Wort-Findungen: "Der Fluch des Dorian Grave" - ein Roman entsteht
Wort-Findungen:
"Der Fluch des Dorian Grave" - ein Roman entsteht
"Der Fluch des Dorian Grave" - ein Roman entsteht
Nun stellt man mir heute immer wieder ähnliche Fragen wie weiland King: Woher kommen die Ideen? Wie entsteht der Stil eines Romans? Wie verwandelt sich die Lüneburger Heide in ein Lovecraftsches New England?
Oft sind es einfach nur einzelne Worte oder Bilder, aus denen sich in meinem Kopf spontan der Gedanke formt: Hey, das ist eine Geschichte! Altamura zum Beispiel war solch ein Wort. Ich wusste jahrelang, dass das etwas Großes, etwas Bedeutendes ist, ohne dass mir schon klar war, was für eine Geschichte das denn nun sein würde. Am Ende kam ein mittelalterlicher Mystery-Thriller dabei heraus.
Etwas anderes verhält es sich mit den Abenteuern Leonie Hartheims und ihrer Freunde, den Fans des Gothic-Rockers Dorian Grave. Da stand am Anfang nicht etwa ein einzelner großer Begriff, sondern eine Reminiszenz. Leonies Heideheimatort Waldlingen ist eine prototypische Kleinstadt, so wie sie der Autor erlebt hat, als er in Leonies Alter war. Das ist der Kosmos, das Koordinatensystem, in dem Leonie und ihre Freunde leben. Er ist 2008 im Geheimnis des Dorian Grave vorgestellt worden, als die Freunde nach Dorian Graves Unfalltod den kryptischen Botschaften seines Soloalbums folgten, das sie auf gefahrvollen Heidepfaden an die legendäre Quelle von Danlo führte.
Als ich mich im letzten Winter daran setzte, eine Fortsetzung zu schreiben, war also schon sehr viel vorbereitet: Die Bühne stand bereits. Waldlingen musste irgendwo am Rande der Hohen Heide liegen (des südöstlichsten Bergstocks dieser Endmoränenlandschaft, die Gegend also, die heute am ehesten als Lüßplateau zu bezeichnen ist) und nach Ausweis des ersten Grave-Bandes ein Stück östlich der heutigen B4.
Nun aber wollte ich mehr: Ich wollte deutlich machen, dass die Geschichten aus Waldlingen nicht etwa im luftleeren Raum stehen, sondern dass eine Verbindung existiert zu meinen Mittelalter-Romanen. Der erste von ihnen, Der Adler der Frühe trägt sich hier im Ort, im mittelalterlichen Bodenteich zu, und am Ende gründet man nicht weit von hier das Kloster Hartheim Nachtigall, ick hör dir trappsen. Im Grunde ist alles eine große Geschichte und war es von Anfang an. Doch wie genau sollte diese Verbindung aussehen? In meinem Kopf waren unbestimmte Ideen, mehr aber auch nicht.
Aber immerhin wusste ich wo ich zu suchen hatte nach Worten, Bildern, Inspirationen: leibhaftig, durch ausgedehnte Wanderungen an den Bächen, durch das Hügelland und die Wälder am Rand der Heide. Wanderungen voller unerwarteter (Ein)Sicht(ung)en eines Wolfs etwa an einem klirrend kalten Februartag nahe der Ilmenau-Quelle. Vor allem aber die Suche nach Worten, nach Namen. Die Suche auf alten Landkarten, aber auch auf solchen neueren Datums. Denn solche Karten wollen ganz bewusst ein Bild der Welt sein, die oben angesprochene Schnittmenge von Welt-Sichten darstellen. Sie bilden die Wirklichkeit ab, auf die sich unsere Köpfe verständigen können, oder was alte Karten anbetrifft worauf sich vergangene Generationen als Wirklichkeit verständigt haben. Schon deshalb spielen sie eine besondere Rolle.
Nun stieß ich im Untersuchungsraum auf zwei Flurnamen moderne, aktuell noch gebräuchliche Flurnamen die mich stutzen ließen: Bannhorst und Saison. Mit beiden hat es eine besondere Bewandnis: Bannhorst, eine sehr stark profilierte Waldgegend unweit des Dorfes Nienwohlde, ist nur wenige hundert Meter von Bornhorst entfernt. Der Name Bornhorst wiederum haftete meiner Einschätzung nach ursprünglich an der Quelle des Bornbachs, einer der wichtigsten Inspirationen für die im ersten Grave-Band so bedeutsame Quelle von Danlo (und nebenbei eine der Locations, an denen das Video zum Dorian Grave-Titel On a long plain entstand). Der Born wäre damit geklärt aber woher stammte der Bann? Das Wald- und Hügelgebiet von Danlo, die Hohe Heide, das Lüßplateau wird offenbar im Mittelalter auch mit dem Begriff Magetheide gefasst (MGH, Diplomata Heinrichs IV., Nr. 194 Urkunde vom 8. Mai 1060), der große Holz- und Jagdbann in der südlichen Lüneburger Heide. Dieser Horst, diese exponierte, wohl schon damals mit Bäumen bewachsene Stelle gehörte bereits zu diesem Bann.
