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Naivität und die Unsterblichkeit - Die Schwierigkeit der Beschreibung eines Dreitausendjährigen

1Naivität und die Unsterblichkeit
Die Schwierigkeit der Beschreibung eines Dreitausendjährigen

Schriftsteller der Phantastik beschreiben Phantastisches und zwar auf phantastischen Wegen, also mit phantastischen Methoden.

Es kann von heute extrapoliert sein oder ganz und gar erfunden, also völlig von der Wirklichkeit abgehoben.

Ein Problem tritt aber ganz gewiss beim Perry sehr auf: Wie kann ein nur Vierzigjähriger, also der Autor, der natürlich seine eigene Lebenserfahrung mit in die Schreibe einbringt, einen Dreitausendjährigen darstellen. Im Grunde genommen geht das natürlich gar nicht (Tifflor als millionenjähriger Atope wäre noch unbeschreibbarer). Also muss der Leser wieder einmal mit „cum grano salis“ an das Heft heran und einfach hinnehmen, dass der Perry eben so naiv ist, wie er handelt bzw. beschrieben wird. Die frühe Hoppla-jetzt-komm-ich Methode des „Hinfliegen und Nachsehen“ existiert zwar immer noch. Das vordergründige Haudraufgehabe des ehemaligen Großadministrators entfällt aber schon lange (zumindest meistens). Mitunter aber stürzt er sich noch immer wie ein Dreizehnjähriger in haarsträubende Abenteuer. Natürlich muss der Serienheld diese überstehen, ob verletzt oder gefoltert, egal. Früher hätte es einfach einen Splitter gegeben, der eine kurze Blutwunde aufreißt: fertig. Der Zelli wird‘s schon heilen. Heute muss mehr sein, intensiver, körperlicher., die Autoren sind sadistischer mit dem Perry als Person geworden, als wäre da eine Art Hassliebe zwischen dem Protagonisten und der Autorenwelt.Früher genügte auch eine einzige Verletzung mitunter, um die Gefährlichkeit von Einsätzen zu beschreiben. Man musste nicht gleich tot umfallen, um in eine ÜBSEF-Sammelfeld einzugehen (Tiuphoren) oder wie Bull auf Arkon Tausend Tode sterben.
Aber wie beschreibt der Autor nun einen Dreitausendjährigen?

In der Ich-Form dürfte das gar nicht gehen; denn hier müsste der Leser schon sehr viel Abstriche machen. Das kann er natürlich, denn der zweite Mann im All, Atlan, der ehemals zehntausendjährige, nun weitaus doppelt so alte Mann, ist natürlich auch klar beschrieben, einschließlich seines stets „Narr“ rufenden Logiksektors oder Extrasinns der Ark Summia.Wie nimmt der Leser das dem Kneifel etwa in den Zeitabenteuern ab, die Atlan ja so oft naiv erlebt. Oder wie oft fanden wir Atlans Ich-Berichte bei Scheer.
Erstaunlicherweise fand ich die beste Beschreibung eins sehr alten Wesens gegenüber dem Normalmenschen ausgerechnet bei Gucky, der neulich in einigen Heften sehr gut charakterisiert wurde. Bei dieser Darstellung kam seine Altersweisheit, die er ja normalerweise als Pausen-und Possenclown nicht zeigt, ganz gut herüber.

Von einem dreitausendjährigen Perry aber würde man mehr erwarten, als dass er sich immer wieder Hals über Kopf in neue, für ihn persönlich gefährliche Abenteuer stürzt. Die Logik gebietet also eigentlich etwas ganz anderes im Verhalten. Aber der Serienzwang der Handlung muss den Perry natürlich vorne weg stürmen lassen, immer zuerst und der Erste in der Aktion. Dennoch würde man gerne statt reiner Action gern etwas mehr Planung hören, wie wir früher bei HGE etwa gerne gelesen haben, wenn die Mathelogische Positronik (durch Hemdknöpfe aus seltenem Metall verstärkt) gar nicht so hemdsärmelig die Prognosen des nächsten Einsatzes voraussagte. Das wirkte zumindest in den Grundzügen überzeugend: erst denken, dann handeln, dann wieder denken etc.Zur Not wurde sogar bei NATHAN zurückgefragt, dessen inpotronische Fähigkeiten die errechnete Einsatzprognose meist bestätigten oder zumindest nur marginal einschränkten. Wie also handelt ein Unsterblicher?

Im Hau-Ruck-Modus? „Hau‘ drauf. Irgend etwas wird schon dabei herauskommen?“

Oder: „Berechnen wir einmal die Einsatzchancen. Ich habe da einen Erfahrungsfundus von dreitausend Jahren, den wir ordnen, klassifizieren und vergleichen können?“ Findet irgendwie nicht statt. Die Positronik von heute dient nur noch der Manövrierkunst des SERT-Astrogators und die besonderen Rechenwesen wie ANANSI können ja  außer einem „Wie geht es Dir?“ nichts beisteuern. Da war ja die Red Queen bei Resident Evil interessanter.

