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Sieben gegen die Hölle - Lai (Teil 5)

Sieben gegen die HölleSieben gegen die Hölle

Lai (5. Teil)
5. Also sprach die Finsternis
Dunkelheit ist nicht dein Freund. Dunkelheit ist niemals dein Freund.

Wer anderweitig glaubt, ist niemals wahrer Dunkelheit begegnet. Sie schleicht sich in dein Herz, deine Seele und setzt sich dort fest, nicht gewillt dich jemals wieder loszulassen. Sie zerstört dich langsam und auch wenn du ihr einmal entkommen bist, so wirst du dich doch auf ewig an sie erinnern. 


Ich versuchte mich zu beruhigen. Das Knurren konnte auch eine Einbildung sein, denn außer dem Knurren war nichts zu hören. Keine Pfoten oder Hufe, die sich über den Boden bewegten, wenn es denn überhaupt einen Boden gab, kein Lufthauch von etwas, das an mir vorbei ging, nichts, nur ein Knurren in der Finsternis an einem mir völlig unbekannten Ort.

Ich versuchte, stärker in die Schwärze hineinzuspähen. Versuchte einen Unterschied zwischen hell und dunkel zu erkennen, zwischen schwarz und vielleicht ein wenig weniger Schwarz. Doch nichts schien sich zu ändern, alles blieb das gleiche anhaltende Tintenfass von absoluter Dunkelheit. Und doch ließ das Knurren nicht nach. War es vielleicht nur in meinem Kopf?

Eine Vision, wie auch die anderen, die längst vergessenen aus einer anderen Zeit, einem gefühlt anderem Leben? Auch dieses hier musste eine Illusion sein. Sie hatten mich nicht einfach an einen anderen Ort transportieren können, oder konnten sie doch?


Ich hatte eigentlich keine Ahnung, wozu sie am Ende in der Lage waren und wozu nicht. Eine Hexe, die alles einfach auf eine andere Ebene verschieben konnte, ein Torhüter, der nicht sprach und in dessen Augen das Wissen der Welt zu liegen schien und Paul, der so wie ich war und doch wieder nicht. Er war kein Geschichtenweber, er hatte mit meinem Erbe nichts zu tun, ich hatte meine Oma gefragt, damals, als alles noch wenig anders aussah.
 
Sie hatte nur den Kopf geschüttelt, mir eine Hand auf den Schopf  gelegt und mich traurig angelächelt. Es gab sie nur einmal, eine Familie, verloren in der Zeit. Was nicht hieß, dass nicht auch andere die Gabe hatten, weiterzusehen und sich den Dingen zu öffnen, die sie alle Zeit umgaben.

In meiner kindlichen Naivität hatte ich nur genickt, meine Oma auf die Wange geküsst und war hinaus gegangen. Lange Zeit hatte ich mich gefragt, ob sie gewusst hatte was geschehen würde. Aber sie war kein Seher gewesen. Tante Mirte, hatte dafür "Talente" gehabt, vielleicht hatte sie doch einmal richtig gelegen.

Das Knurren wurde lauter, ärgerlicher. Ich drehte mich um mich selbst, oder drehte sich die Welt?

Immer noch nichts.

Eine Welt, die sich nicht ändert. Oder ändern wir uns einfach nicht? Können einfach keine neue Welt erschaffen, weil wir immer noch an der alten zu sehr festhalten, sind selbst gefangen im jetzigen Moment?


Einmal hatte mich meine Oma an den See mitgenommen. Es war Sommersonnenwende, ich war fünf Jahre alt. Meine Eltern hatten mich bei meinen Großeltern wie jeden Sommer zurückgelassen. Ich hatte fast die ganze Woche geweint, weil ich sie so sehr vermisste und nicht verstehen konnte, warum sie mich nicht mitgenommen hatten.

Da hat mich meine Oma bei der Hand gepackt, Opas Hand hatte nur hinter der Zeitung hervor gewunken und gemeinsam waren wir losgezogen. Es war ein weitläufiger See gewesen, der Weg dahin ging durch dickes Geäst und einen Märchennadelwald mit einem dicken, von Moos bedeckten Boden, auf dem die Lichter zu tanzen schienen. Ab und an hatte ich ein Lachen gehört, ein leises Kichern, und gesehen, wie sich die Knospen der Moose in einem leichten Wind bewegten. Als ich Oma darauf hinwies, hatte sie nur gelächelt und einen Finger vor die Lippen gehalten, in einem Zeichen, dass ich die Kreaturen nicht vertreiben sollte.

Dann hatten wir an den wässrigen Fluten gestanden und zu gesehen, wie die Wassergeister an jenem Abend über die Wasser getanzt sind und sich mit einem Jauchzen in die Wellen begeben hatten. Blütentänzer hatten einander gejagt und Glühwürmchen hatten sie umringt. Die Blätter waren in Mustern durch die Luft geschwebt und hatten sich mit jedem neuen Lufthauch geändert. Und dort, tief in der Ferne, ist die Sonne als riesiger Feuerball in der Nacht versunken und hatte ein Farbenmeer in den Himmel gezeichnet, bevor die ersten Sterne die Macht übernommen hatten.

