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Sieben gegen die Hölle - Lai (Teil 2)

Sieben gegen die HölleSieben gegen die Hölle

Lai (2. Teil)
2. Das Erbe meiner Welt
Der Zug ruckelte leicht und legte sich schief in eine Kurve. Der Cursor vor mir auf dem Bildschirm blinkte beständig in einer stummen Anklage. Seit dem ich den Bahnhof in Stuttgart verlassen hatte, hatte ich kein Wort geschrieben.

Mein Kopf war wie leergefegt. Ich musste die Arbeit in acht Tagen abliefern, doch geschrieben hatte ich bisher nicht einmal eine Silbe. 


Ich seufzte und klappte den Deckel des Netbooks nach unten. Der Lüfter drehte sich noch ein paar Mal, dann herrschte Stille, soweit Stille in einem vollbesetzten Abteil herrschen konnte. Ich streifte meine Mitreisenden mit einem flüchtigen Blick - niemand, der wirklich meine Aufmerksamkeit halten konnte - und folgte dann den grünen Trassen draußen.

Je weiter ich den Norden kam, um so flacher wurde das Land. Wie nebenbei registrierte ich, dass mir am Horizont etwas zu fehlen begann. Die schattenhafte Berge, die mein Dorf umrahmten, fehlten hier und die Ebenen erschienen sich bis zum  Horizont zu erstrecken. Fast zehn Jahre in der Fremde hatten die Erinnerung an die Landschaften meiner Kindheit fast völlig verwischt.

Ich ließ meine Gedanken zu dem Telefongespräch kreisen, das mich bewegt hatte, in den nächsten Zug zu steigen und meine Reise in Richtung Hamburg anzutreten.

Die männliche Stimme am anderen Ende der Leitung hatte sofort gewusst oder auch geahnt, wer ich  war oder auch nur, was ich  im Moment in der Hand halten musste. Mehr als eine Adresse und eine Zeit hatte er mir nicht gegeben, dann war die Leitung tot gewesen. Ein neuerliches Wählen der Nummer hatte zu keinem Ergebnis geführt, die Nummer war nicht mehr zu erreichen. Langsam fühlte ich mich wie in einem der Kriminalromane, die ich in den letzten Wochen zu häufig gelesen hatte.

Draußen wechselte der Himmel langsam von seinem hellen schmutzigen Grau in strahlendes Blau. Die Sonne drang warm durch die Fenster.

Ich verstaute mein Netbook wieder in meiner Tasche und hing weiterhin meinen Gedanken nach. Schreiben würde ich in dieser Stimmung eh nicht mehr können. Teilweise vergehen die Stunden wie im Flug, teilweise ziehen sie sich. An jedem Bahnhof wechselten die Reisenden. Viele und wenige, kleine und große, alte und junge Menschen, mit schweren Gepäckstücken und leichten Rucksäcken. Alles änderte sich innerhalb von wenigen Minuten.

Meine Großeltern waren gerne gereist. Meistens mit Zug, so haben sie die Winkel von ganz Deutschland erforscht und neue Geschichten mitgebracht, zumindest Oma, Opa hatte neue Bücher und Zeitungen, gesprochen hatte er nicht oft. Doch seine Hände waren immer warm auf meinem Kopf gewesen, sein Blick immer sanft. Er war kurz vor meiner Oma gestorben, das Alter hatte ihn eingeholt. Oma hatte nicht lange durchgehalten, doch nie waren ihre Geschichten verstummt.


Ich habe versucht, meine Mutter zu erreichen bevor ich in den Zug gestiegen bin, doch sie wollte nicht an den Hörer kommen.  Nach dem Tod ihrer Eltern, hat sie zu schweigen begonnen. Mir gegenüber. Als ich versucht hatte, meinen Vater deswegen zu befragen hatte er nur mit den Schultern gezuckt und den Kopf geschüttelt. Auch er vermochte nicht zu sagen, was in seiner Frau vorging.


Ich fühlte mich nur enttäuscht und alleine gelassen, denn auch ich trauerte, doch die einzige Person, die mir hätte helfen können, verweigerte sich mir, ohne mir auch nur eine Andeutung zu geben, warum.

Ich seufzte und schloss die Augen.

Am Ende ging alles schnell.

Plötzlich stand ich auf den dunklen Steinen und ließ die Menschen um mich herum fließen. Wie aus der Ferne hörte ich genervte Stimmen, doch ich blieb stehen, wartete darauf, dass mein Geist in meinem Körper wieder ankam. Alles hatte sich hier verändert und doch war alles gleich geblieben.

Ich ließ meinen Blick schweifen, da traf ich den seinen. Ich wusste sofort, dass es die Stimme am Telefon gewesen war. Er nickte mir zu und drehte sich um. Ich folgte ihm mit einigem Abstand. Ich studierte die Figur vor mir. Ein langer Mantel, dünne Figur, das Gesicht hager und jung. Sein Gang war sicher, während er sich durch die Menschen schlängelte. Er führte mich in ein kleines Cafe, oder mehr einen Bäckerladen. Wir warteten stumm in der Schlange, drei Menschen trennten uns voneinander. Auf eine seltsame Art und Weise kam er mir bekannt vor, doch so wirklich konnte ich ihn nicht einordnen.
 
