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Sieben gegen die Hölle - Friedrich (Teil 4)

Sieben gegen die HölleSieben gegen die Hölle

Friedrich (Teil 4)
Schlangenbiss
Wenige Stunden später saßen Kommissar Breitstetter, Friedrich Schalmüter und Robert Norden in dessen Redaktion zusammen. Es ging um den Tod von Kowalkowski. Der 50jährige, etwas korpulente Kriminalbeamte war gekommen, um einige Zusammenhänge zu erfragen. Dass alles irgendwie mit der Erkenntnis um den Hangrutsch auf dem Hohen Meißner zusammenhängen musste, war klar oder lag zumindest nahe. Nach einigen Fragen seitens des Kommissars interessierte Norden vor allem eines. 


„Wie starb der Geologe?“

„Das ist ein großes Rätsel. Man fand an seinem Oberarm einen Schlangenbiss. Möglicherweise hat das Gift einer Schlange ihn getötet. Aber wenn, dann ist ihm das Gift injiziert worden. Er hat es nicht wirklich durch eine Schlange bekommen. Der Biss könnte manipuliert sein. Das prüfen wir noch. Wenn es sich bestätigt – und davon gehen wir aus –, dann ist Mord sicher. Und wir suchen dann einen Mörder, der irgendwo hier und auf dem Hohen Meißner sein Unwesen treibt. Denn Schlangen dieses Kalibers gibt es hier nicht.“

„Könnte nicht jemand vorsätzlich eine Schlange dort oben platziert haben?“, fragte Norden.

„Möglich. Aber ich glaube nicht, dass bei unseren winterlichen Temperaturen im Juni eine Schlange dieser Art überlebensfähig, geschweige denn handlungsfähig ist. Ein Schlangenexperte wird das klären müssen. Inzwischen ist jemand aus Frankfurt unterwegs zu uns.“

„Höchst sonderbar“, entfuhr es dem Pfarrer.

„Sie konnten bisher nicht glaubhaft machen, warum sie dort hinauf sind, Herr Schalmüter. Ihre Geistlichkeit in Ehren, aber Sie sind nicht ganz unverdächtig für uns. Natürlich hatten sie kein erkennbares Motiv den Geologen zu ermorden, aber in meinen 30 Dienstjahren habe ich schon so allerhand erlebt.“

Schalmüter schien nichts Anstößiges an dem Verdacht zu finden, den der Kommissar aussprach. Er lächelte gequält. „Bei allem was mir lieb ist, Herr Kommissar – Mord ist keine Lösung. Niemals.“

Der Kriminalbeamte schien nur auf eine Gemütsregung seines Gegenübers zu warten, doch diesen Gefallen tat ihm Schalmüter nicht.

Der Kommissar lächelte; „Das sagen Sie jetzt. Ich habe schon Mörder überführt, die kein Wässerchen trüben konnten, und Unschuldslämmer erwiesen sich als brutale Menschenfeinde.“ Der Kommissar aus Kassel sagte das mit einer geradezu nüchternen Selbstverständlichkeit. Die 30 Berufsjahre sprachen aus ihm.

„Wir gehen davon aus, dass Kowalkowski allein und auf eigene Faust noch einmal Ermittlungen anstellen wollte. Er ist dabei irgendjemanden in die Quere gekommen.“

Schalmüter biss sich scharf auf die Lippen. „Ich war nicht zum ersten Mal da oben. Wenn ich Ihnen sage, dass mich ein Ruf dorthin gezogen hat, eine Macht, die man sich nicht erklären kann, würden Sie mir das glauben?“ Breitstetter lächelte. „Sie sollten etwas mehr Vertrauen haben, Herr Pfarrer. Manches Mal weiß die Polizei mehr als man ihr zutraut.“ Mit diesen Worten, die Friedrich Schalmüter nicht recht zu deuten wusste, verließ der große, dicke Kommissar das Redaktionsbüro von Norden. Der Reporter wandte sich an seinen Freund Schalmüter. „Was meintest du damit?“

„Mit der fremden Macht?“

„Ja.“

„Es ist eine lange Geschichte. Und je mehr ich darüber zu erfahren versuche, desto verworrener wird alles. Als ich das erste Mal auf dem hohen Meißner war ist mir eine Gestalt begegnet die sich Loki nannte und mir von dem drohenden Hangrutsch erzählte. Als ich gestern oben war, bin ich ebenfalls nur einem Ruf von Loki gefolgt.“

Robert Norden blickte nachdenklich nach oben. Sein Blick wurde starr. „Du redest von einer Gestalt. Kein Mensch?“, kam es zögerlich über seine Lippen. Die letzten beiden Worte klangen wie ein Hauch.

