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Sieben gegen die Hölle - Jan Falkenberg (Teil 6)

Sieben gegen die HölleSieben gegen die Hölle

Jan Falkenberg (Teil 6)
Wien, Kapuzinergruft

Ein Mann schlenderte durch die österreichische Hauptstadt. Mit festen Schritten näherte er sich dem Stephansdom. Sein Weg führte ihn vorbei an alten Gebäuden, die gemessen an seinem Alter doch nicht länger existierten als ein Wimpernschlag. Dazu gesellten sich Geschäfte, die ihn nicht interessierten. Ohne sich genauer umzusehen, betrat er die Kirche.


Er konnte nicht verstehen, was die Menschen an dieser seltsamen Mythologie mit einem hingerichteten Mann fanden. Aber auch das interessierte ihn jetzt nicht. Er war aus anderen Gründen hier. Er schritt zwischen unzähligen Touristen durch das Mittelschiff des prachtvoll ausgestatteten Doms.

Hier und da nahm er vereinzelte Wortfetzen auf. Auch an einer Gruppe, die gerade eine geführte Führung hatte, kam er vorbei. In ihrer Nähe verhielt er seinen Schritt. Der Touristenführer berichtete gerade über die Katakomben unter dem Gebäude. Ein zufriedenes Grinsen legte sich auf seine irgendwie düster wirkenden Züge. Genau darum war er hier. Mit etwas Abstand schloss er sich der Gruppe an. Er wurde zwar bemerkt, aber ein Blick seiner unheimlichen Augen genügte, und er wurde nicht behelligt. Gerade erzählte der Führer über die Toten der Pestepidemie in Wien. Sein Grinsen verstärkte sich. Über eine Treppe ging es hinab in die Katakomben. Als würde die Atmosphäre alle gefangen nehmen, herrschte nun betretenes Schweigen. Vorbei an zugemauerten Nischen ging es tiefer hinein in die unterirdische Totenwelt.

„Nun stehen wir über den ehemaligen Pestkammern des Doms. Hier hinein wurden die Tausenden Toten geworfen“, erklärte der Führer.

„Diese Öffnung“, er wies auf einen runden Schacht, „ist der sogenannte Karner. Wie sie erkennen können, ist er bis oben hin mit Gebeinen gefüllt.“

Nun drängelte sich die Gruppe bis nah an die Öffnung heran. Eine ältere Dame stieß einen kleinen Schrei aus, als sie davor stand. Auch der düstere Mann drängte sich nun durch die Gruppe. Man versuchte zwar, ihn nicht vorbei zu lassen, aber er setzte sich durch. Als er den Rand des Lochs erreichte, konnte er auf unzählige Knochen hinab schauen. Sie füllten das Gewölbe bis oben hin und lagen wild verstreut durcheinander. Nicht ein Skelett schien noch vollständig zu sein. Plötzlich begann er aufzulachen. Pikiert sahen die anderen ihn an. Auch der Führer reagierte erbost.

„Mein Herr, ich darf Sie doch sehr bitten. Immerhin befinden Sie sich hier an einer Stätte, an der die Toten ruhen.“

Er betrachtete den Lachenden jetzt genauer.

„Und außerdem kann ich mich nicht erinnern, dass sie zu dieser Gruppe gehören. Ich darf Sie also bitten sich zu entfernen.“

Sein Lachen verstummte und er starrte den Mann an, der es gewagt hatte ihn so respektlos anzusprechen. Aber er konnte ja auch nicht wissen, mit wem er es zu tun hatte. Auch sein Blick, dem der Touristenführer nicht lange standhalten konnte, würde es ihm nicht verraten. Anstatt eine Antwort zu geben breitete er die Arme aus. So, als würde er die Toten willkommen heißen. Und das traf auch zu. Ein Rauschen erklang. Aus dem Nichts entstand ein kalter Wind, der die Anwesenden frösteln ließ.

„Was geschieht hier?“, hörte er jemanden flüstern.

„Ich fürchte, ich muss die Totenruhe kurz unterbrechen“, antwortete er mit einer Stimme, die klang als würde altes Papier zerfallen.

