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DAS SCHICKSAL DES JÄGERS

Zauberspiel - KatzengeschichtenDAS SCHICKSAL DES JÄGERS

Mein Meister sagt immer: Deine Beute darf nicht den geringsten Hauch einer Chance haben! Sie darf dich nicht kommen sehen und sie darf nicht hören, wenn du dich ihr näherst.
Sehr weise Worte! Für einen Menschen, wohlgemerkt.

Wird da die eine oder andere Augenbraue erhoben, nachdem klar geworden ist, dass ich offensichtlich kein Mensch bin?

Und fragt man sich nun, was ich eigentlich bin?

Tja, diese Frage ist wohl berechtigt und ich bin gewillt sie zu beantworten.

Obwohl, ich möchte das Ganze ein kleines bisschen interessanter gestalten und auf Umwegen zum Ziel kommen.

Also, meinesgleichen ist, in unserer Gestalt, für viele Menschen schlicht uninteressant, denn wir gehören – vor allem in ländlichen Gegenden – zum allgemeinen Bild.

Sehr oft sind wir in der Lage uns, selbst vor den Augen sehr aufmerksamer oder auch skeptischer Beobachter, gut zu verbergen.

Ebenso gibt es diejenigen, die behaupten, ein Blick aus unseren Augen, die auf viele Zweibeiner faszinierend wirken (selbst dann, wenn sie uns nicht mögen), würde Hilflosigkeit heucheln.

Und  dann gibt es noch die ganz Schlauen, die uns als schreckhaft und überreizt ansehen.

Die kann ich am wenigsten leiden, denn bei denen wird hart in die Hände geklatscht oder ein zischendes Geräusch ausgestoßen, so das wir aus unserer Haltung empor wirbeln und mit rasenden Bewegungen das Weite suchen.

Aber wir sind auch Jäger, und auch das erkennen viele Menschen ganz klar und deutlich.

Von der Natur aus mit allen Attributen sehr guter Jäger ausgestattet, schleichen wir durch die Nacht, halten Ausschau nach Beute und schärfen sowohl unsere Sinne als auch jene Instinkte, die schon seit Urzeiten in uns verwurzelt liegen. Irgendwo inmitten unserer Seelenabgründe, über die Dichter und Poeten oftmals und zumeist erfolglos zu berichten versuchten.

Es ist eine sehr verklärte Weise, wie ich die Angehörigen meiner Rasse – und damit auch mich selber – beschreiben mag, und der eine oder andere von Ihnen wird denken ich wäre unbescheiden, überheblich oder vielleicht sogar ein wenig größenwahnsinnig.

Aber ich möchte Sie beruhigen, denn nichts davon ist der Fall.

Ich bin ein ganz normaler Angehöriger meiner Spezies, die als Felidae bezeichnet wird.

Auf den ersten Blick wirke ich wie ein ganz normales „Katzenvieh“.

So hat der Ehemann meiner ersten Besitzerin mich immer betitelt, weil er Katzen einfach nicht ausstehen konnte.

Ich habe es ihm nicht übel genommen – dafür war und bin ich dann doch zu intelligent – aber ich war immer schwer auf der Hut, sobald er sich im selben Raum befand wie ich.

Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass ich in jenem Haus auf dem Lande ein schlechtes Leben führte.

Nein, nein … ich hatte genug zu essen, einen warmen Platz zum Schlafen und sehr viel Freiraum.

Ich meine damit, ich konnte umherstreunen und mich um meine Angelegenheiten kümmern.

Zwar war da dieser bullige Scottish Fold namens Rubitt in der Nachbarschaft, der mir gelegentlich Schwierigkeiten machte, da er einfach größer und stärker war als ich, doch das glich ich damit aus, dass ich schneller war.

Außerdem war ich mehr unterwegs und hatte ein größeres „Jagdgebiet“ als er, der sein Zuhause kaum außer Sicht kommen ließ, wenn er sich mal aufmachte.

