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Roberta Lee auf der Couch

StoryRoberta Lee auf der Couch

„Harry, was hältst du von diesem kompletten Schwachsinn, den sich diese schreibtischsesselpupsenden, abgehobenen, geistig verbeamteten Bürokratengehirne in ihren komplett jenseits der Realität befindlichen Elfenbeintürmen nun schon wieder zurecht gezimmert haben? Warum in drei Teufels Namen müssen sich jetzt alle Angestellten der Smithsonian Institution einen Beratungstermin bei diesem neuen Seelenklempner vereinbaren? Gerade ich drehe doch wirklich nicht am Rad!“

Wutentbrannt warf Roberta das eben gelesene und schon wieder zerknüllte Formular in den praktischen Rundordner, der direkt neben ihrem überfüllten Schreibtisch stand. Der wilde Zorn auf ihre Vorgesetzten, die ja keinerlei Ahnung von der Welt da draußen haben und immer neue Idiotien erfinden um das gemeine Fußvolk zu quälen, entlud sich wieder einmal fulminant. In diesem Augenblick sah Harrys Freundin wie eine dahin schmelzenden Sonne aus, ihr langes Haar umrahmte als feurige Korona das vor Aufregung gerötetes Antlitz.

 

Ihr  Assistent wußte, dass er sich während solcher Momente als wirksamste Verteidigungsmaßnahme am besten in so etwas wie eine katatonische Meerschweinchen-Schockstarre versetzte. Roberta mußte sich in so einer Situation nämlich erst wieder abkühlen und beruhigen, ehe er einen weiteren Laut von sich geben durfte.

 „Harry, nun antworte doch! Was denkst du über diese schwachsinnige, stumpfsinnige, hirnverbrannte Schikane, die uns knapp vor den festlichen Feiertagen von den alten, verkalkten, zerzausten Mumien aus den obersten Etagen aufgebrummt wird?“Schüchtern drehte sich Harry zu Roberta um und hob ganz langsam seinen Blick. Zuerst mußte er mal die allgemeine Lage sondieren und nachsehen, ob sich der aufbrausende Berserkerwahn aus Robertas Augen schon wieder ein wenig verflüchtigt hat.

„Du hast natürlich absolut recht.“, erwiderte Harry schnell. „Solches Psychogelaber bringt rein gar nichts. Ich verstehe gar nicht, warum jeder von uns zu solchen Sitzungen verdonnert wird. Wahrscheinlich braucht Jasper nur seine Daseinsberechtigung und eine Beschäftigungstheraphie.“„Wer ist Jasper? Meinst du diesen neu angestellten Dr. Morrison? Kennst du vielleicht diesen Psychodoc höchstpersönlich?“, fragte Roberta bei ihrem Assistenten nach.„Klar. Jasper und ich teilten uns im Studentenheim eine Bude.“„Zwei von eurer Art? Dieses Zimmer hat aber in diesen Jahren sicher nie ein Mädchen von innen gesehen. Stimmts? „lachte Roberta neckisch.

Beleidigt wandte Harry sich um und steckte seine Nase wieder in jene Bücher, die aufgeschlagen vor ihm lagen und die Hintergrundgeschichte der slawischen Figuren Ded Moros und Snegurotschka zum Thema hatten. „Harry! Komm schon. Du verstehst doch noch ein kleines Späßchen, oder?, hakte seine Chefin launig nach. Harry kochte innerlich, ließ sich aber nach außen hin nichts weiter anmerken. „Wenn ich doch nur ein wenig mehr Testosteron in mir trüge! Was würde ich da dem rassigen Rotschopf jetzt alles entgegen schmettern! Komplett devot würde sich das begehrenswerte Biest dann gebärden, unterwürfig würde sich diese herrische Schnepfe verhalten, solche schlechten Scherze würde sich die scharfe Schnecke dreimal überlegen, ehe sie diese überhaupt laut zu artikulieren wagen würde!“

