Nighthawks: Zwischen Nachtclub und Schulbank
DVD: Nighthawks (1978)
Zwischen Nachtclub und Schulbank
Man denke nur an so manchen Dirk-Bogarde-Film, wie beispielsweise die in den frühen 1960er Jahre entstandenen Klassiker „Teufelskreis“ (Originaltitel: Victim) oder die Harold-Pinter-Adaption „Der Diener“. Aber das, was Ron Peck (1948-2022) und sein Co-Autor Paul Hallam Mitte der 1970er Jahre zu entwickeln begannen, hatte es zuvor noch nicht gegeben.
In „Nighthawks“ wollten sie den Alltag eines typischen Londoner Szeneschwulen jener Zeit bis in die Details abbilden – und mussten bündelweise Absagen einstecken. Sie starteten so etwas wie die Blaupause für einen Crowdfunding-Film, indem sie von Dutzenden Privatpersonen Geld akquirierten, um ihr Traumprojekt doch noch finanziert zu bekommen.
Interessanterweise beteiligte sich auch das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) an dem Projekt, weswegen der Film noch im Jahr seiner britischen Kinopremiere hierzulande über die Mattscheibe flimmerte. Seitdem war der Film nur noch selten zu sehen und wurde nun bei Salzgeber erstmals in der Originalfassung (wahlweise mit deutschen Untertiteln) auf DVD veröffentlicht.
Jim Davidson (Ken Robertson) ist Geographielehrer an einer Londoner Gesamtschule und bei seinen Schülern äußerst beliebt. Nachts geht er mit schöner Regelmäßigkeit in die schwulen Kneipen und Discotheken der Stadt, um immer wieder neue Jungs und Männer aufzureißen, die er entweder mit zu sich nach Hause nimmt oder in deren Bleibe folgt.
Als er von seiner neuen Kollegin Judy (Rachel Nicholas James) auf seinen Beziehungsstatus angesprochen wird, antwortet er ganz unverblümt und erzählt ihr von seinen wechselnden männlichen Bettbekanntschaften. Judy ist zunächst ein wenig schockiert und vielleicht auch etwas enttäuscht, nimmt Jim aber schließlich als den an, der er ist.
Nach wie vor gehen die beiden gemeinsam abends ins Restaurant oder etwas trinken. Als Jim eines morgens neben seiner eigenen Klasse auch noch eine weitere in Vertretung betreuen muss, wird er mit expliziten Fragen nach seiner Sexualität konfrontiert. Auch hier redet er nicht um den heißen Brei herum, sondern beantwortet die oftmals sehr klischeebehafteten und auch indiskreten Fragen der Heranwachsenden offen und ehrlich, was ihm schließlich eine Vorladung beim Schuldirektor einbringt.
„Nighthawks“ sollte man als nostalgisches Zeitbild sehen und goutieren, weil der Film heutigen Sehgewohnheiten und dramaturgischen Erwartungen sicherlich nicht mehr gerecht werden kann. Ron Peck entfaltet hier einen teilweise schon dokumentarischen Blick auf eine Schwulenszene, die es so nicht mehr gibt, weswegen dem Film mittlerweile bereits eine historische Bedeutung zukommt (Es gibt übrigens etliche inhaltliche und stilistische Parallelen zu Frank Ripplohs zwei Jahre später entstandenem „Taxi zum Klo“).
Minutenlang hält Peck die Kamera einfach drauf auf das Geschehen, auch dann, wenn eigentlich gar nicht viel passiert. Aus der Distanz fällt auch auf, dass die meisten der hier gezeigten Typen sehr normal wirken, also weder sonderlich exaltiert sind, noch solch unrealistisch schöne oder durchtrainierte Männer, wie sie heutzutage viele Queerfilme bevölkern. Für ein aufgeschlossenes Publikum also ein lohnendes Porträt über eine längst vergangene Zeit.
© by Frank Brenner (10/2023)