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Sieben gegen die Hölle - Friedrich (Teil 6)

Sieben gegen die HölleSieben gegen die Hölle

Friedrich (Teil 6)
Nachtschattengewächse
Einige Tage zuvor
Die seismologischen und geologischen Untersuchungen, die Konstantin Kowalkowski gemacht hatte, erschreckten ihn zutiefst.

Er hatte vieles gesehen und erlebt in seinem Leben. In Fachkreisen war er gefragt. 2011 holten ihn die Japaner, um für Fukushima die Gefahr von Nachbeben einzuschätzen.


Damals gehörte er zum engen Beraterkreis von 23 Spezialisten für die japanische Regierung. Was er auf dem Hohen Meißner gemessen hatte, sprengte jedoch seine Vorstellungskraft. 

Gab es das wirklich? Konnte das seismische Gerät tatsächlich eine Erdbewegung vorhersagen? Eine Eruption, die weit in der Zukunft lag? Oder eine, die kurz bevorstand?

Da der Wissenschaftler nicht glauben konnte, was er gemessen hatte, wollte er es einfach nochmal versuchen. Die Stelle kannte er. Und er kannte die Umstände. Technisches Gerät besaß er. Vielleicht konnte er mit mehr Ruhe und ohne Begleitung mehr herausfinden. Ein Versuch musste es wert sein.

Deshalb beschloss er, den Hohen Meißner noch einmal aufzusuchen und besagten Hang etwas gründlicher unter die Lupe zu nehmen. Das kostete ihn nicht viel Anstrengung, auch wenn er wusste, dass der Hang abgesperrt war. Seit gestern, durfte niemand mehr da hinauf. Kowalkowski hatte, ohne es zu wollen, Aufsehen erregt. Er konnte die Dinge aber auch nicht auf sich beruhen lassen – zu viel lag bereits in seiner Verantwortung. So machte er sich am Abend auf, um den Hohen Meißner zu bewandern. Diesmal allein. Er fuhr ein ganzes Stück mit dem Auto. Soweit es eben ging. Er fuhr einen Renault Clio Kombi. Der machte es auch möglich, dass er seine Ausrüstung nicht so weit tragen musste. Unbehagen erfüllte ihn, je näher er seinem Ziel kam. Warum wusste der Geologe nicht. Alles war viel zu seltsam. Bäume und Büsche kamen ihm während es Fußweges gar bedrohlich vor. Nachdem er sein Auto geparkt hatte, erwarteten ihn noch etwa 20 Minuten Weg. Er würde hoffentlich mit guten Ergebnissen zurückkehren.

Am Frau-Holle-Brunnen angekommen hatte er bereits alle Befürchtungen wieder hinter sich gelassen. Und das, obwohl er mehrmals eine der Absperrungen überwinden musste. Das war nicht schwer. Aber mental bereitete es ihm Schwierigkeiten. Tat er das Richtige? Eine Wahl hatte er nicht, wenn er mehr erfahren wollte. Es wurde bereits richtig dunkel. Doch Kowalkowski war gut ausgerüstet. Er hatte eine große Stablampe dabei, wie sie sonst nur Bergleute mit sich führten. Mit seiner seismischen Ausrüstung kam der Mann auf insgesamt gut 10 Kilo Gepäck. Doch es war ihm die Sache wert. Sehr wert sogar. Sollte er weitreichende Erkenntnisse erlangen, dann könnte er die Sache nicht nur aufklären, er könnte sogar als Entdecker eines Phänomens zu Weltruhm gelangen.

Der Hang lag wie ein gigantischer Berg vor ihm. Im Halbdunkeln wirkte er bedrohlich. Die Magie, die gleichzeitig von ihm ausging, machte den Geologen neugierig. Ihm fröstelte etwas. Die schroffen Formen des Hanges muteten fremdartig an. Der Himmel war dunkelblau und bot einen eigenartigen Kontrast. Kowalkowski kam sich vor wie auf einem fremden Planeten.

Plötzlich vernahm er ein Scharren. Es konnte alles Mögliche sein. Doch aus welcher Richtung kam es eigentlich? Es wurde deutlich, und je länger Kowalkowski es hörte, desto bekannter kam ihm das Geräusch vor. Nach einigen Sekunden bestand für ihn kein Zweifel mehr. Es war das Scharren von Hufen. Pferdehufen!

War er nicht allein? Kam noch jemand hier herauf und traute sich, diesen Hügel zu visitieren? Langsam und behände tastete Kowalkowski die Gegend mit seiner Lampe ab. Der Kegel des Lichtes brach sich seinen Weg über die steinige und schroffe Gegend. Dann sah er es.