Insgesamt war es eine schöne Zeit!

Die holde Weiblichkeit trug ihr übriges dazu bei, dass ich die Gegend, in der ich lebte sehr mochte, denn innerhalb meines Aktionsradius’ lebten einige sehr nette Vertreterinnen verschiedenster Rassen.

Okay, ich bin ein Europäisch Kurzhaar ein EKH, und deswegen werde und wurde ich immer als „Normalo“ unter den Vierbeinern eingestuft, aber wahrscheinlich erregte mein getigertes Muster inmitten meines grauen Fells die Aufmerksamkeit der Damen, die sich auch nicht daran störten, dass ich vielleicht eine etwas massive Körperstatur besaß.

Ach ja, und dann möchte ich noch meinen besonderen Blick erwähnen.

In den meisten Fällen harmoniert die Augenfarbe eines EKH mit der seines Felles, bei mir ist das aber ganz anders.

Ein intensives Grün strahlt aus meinen Augenhöhlen heraus und nicht selten hinderte ich Rubitt daran mich unangespitzt in den Boden zu rammen, nur indem ich meinen Blick auf ihn richtete und ihn anstarrte.

Bei den allein stehenden Damen, denen ich öfters einen leidenschaftlichen Besuch abstattete, setzte eine andere Wirkung ein. Sie schmolzen förmlich dahin und ließen sich in diesen Fällen von meiner Begierde „davontragen“.

Also, ich führte ein Leben mit gutem Essen, ausreichend Schlaf, ausgedehnten Beutezügen und einem hervorragenden Liebesleben.

Bis, ja, bis zu jener verhängnisvollen Nacht!

Noch heute krampft es mir das Herz zusammen, wenn ich daran denke.

Es gibt Menschen, die bezweifeln, dass Tiere im Allgemeinen und wir Katzen im Speziellen zu Gefühlsregungen fähig sind.

Aber das stimmt nicht.

Wir lieben und hassen genauso wie diejenigen, die auf zwei Beinen durch diese Welt getragen werden.

Ich werde Ihnen meine Geschichte erzählen, und dann werden Sie besser verstehen.


Vergangenheit:

Ich kehrte nach Hause zurück.

Schon von weitem sah ich die Umrisse des Hauses, in dem ich lebte, in der Dunkelheit aufragen.

Ich lebte dort natürlich nicht alleine, sondern mit meiner Besitzerin und ihrem mürrischen Ehemann.

Licht brannte keines mehr, was ich auch nicht angenommen hätte, denn meine Besitzerin (sie betitelte sich bei den Gesprächen, die sie mit mir führte immer als „Mammi“) pflegte schon sehr zeitig ins Bett zu gehen und ihr Gemahl hielt es in der Regel nur eine halbe Stunde länger vor dem Fernseher aus, ehe auch er sich zur Nachtruhe begab.

In dieser halben Stunde holte er sich meistens zwei Dosen Bier aus dem Kühlschrank und süffelte sie zügig weg, was „Mammi“ - sofern sie es mitbekommen hätte -  mit spitzen Bemerkungen über sein Alter und seinen zunehmenden Bauchumfang kommentiert hätte.

Ich war froh diesem allabendlichen Ablauf entronnen zu sein, denn Lana, eine nette Main-Coon, die drei Strassen weiter lebte, hatte ihren unverwechselbaren Duft in die milde Abendluft entsandt und mir so klar gemacht, dass heute eine Nacht war, in der sie wohl schwach werden würde.

Ich war zeitig aufgebrochen, hatte noch kurz Rubitt geärgert, indem ich ihn kurz angefaucht hatte, während er mit seinem massigen Schädel in eine Schale voller Milch steckte.

Daraufhin war er total überrascht worden und hatte einen beeindruckenden Satz von annähernd einem Meter Höhe durchgeführt.