Aber Harry war nunmal eher ein männlicher Vertreter der Kategorie “schlumpfiges Schlappschwänzchen“. Das wußte er selbst. Seiner aufgeweckten und selbstbewußten Vorgesetzten konnte er in solchen Momenten nämlich einfach rein gar nichts entgegen setzen.  „Naja, in den nächsten Tagen so kurz vor dem heiligen Fest haben wir sowieso nichts mehr weiter vor. Komischerweise geben da auch weltweit alle bösartigen Fieslinge Ruhe. Ich werde mal einen passenden Termin im Kalender suchen. Bin jetzt doch ein wenig auf deinen ehemaligen Studienkollegen neugierig“, sprach Roberta zum verstummten Harry und wandte sich ihrem PC zu. Flugs öffnete sie ihr Postfach, suchte im Mail-Verteiler nach dem Eintrag „Dr. Jasper Morrison“ und schrieb dem Doktor eine Nachricht. „Es dauert ja sicher bis nächstes Jahr, bis eine Antwort kommen wird. Und dann habe ich keine Zeit mehr, weil sicher schon das nächste Abenteuer ruft.“, frohlockte die Archäologin. Zwei Tage später fand Roberta einen Terminvorschlag in ihrem Eingangsordner.

„Komisch. Das ging aber wirklich schnell!“ Sie konnte ja nicht ahnen, dass Dr. Jasper Morrison von seinen Vorgesetzten den hochoffiziellen Auftrag erhalten hatte, die Patientin Roberta Lee nach ihrer erfolgten Anmeldung auf alle Fälle allen anderen Angestellten der Smithsonian Institution vorzuziehen.

Das Büro von Dr. Jasper Morrison befand sich im ersten Stock des Institution Building, welches schon von weitem den Charme eines verzauberten Märchenschlosses versprühte. Roberta spazierte über die winterlich verschneite Mall und erfreute sich an den paar Sonnenstrahlen, die neckisch ihren Nasenrücken kitzelten. Begehrliche Blicke wurden ihr von plötzlich verwirrten und mit offenen Mündern starr stehen bleibenden männlichen Museumsbesuchern nachgeworfen. Aus den meisten Blicken einiger Damen sprach hingegen eher die blanke Mißgunst. „Kay, was ist los mit dir? Spinnst du komplett? Du bleibst einfach stehen wie eine bescheuerte steinerne Statue, nur weil diese Schneekönigin da an dir vorbei huscht“, zeterte Gerda Andersen und zog ihren verduzten Verlobten unsanft an dessen Ärmel weiter. Robertas extralange Beine steckten in hohen Stiefel und wollenen Strumpfhosen, ihr karierter Rock, ihre Haube und ihr Mantel unterstrichen zusätzlich ihre überirdische Präsenz. Behende und ausgelassen wie ein Weihnachtsengel hüpfte sie die Treppen hoch in den ersten Stock des Westflügels und suchte nach dem Raum, in dem nun ihre innersten Gedanken nach außen gestülpt werden sollten. Ernst nahm sie die ganze Sache nämlich nicht wirklich. Den alten kauzigen Hausmeister, der ächzend und stöhnend mehrere kleine Metallkisten an Ketten hinter sich herschleifte, schenkte Roberta nicht allzu viel Aufmerksamkeit. Die junge Frau konnte ja auch nicht ahnen, was in der nächsten Stunde noch alles auf sie zukommen sollte.

 Wohlerzogen benutzte Roberta den prächtigen Türklopfer an der wuchtigen Eichentür. „Dr. Lee? Kommen sie bitte einfach rein!“ ertönte eine dumpfe Stimme von innen. Als die junge Archäologin die Tür öffnete, fiel ihr Blick auf jenen Mann, der ihr ein paar Schritte entgegen ging und ihr zur Begrüßung die Hand reichte. Sie traute ihren Augen nicht. Roberta hatte sich in ihrer Vorstellung nämlich unter Harrys ehemaligen Zimmerkollegen einen kleinen, pickeligen, stotternden und stammelnden Zwerg mit schütterem Haar vorgestellt. So ein kompletter Zivilversager mit schlechtem Modegeschmack und dicken Hornbrillen hatte sich vor ihrem inneren Auge aufgebaut. Überraschenderweise erwartete sie nun aber ein hochgewachsener, athletisch gebauter, wirklich gutaussehender Latin Lover-Typ mit strahlendem Zahnpastalächeln. 

