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HORLA - Eine Geisterjäger John Sinclair-Story

FanfictionHORLA
Eine Geisterjäger John Sinclair-Story

Manche Leute mag es verblüffen, wenn sie hören, dass es Kreaturen wie Werwölfe oder Vampire tatsächlich gibt. Sie behaupten dann gern, dass es sich dabei lediglich um Figuren aus Romanen oder Filmen handelt, die sich der jeweilige Autor oder Regisseur ausgedacht hätten; und vergessen dabei, dass das keineswegs ausschließt, dass sich die Künstler dabei von realen Begebenheiten haben inspirieren lassen.

Bram Stokers Roman "Dracula" basiert auf alten transsylvanischen Legenden und hat sogar eine reale Person als Vorbild.

Mary Shelleys "Frankenstein" ist eine Spekulation über wissenschaftliche und technische Möglichkeiten, basierend auf den Experimenten von Galvani und Aldini.

Letzterer brachte unter anderem mittels Elektrizität den Kopf eines Enthaupteten zum Grimassieren, so lebensecht, dass anwesende Zuschauer in Ohnmacht fielen.

"Dr. Jekyll und Mister Hyde" wiederum beschreibt den klinischen Fall einer extremen Persönlichkeitsspaltung.

Und all die Legenden von Ghouls, Vampiren, Werwölfen, Wiedergängern und anderen unheimlichen Phänomenen und Wesen sind vielfach um Jahrtausende älter als Literatur, Film oder Fernsehen ...

***

Glenda Perkins stellte das Tablett mit Kaffeekanne, drei Tassen, Milch und Zucker auf meinem Schreibtisch ab.

"Du bist ein Schatz."

Sie lächelte. "Ich weiß."

Ich erwartete Besuch. Wir erwarteten Besuch. Mein Partner Suko saß hinter seinem Schreibtisch, die Füße auf der Tischplatte, und daddelte irgendwas auf seinem Smartphone. Ich hörte leises Fiepen und Klingeln. Dann einen Fluch auf Mandarin.

Eine Misses Caithlin Spaulding hatte sich angekündigt. Sie hatte mich tags zuvor telefonisch kontaktiert und mich um ein Gespräch gebeten.

Privat?

Dienstlich?

"Bei dem, was Sie beruflich machen - dienstlich", hatte sie geantwortet.

Meine Telefonnummer, erfuhr ich auf Nachfrage, hatte Misses Spaulding von unserer gemeinsamen Bekannten Sheila Connolly erhalten. Auf Details zu ihrem Anliegen wollte sie am Telefon nicht eingehen. "Das Ganze ist ziemlich - bizarr, müssen Sie wissen."

Ich erkundigte mich, wo sie wohnte. Ein paar Meilen außerhalb Londons. Sie könne mit dem Zug in die Stadt kommen. Ich hatte gerade zeitlich etwas Luft, und so machten wir einen Termin aus.

Misses Spaulding war überpünktlich. Eine ältere, kleine, sehr aparte Dame, die mich spontan an die Miss Marple aus den Filmen erinnerte.

"Miss Spaulding", korrigierte sie mich denn auch prompt. "Den Segnungen der Ehe bin ich zeitlebens geschickt aus dem Weg gegangen."

Sie war mir sofort sympathisch.

Sie hatte immer noch wunderschöne, wasserblaue Augen. Ich bedauerte es fast, ihr nicht ein paar Jährchen eher begegnet zu sein.

Ich half ihr aus dem Mantel, rückte ihr den Stuhl zurecht, schenkte Kaffee ein. Suko gesellte sich zu uns.

"Woher kennen Sie Sheila Connolly?"

Miss Spaulding lächelte. "Oh, ich war Sheilas Englischlehrerin. Siebte bis zehnte Klasse." Sie sah Suko an, dann mich. "Sheila hat sich schon damals gern mit seltsamen Typen zusammengetan."

Suko griente. Ich zog die Augenbrauen hoch.

"Sie hatte schon immer einen Sinn für das Besondere, meine ich."

"Den hat Sheila ganz zweifelsohne."

Wir kamen auf ihr Anliegen zu sprechen. Sie fasste es in einem Satz zusammen.

"Entweder werde ich langsam verrückt - oder bei mir zuhause spukt´s."
Miss Spaulding wohnte, wie erwähnt, ein paar Meilen außerhalb Londons am Rande eines Vororts in einem frei stehenden Cottage, einem Erbstück ihrer Eltern.