Ich hatte lachend das Weite gesucht, begleitet von Rubitts Flüchen und mich etwas später  in der Nähe von Lanas Behausung auf die Lauer gelegt, um den günstigsten Zeitpunkt abzupassen.

Als die Laternen in der Straße eingeschaltet worden waren, hatte sie sich gezeigt und nach einigen neckischen kleinen „Ich-tue-als-wolle-ich-nicht,-aber-wenn-du-dich-anstrengst-kommst-du-zum-Ziel“-Spielchen waren wir uns in einer dunklen und ruhigen Ecke ihres Gartens „sehr nahe gekommen“.

Danach hatte Lana mich angefaucht, mir zwei, drei Hiebe mit ihrer Pfote verpasst und mich fortgejagt, jedoch nicht ohne noch hinterher zu rufen, dass ich mich irgendwann einmal wieder melden solle.

Weiber kann ich da nur sagen. Pffft!

Ein Trost blieb mir aber im Nachhinein, denn den Männchen der Menschen erging es in der Regel auch nicht besser.

Sie können zwar Dosen öffnen, Autofahren und Fernsehfernbedienungen benutzen, aber im Umgang mit ihren Weibchen stellen sie sich bisweilen noch dämlicher an, als unsereiner.

Egal!

Jedenfalls näherte ich mich von Süden her dem Haus und richtete mich darauf ein die Katzenklappe – wieder einmal – verschlossen vorzufinden (der Mann von „Mammi“ konnte ein echtes Arschloch sein) und die Nacht im Garten zu verbringen.

Was mich aber nicht gestört hätte.

Im Gegenteil! Gerade eine Nacht wie jene, von der ich Ihnen berichte, war geeignet, um sie im Freien zu verbringen.

Der Mond stand voll, aber nicht silbrig sondern leicht rötlich leuchtend am Himmel und verlieh dieser Zeit des Tages ein besonderes Flair.

Ich hatte mich nach meiner Zeit mit Lana etwas ermattet gefühlt, aber mittlerweile war diese leichte Schläfrigkeit vergangen und ich fühlte mich stark, lebendig und aufgekratzt und hatte dieses eigenartige Prickeln unter dem Fell.

Normalerweise hätte ich gemutmaßt, trotz meines Flohhalsbandes doch einen kleinen Mitbewohner abbekommen zu haben, aber das war es nicht.

Ich unterbrach meinen lockeren Trab, schaute zum nächtlichen Firmament empor, fixierte den Erdtrabanten in seiner vollen, leicht rötlichen Pracht und hatte den Eindruck Bewegungen in der Dunkelheit wahrzunehmen, die sich einer genaueren Betrachtung jedoch entzogen.

Nun, ich bin eine Katze, und ich muss Ihnen wohl nicht erklären, dass wir Angehörigen des alten Volkes (wie wir uns selber immer gerne nannten) über besonders scharfe Sinne verfügen.

In Ordnung, was das Riechen angeht, so vermag ein normaler Haushund besser schnüffeln zu können, als unsereiner.

Aber wie nutzen diese Trottel ihr Talent? Sie rammen sich die Riechkolben gegenseitig in den Hintern und kläffen dabei dämlich herum, und nehmen sich dabei so wichtig, als würden sie damit wirklich etwas Sinnvolles tun.

Aber ich schweife ab!

Ich versuchte diese eigenartigen Bewegungen in der Luft genauer wahrzunehmen, doch das war gar nicht so einfach.

Dieses Wogen und Flirren war einfach zu unwirklich und so gab ich dieses Unterfangen nach einigen Augenblicken erfolglos auf.

Ich wollte soeben weitergehen, als sich ein anderer meiner Sinne überdeutlich bemerkbar machte.

Ich erstarrte, noch bevor ich eine meiner vier Pfoten vorsetzen konnte, denn der Geruch, den meine Nase wahrnahm, traf mich wie ein Schlag von Rubitts Pfote.

Blut!

