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Europäische Alternativen: Die Lösung für den FB-Skandal?

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneEuropäische Alternativen:
Die Lösung für den FB-Skandal?

Es ist der Reflex der Politik auf jeden Skandal, egal ob ein Autokonzern danebengehauen hat, ob Lebensmittel verdorben sind oder ob wie jetzt mal wieder ein Internetunternehmen am Pranger steht, weil Daten weitergegeben, verloren oder gestohlen wurden. Der Reflex: Lauthals die Übelstände anprangern, die man eventuell in der Politik gerne selbst übersehen hat, und dann Recht und Ordnung fordern.

Oder, wenn die Unternehmen in den USA sitzen, auch gerne pathetisch beschwören, dass man eine europäische Lösung brauchen würde. Ein europäisches Google, ein europäisches Twitter, ein europäisches Facebook, ein europäisches Fernsehimperium und ein europäisches Zeitungswesen.

Gemeinhin werden diese Vorschläge immer von denen bejubelt, die sich vor Konkurrenz scheuen oder die ihre Pfründe sichern wollen. Was man vom ARD-Chef vielleicht nicht unbedingt behaupten kann, aber er spielt natürlich diesen Leuten in die Hände, wenn er eine Art von "Super-Mediathek" im DLF fordert. Und die Zeitungsverlage, sonst eher kritisch gegen über den ÖRs eingestellt, sind vielleicht nicht begeistert, können sich aber sowas vorstellen. Dass die deutsche Gesetzgebung schon mal ein ähnliches Projekt verhindert hat - egal. Gemeinsam müsse man sich halt gegen die Monopole stellen, die der Markt erzeugt hat. Wir in Europa, die da drüben in den USA.

Ausgerechnet aber diejenigen, die dafür gesorgt haben, dass im lokalen Zeitungsmarkt kaum noch eine Vielfalt vorhanden ist, ausgerechnet diese wollen also gegen Monopole vorgehen? Nein, ein Monopol haben wir im Zeitungswesen nicht, eher in Polypol: Viele starke Verlage, die vor Jahren nach und nach die Konkurrenz aufkauften und ebenso wie Facebook, Google und Co. profitabel sein müssen. Auf der einen Seite also die bösen Monopole der USA, auf dieser Seite die guten Monopole der EU? Man verzeihe mein homerisches Gelächter an dieser Stelle.

Nicht, dass ich nicht per se gegen europäische Lösungen wäre. Es würde sicherlich den Markt nochmal belegen und erweitern, Konkurrenz belebt das Geschäft und da man in Europa jetzt auch einen einheitlichen Datenschutz hat - na ja, mehr oder weniger, sagen wir, die DSVGO regelt gewisse grundsätzliche Dinge, lässt den Staaten aber noch ein wenig Spielraum - wäre das natürlich nicht schlecht. Immerhin haben wir so etwas wie XING in Deutschland entwickelt. Und ... und ... hmmm.

Mit der Forderung nach europäischen Alternativen - wobei die Engländer dann schon wieder raus wären und ob Franzosen sich in deutschsprachigen Netzwerke verirren, darf auch bezweifelt werden - als Vision sollte man auf die zahlreichen Projekte sehen, die in der Vergangenheit gescheitert sind. Oder die existieren und kaum genutzt werden. Wie QWANT etwa, die französische Alternative zu Google, die es knapp ein Jahr gibt. Geplatzt dagegen: Vorherige Anstrengungen zu einer Google-Alternative namens Quaero, die schon im Jahr 2006. Paypal nutzt man, die in deutsche Alternative eher weniger, was allerdings auch mit der deutschen Bezahlkultur zu tun hat - wir vertrauen lieber dem Bargeld statt anderen Lösungen.  

Die Forderung nach europäischen Lösungen ist letzten Endes immer die Forderung nach einer technischen Lösung aus dem eigenen Land. Programmieren in der Grundschule wird mit der Hoffnung verbunden, dass der nächste Mark Zuckerberg, die nächsten Spotify-Gründer, die Erfinder des nächsten großen Internetdingens auf Deutschland - pardon - aus Europa stammen werden. Allerdings sollte klar sein: Der Vorsprung, den die europäischen Konzerne aufholen müssten um mit den amerikanischen Firmen gleichzuziehen - dieser Vorsprung ist vergleichbar mit der Zeit, die im Märchen verstreicht, wenn ein kleiner Vogel damit bemüht ist einen Berg aus Diamant abzutragen. Technische Grundlagen sind das Eine, Innovation und Risikobereitschaft sind das Andere. Und obwohl zahlreiche Fernsehsendungen suggerieren, auch wir Deutschen seien eine StartUp-freundliche Gesellschaft ist dem noch lange nicht so.