Sie wohnte allein. Sie war mittlerweile Pensionärin, widmete ihre Zeit ihrem Garten und der englischen Literatur, die sie über alles liebte, und hatte in Ruhe und Frieden ihre Altersfreizeit genossen.

Bis vor wenigen Wochen.

Angefangen hatte es damit, dass morgens regelmäßig die Wasserhähne im Bad oder in der Küche tropften. Als hätte sie jemand erst auf, aber dann nicht wieder richtig zugedreht. Spaulding hatte daraufhin einen Installateur kommen lassen, der jedoch keinerlei Fehlfunktion oder Schaden feststellen konnte.

Dann hatte sie festgestellt, dass sich Gegenstände im Haus wie von selbst bewegten. Oder von Geisterhand, je nachdem. Mal war eine Tür offen, von der sie sicher war, dass sie sie geschlossen hatte. Dann wieder lagen Dinge nicht mehr dort, wo sie sie abgelegt hatte.

Vor Jahren mal hatte Miss Spaulding einen Horrorfilm im Fernsehen gesehen, in dem eine Familie mit ähnlichen rätselhaften und unerklärlichen Phänomenen konfrontiert gewesen war wie sie. Die Leute in dem Film hatten daraufhin Kameras in ihrer Wohnung aufgestellt, die ununterbrochen filmten. So war man in dem Film den Ursachen der Heimsuchung auf die Spur gekommen.

Spaulding hatte daraufhin von einer Sicherheits-Firma an ausgewählten Stellen in ihrem Cottage kleine Überwachungskameras installieren lassen. Die Aufnahmen, als sie sie am nächsten Morgen sichtete, bestätigten ihren schlimmsten Verdacht.

Miss Spaulding gähnte hinter vorgehaltener Hand. "Ich schlafe schlecht in letzter Zeit", sagte sie zur Entschuldigung. Kein Wunder, dachte ich, sagte es aber nicht.

Kopien der Aufnahmen aus ihrem Haus hatte sie nicht mitgebracht, aber ihre Beschreibungen waren bildhaft und deutlich genug.

Ich war mir mit Suko schnell einig: Diese Sache konnten wir nur vor Ort beurteilen. Nach kurzer Rücksprache mit Superintendent Powell stellte uns unser Vorgesetzter für zwei Tage frei, um uns um die Angelegenheit zu kümmern. Wir kamen mit Miss Spaulding überein, uns am nächsten Tag bei ihr im Cottage einzufinden, um der Ursache der Vorkommnisse auf den Grund zu gehen und sie - nach Möglichkeit - abzustellen.

***

Die Aufnahmen der Überwachungskameras hatten es in sich. Grobkörnig, grünstichig. Nachtsichtmodus. Tonaufnahmen gab es nicht. Aber die stummen Bilder reichten völlig aus.

Man sah wie Türen sich scheinbar wie von Geisterhand öffneten und schlossen.

Miss Spaulding hatte die Technik im Griff, sie spulte die zig Stunden langen Aufnahmen gekonnt vor und zurück, um uns die spektakulärsten Momente zu präsentieren.

Auf einer Aufnahme aus dem Hausflur war eine Kommode zu erkennen. Eine Vase voller frisch gepflückter Blumen stand darauf. Plötzlich hob sich, wie von unsichtbarer Hand ergriffen, eine einzelne Blume aus der Vase, schwebte für einen Moment in der Luft und wurde schließlich in die Vase zurückgesteckt.

Mich kitzelte ein spürbar schlecht durchblutetes Händchen im Nacken.

Mein Partner und ich hatten zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Optionen in Betracht gezogen.

Bei Spuk, der sich auf ein bestimmtes Gebäude konzentriert, ist die Ursache häufig ein sogenannter Poltergeist. Poltergeister tun sich vor allem darin hervor, die Bewohner der betroffenen Immobilie zu terrorisieren, ihnen böse Streiche zu spielen und sie in Angst und Schrecken zu versetzen.

Miss Spaulding äußerte denn auch berechtigte Einwände. "Es ist ja nicht so, dass der Spuk oder wie man es nennen mag mich terrorisiert. Und poltern tut auch nichts. Im Gegenteil.

Man hört schlimmstenfalls mal ein rostiges Türscharnier quietschen."

Damit hatte sie zweifelsohne recht. Ob die Möglichkeit bestünde, dass der ruhelose Geist eines oder einer Verstorbenen im Cottage umginge, wollte ich von ihr wissen. War in der Vergangenheit vielleicht ein Mord passiert? Ein Mord oder sonst ein Verbrechen, dessen Opfer beziehungsweise sein Geist auf Sühne oder sonst was aus war und deshalb keine Ruhe fand?Miss Spaulding schob nachdenklich die Unterlippe vor und schüttelte den Kopf.