Wenn als Antwort auf eine Eingabe nur „ … das wüßte ich aber … “ herauskommt (SENECA), dann erübrigen sich eben sämtliche Einsatzplanungen aus dreitausend Jahren Kommandoerfahrung und es wird fleißig drauf los improvisiert. Was natürlich an den Autoren liegt (nicht daran, dass sie selbst keine Kommandoerfahrung haben). Sondern daran, dass ein uralter Supermensch, der der Perry ja trotz aller Alltagsbeschreibung ist, eben nicht mit der gewöhnlichen Lebenserfahrung eines Normalmenschen  beschrieben werden kann. Geht also der Perry in der ersten Person eigentlich gar nicht (genau genommen auch Atlan nicht, aber von dem haben wir‘s ja hingenommen ...seufzend), so kann der phantastische Autor zumindest versuchen, die Phantastik in der dritten Person ein wenig ausleben zu lassen. Beschreiben sie doch einmal die Denkweise, die Strategien, die Taktiken und Planungen, die Voraussagen eines Langlebigen halbwegs adäquat … ohne dass diese Zurschaustellung der Lebenserfahrung der Action der Handlung Abbruch tut.Verfremdet und phantastisch. Leicht ist das sicher nicht, versuchen kann man‘s. Schließlich handelt es sich hier um SF-Autoren. Also los …

© 2018 by H. Döring

Kommentare  

#1 Postman 2018-07-31 10:31
Darum mag ich die dauerhafte Fixierung auf eine Person nicht.
Action mit einem 3000-Jährigen ist Quatsch, er sollte nur noch eine Art Berater sein.

WIll man zudem nach diesen Jahren auf dem Buckel überhaupt noch leben oder sucht man nicht den Freitod, wenn alles um einen herum sich verändert oder stirbt?

Auf die real aufkommenden ethischen Fragen (warum bekam nur er und einige andere einen Zellaktivator?) oder auch den schnell aufkommenden galaktischen Konflikten (welche Religion ist nun richtig oder wird primär gelebt?) wird gar nicht eingegangen, weil es eben doch eher eine Space Opera bleiben soll, die keine Stellung beziehen darf.

Was will man auch noch bringen, dass es neuartig und interessant bleibt und dabei glaubhaft ist?

Ab den Superintelligenzen hat man sich ähnlich wie bei James Bonds "Moonraker" in die Utopie und Unglaubwürdigkeit geschossen und es gab keinen logischen Weg zurück. Danach wurden nur noch kleine Kuchen gebacken, altes ggf. verleugnet oder Bekanntes neu gemischt.

Die NEO Serie könnte alternativ den primären PR ablösen oder man sollte den PR vielleicht wirklich durch Suizid dramatisch sterben lassen.
#2 Heiko Langhans 2018-07-31 10:45
Poul Andersons "Zeitfahrer" (The Boat of a Million Years) nimmt sich dieser Thematik an. Empfehlenswert.
#3 AARN MUNRO 2018-08-01 13:20
Wobei die Grundzüge der Unsterblichen und das Raumschiff und dass in der Zukunft alle unsterblich sind, aus Andersons Buch eigentlich von Heinleins Lazarus Long stammen, falls dieses Buch älter ist. Ansonsten hat REH die Grundidee geklaut.
#4 Heiko Langhans 2018-08-01 16:33
Der Heinlein-Roman ist älter (1973 gegen 1990); den sehe ich aber nicht als eine ernsthafte psychologische Auseinandersetzung mit dem Unsterblichkeitsthema an. Heinlein hatte viele Tugenden, aber vielschichtige Charakterzeichnung spielte bei ihm stets eine Nebenrolle.
#5 Advok 2018-08-01 21:15
Ehrlich gesagt bleibe ich beim 1. Satz immer hängen: Wie bitte benutzt ein Autor phantastische Wege? Phantastische Methoden?
Voodoo? Magie?

Insgesamt leider wieder eine sehr oberflächliche Betrachtungsweise: Jahrtausendalte Menschen alleine auf Erfahrung zu reduzieren ist doch ein wenig zu einfach.

Interessanter wären weitere Entwicklungsschritte: Gibt es zwischen Pubertät und Midlife-Crisis noch einen Schritt? Oder vorm Altersstarsinn?

Was macht ein 500-jähriger, um neue Erfahrungen zu sammeln? Welche sexuelle Vorlieben entwickelt er (sie), wenn er (sie) bereits alles kennt?

Du schreibst zwar, von einem dreitausend Jahre alten Perry würde man mehr erwarten - und bereits das ist engstirnig: Vielleicht geht er gerade deshalb so enthusiastisch vor? Der Tod kann nicht mehr schrecken. Und wenn Begleiter sterben - seis drum. Sie sterben sowieso vor ihm … was solls?
Zynisch? Ja. Aber ist Zynismus nicht der gebohrene Begleiter eines nahezu Unsterblichen?

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