Er bestellte sich einen Kaffee in einer weißen Porzellantasse, nahm sie an sich und ging zielstrebig auf einen freien Platz im hinteren Teil des Bäckerladens zu. Nur wenige weitere Reisende saßen dort, die meisten schienen sich nur schnell etwas zum Mitnehmen zu holen, bevor sie ihre Reise entweder antraten oder fortsetzten.


Ich tat es ihm gleich und wenige Minuten später saß ich ihm gegenüber.

Wir schwiegen, minutenlang.

Dann griff er in seine Tasche und zog ein handgroßes goldfarbenes Schloss heraus. Ohne Worte legte er es auf den Tisch zwischen uns und wendete sich wieder seinem Kaffee zu, mich ignorierend. Ich betrachtete das Schloss. Es schien alt zu sein, von der gleich stumpfen gelblichen Farbe wie der Schlüssel, mit Kratzern und dunklen Flecken. Unzählige Hände mussten es bereits berührt und unzählige Finger darüber gestrichen haben. Ich streckte die Hand danach aus, langsam, in ständiger Erwartung, dass der andere das Schloss wieder plötzlich an sich nahm, aufstand und ging. Als wäre alles nur ein Irrtum gewesen. Ich wollte meinen Mund öffnen und etwas sagen, doch da stieß mein Finger bereits gegen das kalte Metall, ich hielt die Luft an als alles um mich herum verschwand.

Nebel und Kälte weran das erste, was ich sah und spürte, eine weiße Wand um mich herum. Ein dumpfes Dröhnen, menschliche Stimmen, die etwas zu schreien scheinen. Kehlige Laute in einer mir unbekannten Sprache, der Nebel ist Rauch, aus unzähligen Bränden um mich herum, eine Stadt die zu Asche verkam, hünenhafte Schatten, Menschen ohne Gesicht, nur mit Sprache, seltsame Köpfe, Helme, Wikinger. Sie riefen sich etwas zu, gruben durch Schutt und Asche, auf der Suche nach etwas? In der Ferne erklang ein Horn, gefolgt von weiteren, die Männer (?) ruckten hoch und winkten einander wild zu, dann verschwanden sie im Nebel, lösten sich in ihm auf, vermischten sich mit ihm, die Laute und das Dröhnen wurden leiser. Ein Krähen ließ mich aufblicken, über mir kreiste ein Rabe, dann stieß auch er in den Nebel hinab und ich war alleine. In der Vision oder Erinnerung?

Ich spürte die Hitze der Ruinen, versuchte nicht daran zu denken, dass die verkohlten Dinge um mich herum nicht nur Holz und Stein sein würden. Ich trat einen Schritt nach vorne. Mein Schuh stieß gegen etwas auf dem Boden, ich blickte hinab, halb verrußt blinkte mir ein Schloss entgegen, ein graues Schloss. Ich ging in die Hocke und strich mit dem Finger darüber, mein Finger hinterließ ein goldglänzende Spur, die Form war vertraut.


Ich hob den Kopf und blickte über die Ebene. Hier und da riss der Nebel und der Rauch vom Wind getrieben auf und gab den Blick für einen Moment auf noch mehr Zerstörung preis. In der Ferne glaubte ich helllodernde Flammen auszumachen, orangene Kreise, die am Horizont hin und her zu tanzen schienen. Ab und an bewegte sich ein Schatten durch die graue Masse um mich herum, doch keine Gestalt schälte sich heraus und trat mir gegenüber. Die Geister der Vergangenheit schienen sich nicht materialisieren zu wollen, sondern behielten ihren sonderbaren Zwischenstatus. Oder war es nur, weil ich sie nicht kannte, und an einem Ort wandelte, den ich selber nie betreten oder gesehen hatte?


Ich sah nur und spürte, die kalte klamme Luft, die Hitze der vergehenden Glut, der Staub und Ruß unter meinen Fingern, doch riechen konnte ich nichts, die verbrannte Erde und das Fleisch das bestialisch in der Luft hängen musste, blieben abwesend.

Ich wandte mich wieder dem Schloss zu. Es war genau das gleiche Schloss, das ich so eben noch auf einem anderen Tisch gesehen hatte, in einer anderen Zeit, vielleicht jedoch am gleichen Ort. Ich seufzte und streckte meine Hand erneut danach aus.

Ich tippte dagegen und blickte wieder in die blauen Augen des Fremden, der noch immer mir gegenüber saß und mich musterte. Die Tasse hielt er vor seinen Mund, als würde er sich daran festhalten. Ich stieß die Luft aus meinen Lungen aus, von der ich nicht einmal gemerkt hatte, das ich sie angehalten hatte.

Ich blickte auf den Tisch und sah, wie mein rechter Zeigefinger eine Rußspur auf der weißen Tischdecke hinterließ. Ich starre darauf, für einen Moment unfähig zu verstehen, was da genau vor mir war.

Ich griff in meinen Pullover, und holte die Kette hervor, an der ich den Schlüssel, wie schon meine Großmutter vor mir, befestigt hatte. Ich zog das Schloss im gleichen Augenblick näher und fügte beide Teile zusammen. Sie passten perfekt, was hatte ich auch anderes erwartet. Ich fixierte ihn mit meinem Blick, als ich den Schlüssel mit einer energischen Bewegung herum drehte. Ich hörte noch das entfernte Klicken, dann ein Rauschen in meinen Ohren, und ein Trommeln in meinem Gliedern, dann nichts.

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