"Nicht, dass ich wüsste. Aber warten Sie -" Ihr Gesicht hellte sich auf. Sie hob lehrerinnenhaft den gestreckten Zeigefinger. "Früher - also ganz früher, bevor dieses Cottage hier erbaut wurde - ganz früher war an dieser Stelle angeblich ein Richtplatz."

Aha.

Das klang vielversprechend.

Spaulding runzelte die Stirn. "Allerdings ..." Sie schwieg.

Suko kam ihr zur Hilfe. "Allerdings?"

Sie zuckte die Achseln. "Allerdings ist da nie jemand hingerichtet worden. Die wenigen Todesurteile, die hier im Ort verhängt wurden, wurden allesamt in London vollstreckt. Weil hier wohl niemand den Henker spielen wollte."

Sie sah uns die Enttäuschung wohl an und lächelte entschuldigend. "Ein alter Witz der Dorfhistorie."

Wir saßen in ihrem Wohnzimmer, wo sie die Monitore der Überwachungsanlage aufgebaut hatte. Wir saßen nebeneinander auf der breiten Couch. Mit Blick zur eine Handbreit geöffneten Tür.

"Dann vielleicht doch ein Fluch", schlug Suko kleinlaut vor.

Ich spürte die plötzliche Wärme auf meiner Brust, wo mein silbernes Kreuz lag, einen Sekundenbruchteil eher, als ich das leise Knarren hörte.

Dann schob sich die Tür wie von allein langsam auf, Zentimeter um Zentimeter.

Gebannt schauten wir zu.

"Das ist es", flüsterte Miss Spaulding. Suko sprach ebenfalls leise.

"John?"

"Positiv. Es hat sich erwärmt."

"Es ist hier. Hier in diesem Raum." Miss Spaulding klang geradezu ehrfürchtig. "Das ist das erste Mal, dass ich es live sehe."

Wir saßen da wie die Ölgötzen. Vor uns auf dem Tisch standen die Teekanne, unsere Tassen sowie brauner Kandis und ein Milchkännchen.

Plötzlich ruckelte das Kännchen.

Miss Spaulding schlug die Hand vor den Mund. "Mein lieber Herr Gesangverein."

Das Kännchen neigte sich zur Seite.

Ich griff unter meinen Hemdkragen und zog energisch das spürbar erhitzte Kreuz hervor.

Ein dünner, spitzer Schrei erklang wie aus dem Nichts. Das Kännchen kippte auf die Seite, der Deckel sprang herunter, die Milch ergoss sich über den Tisch und tropfte auf den Teppich.  

Die Tür erzitterte kurz, als sei jemand im vollen Lauf längsseits davor gesemmelt.

Das Kreuz in meiner Hand war im Nu wieder kalt.

Wir sahen einander schweigend an. Miss Spaulding war merklich blass um die Nase. Sie versuchte ein Lächeln, das elendig misslang, und deutete auf das havarierte Milchkännchen.

"Ich glaube, es hat ein Faible für Milch."

Ich nippte an meinem Tee. Ich trank ihn stets ohne.

***

Eine weitere Kameraaufnahme zeigte die Küche. Herd, Spüle, Kühlschrank.

"Das war mit das Erste, was mir aufgefallen ist. Natürlich hab´ ich erst mal an meinem Verstand gezweifelt."

Auf der Aufnahme sah man, wie die Kühlschranktür wie in Zeitlupe aufschwang.

"Morgens stand ständig die Kühlschranktür offen", kommentierte Miss Spaulding weiter.

Dann schwebte etwas aus dem Kühlschrank heraus. Eine Glasflasche mit Inhalt.

"Und die Milchflasche - Na ja, Sie sehen´s ja."

Die halbvolle Flasche Milch schwebte weiter scheinbar in der Luft. Und dann sank plötzlich sichtbar der Pegel des Inhalts. Bis die Flasche leer war. Die Flasche schwebte zurück in den Kühlschrank. Die Tür schwang zu, blieb aber eine Handbreit offen.

"Wer stellt eine leere Milchflasche zurück in den Kühlschrank?", fragte Suko und sah mich an.

Wasser. Milch. Unsichtbar.

In meinem Oberstübchen ging ein Licht an.

"Horla", sagte ich.