Ja tatsächlich, die Luft gab das süßliche und durchdringende Aroma an meine empfindlichen Riechrezeptoren weiter.

Ich schwankte einen Moment, denn mit diesem Geruch regten sich auch jene uralten Triebe  in mir, die selbst nach Jahrhunderten der Domestikation nicht ausgerottet worden waren.

Der Geruch war stark, doch sein Zentrum lag nicht in meiner unmittelbaren Nähe.

Daraus schlußfolgerte ich, dass sehr viel Blut vergossen worden war.

Ich konnte nicht genau feststellen aus wem das Blut hervorsprudelte, doch zweierlei wurde mir sofort klar.

Es handelte sich nicht um den Lebenssaft eines Nagers, denn deren Aromen kannte ich nur zu genau und, dem Blutgeruch anhaftend, nahm ich die Ausdünstungen des Todes wahr.

Wer immer zur Ader gelassen wurde war bereits tot.

Mit einem Mal hatte die Nacht für mich ihren schützenden und anheimelnden Charakter verloren und ich blickte mich voller Besorgnis um.

Die Bewegungen am Himmel waren verschwunden, lediglich der Mond strahlte sein rötliches Licht auf mich herunter.

Und noch etwas bemerkte ich.

Um mich herum wirkte alles wie ausgestorben.

Vor ein paar Minuten noch hatte ich das Getümmel von winzigem Leben inmitten der Grashalme des Feldes, über das ich geeilt war, vernehmen und spüren können, doch jetzt regte sich nichts mehr.

Was ging hier nur vor?

Ich beschloß mich in Bewegung zu setzen, überwand die Starre, die mich eben noch wie eine Ganzkörperklammer umschlossen hatte und legte einen gehörigen Zahn zu.

Meine Beine bewegten sie wie automatisiert und ich rannte über das Feld in Richtung Zuhause.

Den kleinen Graben am Ende des Feldes überwand ich mit einem geschmeidigen Satz, ließ das Haus, in dem Rubitt lebte rechts liegen und steuerte direkt die kleine Seitentür an, in der sich meine Katzenklappe befand.

Jetzt hoffte ich doch inständig, dass „Mammis Mann“ sie nicht wieder mit seinem schweren Werkzeugkasten verstellt hatte.

Und tatsächlich hatte ich Glück, zumindest dachte ich das damals.

Ich blieb vor der hölzernen Klappe kurz stehen, schlug mit der rechten Vorderpfote dagegen und hätte am liebsten vor Freude aufgemaunzt, als sie tatsächlich zurückschwang.

Kein Werkezugkasten, kein Wäschekorb oder, wie einem besonders gemeinen Fall geschehen, kein Kühlkasten mit lecker duftendem Grillfleisch, versperrte mir dieses Mal den Weg.

Ich kam ungehindert in die Waschküche, die sich direkt hinter der Klappe befand und war somit in Sicherheit.

Oder?

Ich will nicht darauf herumreiten, aber wir Katzen haben wirklich extrem scharfe Sinne, und mein fast fluchtartiges Rennen kurz zuvor hatte meine Wahrnehmung etwas eingeschränkt, aber jetzt überfiel mich der nächste Eindruck mit enormer Wucht.

Ich zuckte zusammen und spürte, wie sich jedes Fellhaar auf meinem Rücken senkrecht aufstellte und gleichzeitig mein Schwanz sein Volumen zu verdoppeln schien.

Der Blutgeruch überkam mich wie eine düstere Woge, die sich im Inneren dieses Hauses ausgebreitet hatte und für einen Moment verlor ich vollkommen die Übersicht.

Alles hier im Haus stank nach Blut und Tod.

Ich schrak zusammen, so wie meine Artgenossen und ich es eben so häufig tun und wirbelte auf der Stelle herum.

Mein Blick blieb an einem menschlichen Körper haften, der im toten Winkel zur Tür lag und aus dessen zerfetzter Kehle Blut hervorquoll.