Oder aber es könnte sich ganz anders verhalten haben. Mit diesen Worten pflegte Rainer Hartheim seine Geschichten einzuleiten, die ihm spontan in den Sinn kamen, wenn er mit seiner kleinen Tochter Leonie Spaziergänge durch den Wald unternahm. So erfahren wir im Fluch des Dorian Grave. Und auf einmal wusste ich, wie es sich in der anderen Wirklichkeit, der Dorian Grave-Wirklichkeit verhalten musste. Bannhorst musste ein besonderer Ort sein, mindestens ein Stonehenge oder einer dieser Steinkreise, durch die bei Diana Gabaldon die Leute ständig zwischen den Zeiten hin und her flitzen. Also entstand das Bannhorst in meinem Kopf als eine Formation von Steinen, ohne dass ich den Ort bis dahin aufgesucht hatte, obwohl er nur eine Viertelstunde mit dem Auto entfernt liegt auf der Route, die ich bevorzuge, sind es nur acht oder neun Minuten; kommt immer drauf an, wie lieb man sein Auto hat. Vielleicht wollte ich auch einfach zuerst das Bannhorst in meinem Kopf schaffen, bevor ich mir das allgemein reale Bannhorst ansah.
Dann aber kam der Tag meines Besuchs in diesem realen Bannhorst, und ich fand Steine. Viele Steine. SEHR viele Steine. Auf dem Urmesstischblatt von 1903 waren mir bereits Symbole aufgefallen, die ich als Hügelgräber gedeutet hatte, in Wahrheit aber handelt es sich um eine Steinschütte!!! Dort lagern die Bauern der Umgebung bis heute die Steine ab, die beim Pflügen oder sonstwie zum Vorschein kommen. Die Steine wachsen aus dem Boden, pflegt man hierzulande zu sagen, und es gibt sie in allen denkbaren Größen, vom murmelgroßen Kiesel bis zum tonnenschweren Findling. Natürlich gibt es solche Steinhaufen überall hier in der Gegend, vielleicht ein oder zwei Meter hoch und mit der Grundfläche eines durchschnittlichen Gartenteichs. Die Steinschütte von Bannhorst ist anders. Sie ist größer, SEHR viel größer. Ich habe in meinem Leben nichts Vergleichbares gesehen. Und sie ist wirklich uralt so alt jedenfalls, dass sie eben schon auf dem Urmesstischblatt festgehalten wurde.
Auf diese Weise schoben sich die beiden Realitäten, das Bannhorst in meinem Kopf und das Bannhorst der Landkarten übereinander, und der Ort, an den uns der Fluch des Dorian Grave führt, gewann seine Form.
Mit Saison ist es eine etwas andere Sache. Ich hatte zunächst an ein Flurstück gedacht, das eben nur saisonal bewirtschaftet wurde, an die mittelalterliche Zwei- und Dreifelderwirtschaft. Doch als ich tiefer in die Materie eintauchte, alte Karten befragte, die Kurhannoversche Landesaufnahme aus dem Jahre 1777 (die erstaunlich exakt ist, Jahrzehnte vor Gauss), stieß ich auf ein weit größeres Gebiet als das moderne Flurstück Saison bezogen auf den Namen Seishorn. Ich starrte auf den Namen und auf einmal brüllte ich vor Lachen. Was war da passiert? Nun, bei der Neuaufnahme der Örtlichkeiten für die aktuelle topographische Karte, werden die Landvermesser den Kontakt zu den Eingeborenen gesucht haben (wie ich das ja auch mache auf meinen Wanderungen). Wie nennt man die Gegend hier?, wird man gefragt haben, und im wunderschönsten heimischen Platt eine knappe Antwort bekommen haben, die etwa so geklungen haben dürfte: Dat is Sejs-Hon. Okay, denkt der Landvermesser (Französisch als zweite Fremdsprache): Saison.
Der Zugang in ältere Schichten der Sprache und der Wirklichkeit ist zuweilen voller Wunder. Ein Zugang Warum haftet der Name heute nur noch an einem winzigen Flurstück, anstatt das weite, freie Gebiet entlang des Verdingungsweges nach Bodenteich (die acht- bis neun-Minuten-Route) zu beschreiben? Diese Stelle ist ein Zugang in den größeren Bereich, der einst diesen Namen trug.