 „Dr. Lee, wollen sie ihre Sachen ablegen und sich setzen? Oder wollen sie es sich noch bequemer machen und sich auf die grüne Couch dort legen?“ fragte Dr. Morrison nach. „Hey - was war denn das für eine plumpe Anmache!? Spinnt dieser gelackte Heini komplett?“, dachte Roberta bei sich. In ihr wallten schnell die zuständigen Hormone für Emotionen hoch. „Kann sich nicht wenigstens nur einmal ein Mann in ihrer Gegenwart wie ein normaler Mensch verhalten? Müssen immer gleich alle Macker in ihr nur ein leckeres Betthupferl sehen?“ „Ich setze mich lieber hin, falls es ihnen denn genehm ist, Mr. Dr. Morrison“, schnappte die Archäologin bissig und warf ihre Mütze locker und zielsicher auf den Kleiderständer. Ihren Mantel zog sich Roberta selbstverständlich ebenfalls alleine aus und verbat sich diesbezüglich jegliche weitere Unterstützung des zu Hilfe eilenden Lackaffen.„Wie sie wünschen, Dr. Lee“, erwiderte Dr. Morrison charmant, höflich und sehr zuvor kommend.Es sollte heute noch ein spannender Kampf werden… 

„Es freut mich wirklich sehr, daß sie sich ein wenig Zeit für mich nehmen konnten, Dr. Lee“. „Was für ein angenehmes Timbre der gelackte Psychodoc doch in seiner Stimme trägt“ schlußfolgerte Roberta. „Aber nur nichts anmerken lassen. Nicht weich werden. Ich will so schnell wie möglich wieder hier raus“. Sie versuchte Ruhe zu bewahren.„Kein Problem. Bringen wir diese vorgeschriebene Sitzung einfach hinter uns.“, konterte Roberta.Dr. Morrison blieb freundlich und locker. „Dieses Gespräch findet auf rein freiwilliger Basis statt. Sie brauchen sich zu nichts gezwungen zu fühlen. Wir wollen bloß ein wenig plaudern. Nur ein paar belanglose Worte. Haben sie z.B. schon ihre Weihnachtseinkäufe erledigt?“.„Weihnachtsgeschenke sind doch Humbug. Das ganze Fest ist Nonsens. Die letzten Jahre saß ich meistens nur mit unserer Haushälterin zusammen, weil sich mein Vater wieder irgendwo in der Weltgeschichte rumgetrieben hat und verschollene Artefakte gesucht hat.“, raunzte Roberta sofort.„Das ist aber sehr schade“, erwiderte Dr. Morrison.„Mist, laß dich bloß nicht von dem Lackaffen einlullen!“ Roberta bereute ihre ersten in den Raum geworfenen Worte bereits bitterlich. „Du wolltest doch cool bleiben und den Hokuspokus so schnell wie möglich hinter dich bringen. Pass’ bloß auf und lass dich von dem Typ nicht weiter bequatschen. Der legt es doch bloß auf einen Seelenstriptease an.“ Konfuse Gedanken rasten in Roberta hin und her. 

