Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Nailed it oder Die Kochshow des Versagens

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-Kolumne»Nailed it« oder ...
... Die Kochshow des Versagens

Kochsendungen erfreuen sich seit den 50ger Jahren der Beliebheitheit des Fernsehpublikums. Zwar ist deren große Renaissance schon etwas vorbei, aber immer noch wird auf allen Kanälen gebrutzelt und gebraten. Meistens geht es dann darum perfekte Ergebnisse innerhalb kurzer Zeit zu erzeugen - das sieht bei Netflix Nailed It oder Das Gelbe vom Ei, wie die Sendung auf deutsch heißt, allerdings etwas anders aus.

Und wie man mit dem Versagen umgeht und die Kandidaten*innen nicht lächerlich macht, davon könnte sich so manche Castingshow noch eine Scheibe abschneiden.

In bisher zwei Staffeln - eine dritte ist angekündigt - stellen sich drei Kandidaten*innen der Herausforderung, Rezepte von Profiköchen nachzumachen. Dazu gehören unter anderem ein Einhorn-Kuchen mit unterschiedlich gefärbter Füllung, Cake-Pops von Märchenfiguren, ausnehmend elegant geschnitzte Melonenfiguren - etwa ein graziler Schwan - oder ein Donald-Trump-Kuchen. Richtig Gelsen: Ein Donald-Trump-Kuchen mit Haaren aus Ramen und viel Schokolade auf einem Styroporkopf. Einfach sind die Rezepte nun wahrlich nicht. Natürlich hat jede Sendung, wie man vielleicht schon erkennen konnte, ein Thema und es gibt zwei Runden: Einmal Bakers Choice, wo der Gewinner einen kleinen Sachpreis erhält - wobei ein Standmixer nun nicht so klein ist - und bei Nailed It or Failed It geht es um 10.000 Dollar.

Man könnte nun annehmen, dass die Kandidaten*innen exzellent erfahrene Köche*innen sind, die das alles innerhalb der arg bemessenen Zeit mit einem Klacks erledigen könnten. Weit gefehlt: Die Kandidaten*innen sind Menschen, die gerne kochen, aber bei weitem keine Profis. Das Erstellen von Buttercreme etwa macht eine Kandidatin zum ersten Mal in der Sendung. Alle Kandidaten*innen sind ganz normale Menschen - und stellen sich bewußt der Herausforderung innerhalb der vorgegebenen Zeit ein Meisterwerk zu erschaffen. Dass die Ergebnisse in keiner Folge so aussehen wie die Vorlage, das ist mit der Reiz der Sendung.

Dass es innerhalb der kurzen Zeit meistens nicht möglich ist, das Vorbild zu treffen - das wissen auch die Moderatorin Nicole Byer und Jacques Torres, zu denen sich pro Folge immer noch ein Gast für die Jury einfindet. Sowohl Moderatorinnen und Jurygäste also auch die Teilnehmer wissen, dass die Kochergebnisse nicht wirklich perfekt sein werden. Das führt jetzt anders als bei Dieter Bohlens DSDS etwa nicht dazu, dass die Kandidaten*innen nach dem Ende des Kochens vorgeführt werden - auch wenn sich bisweilen die Jury ein herzhaftes Lachen nicht verkneifen kann. Aber es ist ein Lachen mit den Kandidaten*innen und nicht über sie. Das stellt Nicole Byer auch immer klar, wenn sie sich für ihren Lachanfall entschuldigt. Wobei der Zuschauer, die Zuschauerin aber teilweise ebenfalls in das Gelächter mit einstimmt, weil die Ergebnisse manchmal recht weit weg von der Vorlage sind.

Allerdings ist dieses Lachen durchaus auch eines über sich selbst. Denn wer hat nicht zu Hause schon mal vergessen, die Springform einzufetten, so dass der Kuchen sich nur mit Mühe daraus entfernen ließ? Wem ist es nicht schon mal passiert, dass man zu viel Teig für die Cupcakes eingegossen hat? Dass der Versuch, Schokolade in der Mikrowelle zu schmelzen, danebenging? Und selbst Mikrowellenpopcorn hat so seine Tücken. Wenn wir als Zuschauer*innen über die Fehler der Kandidaten*innen schmunzeln, dann finden wir uns selbst in ihnen wieder. Und wer hat nicht schon mal versucht, ein ehrgeiziges Rezept, das auf dem Photo so gut aussieht nachzukochen und es ist alles andere als ansehnlich geworden? Gerade in der heutigen Zeit mit Instagram und Foodporn ist die Verlockung es den Großen nachzutun nur einen Klick weit entfernt. Auch wenn man sich am Ende eingestehen musss, dass man vielleicht doch besser beim guten alten Käsekuchen bleibt.