„Ich weiß es nicht. Er war zwergenhaft klein, vielleicht ein Liliputaner oder so was ähnliches. Mehr weiß ich wirklich nicht. In alten Büchern haben Heidi und ich erfahren, dass Loki eine Sagengestalt ist. Alte nordische Sagen. Aber das wissen natürlich auch andere. Es kann freilich nicht der richtige Loki gewesen sein. Und doch. Heidi träumt rätselhafte Dinge. Mein erster Besuch auf dem Hohen Meißner, der nicht ganz zufällig war, und jetzt der Tote. Das ist alles zu phantastisch. Nur der Schlangenbiss, der will da nicht reinpassen.“

Norden stand auf und goss sich aus einer großen Karaffe, die unter seinem Schreibtisch stand einen Whisky ein. „Möchtest du auch?“

„Ich denke, den kann ich jetzt vertragen.“

Norden holte ein zweites Glas hervor und goss auch seinem Freund etwas von dem Alkohol ein.

„Schale, vielleicht lässt sich alles rational erklären. Auch die Sache mit dem Schlangenbiss. Ich bin der phantastischen Variante nie abgeneigt, das weißt du. Ich habe selbst viel erlebt. Aber der Möglichkeit einer ganz realistischen Einschätzung sollten wir unbedingt den Vorzug geben. Deine Gedanken bezüglich des Rufes, dem du angeblich gefolgt bist, und Heidis Träume – das ist allerdings höchst seltsam.“

„Ich werde Heidi gleich aufsuchen“, sagte Schalmüter und trank seinen Whisky in einem Zuge leer.

***

Friedrich Schalmüter machte sein Versprechen wahr und ging noch in derselben Stunde zu Heidi. Das Mädchen wohnte in einer kleinen Seitenstraße Meißens, die von der Bundesstraße abging. Es war bereits recht warm an diesem Junimorgen. Schalmüter ahnte, dass Heidi einiges durchgemacht hatte. Er selbst war auch ganz konfus und drohte den Verstand zu verlieren. Zuviel war auf sie herabgestürzt, ohne dass man sich auch nur im Entferntesten einen Reim darauf machen konnte. Nervös klingelte der Pfarrer bei Heidi und es dauerte nicht lange, bis ihm das Mädchen Einlass gewährte. Die Wohnung lag zum Hof heraus, was dazu führte, dass nur wenig Sonne in die Wohnstube drang. Beide nahmen auf dem grünen Stoffsofa Platz. Heidi begann nervös an ihren Nägeln zu kauen. Ihr blondes Haar war noch leicht zerzaust, als hätte sie es nur leicht übergekämmt.

„Und?“ fragte Schalmüter und bemühte sich sein liebenswertestes und unbetrüblichstes Gesicht aufzusetzen.

„Es ist wieder etwas passiert“, sagte Heidi und Schalmüters Miene wurde ernst. 

„Was?“

„Gestern war ich in der Bibliothek und habe mir ein Buch über „Geheimnisse der nordischen Figuren“ ausgeliehen. Ein Junge, ein Teenager, wollte es mir unbedingt abschwatzen ….“

„Und?“

„Ich habe es ihm nicht gegeben. Heute früh stand er vor meinem Fenster. Ohne dass ich ihm meine Adresse gegeben hätte. Er starrte zu meinem Fenster rauf.“

Schalmüter kannte Heidi gut genug, um zu wissen, dass sie diese Geschichte sehr beunruhigte - ja sogar beängstigte. Einen Reim konnte er sich darauf zunächst nicht machen.

„Zufall?“ fragte er und glaubte es Wahrheit selbst nicht.