Ein Zugang in die ältere, dem Blick heute verborgene Welt, in der Saison nach Seishorn war und sich hinter dem Bann, der über dem Ort Bannhorst liegt, ein Fluch und ein Geheimnis verbergen konnte, auf das der Unbedachte möglicherweise heute noch stoßen kann.
Der Rest ist (eine) Geschichte.
Oft sind es einfach nur einzelne Worte oder Bilder, aus denen sich in meinem Kopf spontan der Gedanke formt: Hey, das ist eine Geschichte! Altamura zum Beispiel war solch ein Wort. Ich wusste jahrelang, dass das etwas Großes, etwas Bedeutendes ist, ohne dass mir schon klar war, was für eine Geschichte das denn nun sein würde. Am Ende kam ein mittelalterlicher Mystery-Thriller dabei heraus.
Etwas anderes verhält es sich mit den Abenteuern Leonie Hartheims und ihrer Freunde, den Fans des Gothic-Rockers Dorian Grave. Da stand am Anfang nicht etwa ein einzelner großer Begriff, sondern eine Reminiszenz. Leonies Heideheimatort Waldlingen ist eine prototypische Kleinstadt, so wie sie der Autor erlebt hat, als er in Leonies Alter war. Das ist der Kosmos, das Koordinatensystem, in dem Leonie und ihre Freunde leben. Er ist 2008 im Geheimnis des Dorian Grave vorgestellt worden, als die Freunde nach Dorian Graves Unfalltod den kryptischen Botschaften seines Soloalbums folgten, das sie auf gefahrvollen Heidepfaden an die legendäre Quelle von Danlo führte.
Als ich mich im letzten Winter daran setzte, eine Fortsetzung zu schreiben, war also schon sehr viel vorbereitet: Die Bühne stand bereits. Waldlingen musste irgendwo am Rande der Hohen Heide liegen (des südöstlichsten Bergstocks dieser Endmoränenlandschaft, die Gegend also, die heute am ehesten als Lüßplateau zu bezeichnen ist) und nach Ausweis des ersten Grave-Bandes ein Stück östlich der heutigen B4.
Nun aber wollte ich mehr: Ich wollte deutlich machen, dass die Geschichten aus Waldlingen nicht etwa im luftleeren Raum stehen, sondern dass eine Verbindung existiert zu meinen Mittelalter-Romanen. Der erste von ihnen, Der Adler der Frühe trägt sich hier im Ort, im mittelalterlichen Bodenteich zu, und am Ende gründet man nicht weit von hier das Kloster Hartheim Nachtigall, ick hör dir trappsen. Im Grunde ist alles eine große Geschichte und war es von Anfang an. Doch wie genau sollte diese Verbindung aussehen? In meinem Kopf waren unbestimmte Ideen, mehr aber auch nicht.
Aber immerhin wusste ich wo ich zu suchen hatte nach Worten, Bildern, Inspirationen: leibhaftig, durch ausgedehnte Wanderungen an den Bächen, durch das Hügelland und die Wälder am Rand der Heide. Wanderungen voller unerwarteter (Ein)Sicht(ung)en eines Wolfs etwa an einem klirrend kalten Februartag nahe der Ilmenau-Quelle. Vor allem aber die Suche nach Worten, nach Namen. Die Suche auf alten Landkarten, aber auch auf solchen neueren Datums. Denn solche Karten wollen ganz bewusst ein Bild der Welt sein, die oben angesprochene Schnittmenge von Welt-Sichten darstellen. Sie bilden die Wirklichkeit ab, auf die sich unsere Köpfe verständigen können, oder was alte Karten anbetrifft worauf sich vergangene Generationen als Wirklichkeit verständigt haben. Schon deshalb spielen sie eine besondere Rolle.
Nun stieß ich im Untersuchungsraum auf zwei Flurnamen moderne, aktuell noch gebräuchliche Flurnamen die mich stutzen ließen: Bannhorst und Saison. Mit beiden hat es eine besondere Bewandnis: Bannhorst, eine sehr stark profilierte Waldgegend unweit des Dorfes Nienwohlde, ist nur wenige hundert Meter von Bornhorst entfernt. Der Name Bornhorst wiederum haftete meiner Einschätzung nach ursprünglich an der Quelle des Bornbachs, einer der wichtigsten Inspirationen für die im ersten Grave-Band so bedeutsame Quelle von Danlo (und nebenbei eine der Locations, an denen das Video zum Dorian Grave-Titel On a long plain entstand). Der Born wäre damit geklärt aber woher stammte der Bann? Das Wald- und Hügelgebiet von Danlo, die Hohe Heide, das Lüßplateau wird offenbar im Mittelalter auch mit dem Begriff Magetheide gefasst (MGH, Diplomata Heinrichs IV., Nr. 194 Urkunde vom 8. Mai 1060), der große Holz- und Jagdbann in der südlichen Lüneburger Heide. Dieser Horst, diese exponierte, wohl schon damals mit Bäumen bewachsene Stelle gehörte bereits zu diesem Bann.
