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Brauchts das? - Mehr Sterne als am Firmament

Brauchts das?Mehr Sterne als am Firmament

Als Analyst für die Unterhaltungsindustrie konstatierte Hal Vogel: „Du kommst mit dem alten Geschäftsmodell nicht davon. Man hat aber bisher kein neues Geschäftsmodell gefunden, welches das alte ablösen könnte.“

Jawohl, gemeint ist diese unübersichtliche Industrie, die sich an diesem Örtchen nahe Los Angeles angesiedelt hat, welches sich mit dem Namen Hollywood schmückt. Der ehemalige Miramax-Präsident Mark Gill meint ergänzend dazu, „in Personalumstrukturierungen hat sich in den letzten 18 Monaten viel mehr getan als in den 18 Jahren zuvor“.

Der Verkauf von DVDs ist um 25% gefallen, mit Stars besetzte Filme spielen nicht einmal ihre Produktionskosten ein. Fortsetzungen müssen die Industrie retten, in Neuinterpretationen liegt die Hoffnung. Ist es normal, dass jetzt auch noch aus dem guten alten View-Master ein Blockbuster mit Fortsetzungsqualität gemacht wird?

In Hollywood geht alles den Bach runter. Wieder einmal. Glaubt man zumindest. Und wie oft war das schon der Fall gewesen? Nein, früher war nicht alles besser, denn Zeiten wie diese gab es schon des Öfteren. Die Gründe mögen andere gewesen sein, die Umbruchstimmung könnte endlich als Aufbruchstimmung genutzt werden. Als das alte Studio- und Starsystem damals zusammenbrach, ging es schließlich auch nicht wirklich bergab.

Das Studiosystem ist so alt wie das organisierte Filmgewerbe selbst. Und es ist das einfachste System, das man sich vorstellen kann, mit der effizientesten Ausbeute, die man sich nur wünschen kann. Das filmproduzierende Studio verlieh nicht nur seinen eigenen Film selbst, sondern spielte diesen auch in den ureigensten Kinoketten. Und um noch das Starsystem ins Spiel zu bringen, hielten die Studios auch noch ihre eigenen Filmstars unter Vertrag.

Das hat schon BIOGRAPH vorgemacht, als sich diese Filmgesellschaft 1908 vollends dem kommerziellen Spielfilm verschrieb. Da stieß David Wark Griffith als Darsteller und Regisseur zur Firma und revolutionierte kurzerhand das Kino. Zum Beispiel waren Lillian und Dorothy Gish fest bei BIOGRAPH, und auch Lionel Barrymore. Doch von allen war es Mary Pickford, die zum hellsten Stern am Himmel werden sollte und zum ersten ‚Biograph Girl‘ avancierte. BIOGRAPH hielt sich lange im Geschäft, hielt aber nicht lange seine Stars.

D. W. Griffith verließ BIOGRAPH wegen ‚künstlerischer Differenzen‘, war kurzzeitig auch mal beim PARAMOUNT-Ableger ARTCRAFT, bis er 1919 wieder mit Mary Pickford zusammenkam. Diesmal zur Gründung einer eigenen Produktionsfirma. UNITED ARTISTS. Pickford machte sich damit zur mächtigsten Frau im Filmgeschäft und für eine Frau war das zur damaligen Zeit eine ungeheure Machtdemonstration. Die Gründungsmitglieder Charles Chaplin, Douglas Fairbanks, Griffith und Pickford, mit Unterstützung des demokratischen Rechtsanwalts William McAdoo, wollten die bereits bestehenden künstlerischen Einschränkungen aufbrechen und bewiesen damit weise Voraussicht auf das, was kommen sollte.

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Adolph Zukor und Jesse Lasky gründeten 1912 mit Kinobetreiber William Wadsworth Hodkinson PARAMOUNT. Leute wie Rudolph Valentino und Gloria Swanson wurden als Schauspieler unter Vertrag genommen. Sie vertrieben ihre Filme selbst und führten dazu das Blocksystem ein. Jedes Kino, das einen verheißungsvollen Paramount-Film mit großen Stars buchen wollte, wurde vertraglich verpflichtet, die komplette Jahresproduktion von Paramount-Filmen zu spielen, ungesehen.