***

Suko blickte mich verständnislos an.

"Horwas?"

Im neunzehnten Jahrhundert hatte es in Südamerika eine angebliche Massenpsychose oder -hysterie gegeben. Die Leute fühlten sich verfolgt von unsichtbaren Wesen. Diese Wesen ernährten sich von Milch und Wasser. Und der Lebensenergie der menschlichen Opfer, denen sie nachts, wenn diese schliefen, selbige ab- oder aussaugten. Auf welchem Wege auch immer.

Aber auch Massenpsychosen hatten immer irgendwo einen realen Kern. Man denke nur an die sogenannte "Vampirhysterie" im ausgehenden Mittelalter.

Der berühmte französische Schriftsteller Guy de Maupassant, ansonsten alles andere als ein Horror-Autor, hatte die Berichte von den damaligen Vorkommnissen in Südamerika zum Anlass und als Inspiration für seine Erzählung "Der Horla" genommen.
Horla.

Ein unsichtbares Wesen, das Milch und Wasser trinkt. "Das erklärt die tropfenden Wasserhähne", sinnierte Miss Spaulding. "Er hat nachts Wasser getrunken und nicht wieder richtig zugedreht."

"Milch passt auch", ergänzte Suko knapp.

"Und das dürfte dann auch der Grund sein, weshalb ich nachts immer so miserabel schlafe", fasste Miss Spaulding zusammen. "Lebensenergie absaugen? Brrr." Sie schüttelte sich.

"Okay", sagte ich. "Das Problem ist damit erkannt und katalogisiert. Die nächste Frage wäre nun: Wie beheben wir es? Vulgo: Wie kriegen wir den Horla aus dem Haus?"  

Gute Frage.

Mein Kreuz hatte auf den Unsichtbaren reagiert und ihn verscheucht, als er sich am Teemilchkännchen zu schaffen gemacht hatte. Dann würde ich ihn auch mit der magischen Waffe, weiland gestiftet von den vier Erzengeln, vernichten können. Und Sukos Dämonenpeitsche würde er wohl auch nichts entgegen zu setzen haben.

Nur: Um ihn zu vernichten, mussten wir ihn erst mal finden.

Was an sich eigentlich auch kein Problem darstellen sollte. Schließlich konnten wir das Cottage beinah lückenlos via Kameras überwachen und kontrollieren.

Zu dritt machten wir uns an die Arbeit.

Gemäß dem Motto der US-Marines: search and destroy.

Aufspüren und vernichten.

***

Wir hatten bei unserem Plan drei Posten zu besetzen: Falke, Treiber und Jäger.

Der Falke oder auch Späher sollte das Ziel, die Beute aufspüren.

Der Treiber würde sie aufscheuchen, so dass sie ihre Deckung verließ und sich bemerkbar machte.

Der Jäger schließlich würde die Beute erlegen.

Falke, Treiber, Jäger.

Miss Spaulding übernahm den Job des Falken. Das bedeutete, dass sie sich hinter den Monitoren der Überwachungsanlage verschanzte und wie ein Falke auf Beutejagd Ausschau hielt, ob sich irgendwo Dinge scheinbar anlasslos bewegten oder sonst was auf die Anwesenheit des Horlas hinwies.

Suko fiel die Rolle des Treibers zu. Sobald Spaulding Sichtung meldete, würde Soku sich zum Hotspot, dem Ort der Sichtung, begeben und dort ordentlich Krach schlagen, Horla aufscheuchen - und mir - dem Jäger - direkt in die Arme respektive vors Kreuz treiben.

Ich, der Jäger, musste die Beute dann nur noch aufs Korn nehmen und erledigen.

Ein todsicherer Plan. Wir mussten nur Geduld haben und Augen und Ohren offen halten.

Ich hatte an allen Tür- und Fensteröffnungen des Gebäudes Bannzeichen mit magischer Kreide angebracht. Das Cottage war damit in schwarzmagischer Hinsicht praktisch versiegelt. Horla saß wie der sprichwörtliche Fuchs im Bau in der Falle. Oder wie das Rebhuhn im hohen Gras. Perfekt getarnt, solange es sich nicht regte. Nur eine Bewegung, und die Tarnung war dahin.

Die Treibjagd war eröffnet.

Während Miss Spaulding die Monitore kontrollierte, streiften Suko und ich durchs Gebäude.

