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Nachruf auf Jürgen Grasmück

NACHRUF AUF JÜRGEN GRASMÜCK

Jürgen Grasmück wurde am 23. Januar 1940 als Sohn von Maria und Otto Grasmück in Hanau am Main geboren. Seine Mutter verstarb bei der Geburt und sein Vater fiel 1944 im Krieg. So wuchs Jürgen bei Tante Josefine und Onkel Alois auf. Bei ihnen las Jürgen alles, was ihm in die Finger fiel.

Bereits während des Schulbesuchs verfasste er auf einer Schreibmaschine erste Geschichten, die er sogar bei Verlagen einreichte; aber diesen ersten Schreibversuchen war freilich noch kein Erfolg beschieden. Seine erste Geschichte wurde vom Stern-Verlag abgelehnt. Die Handlung war wohl damals schon zu gruselig und phantastisch.


Da eine Muskelerkrankung ihn mit fünfzehn Jahren an den Rollstuhl fesselte, verließ Jürgen die Schule nach Abschluss der Mittleren Reife. Er begann, teilweise um mit diesem Schicksal fertig zu werden, Kurzgeschichten utopischen und phantastischen Charakters zu verfassen, deren erste veröffentlichte Walter Ernsting im Jahre 1956 im Magazin Andromeda. Sie hatte den Titel „Atomkrieg auf dem Mars“. Mit Unterstützung von Heinz Bingenheimer, dem Begründer der Buchgemeinschaft Transgalaxis, gelang es Grasmück 1957 im Leihbuchverlag Bewin seinen ersten Roman zu veröffentlichen, der den Titel Die Macht im Kosmos trug und unter dem Pseudonym Jay Grams erschien, wohl teilweise deshalb, weil amerikanisch klingende Namen in dieser Phase der Entwicklung der deutschen Science Fiction obligatorisch waren. In der Folge veröffentlichte Grasmück bis zum Jahr 1961 insgesamt dreiundzwanzig Leihbücher, bis ihn das Sterben der Leihbuchverlage mit dem Aufkommen des Heftromans zwang, eine vorläufige Schreibpause einzulegen. In dieser Zeit sorgte Jürgens Frau Karin, der er 1960 geheiratet hatte, für das finanzielle Wohl der Familie.

1961 wurde ihre Tochter Constanze geboren.

Jürgen hatte inzwischen einen Job bei einem Hanauer Versandgeschäft gefunden, für die er Mahnschreiben verfasste. Für den Mauerhardt-Verlag schrieb er einige Krimis und sogar einen Western, was er aber später als Jugendsünde abtat.

Er erkannte, dass Möglichkeiten der Veröffentlichung in erster Linie bei den Heftromanverlagen zu suchen waren. Er schuf das neue Pseudonym Jürgen Grasse, unter dem im Zauberkreis Verlag neunzehn Science Fiction-Heftromane erschienen. Daneben wirkte er als Autor bei den SF-Heftromanserien Ad Astra und Rex Corda mit, denen allerdings keine große Zukunft beschieden war; besonders Rex Corda zählt zu den zahlreichen gescheiterten Versuchen, der überaus erfolgreichen Perry-Rhodan-Serie eine Konkurrenz entgegenzustellen.

Beide Serien erleben allerdings heute als Kleinauflage in Buchform beim Mohlberg-Verlag in Köln eine Wiedergeburt.

Als Versuch, sich thematisch von der Science Fiction abzugrenzen, entwickelte Grasmück Mitte der sechziger Jahre das Konzept des Serienhelden „Larry Brent“, und das erste Heft dieser Gruselromanserie erschien 1968 in der Silber-Krimi-Reihe des Zauberkreis Verlags unter dem Pseudonym Dan Shocker, unter dem er in der Folge zu einem der profiliertesten Verfasser von Horror-Heften werden sollte.

Da Jürgen schon immer ein Fan des dicken Cowboys Hoss aus der Serie „Bonanza“ war, nahm er für sein neues Pseudonym dessen richtigen Vornamen „Dan“ und als Nachnamen einfach „Shocker“, wie in Amerika die harten Horrorgeschichten bezeichnet werden.