Aus dem Halbschatten einer alten Ulme schälte sich eine Gestalt hervor. Ein Reiter. Doch irgendetwas war seltsam. Das Pferd auf dem die Figur saß machte zunächst einen gewöhnlichen Eindruck. Doch der Reiter, dessen Oberkörper im Dunkeln lag, sah seltsam aus. Das Abbild blieb direkt unter der Ulme. Kowalkowski konnte es nicht fassen. Wie gebannt hielt er inne. Die Hand, in der er die Lampe trug, schien wie versteinert. Dann kam das Geräusch wieder zurück. Viel leiser zwar, aber unmissverständlich. Der Reiter kam näher. Direkt auf ihn zu. Dabei blickte er zunächst auf die Nüstern des Pferdes, die ihm wie ein Fixpunkt erschienen, der Sicherheit versprach.

Doch es war eine trügerische Sicherheit. Die Lähmung, die ihn ergriffen hatte war eine Mischung aus vor Angst erstarrtem Entsetzen und fremder Magie. Sein Inneres sagte ihm, dass er die Flucht ergreifen sollte, doch die Beine versagten ihm den Dienst. Aus und vorbei. Der Reiter, der eigentlich gar keiner war, weil er einer fremden Welt entsprungen schien, war keine drei Meter mehr von ihm entfernt. Mit dem aalartigen Schlangenkörper war er nun in der Lage, den Geologen zu berühren. Und das tat er auch. Für Kowalkowski war es die letzte Berührung seines Lebens. Wie zwei feine Nadelstiche bohrte sich etwas in seinen Oberarm. Sein ganzer Körper krampfte sich zusammen und wie ein nasser Sack fiel er zu Boden.

Der Geologe war noch lange nicht tot. Er sah den Reiter, der sich grazil davonbewegte. Er sah den schlangenartigen Körper mit den zwei Beinen, dessen Füße in den Steigbügeln saßen. Es waren menschliche Beine und Füße. Der Rumpf ähnelte dem eines Menschen, doch der Rest ging in einen Schlangenkörper über der in den Kopf einer Kobra mündete. Einer hässlichen Kobra mit stechenden und hypnotisierenden Augen. Diese Gestalt war Melringo, der Schlangenreiter, oder kurz Ringo. Doch das wusste der Sterbende nicht. Für den Geologen schien die Welt nur noch ein von ihm losgelöstes Stück Universum zu sein. Er spürte nichts mehr. Er sah nur noch und dachte. Einige Minuten lang. Dann wirkte das grausame Gift völlig und nahm ihm das Leben.

***

Friedrich Schalmüter saß zusammen mit Heidi an dem großen Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer. Ein Zimmer, das er stets im Dienste des Herrn genutzt hatte. Aber vielleicht war es ja auch ein Dienst an den Herrn, die Welt von Unholden zu befreien, die aus einer jenseitigen Welt zu uns dringen wollen. Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr war er überzeugt von der Annahme, ein Auserwählter zu sein. Nur er sollte die furchtbare Katastrophe, die sich anbahnte, aufhalten. Doch was war das für eine Katastrophe? Allein der Rutsch eines Riesenhanges am Meißner kann es nicht sein. Dahinter steckte etwas viel schlimmeres. Jetzt hatten er und Heidi alle Informationen, die sie brauchten. Heidi hatte sehr viel gelesen – und nun passte alles.

„Die Hölle hat viele Auswüchse. In den Sagen heißt es, dass es einen Weltenbaum gibt. Ich habe das Buch darüber in der Bibliothek aufgestöbert und letzte Nacht ohne Pause gewälzt. Der Baum besitzt mehrere Wurzeln, die alle in der Hölle münden, jedoch in verschiedenen Höllen. Ein Ausläufer dieses Baums ist wohl unter dem Frau Holle-Brunnen zu finden. Wenn der Hang abstürzt, öffnet sich ein Mundus. Es wird eine Art Einfallstor für Gestalten der Hölle sein.“ Schalmüter hörte angeregt zu und schwieg zu dem, was seine Praktikantin ausführte. „In der Hölle bekriegen sich mehrere Wesen. Wie bei uns auf der Erde geht es um Macht. Doch dort ist alles viel schlimmer und ausgeprägter. Man will nicht nur die Hölle beherrschen, sondern auch Midgard“.

„Midgard?“, fragte der Geistliche erstaunt.

„Ja. Zu Deutsch Mittelerde. Also nichts anderes als die Welt, in der du und ich leben“

„Und der Schlangenreiter?“

„Bei ihm handelt es sich um eine Höllenkreatur, ein Nachtschattengewächs, das bei der Höllenfürstin Hella in Ungnade gefallen ist. Aus diesem Grund hat sie ihn in diese Welt geschickt, um sich zu beweisen. Er soll den Mundus freilegen. Nur dann kann er zurück. Und nur dann können die Wesen der Unterwelt die Macht über Midgard übernehmen.“

„Verdammt. Das steht alles in diesem Buch?“

„In diesem …“, sagte Heidi und tatschte mit der linken Hand auf den grauen Buchdeckel von Der Weltenbaum „… und in diesen anderen hier“. Sie zeigte mit dem Finger auf den Tisch neben den Schreibtisch. Dort lag ein halbes Dutzend weiterer Bücher.