Es war „Mammis Mann“.

Ich wusste mit einem Mal nicht mehr, wo oben und unten war, fauchte entsetzt auf und rannte jener Tür, die direkt in die Küche führte.

Mir ist heute klar, es wäre wohl klüger gewesen wieder nach draußen zu verschwinden, aber sowohl der Anblick des Toten, als auch der Gestank überwältigten mich schier und da gab es nur noch eine Richtung, in die ich hetzen konnte.

Ich raste zwischen Küchentisch und Arbeitszeile vorbei, sprang über die riesige Bierlache, die sich auf dem Terazzoboden ausgebreitet hatte, preschte durch den schmalen Türspalt in den Flur, zischte an der umgeworfenen und zerborstenen Anrichte und stand im Türrahmen des Wohnzimmers.

Jetzt hörte ich auch Kampfgeräusche, die mit dem Geruch vorhin auf mich zugeweht, aber von mir nicht richtig wahrgenommen worden waren.

Keuchen und Ächzen erfüllten den dunklen Raum vor mir und durch die Finsternis hindurch erkannte ich zwei menschliche Gestalten, die miteinander rangen.

Es waren zwei mir unbekannte Männer, die da kämpften. Der eine war ein wahrer Hüne, trug eine schwarze Lederjacke und hatte seine Kopfbehaarung auf einen Irokesenschnitt reduziert.

Der andere trug einen weiten dunklen Mantel und versuchte eine kleine Waffe, auf seinen Gegner zu richten.

Doch das misslang gehörig.

Im nächsten Moment wurde die der Mann im Mantel vom Hünen herumgeschleudert, riss dabei eine Stehlampe um, die scheppernd zu Boden ging und krachte auf einen der beiden Stubentische.

Ich fauchte und wieder stellte sich jedes Fellhaar auf. Mit blitzartiger Schnelligkeit (man spricht nicht umsonst von „katzenartiger Geschmeidigkeit“) drehte ich mich herum und wollte vor dem tobenden Kampf fliehen, als ein Menschenkörper direkt vor mir auf den Flurboden prallte.

Er war die Treppe heruntergepoltert und von mir ob der schrecklichen Szene im Wohnzimmer nicht vorher bemerkt worden.

Doch jetzt flog ein Arm haltlos auf mich zu und ich preschte in die entgegengesetzte Richtung.

In den Wohnraum.

Ich brauchte eine Deckung, musste mich irgendwo verstecken und suchte mein Glück unter dem zweiten Stubentisch, der noch auf seinen vier Beinen stand.

Ich hörte erneut durchdringendes Ächzen, dann vernahm ich Schritte und ein von Hecheln durchzogenes, heiseres Lachen.

„Hoch mit dir, du tapferer Vampirjäger“, sagte eine männliche Stimme und im nächten Moment erkannte ich, wie die hünenhafte Gestalt dem Mantelträger entgegeneilte und ihn mühelos emporhob.

„Mach ihn nicht zu schnell alle. Wir wollen noch etwas Spaß mit ihm haben“, drang es danach aus Richtung des Flurs.

Ich blickte zurück und sah eine weitere menschliche Gestalt, die elegant über den im Flur liegenden Körper sprang und das Treiben im Wohnzimmer mit funkelnden Augen beobachtete.

„Gerne Ria, kein Problem. Ich lasse mir ...“

Der Sprecher brach ab, denn der Mann im Mantel, den er wie eine lebensgroße Puppe hochgehoben hatte, hatte etwas aus einer Tasche gezogen und wollte es dem Hünen nun ins Gesicht hämmern.

Doch der Hüne war schneller und fing den Arm des im Griff Hängenden mühelos ab.

„Oh eine Weihwasserphiole, wie hinterhältig. Unser Vampirjäger gibt einfach nicht auf. Was hälst du davon Ria?“

Ria antwortete mit einem knurrenden Lachen, während sie neben dem reglosen Körper am Boden in die Knie gegangen war und ihn intensiv zu betrachten schien.