Der Wind steigerte sich zu einem Wirbel. Er war sogar zu sehen. Über der Öffnung sammelte er sich und fuhr dann in die Totenkammer hinab. Die Knochen wurden durcheinander gewirbelt. Chaos konnten sie dort unten eh nicht mehr anrichten. Im Gegenteil, sie sorgten für Ordnung. Knochen, die sich vor Jahrhunderten voneinander getrennt hatten, fanden wieder zueinander. Dann sprang das erste Skelett heraus. Ein zweites und ein drittes folgten. Blanke Knochen, die nun wieder vor den Besuchern des Stephansdoms standen. Dunkle Augenhöhlen in denen es zu leuchten schien, starrten die verängstigten Menschen an.

„Ja. Ja! Kommt zu mir! Ich brauche eure Hilfe, meine Freunde.“

Wieder lachte er auf. Immer mehr Tote erschienen. An einigen von ihnen hingen noch Fetzen von Leichenkleidung, andere wiesen sogar noch vereinzelte Haare auf dem Schädel auf. Dann gellte der Schrei einer Frau durch die Katakomben. Als wäre das der Startschuss gewesen, rannten die Menschen davon.

„Lauft nur! Ihr seid eh nicht das Ziel.“

Lachend drehte er sich im Kreis und betrachtete seine Armee.

„Und nun geht! Auf zur Hofburg mit euch.“

Telepathisch gab er ihnen das genaue Ziel bekannt. Mit klappernden Knochen setzten sich seine Gehilfen in Bewegung. Und immer mehr Skelette schlossen sich der makaberen Prozession an.

„Wollen wir doch mal sehen, ob wir diesen neugierigen Burschen nicht endlich zur Vernunft bringen können!“, sagte der Mann grimmig.

***

Jan traute seinen Augen kaum. Durch die Tür trat ein Skelett. Das blanke Gerippe stoppte genau im Einlass. So, als müsse es sich erst orientieren, drehte es den Kopf. Jan konnte nicht entdecken, wie der Schädel ohne Haut und Sehen überhaupt an seiner Stelle blieb. Im Grunde war es ihm auch egal. Der Mann hinter ihm wimmerte erneut auf und wich bis an die Vitrine zurück. Das würde ihm nichts nutzen, denn das Skelett setzte seinen Weg in ihre Richtung fort. Und hinter ihm konnte er nun immer mehr wandelnde Tote erkennen.

„Wir werden sterben“, jammerte sein mutloser Genosse.

„Sieht ganz so aus“, gab er resigniert zu und wandte kurz den Kopf. Da! In der Vitrine spiegelte sich etwas. Er konnte nicht nur die Skelette sehen, sondern auch jemand anderen. Der Römer! Endlich war er erschienen. Was hatte das zu bedeuten? War er der Anführer dieser Truppe? Er drehte sich um. Und wankte dann erschrocken noch einen Schritt zurück. Denn dieses mal war der Römer wirklich da. Keine dreißig Zentimeter stand er vor ihm.

„Keine Angst!“, sagte da plötzlich eine ihm bekannte Frauenstimme neben ihm. Schnell sah er nach links.

„Helena!“, entfuhr es ihm überrascht.

„Er wird uns helfen.“

Für den Augenblick ergab er sich ganz der Situation, nahm das alles als gegeben hin.

„Er alleine? Gegen diese Armee?“

„Er ist nicht allein.“

Sie deutete nach vorne. Dort konnte Jan sehen, dass der Legionär sein Schwert gezogen hatte und sich den ersten Skeletten in den Weg stellte. Seine Klinge fuhr durch das Gerippe und die Knochen zerfielen zu Staub. Auch die nächsten Untoten fielen unter seinen Schwertstreichen. Neue Skelette drangen herein, aber auch der Römer bekam Hilfe. Hinter ihm flackerte die Luft und wie aus dem Nichts erschienen weitere Soldaten. Sie drängten an ihrem Hauptmann vorbei und eine unglaubliche Schlacht entbrannte. Der Legionär war anscheinend der Anführer, denn er rief Befehle auf lateinisch. Die Skelette schienen sich stumm zu verständigen. Den Legionären gelang es, die Untoten zurückzudrängen. Der zuerst Erschienene drehte sich um. Er lächelte Jan an.