„Ach Zufall, alles Zufall. Das kann nicht mehr sein. Die Träume. Der tote Geologe, Loki und jetzt der unheimliche rothaarige Junge.“ Heidi stand auf und ging unruhig hin und her. „Das ist alles kein Witz mehr. Es gab einen Toten.“

Schalmüter gestand sich ein, dass die nüchterne Logik von Heidi ihn erschreckte. Dass es einen Zusammenhang gab und alles kein Zufall sein konnte, war auch ihm klar. Doch in den Wust dieser Zwischenfälle könnte sich durchaus ein Zufall verirrt haben. Er dachte wieder an die Worte von Kommissar Breitstetter. Manches Mal weiß die Polizei mehr als man ihr zutraut.

War das ein Wink mit dem Zaunpfahl? Sollte er sich dem Beamten im vollen Umfang anvertrauen? Er diskutierte lange mit Heidi darüber, verwarf den Gedanken dann aber wieder.

***

In der Pathologie kamen sie an. Die Leichen der Stadt. Im städtischen Krankenhaus gab es eigens eine Abteilung der Pathologie, die sich auch mit Rechtsmedizin befasste. Kommissar Breitstetter war hier häufiger zu Besuch. Berufsbedingt, versteht sich. Der 50jährige löste seine Fälle stets mit innerer Ruhe und einer ihm angeborenen Sachlichkeit. Viele verglichen ihn deshalb mit der Fernsehfigur „Der Alte“ und wie diese einst vom Schauspieler Siegfried Lowitz dargestellt wurde. Das brachte es sogar auf den Punkt. Jürgen Breitstetter mochte keine hitzigen Beamten, die schneller mit den Fäusten und Waffen waren als mit dem Kopf. Oftmals war dann eine vorschnelle Festnahme nämlich eine falsche und dem wahren Täter wurde ein Vorsprung ermöglicht. Klar machte auch er – Breitstetter – Fehler. Doch es waren keine leichtsinnigen Unternehmen, die von vorne herein zum Scheitern verurteilt wären.

Breitstetter betrat die Rechtsmedizin an diesem Mittag gegen 12 Uhr. Der zuständige Pathologe Dr. Holl nahm ihn freundlich in Empfang. Der Kommissar kannte den Arzt seit einigen Jahren. Einmal war er sogar zusammen mit seiner Frau und der Gattin Holls Essen gegangen. Breitstetter mochte den etwa 46jährigen mit der knorrigen Nase und der Halbglatze. Beinahe wäre Holl leitender Arzt auf einer Station der Charité geworden. Dann hätte es den Mediziner nach Berlin gezogen. Doch die frühe Liebe zu seiner heutigen Gattin Monika hielt ihn davon ab. Heute arbeiteten beide am Städtischen Krankenhaus. Er als Pathologe, sie als Kinderärztin. Breitstetter fand das immer eine interessante Mischung. Sie befasste sich mit beginnenden Leben, er mit dem beendeten Leben.

„Na, Holl. Du hast Neuigkeiten für mich?“

„Nicht wirklich, mein lieber Jürgen. Aber vielleicht neue Ermittlungsansätze.“ Der Arzt lächelte.

„Dann schieß mal los.“

„Der Schlangenbiss. Alles was wir bisher gefunden haben, deutet nicht daraufhin, dass es sich um einen falschen Biss handelt. Also entweder der Biss stammt von einer echten Schlange, und zwar von einer Königskobra, oder es ist so fachmännisch und ausgeklügelt manipuliert worden, dass wir bisher noch keine Erklärung dafür haben.“ Ein sanftes Lächeln umspielte die Lippen des Ermittlers, als hätte er mit so einer Nachricht gerechnet.

„Kräfte des Bösen“, murmelte Breitstetter nach einer Weile.

„Wie? Du meinst…?“ Holl kam nicht dazu, seinen Gedanken zu Ende zu sprechen.

„Ja, genau richtig, mein lieber Holl. Es sind Mächte am Werk, von denen wir im Moment noch keine Ahnung haben.“ Breitstetter unterbrach seinen Freund scharf. Seit Breitstetter vor acht Jahren eine Teufelssekte ausgehebelt hatte, die auch vor Mord nicht zurückschreckte, war ihm nichts mehr fremd. Nur ein Jahr später bekam er es mit einem waschechten Vampir zutun. Eine junge Frau wurde mit Vampirbissen in den Kasseler Bergen gefunden. Der Fall schlug damals breite Wellen und wurde nie geklärt. Und damals lernten sich Holl und der Kommissar kennen. Auch Holl wusste, dass es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gab, als alle ahnten.

