Lichtspiele - Die "Vorher"-Version
Licht-Spiele
Die "Vorher"-Version
Die "Vorher"-Version
Hierbei handelt es sich um die ungeschminkte, unveränderte Fassung, exakt so, wie ich sie vor dem Seminar eingereicht habe.
Einiges kam gut an, anderes weniger. Doch jeder Kritikpunkt wurde konstruktiv besprochen und Änderungsmöglichkeiten gemeinsam erarbeitet. Quasi eine Operation am offenen Herzen, die der Patient namens Geschichte (hoffentlich) gut überlebt hat.
Du kannst mir nicht sagen, dass man für so eine kleine Tat eine so hohe Gefängnisstrafe verdient hat, Eduard. Die Frau rutschte empört ein Stück von ihrem Mann weg.
Der hielt es nicht einmal für nötig, den Blick von der eZeitung zu erheben. Es ist nicht die Größe einer Tat, sondern die Größe ihrer Wirkung, die die Strafe bestimmt. Das Einhacken in einen Firmencomputer mag für einen verantwortungslosen jungen Menschen die Arbeit von wenigen Minuten sein. Was dieser Kerl angerichtet hat, macht die Erde für die nächsten Jahre zum Gespött des halben Universums.
Aber ...
Wenn du mich jetzt weiterlesen lässt! Du tust ja gerade so, als handelte es sich um deinen eigenen Sohn.
Die Frau blickte traurig zu Boden. Er könnte unser Sohn sein. Und wenn er es wäre, wüssten wir wenigstens, wo er ist.
Ihr Mann ließ nun doch genervt die eZeitung sinken. Nein, das wüssten wir nicht. Dieser Kerl ist nämlich flüchtig. Und würde er mir zwischen die Finger geraten, ich wüsste, was ich mit ihm anstellen würde!
Als Eduard wieder auf seine eZeitung sah, entging ihm der junge Mann, der eben noch an eine Säule gelehnt hastig ein Brot gegessen und die kurze Unterhaltung verfolgt hatte. Mit einem Seitenblick auf die Frau ging er an dem Paar vorbei. Sie verstand ihn wenigstens. Warum zum Teufel wurde er gejagt wie der Staatsfeind Nummer 1? Er hatte sich vorgestern mehr aus Langeweile eingehackt. Ein wenig Protest gegen die Firma Redox und ihre Macht hatte ihn auch angetrieben, zugegeben. Aber an der Uni hatten sie doch alle über Redox gelästert. Jeder hatte da mal seine Meinung losgelassen. Phantasien gehabt, wie man gegen Redox protestieren konnte. Nur er hatte wirklich etwas getan. Aber dabei ging es doch nur um zwei Buchstaben. Zwei Buchstaben, nicht mehr! Sollten die nun sein Leben zerstören?
Sein Mega-Phone piepste. Eine Nachricht. Er schaute aufs Display. Susan. Tim, hast du das getan? Melde dich, ich stehe zu dir! Auf einmal hatte er Tränen in den Augen, verdammt. Nicht hier. Er durfte kein Aufsehen erregen, nicht in der Nähe der Abflug-Terminals. Der letzten Hürde, bevor er in Sicherheit war. Da drüben hatte eh schon jemand zweimal zu ihm herübergeschaut. Sollte er Susan anrufen? Nein, er durfte sie da nicht mit reinziehen. Nicht, so lange er noch auf der Erde war, dem Eigentum der Firma Redox. War er erst auf neutralem Boden, konnte er sie vielleicht nachkommen lassen.
Tim löschte die Nachricht und verstaute das Mega-Phone wieder in seiner Hosentasche. Es war besser so. Sie sollte ihr Leben nicht wie er leichtfertig aufs Spiel setzen. Er schluckte seine Gefühle für Susan herunter. Jetzt musste er sich konzentrieren, Ruhe bewahren. Wichtig war es, an den Typen bei den Abflug-Terminals vorbeizukommen. Und das war für jemanden wie Tim viel schwerer, als sich in einen Firmencomputer einzuhacken. Von Angesicht zu Angesicht tarnte es sich schwerer als mit einem Avatar oder einem Trojanischen Pferd.