Dr.Morrison stellte seine nächste Frage: „War ihr Vater in den vergangenen Weihnachten denn nie für sie da? Fühlten sie sich in solchen Situationen einsam  und von ihm vernachlässigt?“ „Was soll denn dieser Zinnober jetzt?. Wir sitzen hier keine fünf Minuten zusammen und schon soll ich meine persönlichen Probleme mit meinem alten Herren vor wildfremden Kerlen ausbreiten?“ „Mein Vater war und ist ein viel beschäftigter Mann. So weit es sich für einen honorigen Professor einrichten ließ, verbrachte er gerne seine Zeit mit mir. Sobald natürlich erst einmal der fette Kater sein Streicheleinheiten bekommen hat.“, versuchte die junge Archäologin zu kontern. „Schon wieder ist es passiert. Kann ich mich denn gar nicht im Zaum halten? Papa scheint wirklich ein rotes Tuch für mich zu sein.“ Roberta wurde zusehend nervöser. „Ihr Vater zog ihnen einen fetten Kater vor? Wollen sie mir nicht ein wenig ausführlicher darüber berichten? Wie wird sich ihr diesjähriges Weihnachtsfest abspielen? Ist ihr ehrenwerter Vater wieder unterwegs?“, hakte der Psychiater sofort nach. „Entschuldigen sie, Dr. Morrison. Eigentlich habe ich noch einiges zu tun. Wie lange dauert ein Gespräch hier normalerweise? Können wir nicht einfach unsere beiden Unterschriften unter das Teilnahmeformular setzen und unsere kostbare Zeit anderweitig verschwenden?“, meckerte Roberta muffelig. Schön langsam hatte sie nämlich wirklich genug von dieser peinlichen Sitzung und keinerlei Lust mehr. „Natürlich. Selbstverständlich. Dieses Gespräch basiert auf rein freiwilliger Basis. Nachdem wir schon fertig sind und ich mir die nächste Stunde für sie allein frei gehalten habe, darf ich sie vielleicht auf eine heiße Tasse Kaffee oder Tee und ein Stück englischen Winterbirnenkuchen einladen?“. Dr. Morrison wartete geduldig auf Robertas ausstehende Antwort.
„Für einen gelackten Pyscodoc ist er eigentlich ganz nett. Außerdem habe ich nichts weiter vor. Und es kann ja nicht schaden, wenn ich mir mal einen kleinen Snack für zwischendurch genehmige.“ Roberta meinte damit natürlich nur den Birnenkuchen! Sie stand auf, blickte Jasper Morrison direkt an und sagte: „Okay. Wenn sie sich das wünschen. Gehen wir eben Kuchen verputzen. Im Advent kann man sowieso einiges ein wenig besinnlicher angehen.“ Ganz zufrieden mit ihrem Verhalten und sich selbst war die Archäologin jetzt zwar nicht, aber es gab doch eindeutig schlimmeres im Leben. Roberta wußte zu diesem Zeitpunkt nicht, dass Dr. Morrison - der neue Liebling ihrer Vorgesetzten - demnächst für Außeneinsätze vorgesehen war und ihr noch öfters über den Weg laufen sollte. Dr. Morrison lächelte spitzbübisch und begleitete Roberta in die nahe gelegene Cafeteria. „Manche Fälle brauchen einfach Zeit. Man sieht sich immer zweimal im Leben und irgendwann reden sie aber alle. Spätestens nächste Weihnachten habe ich auch diese hartnäckige Nuss mit ihrem augenscheinlich ausgeprägten Elektra-Komplex geknackt.“, sprach Dr. Morrison zu sich selbst und verschob tiefergehende Psychoanalysen auf einen späteren Zeitpunkt.  
 

Kommentare  

#1 Earl Warren 2010-12-07 18:43
Hi,
gut geschrieben - alle Achtung. Allerdings hätte man noch eine Szene mit der Maschinenpistole hinzufügen können, bei der der Psychologe weil er jemand zu sehr in die Psyche drang gekillt werden sollte.
Dass er dann hinter der Coch Schutz sucht oder sich unter dieser verkriecht. Roberta geht den Killer zunächst psychologisch an - bei der Anspielung auf seinen Ödipus-Komplex bringt er es nicht fertig, sie zu erschießen.
"Ich bin deine Mami, du kannst mich nicht töten."
Bis er sich dann aufgerafft und den Irrtum erkannt hat, hat ihn Roberta entwaffnet - bis auf sein Bowiemesser. Damit findet der Endfight statt.
Roberta gewinnt. Die Psychoanalyse wird fortgesetzt, wobei Dr. Morrison Roberta eine latente Gewalttätigkeit attestiert.
Als sie die Zähne fletscht, streicht er diese Bemerkung in seinem Bericht. Die weitere Entwicklung zwischen den beiden bleibt abzuwarten.
Schönen Gruß und schöne Adventszeit allerseits
Walter
#2 karl 2010-12-09 06:57
Danke Walter.

Am Ende meiner Geschichte habe ich mich auch geärgert, daß ich Roberta Lee zu wenig Kontra geben habe lassen und diese Erstbegegnung ziemlich abrupt endet. Eigentlich kommt die rassige Rothaarige hier viel zu sehr als schmuseweiches Kuschelkätzchen rüber und der gutaussehende Psychodoc hat echt zu leichtes Spiel mit ihr.

Aber das klingonische Balzritual, wo es ohne größere Hautabschürfungen und kleinere Knochenbrüche nicht abgehen kann, heben wir uns eventuell für weitere Begegnungen im Behandlungszimmer von Dr. Morrison auf. :lol:

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