Zudem wollte man die Kinos an Fünf-Jahres-Verträge binden, um die eigenen finanziellen Interessen zu festigen. Den sogenannten Stars, und damit den eigentlichen Geldbringern, wäre somit die Verhandlungsbasis für Gagen entzogen worden. Auch einer der Gründe für die Formierung von UNITED ARTISTS. Das mit den Fünf-Jahres-Verträgen funktionierte nicht, das Blocksystem für die Filmbuchung hingegen hervorragend. Und es wurde zum Modell für die anderen großen Studios.

Die vier jüdischen Wonskolaser Brüder Hirsz, Aaron, Szmul und Itzhak zogen noch 1903 mit einem Filmprojektor durch die Lande. Sie nannten sich Warner, mit den Vornamen Harry, Albert, Sam und Jack. 1904 begannen sie Filme zu vertreiben und 1914 öffneten sich am Sunset Boulevard in Hollywood die Tore zu den WARNER BROS. Studios. Die Brüder brachten also auch alles an Erfahrung mit, um weitgehend autark zu bleiben. Produktion, Verleih und eigene Kinos. Es war Harry Warner, der den legendären Satz brachte: „Wer zur Hölle möchte Schauspieler sprechen hören?“  Fehlte es WARNER auf der einen Seite an Star-Power, schob sich das Studio dennoch schnell in die vorderste Reihe, als es trotz Harrys Bedenken in Hollywood die Vorreiterrolle bei der Einführung des Tonfilms übernahm.

Der Kinomagnat Marcus Loew kaufte 1924 METRO PICTURES CORPORATION und GOLDWYN PICTURES und formierte damit MGM, METRO-GOLDWYN-MAYER. An der Spitze Louis B. Mayer als Studioleiter und Irving Thalberg als Produktionschef. LOEWs war zu dieser Zeit die größte Kinokette und mit der Einverleibung eines Filmstudios wollte sich Marcus Loew eigentlich nur einen steten Fluss an guten Filmen für seine Kinos sichern. Als marktführendes Studio war das bis 1959 ein hervorragendes Geschäft. Zum Marktführer wurde MGM allerdings durch Louis B. Mayers clevere Weitsicht, so viele ansprechende Schauspieler wie möglich unter Vertrag zu nehmen.

Es war Joseph Kennedy, Vater eines berühmten U.S.-Präsidenten, der Hauptaktionär der Theatergesellschaft KAO wurde, den damaligen Geschäftsführer zurücktreten ließ und lukrative Fusionen einleitete. Kennedy war in Amerika für die Interessen der französischen Filmgesellschaft PATHÉ FRÈRES verantwortlich und  stolzer Besitzer des Filmverleihers FBO. Es war 1929 und der Tonfilm am Kommen. Um am Tonfilm mitzuverdienen, stieg die RADIO CORPORATION of AMERICA in Kennedys Fusionsvorhaben mit ein. Der neue, aber sperrige Name Radio-Keith-Orpheum ließ sich besser unter RKO-Pictures abkürzen. Bis in die Vierzigerjahre vertrieb RKO seine Filme allerdings über DISNEY, doch immerhin brachten sie schon Anfang der Dreißiger pro Jahr 40 Filme auf den Markt und in die eigenen Kinos. Und mit David O. Selznick, der den Posten des Produktionschefs 1931 übernahm, konnte es nur bergauf gehen.

Als Späteinsteiger ging aus William Fox‘ FOX FILM CORPORATION und Darryl F. Zanucks TWENTIETH CENTURY PICTURES im Jahre 1934 die TWENTIETH CENTURY FOX ins Rennen. William Fox brachte, fast selbstredend, eine große Kinokette mit in die Familie. Fünf Jahre zuvor wäre es William Fox sogar beinahe gelungen, LOEWs 200 Kinos aufzukaufen. Doch Louis B. Mayer wusste dies mit politischer Einflussnahme zu verhindern. Da CENT-FOX zum Beispiel Spencer Tracy wegen Trunksucht fallen lassen musste und Aktricen wie Janet Gaynor an Popularität verloren, nahm Darryl Zanuck vielversprechende Jungdarsteller unter Vertrag wie Henry Fonda oder Betty Grable. Als wirklicher Coup erwies sich allerdings Shirley Temple.
 