Der Blutgeruch wogte immer noch durch das Haus, und zusätzlich war da der Gestank von Verwesung, der diesen beiden Kreaturen anhaftete.

„Quentin, du darfst ihn jetzt doch schnell fertigmachen. Es lohnt sich nicht lange mit ihm spielen zu wollen. Dafür ist er wohl doch zu gefährlich.“

Quentin drückte seine Finger fester um das Handgelenk seines Gefangenen, der einen gurgelnden Laut von sich gab und die Phiole losließ, so dass sie zu Boden fiel, wo sie zerbarst.

Quentin fletschte seine Zähne und Entsetzen erfüllte mich.

Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt schon viele Raubtiergebisse gesehen, ich bin ja selber auch eines, doch die Quentins Zähne übertrafen bei weitem alles.

Sie hätten sogar die Reißer eines Grizzly-Bären in den Schatten stellen können.

„Mit Vergnügen Süße. So einen Leckerbissen bekommt man nicht häufig.“

Ich wandte meinen Blick ab und sah nun wieder zum Flur, wo Ria, die ein etwas kleineres, aber dennoch mindestens genauso schreckliches Gebiß entblösste, den Kopf der am Boden liegenden Person anhob, so dass ich zum ersten Mal erkennen konnte, um wen es sich dabei handelte.

Ich blickte in das bleiche und von unzähligen Bluttropfen bedeckte Gesicht meiner Besitzerin.

Unterhalb ihres Kinns erkannte ich, dass ihr der Großteil der Kehle förmlich weggerissen worden war. Genau wie ihrem Mann.

Sie war tot! Ohne jeden Zweifel. Getötet von Ria und Quentin, diesen beiden ... ich wusste sie nicht zu benennen und von einer Sekunde zur anderen schickte sich das Raubtier in mir an, dem Hass, der in mir wogte, nachzugeben.

Fragen Sie mich nicht, wieso ich tat, was ich tat oder ob ein anderer Artgenosse jemals zu dem, was ich tat, fähig gewesen wäre (wahrscheinlich nein) aber ich verließ meine Deckung unter dem Tisch und steuerte genau auf die Lache aus durchsichtiger Flüssigkeit zu, die sich ausgebreitet hatte, nachdem die Phiole zerbrochen war.

Ich spannte meine Krallenmuskulatur an, so dass diese unschätzbar wertvollen Kletter- und Jagdwerkzeuge zwischen meinen Tatzen hervorlugten und tauchte sie in die Flüssigkeit ein.

Dann sprang ich gestreckt auf die Rücklehne des Sofas, neben dem Quentin mit seinem Gefangenen stand und stieß mich ab.

Mit vorgestreckten Pfoten und einem Schlachtruf, den Menschen wohl nur als unartikuliertes Fauchen definiert hätten, flog ich durch die Luft und rammte Quentin meine Krallen seitlich in sein Gesicht, gerade als er seine Zähne in den Hals des Wehrlosen versenken wollte.

Die Wirkung war bemerkenswert.

Ich hatte schon oft meine Krallen als Waffen eingesetzt – auch gegen Menschen – aber eine solch durchschlagender Erfolg war noch nie zuvor eingetreten.

Quentin bog seine Wirbelsäule durch, als habe ihn ein elektrischer Stromstoß getroffen, stieß einen lauten Schmerzschrei aus und ließ den Wehrlosen in seinem Griff sinken.

Dieser erwies sich nun als nicht ganz so betäubt, wie es Quentin vielleicht lieb gewesen wäre, denn urplötzlich erschien dessen rechte Hand, in der sich ein angespitzter Pfahl befand. Der Hüne kam zu keiner Gegenwehr, während merkwürdigerweise Rauch aus den vier Kratzspuren an seiner Wange drang.