„Das ist Mauritius“, erklärte Helena.

„Der Anführer der thebaischen Legion.“

„Du bist gut informiert“, sagte sie grinsend.

Er zuckte mit den Schultern.

„Das scheint nur so. Eigentlich verstehe ich überhaupt nichts mehr.“

„Ich werde dir alle deine Fragen beantworten.“

„Na, da bin ich ja mal gespannt. Dann mal los.“

Sie schüttelte den Kopf.

„Nicht hier.“

„Wo dann?“

„Zurück in Deutschland. Wir müssen zum hohen Meißner, wie ich dir ja schon sagte.“

Er lachte auf.

„Wie du mir auf seltsame Weise mitgeteilt hast, meinst du.“

„Hätte ich dir einfach so davon erzählen sollen? Du hättest es mir bestimmt nicht geglaubt.“

„Und da lässt du mich lieber von Riesenadlern, Riesenwölfen und Skeletten traktieren?“

Sie zuckte mit den Schultern.

„Ich dachte, wenn ich dich direkt damit konfrontiere, erspare ich mir einige umständliche Erklärungen.“

„Wenn du meinst.“

Ganz zufrieden war er noch nicht.

„Was ist nun mit dem heiligen Nagel?“

Helena zeigte auf die Lanze, die in einer Glasvitrine stand.

„Dann ist der Nagel echt? Wow!“

„Natürlich ist er das“, meldete sich der Museumsangestellte zu Wort. Ihn hatte er in all der Aufregung beinahe vergessen.

„Können wir ihn uns mal kurz ausleihen?“, fragte er.

Der Mann sah ihn an, als wäre seine Frage verrückter als das Auftauchen von unzähligen Skeletten mitten in Wien.

„Natürlich nicht!“

Der Legionär sprach ihn auf Latein an und er verstand in problemlos. Dabei war er in Latein immer eine Niete in der Schule gewesen.

„Es ist meine Lanze und ich kann sie leihen, wem ich will“, sagte er. Dann ging er auf die Vitrine zu und blieb vor ihr stehen. Er hob die Hand und griff einfach durch das Glas, so als wäre es gar nicht existent. Auch die heilige Lanze drang durch die Scheibe ohne Widerstand. Mauritius drehte sich zu ihm um und überreichte ihm die Lanze.

„Aber ... aber ...“, stotterte der Eintrittskartenverkäufer.

„Nimm sie und setze sie weise ein.“

Er nickte Jan und Helena zum Abschied noch einmal zu. Helena erwiderte die Geste, dann warf sich der Legionär in die Schlacht, die nun schon in einem entfernten Teil des Museums tobte. Anscheinend behielten die Römer die Überhand.

„Sieht so aus als würdet ihr euch kennen.“

„Eifersüchtig?“

Sie zwinkerte ihm zu.

„Auf einen alten Römer? Lächerlich.“

Sie lachte auf und reichte ihm die Hand.

„Lass uns von hier verschwinden.“

Er griff zu und nur einen Augenblick später löste sich seine Umgebung in einem Farbenwirbel auf. Eine nicht bestimmmbare Zeitspanne später fand er sich in seinem Hotelzimmer im Landhotel Meißnerhof wieder.

„Praktisch. Das hat mir den Rückflug erspart. Aber hey!“

„Was ist?“

„Mein Auto steht noch in Frankfurt am Flughafen.“

„Das ist jetzt nicht wichtig.“

„Okay, und was ist wichtig?“

„Dass wir das hier“, sie zeigte auf die Lanze, die er immer noch in den Händen hielt, „so schnell wie möglich zum hohen Meißner bringen.“

„Erst, wenn du mir erzählst was sich hier alles abspielt. Und wer du eigentlich bist, Helena Boda.“

Sie seufzte, gab sich dann aber geschlagen. Und die Geschichte, die Jan dann hörte, schlug dem Fass endgültig den Boden aus.

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