Selbst, wenn wir etwas wie Facebook zustande brächten, wenn die Technik stehen würde: Menschen sind bequem. Sie ziehen nicht einfach um. Merken konnte man das letztens an dem Hype um die Instagram-Alternative Vero. Ich kenne niemanden, der komplett seinen Instagram-Account gelöscht hätte und sich dann zu Vero verabschiedet hätte. Selbst, als Google+ hipp war, hat die Mehrheit der Leute, die auf Facebook ins Profil schrieben: "Yeah, endlich kann ich von hier weg" - sie haben im Endeffekt den einen Datenhandelsgiganten gegen den anderen getauscht, eine herrliche Ironie - letztendlich auch wieder kleinlaut zu Facebook zurückgefunden.

Weil man mit Facebook, Twitter und Instagram Geschichten verbindet. Weil dort diejenigen sind, mit denen man kommunizieren möchte und der komplette Freundeskreis wird sich nicht zu einer anderen Plattform bewegen, nur weil man selbst dorthin umzieht. Es sei denn, es sind wirklich sehr, sehr gute Freunde. Doch hat man bei Facebook seine Photos hinterlegt, hat seine Links abgespeichert, hat seine Gruppen, in denen man aktiv ist. Was man sich in einer längeren Zeitspanne aufgebaut hat - diese nochmal in eine Netzwerk zu investieren, von dem ich noch nicht mal sicher weiß, ob es das nächste Jahr überdauert? Die Entscheidung ist klar, oder? Europäische Alternativen sind natürlich machbar und möglich. Allerdings müsste dann die EU innovativ, erfinderisch und vorausschauend sein, damit sie halt das nächste große Ding für dieses Internet erfindet und nicht die Amerikaner. Die Silicon-Valley-Kultur gibts bei uns nicht in dem Maße.

Zu befürchten ist aber noch was Anderes: Schließlich gibt's einen Staat, der komplett eigene Lösungen für sich erfunden hat. Einen Staat, der sich komplett ein eigenes Internet erbaut hat und der seinen Bürgern beim Surfen über die Schulter guckt: China. Dass wir uns in diese Richtung entwickeln ist unwahrscheinlich? Was, wenn England auf einmal beschließt, den Brexit auch in Richtung Internet zu entwicklen? Was, wenn Österreich auf die Idee kommt, auch Internetgrenzen seien Grenzen, die man schließen könne? Die Technik dafür gibt es schon lange. Die Horrorvision eines Internets, in dem wir nicht mehr frei miteinander kommunizieren können oder unter den strengen Augen des Staates oder einer Künstlichen Intelligenz ruft uns Marcus John Henry Brown ins Bewusstsein. 

Unbestreitbar: Facebook, Apple, Google und Co. sind US-Monopolisten. Sie handeln mit Daten. Das wissen wir. (Auch wenn wir kaum die AGBs durchlesen, weil die langweilig und ellenlang sind.) Wenn uns das als Kunden nicht mehr passt, dann steht es uns frei diese Plattformen erst gar nicht zu wählen oder uns komplett von ihr zu verabschieden. Dann auch von WhatsApp. Instagram. Von Twitter. Dann sollten wir auch Zalando meiden, Dinge nicht mehr bei Amazon kaufen, die Webseite der lokalen Zeitung aus den Favoriten ... ja, was denn? Dachten Sie, lieber Leser, die Zeitungsverlage sammeln keine Daten, damit sie Werbung einblenden können? Genau das, was Facebook für sich perfektioniert hat als Modell? Nur, weil das deutsche Verlage sind, sind die nun nicht unbedingt perfekt im Datenschutz.

Europäische Lösungen mögen als optimale Lösung erscheinen, sie sind es aber nicht. Weil diese Lösungen letzten Endes genau wie jede andere Technik vom Menschen hinter dem Bildschirm erstellt, bedient, verwaltet und genutzt wird. Menschen sind nicht perfekt. Sicherlich kann man dafür sorgen, dass wenn Fehler passieren, diese behoben werden. Sicherlich kann man Facebook auch vorwerfen, dass die Einstellungen für die Sicherheit des eigenen Accounts nicht gerade übersichtlich sind - aber sie waren in der Vergangenheit noch unübersichtlicher. Da hat sich schon was getan. Bestimmt ist die Frage, inwieweit Facebook von der Nicht-Löschung der Daten gewußt hat eine, die man stellen muss. Und sollte. Aber diese Frage hinsichtlich dessen, was mit den eigenen Daten passiert muss man ebenso an die Staat stellen. An die Zeitungsverleger. An all diejenigen, die mit unseren Daten hantieren - ob wir es wollen oder auch nicht. Und erst dann sollten wir die schnell dahingeworfenen Pauschal-Lösungen kritisch hinterfragen, die uns Politik und Lobbyisten andrehen möchten.

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