich grau. „Also du musst deutlicher werden, mein Lieber.“ Die Gesichter der beiden trafen sich für Sekundenbruchteile. Eigentlich hatte sich Schalmüter alles zu Recht gelegt, doch jetzt wusste er nicht so genau wie er fortfahren sollte.

„Ich kann es dir nicht erklären, Robert. Ich weiß nur, es muss etwas geschehen, sonst ist die Welt wie jetzt nicht mehr die gleiche.“

Der Mann gegenüber lächelte. „Ein gewisses Stirnrunzeln wirst du mir jetzt aber erlauben, oder?“

„Robert du kennst mich. Ich bin vielleicht mehr Realist wie Du. War ich schon mal bei Dir mit etwas so ungewöhnlichen?“

„Nein, aber du bist doch auch Geistlicher…“

„Heißt das jetzt ich bin nicht zurechnungsfähig?“ unterbrach Schale.

„Ich will das nicht gesagt haben. Aber du bist aufdringlich. Du kennst doch Konstantin Kowalkowski…?“ fragte er nach einer kurzen Denkpause und musterte den nervös schwitzenden Geistlichen.

„Der Seismologe?“

„Eigentlich ist er Geologe. Aber er hat schon Flöhe husten hören wo keine waren und kann Kieselsteine aus fünfzig Kilometern rollen hören.“

Kowalkowski war ein Spezialist für Erdbeben und Hangrutsche. Als vor Jahren ein Haus im strömenden Regen im Erdreich versank, hat er es vorausgesagt. Er lieferte Norden auch immer wieder fachkundige Hintergründe zu seinen beschriebenen Fällen von Grenzwissenschaften.  Hatte Schalmüter doch instinktiv richtig gehandelt. Er wusste zwar, dass Norden an seinen Ausführungen interessiert sein würde, aber an den Geologen hatte er nicht gedacht.

„Ich versuche ihn zu erreichen, Schale. Dann werden wir sehen, was an Deinen kühnen Aussagen dran ist.“

***

Konstantin Kowalkowski nahm die Einladung seines Bekannten Robert Norden gerne an. Er wollte mit ihm auf den Hohen Meißner. Der Grund war hanebüchen. Sollte das Bollwerk des großen Hanges über dem Frau Holle-Brunnen tatsächlich vom Einsturz bedroht sein. Mit einigen an seismologischem Gerät war der Mann angetrabt und begrüßte den Reporter auf das herzlichste.

„So, Norden ich habe bereits einige Vorbereitungen getroffen“. Der etwa 60jährige Hüne hatte breite Schultern, schütteres blondes Haar und trockene, grüne Augen. Mit einer Art Geigerzähler bewaffnet tastete er das Umfeld um den berüchtigten Brunnen ab. Dann zog er aus um sich dem Hang zu nähren. Das sonderbare Gerät war dabei stets mit seinem Laptop verbunden, den er unter seinem rechten Arm trug. Nach einigen Metern stellte er das schlauchartige Gerät beiseite, kniete nieder und betrachtete versunken die Auswertungen auf dem Laptop. Ein spezielles Programm schien ihm wichtige Daten und Fakten zu liefern. Dann wandte er sich an seinen Freund.

„Die Messdaten sind irritierend“, sagte er und setzte einen sorgenvollen Blick auf.

„So?“

„Ja. Ich habe dermaßen deutliche Schwingen, dass hier ein Hangrutsch bereits im vollen Gange sein müsste“.

„Was!?“ Norden war sprachlos.

„Ja alles deutet auf größte Aktivität der unteren Schichten hin. Aber die Erde selbst ist so ruhig - nicht mal ein kleines Rumoren hört man.“

***

Es war Robert Norden selbst überlassen, was er mit den Ergebnissen anfangen wollte. Ging er zum Bürgermeister? Schrieb er gleich für morgen früh eine Warnung? Zunächst tat er das einfachste, er informierte die Polizei? Sonderlich zu interessieren tat man sich für Nordens Ausführungen allerdings nicht. Man riet ihm an, das Landesschutzamt zu kontaktieren. Doch Norden konnte es nicht abwarten. Eine Reaktion würde viel zu lange dauern. Er war Pressemensch. Und er konnte schreiben, was er wusste. Einen Tag später  war die Meldung in seiner Zeitung. Zunächst rührte sich daraufhin wenig. Doch am darauffolgenden Tag waren alle Zeitungen voll davon. Jetzt kamen auch Landratsmänner und Naturschutzbeauftragte zu Norden ins Büro. Auch der Geologe wurde behelligt. Wer von alledem nichts mitbekam war Schalmüter. Er meldete sich erst drei Tage nach dem Zeitungsaufruf.