Waren frühere Versuche Jürgens, Science Fiction mit Horror-Elementen zu verbinden – so in den Romanen Das Testament des Grauens und Die Angst geht um – noch wenig erfolgreich gewesen, so schien die Zeit dafür nun besser geeignet, denn „Larry Brent“ wurde so erfolgreich, daß der Verlag ihn später aus der Silber-Krimi-Reihe herausnahm und als eigene Serie laufen ließ. In der 1973 gestarteten und gleichfalls von ihm initiierten Serie „Macabros“ lag dann der Tenor eindeutig auf Horror. „Macabros“ wurde ein noch größerer Erfolg, Übersetzungen erschienen in Holland, Dänemark, Norwegen und Israel.

Nicht zu vergessen die „Burg-Frankenstein“-Spannungsromane.

Dieser finanzielle Erfolg ermöglichte es Jürgen Grasmück und seiner Frau, 1974 ins eigene Haus nach Altenstadt umzuziehen.

Mittlerweile war auch die Firma EUROPA auf ihn aufmerksam geworden und so erschienen wenig später die ersten „Larry Brent“ und „Macabros“ Hörspiele. Unter der Regie von Heikedine Körting wurden die Gruselgeschichten um „Larry Brent“ und „Macabros“ für das Ohr zum Leben erweckt. Da sie teilweise sehr von den Romanvorlagen abwichen, hielt sich der finanzielle Erfolg in Grenzen. Inzwischen sind sie allerdings Kult geworden und erzielen hohe Preise.

1986 gab es einen massiven Einbruch im Heftromansektor, aus dem die Einstellung der meisten bis dahin noch existierenden Science Fiction- und Horror-Heftreihen resultierte.

Wie zahlreiche andere deutsche Schriftstellerkollegen stand Jürgen Grasmück vor dem Nichts, denn auch die ehemals erfolgreichen „Macabros“-Bände wurden vom Markt genommen. Das hatte nichts mit sinkenden Verkaufszahlen zu tun. Pabel-Moewig kaufte den Konkurrenten Zauberkreis auf. Als dann auch noch der VPM-Chefredakteur Werner Müller-Reymann an seinem 50. Geburtstag bei einem Verkehrsunfall ums Leben, nutzte man die Chance, die Zauberkreis-Serien einzustellen.

Da sich Jürgens Krankheit zu diesem Zeitpunkt auch verschlimmert hatte und er das frühere Arbeitstempo nicht mehr halten konnte, schuf er sich ein zweites finanzielles Standbein und eröffnete zusammen mit seiner Frau Karin in Hanau eine Spezialbuchhandlung für esoterische und phantastische Literatur.

Diese entwickelte sich sehr gut und es blieb immer weniger Zeit zum schreiben. Die Arbeit im Laden machte ihm sehr viel Spaß.

„Larry Brent“ wurde 1990 durch den Zaubermond-Verlag und danach bis heute durch den Blitz-Verlag – als liebevoll gestaltete Buchausgaben - weiter geführt; allerdings krankheitsbedingt durch Fremdautoren nach seinen Entwürfen.

Hier noch die diversen Pseudonyme, unter denen Jürgen Grasmück seine Phantasie unters Volk brachte:

Dan Shocker, Jay Grams, Jeff Hammon, Owen L.Todd, Rolf Murat, J.A.Gormann, J.A.Garett, Bert Flormann, lbert C. Bowles, Jürgen Grasse, Steve D.Rock, Henri Vadim, J.A.Grouft, Ron Kelly

 

Soweit zu den Biographischen Daten. Nun zu persönlichen Erinnerungen:

Es treibt mir heute noch Lachtränen in die Augen, wenn ich an Walter Ernstings Beschreibung denke, wie anlässlich eines Besuches von Karin und Jürgen bei Walter in Ainring, Jürgen mit seinem Rollstuhl die steile Treppe in den ersten Stock hoch gewuchtet wurde.