Oder aber es könnte sich ganz anders verhalten haben. Mit diesen Worten pflegte Rainer Hartheim seine Geschichten einzuleiten, die ihm spontan in den Sinn kamen, wenn er mit seiner kleinen Tochter Leonie Spaziergänge durch den Wald unternahm. So erfahren wir im Fluch des Dorian Grave. Und auf einmal wusste ich, wie es sich in der anderen Wirklichkeit, der Dorian Grave-Wirklichkeit verhalten musste. Bannhorst musste ein besonderer Ort sein, mindestens ein Stonehenge oder einer dieser Steinkreise, durch die bei Diana Gabaldon die Leute ständig zwischen den Zeiten hin und her flitzen. Also entstand das Bannhorst in meinem Kopf als eine Formation von Steinen, ohne dass ich den Ort bis dahin aufgesucht hatte, obwohl er nur eine Viertelstunde mit dem Auto entfernt liegt auf der Route, die ich bevorzuge, sind es nur acht oder neun Minuten; kommt immer drauf an, wie lieb man sein Auto hat. Vielleicht wollte ich auch einfach zuerst das Bannhorst in meinem Kopf schaffen, bevor ich mir das allgemein reale Bannhorst ansah.
Dann aber kam der Tag meines Besuchs in diesem realen Bannhorst, und ich fand Steine. Viele Steine. SEHR viele Steine. Auf dem Urmesstischblatt von 1903 waren mir bereits Symbole aufgefallen, die ich als Hügelgräber gedeutet hatte, in Wahrheit aber handelt es sich um eine Steinschütte!!! Dort lagern die Bauern der Umgebung bis heute die Steine ab, die beim Pflügen oder sonstwie zum Vorschein kommen. Die Steine wachsen aus dem Boden, pflegt man hierzulande zu sagen, und es gibt sie in allen denkbaren Größen, vom murmelgroßen Kiesel bis zum tonnenschweren Findling. Natürlich gibt es solche Steinhaufen überall hier in der Gegend, vielleicht ein oder zwei Meter hoch und mit der Grundfläche eines durchschnittlichen Gartenteichs. Die Steinschütte von Bannhorst ist anders. Sie ist größer, SEHR viel größer. Ich habe in meinem Leben nichts Vergleichbares gesehen. Und sie ist wirklich uralt so alt jedenfalls, dass sie eben schon auf dem Urmesstischblatt festgehalten wurde.
Auf diese Weise schoben sich die beiden Realitäten, das Bannhorst in meinem Kopf und das Bannhorst der Landkarten übereinander, und der Ort, an den uns der Fluch des Dorian Grave führt, gewann seine Form.
Mit Saison ist es eine etwas andere Sache. Ich hatte zunächst an ein Flurstück gedacht, das eben nur saisonal bewirtschaftet wurde, an die mittelalterliche Zwei- und Dreifelderwirtschaft. Doch als ich tiefer in die Materie eintauchte, alte Karten befragte, die Kurhannoversche Landesaufnahme aus dem Jahre 1777 (die erstaunlich exakt ist, Jahrzehnte vor Gauss), stieß ich auf ein weit größeres Gebiet als das moderne Flurstück Saison bezogen auf den Namen Seishorn. Ich starrte auf den Namen und auf einmal brüllte ich vor Lachen. Was war da passiert? Nun, bei der Neuaufnahme der Örtlichkeiten für die aktuelle topographische Karte, werden die Landvermesser den Kontakt zu den Eingeborenen gesucht haben (wie ich das ja auch mache auf meinen Wanderungen). Wie nennt man die Gegend hier?, wird man gefragt haben, und im wunderschönsten heimischen Platt eine knappe Antwort bekommen haben, die etwa so geklungen haben dürfte: Dat is Sejs-Hon. Okay, denkt der Landvermesser (Französisch als zweite Fremdsprache): Saison.
Der Zugang in ältere Schichten der Sprache und der Wirklichkeit ist zuweilen voller Wunder. Ein Zugang Warum haftet der Name heute nur noch an einem winzigen Flurstück, anstatt das weite, freie Gebiet entlang des Verdingungsweges nach Bodenteich (die acht- bis neun-Minuten-Route) zu beschreiben? Diese Stelle ist ein Zugang in den größeren Bereich, der einst diesen Namen trug.
Ein Zugang in die ältere, dem Blick heute verborgene Welt, in der Saison nach Seishorn war und sich hinter dem Bann, der über dem Ort Bannhorst liegt, ein Fluch und ein Geheimnis verbergen konnte, auf das der Unbedachte möglicherweise heute noch stoßen kann.
Der Rest ist (eine) Geschichte.