Nailed It nimmt sich allerdings auch selbst nicht unbedingt allzu ernst. Da werden Preise mal von der falschen Seite reingefahren, Nicole Byer liest offensichtlich vom Teleprompter ab, was der neue Mixer so alles kann - und man sieht den Telemprompter ebenso wie ab und an die anderen Kameras - und die Trophäe für den Sieger, die Siegerin wird bis zum Ende der zweiten Staffel nie pünktlich hereingebracht. Dank Nicole Byers überschäumender Freundlichkeit und Fröhlichkeit, dem französischen Charme von Jacques Torres und dem Jury-Gast sieht man über diese spontanen - oder doch geplanten? - Fehler hinweg.

Vor allem aber - und deswegen ist Nailed It auch so sympathisch - sagt die Sendung: Es ist gar nicht schlimm, wenn man versagt. Mag das Ergebnis des Kochens auch noch so seltsam aussehen, die Jury findet immer auch lobende Worte für den Kandidaten*innen und erklärt, was man beim nächsten Mal besser machen könnte. Ja, sicher, diesmal hat man halt das perfekte Märchenschloss in Kuchenform nicht hinbekommen, aber das macht nichts, es gibt immer ein nächste Mal. Es gibt immer den nächsten Kuchen, die nächste Herauforderung, die nächsten Cupcake-Formen, die es zu füllen gilt.

Und wenn man dabei Spaß und Freude hat, dann ist das Ergebnis vielleicht auch ab und an gar nicht so wichtig. Gut, wenn man gerade 10.000 Dollar gewinnen möchte eventuell nicht, aber selbst dann: Man hat sein Bestes versucht und die Jury akzeptiert das. Mit einem Lächeln und einem Zwinkern. Es gibt also Shows, in denen Kandidaten doch noch respektvoll behandelt werden? Auf diese Erkenntnis einen Cakepop. Oder einen Käsekuchen. Oder vielleicht doch den Hochzeitskuchen mit Fondant und Marzipan? Nomnomnom.

Kommentare  

#1 Heizer 2018-08-11 00:32
Sympathischer Artikel über eine wohl sympathische (mir bislang unbekannte) Show.
Und ein sympathischer Ansatz: „Es geht auch anders....“
#2 Des Romero 2018-08-11 09:53
Da Christian Spließ mit der Gender-Star-Verwendung bereits in die Kritik geriet, offenbar aber nicht auf die PC verzichten möchte, schlage ich die Verwendung neutraler Begriffe vor.

Aus Kandidaten*innen wird Kandidierende
Leser*innen = Lesende
Köche*innen = Kochende
Geselle*in = Handwerkende
Politiker*in = Gemeinwesenregelnde
(wertungsorientiert: Täuschungsbeauftragte, Volkswohltuende)
usw.

Damit würde man gleichzeitig auch geschickt die Äußerung von Hadmut Danisch umgehen, der da meinte: "Ich habe ja den Verdacht, dass das Gender-* die Queer-Rosette als symbolisches Gegenstück zum Binnen-I-Phallus ist."

Ich setze eine zügige Umsetzung meines Vorschlags voraus, da letztlich durch beides – Gender-Star und Gender-Gap (Schreibung mit Unterstrich) – der männliche Aspekt in der optischen Wahrnehmung betont wird und bestenfalls in Form einer Parodie auf die Kritik von Feministen*innen (Frauengleichstellungsbefürwortende) reagiert.
Außerdem wird die Lesbarkeit des Textes angenehm erhöht.
#3 Toni 2018-08-11 13:46
Klasse Artikel, und es gibt Kuchen. :-)
Über sich selber lachen können (oder wenigstens schmunzeln) ist schon eine Kunst und sollte ab dem 3. Schuljahr Pflichtfach werden. Bringt einen durch so manch cruxe Lebenslage.

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Wir verwenden Cookies, um Inhalte zu personalisieren und die Zugriffe auf unsere Webseite zu analysieren. Indem Sie "Akzeptieren" anklicken ohne Ihre Einstellungen zu verändern, geben Sie uns Ihre Einwilligung, Cookies zu verwenden.