Norden erwartete ihn ungeduldig und zornig.

„Wo warst du die ganze Zeit. Hier kochen alle Drähte. Wir haben eine Lawine losgetreten. Inzwischen sind alle Zeitungen voll davon. Wer war Dein Informant?“

„Ich konnte mich nicht vorher melden. Nicht bevor ich nicht Gewissheit hatte.“ Schalmüter sprach ruhig und langsam. Er wollte seinen aufgebrachten Freund offenbar beruhigen.

„Gewissheit? Worüber?“

„Über meinen Informanten. Loki.“

„Loki?“ Nordens Gesicht war ein einziges Fragezeichen.

„Du kennst doch das Mädchen, das einige Zeit bei mir hospitiert hat, oder?“

„Du meinst diese Heidi?“

„Genau die.“

„Hat sie dir etwas geflüstert? Hat sie dir mittlerweile den Kopf verdreht? Und wie hat sie es angestellt, dass der Geologe tatsächlich Schwingungen am Hang feststellt?“

Die Fragen sprudelten nur so aus ihm heraus. Offenbar hatte er die Erwähnung des Namens Loki längst vergessen.

„Nein, sie hat nichts damit zu tun. Sie war mir behilflich. Ich habe die Informationen wie gesagt von diesem Loki. Er war mir eines Abends am besagten Hang auf dem Hohen Meißner begegnet. Er sprach von großem Unheil, welches über die Welt kommt, wenn der Hang rutscht. Heidi ist Expertin wenn es darum geht alte Schriften, Kirchenbücher und Bibliotheken zu durchforsten.“

„Und…?“

„Loki ist ein Wesen der nordischen Sage. Ein Zwerg der charakterlich zwischen Gut und Böse angesiedelt ist. Er ist keiner Seite direkt zugeordnet. Er benutzt beide Seiten eher als Spielbälle, in denen er Ihnen Informationen zukommen lässt“

„Du erwartest jetzt nicht, dass ich dir das glaube.“ Norden war zwar auf sonderbare Vorkommnisse eingestellt, und er liebte rätselhafte Geschichten, aber was Schalmüter ihm da erzählte war viel zu konkret, viel zu phantastisch, als dass er auch nur im Ansatz etwas damit anfangen konnte. Aber er wusste auch, dass sein alter Freund Schalmüter alias Schale, trotz seiner Geistlichkeit, viel zu weltlich war, um sich eine derartige Story aus den Nägeln zu saugen. Für den Reporter gab es nur eine Erklärung. Heidi hatte es ihm tatsächlich angetan. Das Mädchen war attraktiv, wie das ebenso ist, wenn man jung ist. Aber welche Absicht verfolgte sie?

„Also gut, Schale. Ich versuche dich ernst zu nehmen. Auf jeden Fall droht auf dem hohen Meißner eine Gefahr. Und die gilt es jetzt abzuwenden.“

Die beiden Männer saßen noch lange zusammen, und gingen anschließend sogar in einen Pub um ihre Gedanken auszutauschen. Und Norden wurde immer sicherer, dass Freund keinen Unsinn redete. Noch eines war sicher. Die Dinge würden ihren Lauf nehmen. So oder so. Man hatte in den Lokalzeitungen nicht nur die Aussagen von Schalmüter und Norden, sondern auch die Ergebnisse eines angesehenen Geologen. Hierunter würde man handeln müssen. Und diese Annahme war richtig. Denn nur zwei Tage später wurde die Hanglange für Sparziergänge vorübergehend gesperrt. Aus Sicherheitsgründen, wie es hieß. Doch weder Schalmüter noch Norden fanden damit ihre Ruhe.

***

Eines schönen Morgens – die Nachricht vom drohenden Hangrutsch war längst über  die Lokalpresse hinaus, ins Land getragen worden – fand Friedrich Schalmüter einen Zettel auf seinen Küchentisch. Es war eine handgeschriebene Nachricht, die er nur mit Mühe entziffern konnte. Eine krakelige Schrift, wie die eines kleinen Kindes. Schalmüter war verwundert.