Ihr Pass-Reader bitte, der Herr! Tim hatte die Wahl zwischen drei Schlangen gehabt und versucht, seine Chancen abzuwägen. Schalter 1 wurde von einem Mann Mitte vierzig bearbeitet, streng gekämmtes Haar, kräftige Statur. Der Mann erinnerte ihn ein bisschen zu sehr an seinen Vater. Wenn der ihm eine scharfe Frage stellen würde, würde er sofort umkippen. Nein, er kam nicht in Frage. An Schalter 3 stand eine Frau. Wenn Frauen solche Jobs machen, dann haben sie Zähne auf den Haaren. Sagte zumindest Benjamin aus seinem Mathe-Kurs, und der musste es wissen. Zumindest behauptete Benjamin immer, sich auf dem Gebiet der Frauen auszukennen. War ja auch egal, an Schalter 2 kontrollierte ein junger Typ, der war sicher am unerfahrensten. Den würde er nehmen.
Tim merkte schnell, dass das ein Trugschluss war. Der Typ von Schalter 2 trug zwar den harmlosen Namen Lenz auf dem Schild seiner Uniform und gleichzeitig ein Unschuldslächeln zur Schau, das jedem Lamm zur Ehre gereicht hätte. Aber der Typ war schlau. Seine Höflichkeit raubte Tim den letzten Nerv: Sie werden verzeihen, wenn ich ganz genau bin, mein Herr, aber wir müssen die Pass-Reader aller jungen Männer genauestens kontrollieren!
Kein Problem, ich habe nichts zu verbergen. Tim hörte das Zittern in seiner Stimme nur zu gut. Und überhaupt, was war das für ein Satz, ich habe nichts zu verbergen? Billiger ging es wohl nicht?
Können Sie den jungen Mann mal etwas schneller kontrollieren? Unser Gleiter fliegt in einer Viertelstunde! Der Mann hinter Tim hatte schon länger nervös auf die Uhr geschaut, nun konnte er anscheinend seine Ungeduld nicht länger zügeln.
Mein Herr, begann Schalter-2-Typ Lenz. Tim konnte dieses süßliche Mein Herr nicht mehr hören. Mein Herr, wir müssen sicherstellen, dass uns der Leuchtreklamen-Löscher nicht durch die Lappen geht. Wenn der hier durchkommt, ist er auf und davon. Und dann Gnade uns allen, was dann passiert. Dabei machte Lenz ein Gesicht, als hätte man ihm gerade persönlich eine entsicherte Handgranate in die Hand gedrückt.
Was denn für ein Leuchtreklamen-Löscher, von welchem Quatsch reden Sie da überhaupt? Tim war dem Mann dankbar. Offenbar wusste doch noch nicht die ganze Redox-Erde von seiner Tat. Und von dem albernen Namen, den ihm die Medien verpasst hatten.
Ich rede von dem Schreibtisch-Terroristen, der vor zwei Tagen die Ehre unseres Planeten und der Redox-Gesellschaft in den Schmutz gezogen hat. Der die mediterrane Leuchtbotschaft gewissenlos manipuliert und ins Lächerliche gezogen hat.
Zwei Buchstaben, er hatte doch nur zwei Buchstaben gelöscht!
Und wie hat er das getan? Der Mann hinter Tim sah Lenz verständnislos an.
Er hat zwei Buchstaben gelöscht.
Nur zwei Buchstaben?
Zwei bedeutende Buchstaben. Das T und das H!
Es dauerte, bis der Mann reagierte. Man konnte es in seinem Gehirn arbeiten sehen, als er den Text der Reihe nach durchging und nach den Buchstaben T und H absuchte: Biggest earth of the universe biggest earth of ... biggest ...
Klick, der Mann hatte sie verstanden Tims kleine Manipulation mit großer Außenwirkung. Ein tiefes Lachen schüttelte ihn spontan. Biggest ear of the universe! Biggest ear, das ist gut, das ist wirklich gut! Sehr zum Befremden des Schalter-Typen und zur Verwunderung der Umstehenden, Tim eingeschlossen, reagierte der Mann nicht mit Bestürzung, sondern mit schallendem Gelächter. Tim fühlte sich erleichtert, wollte beinahe mitlachen. Ein Blick in das angespannte Gesicht von Lenz verhieß jedoch nichts Gutes. Ihr Verhalten ist in äußerstem Maße unangebracht, mein Herr!
(Sämtliche Rechte an diesem Text liegen bei Andreas Wolz)