„Vampirbisse kennen wir ja schon. Warum nun also nicht auch Bisse einer Königskobra? Dazu der Pfarrer, der einem Ruf gefolgt ist. Die seltsamen Eruptionen am Hang oberhalb des Frau- Holle-Brunnens. Holl, dass alles hört sich verdammt nach einer jenseitigen Verschwörung an. Ich habe in den letzten Jahren viel gelesen und war in der Bibliothek. Du weißt das. Und ich habe erfahren, dass es gerade hier in Nordhessen eine Menge Tore in die Hölle gibt. Alle Sagen haben ein Körnchen Wahrheit.“ Alles, was der Kommissar aus Kassel sagte, war Holl bewusst. Sie hatten oft darüber diskutiert. Eine weitere unmögliche Geschichte, wie es Holl nannte, war ihnen jedoch seit sieben Jahren, seit dem sonderbaren Vampiropfer, nicht mehr untergekommen. Es sei denn, Breitstetter hätte dem Pathologen etwas verschwiegen. Das Mädchen, das damals starb, war keine 19 Jahre jung. Ihr Körper wies eine kaum zu erklärende Blutleere auf. Natürlich hatte Breitstetter abseits von seinen Kollegen nach Erklärungen gesucht. Irgendwann wuchs Gras über die Sache und auch Jürgen Breitstetter hielt es für besser, den Mund zu halten. Unter Umständen war sein Posten in Gefahr, sein Ansehen und das seiner Familie. Seiner Frau und seines Sohnes.

***

Es vergingen einige ereignislose Stunden. Schalmüter und seine hübsche Praktikantin Heidi hatten keine neuen Ermittlungsansätze gewonnen. Zunächst blieb Ihnen nichts weiter als die Ermittlungen der Polizei abzuwarten. Doch nur einfach so rumzudösen schien den Beiden auch nicht angebracht. Zu sehr störte sie das Nichtstun. In einer Geschichte wie dieser schien jede tatenlose Minute einen ungeheuren Zeitverlust zu bedeuten. Schalmüter kam eine Idee. Vielleicht nur eine kleine Chance, vielleicht gar keine. Aber besser als nichts zu tun.

„Der Junge, Heidi“. Das Mädchen war fast eingeschlafen, saß halb versunken in einem Sessel in Schalmüters Wohnung. „Hmmm?“, machte sie fragend.

„Der Junge aus der Bibliothek von dem du mir erzählt hast.“

„Ja, was ist mit dem?“ Ihr schlafender Blick wurde fragend größer.

„Wir könnten ihn suchen. Vielleicht ist er eine Art Bote. Ein Hinweis. Vielleicht hat er irgendetwas mit der Sache zu tun.“

Heidi richtete sich auf. Sie trug nur ein knappes Shirt, welches an allen Enden zu kurz war. Ihre zugegeben recht blasse Haut blitzte hervor. Das gut sichtbare Dekolletee verstärkte ihren Reiz unter ihrer Bewegung.

„Was meinst du, wo sollten wir ihn suchen?“ Heidi und Schalmüter waren seit langen per Du. Der Pfarrer konnte nicht leugnen, dass er den Reizen eines jungen Mädchens wie Heidi nicht erlegen wäre. Doch diese Gedanken dachte er nie zuende, Er sprach sie auch nie aus und verwarf sie gleich wieder, sobald sie ihm aufgekommen waren.

„Es ist nur eine kleine Chance. Aber wir könnten in die Bibliothek gehen. Vielleicht ist er dort Stammkunde wie die meisten Bibliotheksbesucher. Vielleicht müssen wir Stunden warten oder Tage. Aber nur zu warten, bis wieder etwas passiert, wäre kontraproduktiv.“

Heidi atmete tief durch.

„Also gut. Gehen wir in die Stadtbibliothek.“

Fortsetzung folgt …

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