Der Hang rutscht bald.
Gehen Sie dorthin.
Sie finden etwas.
Loki

Friedrich Schalmüter stand da wie gelähmt, den Zettel noch in der Hand. Den Zettel, der von seinem eigenen Abreißlock auf der Küchenarbeitsplatte stammt. Loki war hier. Der Zwerg war zu allem fähig. Eine Macht, der er nicht gewachsen war stellte sich ihm. Sie traute sich sogar in göttliches Haus, indem es von Kruzifixen und christlichen Symbolen nur so wimmelte. Loki war also kein reines Höllenwesen.

Doch was wollte das Wesen ihm sagen. Was meinte er mit den Worten Sie finden etwas? Konnte der Zwerg den Hinweis nicht schon hier hinterlegen. Schalmüter entschloss sich am Abend aufzubrechen – trotz der Absperrung. Es waren keine Wachleute dort. Nur Hinweisschilder und Bretter die leicht zu umgehen waren. Ganz sicher war die Sache nicht. Deshalb schrieb er eine Nachricht für Heidi. Nur für den Fall, dass er nicht zurückkehren würde. Dann packte er sich eine kleine Tasche mit Flüssigkeiten zum Trinken und seinen Sparzierstock. Er wusste, wo er hin musste. Diesmal wusste er es. Sein letzter Besuch auf dem hohen Meißner war eher ziellos und von einer seltsamen Macht gelenkt. Jetzt wusste er, dass es diese Macht wirklich gab, und dass sie keine Einbildung war. Es stellte sich nur die Frage, was diese Macht war, und warum ausgerechnet Schalmüter ihr Auserwählter war?

Während seines Marsches, von dem er diesmal niemanden in Kenntnis setzte, dachte er auch über Loki nach. Er hatte jetzt viel über diese Sagengestalt erfahren. In den Religionsbüchern steht viel über ihn. Schalmüter hatte einen ganzen Tag nur mit lesen verbracht, und sich vor allem deswegen nicht bei Norden melden können. Er war wie hypnotisiert und in den Texten gefangen. Einen ganzen Tag lang aß er nichts und trank kaum was. Dass er eigentlich als Riese, und nicht als Zwerg beschrieben wurde, störte Schalmüter nicht. Denn diese Gottheiten waren durchaus in der Lage ihre Gestalt zu verändern. Zeitweise konnte er sogar die Gestalt einer Fliege annehmen. Insgesamt betrachtet war diese germanische Mythologie aber zu facettenreich um  sie komplett zu verstehen.

Schalmüter erreichte den besagten Hang etwa zwei Stunden später. Es dämmerte und leichter Nieselregen legte sich auf seinen Anorak. Er durchschritt die Absperrung mit dem deutlichen Hinweisschild „Nicht betreten. Lebensgefahr!“ Diese Hinweise waren bereits unterhalb des Hanges, etwa 1000 Meter vorher zu sehen. Da es auch die Tage zuvor schon geregnet hatte, war der Boden leicht aufgeweicht. Schalmüter stellte sich direkt neben den Frau-Holle-Brunnen als er etwas rascheln hörte. Angestrengt lauschte er in die Dämmerung. Seine Blicke irrten umher. Dann machte er einige Schritte in die Richtung aus der er glaubte das Geräusch vernommen zu haben. Eine kleine Buschreihe versperrte ihm alsbald den Blick auf die folgende Szenerie. Doch er ahnte, dass hinter dem Busch etwas war. Er machte einen Bogen um das Gebüsch herum. Da lag ein Mensch. Halb nass vom Regen und mit Wanderer- Kleidung. Neben ihm stand ein Koffer. Schalmüter versuchte den Körper auf die Seite zu drehen, doch er war zu schwer. Das Gesicht des Mannes war unversehrt. Er war ein Hüne mit blondem Haar. Dass er tot war galt als sicher anzunehmen. Schalmüter durchsuchte seine Taschen. In einem Portemonnaie fand er Ausweispapiere. Der Name des Toten stand in allen Zeitungen der letzten Tage: Kowalkowski. Der Geologe.

Fortsetzung folgt …

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