Lange Zeit hatte ich jenen Abend nur für einen fernen Traum gehalten, den ich mir in der Trauer um meine Eltern, die mich anscheinend verstoßen hatten, herbeigesehnt hatte, um mich zu beruhigen. Doch manchmal konnte ich sehen wie meine Oma verstohlen lächelte, wenn sie bemerkte, dass bald wieder Sommersonnenwende sein würde. Ich hatte sie nie wieder an die Wasser jenen Sees begleitet, denn nie hatten mich meine Eltern damals wieder zur gleichen Zeit abgeliefert.

Ob es vielleicht am Ende Absicht war?

Ich weiß, dass meine Eltern und meine Großeltern oft gestritten hatten, vor allem Mutter und meine Oma. Ich hatte sie nie verstehen können, die Welt war so erfüllt von unglaublich schönen Dingen, dass ich nicht wusste warum man sich stritt, anstatt einfach das zu genießen, was sich um uns herum auftat. Als ich das einmal meiner Mutter gegenüber gesagt hatte, hatte sie mich nur einen Moment angeschaut, sich dann umgedreht, meine Großmutter wütend angestarrt und drohend den Finger gehoben. Oma hatte nur abwehrend die Hände ausgestreckt und ich hatte sie eine ganze Zeit lang nicht wieder gesehen, obwohl ich es wollte. Doch immer hatten meine Eltern keine Zeit, mich  hinzubringen.

Das Knurren war an meinen Ohren. Oder doch in meinem Kopf? Ich spürte heißem Atem auf meinem Gesicht und einen leicht fauligen Gestank. Ich konnte meine Hände nicht heben, und sehen tat ich immer noch nichts.

Ich erinnerte mich immer mehr.

Der Hund der Nachbarn, der sich einmal verneigte, das Schwert, das im See schimmerte in jener Nacht, der Hase, der einen Kohl nach dem Igel warf. Das Lachen der Geißlein. Ein langes blondes Haar im Gestrüpp, das golden im Sonnenlicht glänzte. Die weit entfernten sieben Hügel, die meine Wohnstätte umkreisen. Das Geklapper von Hufen in der Stille der Nacht. Das bunte Glitzern im Gebüsch, das Rascheln in den Bäumen, wenn der Wind nicht weht.

Die Stimme in meinem Herzen, wenn sich die Welt vor mir ausbreitet und ich glaube nach ihr greifen zu können.

Ich war  still.

Ich atmete ein.

Ich atmete aus.

Atmete das Knurren und den Grimm in mich ein. Fühlte, wie er versuchte, gegen mich anzukämpfen, webte ein Gehäuse aus starken Worten und bedeutungsvollen Phrasen um ihn erst einzusperren und dann zu beruhigen. Das Knurren wurde leiser, der Kampf ruhiger, schließlich, mit einem Seufzen, wurde auch er zur Stille und zu einer neuen Geschichte in meinem Kopf und in meinem Herzen.

Ich hob mein Arme und streckte meine Hände aus. Sie griffen nach dem schwarzen Gewebe, das über meinen Augen lag und zog daran. Der Schleier um mich herum verschwand und ich stand ... wo auch immer ich stehe. Eine gleißende Welt, voller Splitter, jeder in sich drehend um andere tanzend, jedes voller unendlicher Geschichten, jedes eine Welt für sich, ein Moment wie kein anderer vor ihm.

Ich hörte Schritte in meinem Rücken, etwas berührte mich an meinem Kopf, dann wieder nichts und ich wachte in dem Bett mit der gleichen braunen gemusterten Tapete auf.

Ich wandte meinen Blick zur Seite. Paul saß noch immer in dem Stuhl. Für einen Moment fragte ich mich, wie viel Zeit wohl vergangen war. Doch hier in diesem Moment machte die Frage keinen Sinn, denn wir bewegten uns außerhalb der Zeit, außerhalb desssen, was da war und was da sein würde. Doch die Hexe würde die Blase nicht mehr lange aufrechterhalten können, und dann würde uns die Zeit wieder einholen, die schon jetzt mit ihren Fingern an dem unnatürlichen Gehäuse kratzte.

"Wie viel Zeit haben wir noch?" Er blickte einen Moment an mir vorbei, um wahrscheinlich irgendeine komplizierte Rechnung anzustellen, die alles miteinander wieder in Einklang brachte. Schließlich zuckte er mit den Schultern, und meinte nur mit leiser Stimme.

"Vielleicht fünf Tage. Genaueres weiß ich erst, wenn Klara uns wieder auf die richtige Ebene zurückholt. Was sie auch bald tun muss. Ihre Kräfte schwinden und wir müssen uns an die Arbeit machen." Ich nickte nur. Ich setzte mich auch, und blickt ihn direkt an.

"Der Grimm hat mir keine Angst gemacht." Paul hob nur spöttisch eine Augenbraue und um seine Mundwinkel spielte ein leises Lächeln, er sah gut zehn Jahre jünger aus, fast sowie damals.

"Der Grimm macht niemanden Angst." Ich nickte und stand auf.
Die Sonne traf mich ins Gesicht, ich sah im Lichtschimmer kleine Sterne glitzern, und auf der Fensterbank haschten sich kleine Staubflusen, mal schwebten sie hoch, dann wieder nieder, dann schienen sie sich wieder zu berühren, um auch wieder von einander zu lassen. Ich hörte ein feines Kichern und lächelte.

Die Welt war wieder am richtigen Ort.


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