Sukos rasiermesserscharf geschliffene Sinne arbeiteten dabei auf Hochtouren. Katzengleich, wie auf Samtpfoten, streifte der Chinese durch die Flure und Zimmer, folgte ganz seinen Instinkten, die Ohren gespitzt wie Nadeln, den Blick so klar wie das Wasser an den Stränden der Karibik.

Laut den Quellen aus dem neunzehnten Jahrhundert kam Horla aus Südamerika.

Was hatte ihn hierher verschlagen, an den Rand einer Londoner Vorstadt?

In der Erzählung von Guy de Maupassant, die in einem Landhaus am Rande der französischen Hauptstadt Paris spielte, war der Horla mutmaßlich mit einem Frachtschiff über den Atlantik gekommen. Das Schiff war die Seine hoch gesegelt, mit dem Horla als - im wahrsten Sinne des Wortes - blindem Passagier an Bord.

Seit jener Zeit hatte sich jedoch manches geändert. Die Welt war zu einem globalen Dorf geschrumpft. Das machte es nicht zuletzt auch Dämonen und schwarzmagischen Wesen aus fernen Ländern einfacher, sich über den ganzen Erdball zu verbreiten.

Derlei ging mir durch den Kopf, während ich wie mein Partner durch das Haus streifte.

In de Maupassants Erzählung gelingt es dem Protagonisten nicht, den Horla aufzuspüren und zu vernichten. Obwohl er dazu am Ende sogar sein ganzes Haus in Brand setzt.

So weit würden wir nicht gehen müssen. Hoffte ich.

Nach mehreren Stunden fruchtloser Suche legten wir eine Pause ein. Miss Spaulding hatte Tee und Sandwiches gemacht. Dann machten wir weiter.

Miss Spaulding taten vom stundenlangen Starren auf die Überwachungsmonitore Kopf und Augen weh. Sie wollte sich für eine oder zwei Stunden hinlegen und versuchen, ein Erholungsnickerchen zu machen.

Suko übernahm ihren Platz. Ich streifte weiter durchs Cottage.

Ich war gerade in der Küche, ließ meinen Blick durch den Raum schweifen und achtete auf jedes noch so leise Geräusch, als es wie aus dem Nichts passierte.

Das Kreuz auf meiner Brust erwärmte sich. Deutlich.

Ohne groß darüber nachzudenken, huschte ich zur Tür und schlug sie zu.

Ich blickte hinauf zu der Überwachungskamera, die über der Tür installiert war, winkte in die Optik und deutete auf meine Brust. Wenn Suko mich sah, würde er wissen, was Sache war.
Ich blickte mich um. Achtete auf jede noch so kleine Bewegung.

Nichts.

Dann klopfte es von außen an die Tür. Ich zog mein Kreuz hervor, hielt es gut sichtbar ausgestreckt, wobei ich es im Halbkreis hin und her bewegte, ging rückwärts zur Tür und zog sie einen Spalt weit auf.

Suko huschte hindurch und drückte sie gleich wieder zu.

"Er ist hier", sagte ich.

Suko nickte nur. Ich nahm einen Küchenstuhl, klemmte die Rückenlehne unter die Türklinke. Dann teilten wir uns auf, einer rechts, einer links, und bewegten uns langsam vorwärts. Ich achtete dabei genau auf die Reaktion meines Kreuzes. Erwärmte es sich weiter? Kühlte es ab?

"Verdammt, John", zischte Suko, "wie lange sollen wir noch Katz´ und Maus spielen? Aktiviere dein Kreuz, dann ist der Drops gelutscht."

"Noch nicht", sagte ich. "Wenn ich ihn jetzt einfach vernichte, vertun wir die Chance, mehr über das Wesen zu erfahren. Ich will zumindest wissen, wie es aussieht."

Suko zog eine Schnute. "Und wie willst du das anstellen?"

Ich ging zum Geschirrschrank und nahm zwei große Kaffeetassen heraus. Eine warf ich Suko zu. "Hast du mal den Film Der Unsichtbare gesehen? Nicht den ganz alten, sondern den aus den Neunzigern?"

"Sicher."

Ich ging zum Spülbecken und füllte meine Tasse mit Wasser.

"Dann denk´ mal dran, wie sie den Unsichtbaren am Ende wieder sichtbar machen, um ihn bekämpfen zu können."

Suko dachte kurz nach, dann grinste er breit, ging ebenfalls zum Spülbecken und füllte seine Tasse.

"Das wird Miss Spaulding unter Umständen nicht gefallen", gab er, immer noch grinsend, zu bedenken.

"Ist bloß Wasser", sagte ich. "Das trocknet wieder."