„Und es ist alles wahr?“, fragte Schalmüter, obwohl er die Antwort längst kannte.

„Friedrich. Nach allem was wir bisher wissen, würde ich sagen: ja. Vieles steht nicht in den Büchern. Man kann es sich zusammenreimen, wenn man Querverbindungen zieht. Es passt sehr zu dem, was wir wissen und gehört oder erlebt haben.“

Schalmüter schaute bedächtig auf. „Und was ist mit Loki?“

„Loki ist ein Gestaltwandler. Ebenfalls ein Nachtschattengewächs. So nennen sich die Wesen in einigen Büchern. Er kann verschiedene Gestalten annehmen und ist so etwas wie ein Mittler zwischen den Welten. Man weiß aber nicht genau, welche Interessen er verfolgt. Er spielt offenbar die Welten gegeneinander aus. Sicher ist aber, dass er eigene Interessen hat. Möglicherweise will er den Höllenthron übernehmen und wartet nur darauf dass Midgard erobert ist. Dann braucht er die Arbeit nicht zu erledigen. Oder er will Hella die Suppe versalzen.“

„Eines verstehe ich nicht. Wieso kann der Schlangenreiter nach Midgard kommen, wenn dafür ein offener Mundus vonnöten ist, der noch zu ist? Und wieso kann Loki es?“

Heidi wusste auch darauf eine Antwort. „Es gibt Stellen, die passierbar sind. Bestimmte Dinge müssen aber übereinstimmen. Hella muss zum Beispiel Kandidaten küren und diese müssen einen Auftrag haben. Somit ist es einzelnen gestattet, ihre Welt zu verlassen und in unsere zu treten oder in andere Höllen. Loki hat offenbar genug eigene Kräfte, um zwischen den Welten zu wechseln. Er hat auch eigene Gründe. Doch der Schlangenreiter, der sich in den Büchern Melringo und auch mal Ringo nennt, ist auf Gedeih und Verderb seiner Fürstin ausgeliefert. Für eine große Invasion von Nachtschattengewächsen und Höllenkreaturen jeder Art ist allerdings ein offener Mundus erforderlich.“

Nach Lage der Dinge war es so, wie Heidi ausgeführt hatte. Wie viele schlaflose und lesereiche Nächte waren für die Erkenntnis vonnöten?

„Dann hat dieser Melringo den Geologen ermordet?“

„Offenbar“, sagte Heidi. „Und doch: Niemand kann diesen Reiter wirklich sehen. Kein Mensch. Es sei denn, dieser Mensch wird nutzbar für diese Kreatur oder eben zur Gefahr für diese. Der Geologe kam der Wahrheit zu nahe.“

„Wie wir.“

„Richtig. Doch wer wird uns glauben?“

„Und warum konnte Frau Weinbergen das Wesen sehen? Sie war doch keine Gefahr, sondern nur eine Zufallsbegegnung?“

„In einem Buch steht, dass ein sensibler Mensch, der sich in einer hoch emotionalen und depressiven Phase befindet, durchaus anfällig für derartige Kontakte ist. Bei ihr war das so.“

Wollte Friedrich noch mehr erfahren? Musste er das? Er war einer gegen die Hölle. Es war ihm klar, dass er auf sich allein gestellt war. Heidi würde im Ernstfall kaum helfend eingreifen können. Und Robert Norden war allenfalls nur aus der Ferne eine Stütze. Vielleicht konnte er auf Breitstetter zählen, doch das wusste er noch nicht. Was Heidi tun konnte, hatte sie getan. Jetzt begann die Arbeit.

„Was können wir tun, um den Dämonenbefall auf Erden zu verhindern, Heidi?“

„Im Weltenbaum steht, dass es einen Ableger des Baumes gibt, der als Schlüssel fungiert und richtig angewendet in der Lage ist, den Mundus verschlossen zu halten. Es heißt, man findet ihn bei den Externsteinen.“

„Dort, wo Frau Weinbergen diesen Ringo sah?“

„In unmittelbarer Nähe. Beim Herrmanns-Denkmal.“ Friedrich war klar, was zu tun war. Doch wo fand er diesen Ableger und was hieß „richtig anwenden“?

Diese Frage bleiben alle Schriften schuldig. Das Buch Der Weltenbaum ebenso wie Sagen und Gestalten der germanischen und nordischen Mythologie und alle anderen Bücher. Auch das Werk Schlüssel zum Reich der Unholde war in dieser Beziehung wertlos. Doch einen Hinweis fand Heidi nach zweistündiger Suche doch noch. Er besagte, dass nur ein Geistlicher oder ein Magier der weißen Macht in der Lage war, den Schlüssel zu nutzen. Ein klarer Hinweis auf die Bestimmung von Friedrich Schalmüter.


Fortsetzung folgt …

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