Ich selber bekam es auch kaum mit, aber der Mantelträger rammte den Pfahl vorwärts und traf bei Quentin jene Stelle, an der sich beim Menschen das Herz befindet.

Dann ein dumpfes Geräusch und ein Gurgeln.

Quentin starrte auf den Pfahl in seiner Brust, wimmerte kurz und brach dann neben dem Sofa zusammen.

„NEEEEEIIIIIIINNNNN“

Ria fegte mit gefletschten Raubtierzähnen aus dem Flur in den Wohnraum.

Sie war schnell, wirklich, aber ich war schneller.

Was einmal klappt, konnte auch ein zweites Mal gelingen und so sprang ich sie direkt an.

Zwar konnte ich ihr Gesicht nicht treffen, dazu reichte dieses Mal meine Sprungkraft nicht aus, aber ich stieß meine Krallen in die blasse Haut ihres Armes.

Ria kam aus dem Schritt, wurde langsamer und starrte mich zornig an.

„DUUUUUU MISTVIEH“, jaulte sie und wollte mit der anderen Hand nach mir schlagen, doch da bohrte sich ein dünner hölzerner Pfeil in ihre Brust und bescherte ihr ein ähnliches Schicksal wie Quentin, der mittlerweile reglos am Boden lag und offensichtlich tot war.

Ria schrie, stolperte über ihre eigenen Beine und fiel.

Ich konnte mich nicht mehr halten und flog durch die Luft und landete ... in den Armen des Mannes, den Quentin eben noch hatte töten wollen.

Ich war fertig, vollkommen am Ende, aber ganz schnell hatte er über mein Fell gestrichen und sprach mit ruhiger Stimme.

„Keine Angst mein Kleiner. Ich tue dir nichts. Shhhhhh, ganz ruhig.“

Er wiederholte diese Worte mehrfach, strich weiter und vertrieb somit nach und nach alle Anspannung aus mir.

Irgendwann hob er mich an und sah mir ins Gesicht.

„Ich danke dir, mein Freund. Heute war ich unaufmerksam und beinahe hätten diese beiden elenden Mörder mich geschafft.“

Ich spürte, wie mein Herzschlag langsamer wurde, doch dann meldete sich neue Angst in mir.

Ich strampelte leicht und der Mann, der mich hielt, merkte, dass ich runtergelassen werden wollte.

Ohne mich weiter um ihn zu kümmern, rannte ich in den Flur und wunderte mich auch nicht darüber dass Rias Körper langsam zu Staub zu zerfallen begann.

Mein Ziel war ... „Mammi“, die in ihr zerrissenes Nachthemd gekleidet, mit verdrehten Gliedern auf dem gefliessen Boden lag und sich nicht mehr rührte.

Meine Schritte wurden langsamer, denn noch bevor ich sie erreicht hatte, spürte ich, dass ihrem Körper jegliche Wärme fehlte.

Sie war tot!

Trotzdem stellte ich mich ganz dicht neben sie und berührte sie einmal kurz und sanft mit meiner rechten Vorderpfote.

Irgendwie hatte ich gehofft, dass ich mich vielleicht doch gerirrt hatte, dass sich vielleicht doch noch Leben in ihr befand, aber da war nichts mehr.

Ich setzte mich neben sie und blickte sie traurig an.

Sie hatte mich gern gehabt, ja, sogar geliebt, das hatte ich immer gespürt und ich war so undankbar gewesen und hatte mir nicht einmal ihren Namen gemerkt.

Ein leises Maunzen drang aus meinem Mund.

Ein leiser Abschied und vielleicht auch ein Ruf an jenen Ort, an dem sie sich jetzt befand, mit dem ich mich bei ihr entschuldigen wollte.

Ich weiß nicht, wie lange ich so dasaß, aber plötzlich spürte ich eine sanfte, wärmende Berührung.