Mein Partner zuckte die Achseln. "Na dann - worauf warten wir noch?"

Ich holte weit aus und spritzte das Wasser aus meiner Tasse quer durch den Raum. Suko bekam was ab. "Hey! Pass´ mal besser auf!"

"Sorry." Ich kniff die Augen zusammen. Das Wasser klatschte an die Wand und auf den Fußboden. Das war´s. "Wasserscheu oder was?"

Suko verzog das Gesicht, holte aus und ließ sein Wasser quer durch den Raum spritzen.

Da!

Ein guter Teil von Sukos Fontäne war unter den Küchentisch gespritzt. Und dort zeichnete sich nun etwas ab.

Der wasserbenetzte Unsichtbare wirkte wie eine gläserne Statue, die innen hohl war. Er war etwa zehn bis zwölf Inches hoch und hatte eindeutig eine humanoide Form.
Er huschte nach links, dann nach rechts. Ihm war offenbar klar, dass er in der Falle saß und keine Chance mehr hatte. Weil er nicht mehr länger unsichtbar war.

Ich streckte ihm das Kreuz entgegen. Der Unsichtbare erstarrte. Wir hörten ein schrilles Fiepen - und die Stimme von Miss Spaulding.

"John? Suko? Seid ihr da drinnen?"

Die Türklinke geriet in Bewegung, wurde von außen gerüttelt, und der Stuhl, den ich von innen darunter geklemmt hatte, rutschte ab und fiel auf den Boden.

Die Tür öffnete sich einen Spalt, Miss Spaulding Kopf erschien darin. Sie machte ein fragendes Gesicht.

"Tür zu!", schrie ich. Doch zu spät. Blitzschnell huschte der Unsichtbare unter dem Tisch hervor. Noch immer streckte ich ihm mein Kreuz entgegen, doch er würde entwischt sein, bevor ich auch nur die ersten drei Wörter der Formel gesprochen hatte, um ihn zu vernichten.

Ich sah ihn auf die Tür zu flitzen, Miss Spauldings Gesicht, der beim Anblick des feucht schimmernden Astralkörpers die Kinnlade runter klappte, sah ihn schon zwischen ihren bestrumpfhosten Beinen hindurch entwischen -

Mit einem feuchten Klatschen wickelten sich die Riemen der Dämonenpeitsche um den Körper des Geschöpfes und rissen es zurück.

Mein Partner hatte wieder einmal blitzschnell reagiert und die Situation im letzten Moment gerettet.

Im unerbittlichen Griff der Peitschenriemen, die aus der gegerbten Haut eines Dämons geschnitten waren, begann der Horla bläulich zu glühen. Er fiepte herzerweichend, doch Suko kannte weder Mitleid noch Erbarmen. Er riss die Peitschenriemen mit einem Ruck zurück, und der Horla verpuffte in einer azurblauen Stichflamme.

"Mein lieber Herr Gesangverein", erscholl es von der Tür. "Das glaubt mir keiner."  

***

Tja, Freunde, auch so kann´s manchmal gehen. Auch bei Scotland Yard ist nun mal nicht jeden Tag Weltretten mit allem Zipp und Zapp und Halligalli angesagt. Wir sind zwar die sprichwörtliche Feuerwehr, wenn´s brennt. Aber manchmal brennt eben nicht der ganze Dachstuhl lichterloh; manchmal will bloß eine Katze wieder vom Baum runter. Aber auch dafür sind wir da. Will sagen: Wir kümmern uns auch um die kleineren Probleme. Das ist unser Job, also machen wir ihn. Darauf haben wir einen Eid geleistet. Bei Gott und unserem Vaterland.

Was Horla betraf, war ich mir fast sicher, dass dies nicht unsere letzte Begegnung mit einem Vertreter dieser bisher weitestgehend unbekannten Spezies gewesen war.

"Und grüßen Sie Sheila recht herzlich."

Die Landpartie war vorbei. Miss Spaulding winkte, Suko, der am Steuer des BMW saß, hupte.

"Machen wir glatt."

ENDE  

 

Kommentare  

#1 Laurin 2020-04-04 14:17
Die Geschichte konnte wieder echt gut gefallen. Allerdings muss ich gestehen, das mir der Horla am Ende sogar etwas leid tat. Mag aber auch daran liegen, dass ich beim lesen irgendwie das Bild von A. bzw. B. Hörnchen von Disney im Kopf hatte. Ihr wisst schon, die lustigen Streifenhörnchen. :lol:

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