Da ich diese Treppe aus eigener Anschauung kenne ist es mir heute noch ein Rätsel wie Walter und Karin das geschafft haben. Da muß Telekinese oder sonst eine geheimnisvolle Kraft im Spiel gewesen sein.

Da waren die flachen Rampen im Grasmückschen Haus in Altenstadt wahrlich rollstuhl- und wie wir selber testen konnten, auch kinderwagengerecht.

Ich habe Jürgen viermal getroffen, beim erstenmal beim SF-Großcon 1977 in Kleve, bei dem ich unter dem wachsamen Auge von Karin Jürgen auf seinem Rollstuhl durch die Flure chauffieren durfte, u.a. zu Walter Ernsting, Karl Herbert Scheer und Erich von Däniken; dann 1979 beim  1. (und einzigen) Marlos-Treffen in Unterwössen. Das ging auf meine Initiative zurück. Zeitgleich gab es den SFCD-Jahrescon und das Fest der Fantasie von FOLLOW.

Da waren ungefähr 20 Marlos-Bürger anwesend.

Das drittemal war im Sommer 1984, als meine Frau und ich mit unserer kleinen Tochter einen sehr netten Nachmittag im Grasmückschen Haus in Altenstadt verbrachten.

Und das viertemal einige Monate später beim 1. Kongreß der Phantasie in Passau, bei dem Jürgen eifrig an der Podiumsdiskussion teilnahm.

Ansonsten hat die Post bzw. Telekom in Form von Briefmarken und Telefongebühren gut an uns verdient.

Ende der siebziger Jahre gab Jürgen ein auf A4 gefaltetes A3-Blatt „Marlos-Newsletter“ heraus, das zu einer Clubgründung anregen sollte.

Das geschah auch, aber Jürgen wuchs die Arbeit an diesem Nachrichtenblatt über den Kopf und wohl auch die Kosten.

Er wollte mit Nr. 6 das Blatt einstellen.

Ich überredete ihn weiter zu machen und ließ mich auch breit schlagen, die Redaktion zu übernehmen. Ich stellte auf A5-Format um und brachte die Folgenummern, die immer mehr an Umfang gewannen, bis zur Nr. 20 heraus. Dann mußte auch ich aus zeitlichen Gründen die Redaktion an Norbert Aichele abgeben und dieser wiederum an Uwe Schnabel, der das Magazin dann bis in die 100er Nummern betreute, bis es dann eingestellt wurde.

Kurz nach dem Jahrtausendwechsel versuchte ich, „Larry Brent“ und „Macabros“ als eBook im neu gegründeten eBook-Verlag „readersplanet“ unter zu bringen um Jürgens Masterserien weltweit abrufbar zu machen.

Leider glaubte man im Blitz-Verlag, eBook sei eine Konkurrenz zum herkömmlichen Buch und behindere deren Verkauf anstatt zu begreifen, daß im Gegenteil eine gleichzeitige eBook-Auflage dem Verkauf des gedruckten Buches nur förderlich ist.

So wurde eine Chance vertan, die ich Jürgen sehr gewünscht hätte.

Am 07.08 verstarb nun Jürgen nach langer, mit großer Geduld ertragener Krankheit.

Ich habe Jürgen für diese Geduld immer sehr bewundert. Ebenso Karin, die alles tat, um Jürgen das Leben so lebenswert wie möglich zu machen.

Da war wahrlich Liebe im Spiel.

Nach Walter Ernsting habe ich nun mit Jürgen einen weiteren Menschen verloren, der mir sehr viel bedeutete.

Beide haben auf ihre Art die Phantastische Literaturszene im deutschsprachigen Raum geprägt.

Ich verneige mich in Ehrfurcht vor dieser Lebensleistung.

Jürgen, ich hoffe, daß Du dort, wo Du jetzt bist, nicht von den finsteren Elementen, über die Du so gerne geschrieben hast, bedroht wirst, sondern in heiteren Gefilden wandeln kannst.

 

 

Gustav Gaisbauer

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