Der Fremde, dem ich geholfen hatte, war neben mich getreten. In der linken Hand hielt er eine kleine Armbrust, die mit einem der Pfeile geladen war, der Ria zum Verhängnis geworden war.

„Armer kleiner Kerl. Ich war leider nicht schnell genug, um zu verhindern, das diese beiden Mörder deine Familie töteten. Und dabei war ich ihnen schon so lange auf den Fersen.“

Er atmete tief durch und fast automatisch begann er mich zu streicheln.

Ich blickte zu ihm hoch und konnte ihn nun zum ersten Mal richtig erkennen.

Er war nicht mehr der jüngste, doch sein Körper war schlank und stark. In seinen dunklen Augen waren Entschlossenheit und Willensstärke zu erkennen, wie ich sie nie zuvor bei einem Menschen gesehen hatte.

Und in seinen Augen lag etwas ... Wissendes.

Es schien, als könne er mehr in mir erkennen, als andere Menschen es jemals zuvor gekonnt hatten.

„Du bist sehr tapfer. Und ich denke, du hast es nicht verdient ins Tierheim zu kommen oder allein zu bleiben und zu verwildern.“

Er hob mich hoch und ich gab einen kurzen klagenden Ton von mir, als ich von meiner Besitzerin getrennt wurde.

Aber ich wehrte mich nicht, denn eigentlich wollte ich bloß weg von hier.

Fort von diesem Ort, der mein Zuhause gewesen war und jetzt von mir als der Ort angesehen wurde, an dem ich alles verloren hatte.

Alles was mir etwas bedeutet hatte.

Ich schmiegte mich an den Arm des Fremden, der mich weiter streichelte, noch einen Augenblick unschlüssig wirkte, dann aber nickte und mit mir auf dem Arm das Haus verließ.

Er nahm mich mit ins Freie, in die Nacht, die ich von diesem Zeitpunkt an als eine völlig andere Domäne ansehen sollte.

Er nahm mich mit sich, brachte mich fort von diesem Ort des Kummers, fort von meinem bisherigen Leben und gab mir, ohne etwas zu sagen, das Versprechen, sich fortan um mich zu kümmern.

***

Und so kam es auch.

Er – sein Name ist Oliver Krohn – nahm mich mit und kümmerte sich um mich.

Nach und nach erkannte er wohl, dass ich ein klein wenig anders bin, als andere Katzen und begann mit mir zu trainieren.

Ich wurde sein bereitwilliger Schüler und akzeptierte ihn als meinen Meister.

Natürlich konnte ich nichts mit jenen Schriften anfangen, aus denen er sein Wissen bezogen hatte, um als Jäger dieser schrecklichen Geschöpfe (er nannte sie Vampire) tätig werden zu können.

Aber wenn er mit mir sprach, schien es jene Barrieren zwischen ihm als Mensch und mir als Katze nicht mehr zu geben und ich verstand seine Lektionen.

Seit jener Nacht sind viele Jahre vergangen und ich habe mich sehr verändert.

Schon längst habe ich mich über den normalen EHK hinaus entwickelt und jage des Öfteren alleine jene, die der Art entstammen, die für meinen schweren Verlust verantwortlich sind.

Tatsächlich sehe ich die Nacht mittlerweile anders, als früher, doch auch wenn sie für mich nicht mehr nur die Zeit des Vergügens ist und ich erkannt habe, dass sie angefüllt ist mit Gefahren und Bedrohungen, die ich früher übersah, so hat sie sich doch zumindest in einer Hinsicht nicht verändert.

Sie ist weiterhin die Zeit, in der ich jage!

Nur, jetzt jage ich eine andere Beute!

- ENDE -
 

Kommentare  

#1 Wolfgang Trubshaw 2008-09-17 22:22
Hmmm. Bin grade dabei, mich durch die Geschichten zu lesen, somit ist das hier noch kein Votum, aber irgendwie kommt mir der Schreibstil bekannt vor. :-)
Recht originelle, lässige Fabel.......

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