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Das Starsystem war also vom Studiosystem nicht zu trennen. Talente wurden unter Vertrag genommen und mit zufriedenstellenden Wochenlöhnen zu Gelddruckmaschinen verwertet. Die vertraglich gebundenen Stars konnten sich ihre Filmprojekte nicht aussuchen. Doch die Studios wollten natürlich ihre großen Namen noch größer machen und so wurden die meisten Drehbücher explizit für bestimmte Talente geschrieben. Die Attraktivität und Beliebtheit eines Stars sollte immer weiter gesteigert werden. Star war man nicht, man wurde gemacht.

Im Starsystem tat sich MGM besonders hervor, heuerte nicht nur die meisten vielversprechenden Schauspieler an, sondern dachte ebenso an talentierte Regisseure. MGMs Motto lautete: “More stars than there are in heaven”. Der Vertragsschauspieler wurde dabei nie zum Klotz am Bein, sondern konnte noch viel besser verwertet werden, wenn sein Bekanntheitsgrad stieg. Wenn sich ein Filmstudio von einem anderen einen bekannten Namen ausleihen wollte, wurden horrende Summen ausgehandelt. Der Vertrag zwang den Schauspieler, oder Regisseur dazu, für ein anderes Studio zu arbeiten, ohne dass sich an der Wochen- oder Jahresgage etwas änderte.

Robert Mitchum war bei RKO unter Vertrag, wo er respektable Filme machte. Doch erst als er an UNITED ARTISTS ausgeliehen wurde und damit eine Oscar-Nominierung als bester Darsteller für STORY OF G.I. JOE erspielte, kam sein volles Star-Potenzial zur Geltung. RKO musste Mitchum allerdings fallen lassen, nachdem man den unkonventionellen Schauspieler mit Marihuana erwischte.

Das Ausleihen wurde teilweise zur Groteske. MGM lieh zum Beispiel Jimmy Stewart 1939 an COLUMBIA aus, die MR. SMITH GOES TO WASHINGTON produzierten. Der Film war elffach für den Oscar nominiert, darunter Stewart erstmalig als bester Darsteller. Stewarts Marktwert ließ nicht nur die Kinokassen klingen, sondern auch die Ausleihsummen des gefragten Stars. So flossen ordentliche Summen in die Kasse von MGM, ohne dass diese das Risiko eines selbst zu produzierenden Films eingehen mussten.

Die Filmwelt gehörte den „großen Fünf“, und dazwischen taten sich die „drei Kleinen“ gar nicht schlecht. Alphabetisch waren das MGM, RKO, Paramount, Twentieth Century-Fox und Warner, sowie die Kleinen Columbia Pictures, United Artists und Universal. Dazwischen bewegte sich stets David O. Selznick, der megalomanische Produzent, mit seinen SELZNICK INTERNATIONAL PICTURES. Ein Jahr nach VOM WINDE VERWEHT landete Selznick den nächsten Film-Coup, indem er mit seinem Studio Alfred Hitchcock nach Amerika holte und unter Vertrag nahm.

Doch beide verstanden sich nicht besonders, weil Selznick sehr gerne in die Regie-Arbeit hineinredete und Hitchcock keine Produzenten-Einmischung mochte. So lieh Selznick seinen Vertragsregisseur gerne an UNIVERSAL oder RKO aus, was Hitchcock entgegenkam, weil er dort auf seine Weise arbeiten konnte. IM SCHATTEN DES ZWEIFELS oder auch SABOTEURE entstanden zum Beispiel bei UNIVERSAL. Selznick ging schließlich soweit, dass er nicht nur Hitchcock, sondern auch Ingrid Bergman und Cary Grant samt Drehbuch für BERÜCHTIGT an RKO für 500.000 Dollar verkaufte. Selznick wollte damit das überzogene Budget von DUELL IN DER SONNE ausgleichen.

Dies war sicher nicht das Ende des Starsystems, aber so langsam dessen Anfang. Cary Grant wollte einen Umgang, wie er bei BERÜCHIGT geschehen war, nicht mehr über sich ergehen lassen müssen und ließ sich nicht mehr vertraglich an ein Studio binden. Er gründete Mitte der Fünfziger seine eigene Firma und gilt offiziell als der erste Star, der sich dem System verweigerte. Allerdings entschloss sich schon Colonel James Stewart 1945 nach Beendigung seines Kriegsdienstes, seinen Vertrag bei MGM nicht zu verlängern und sich lieber durch einen Agenten vertreten zu lassen.

Doch noch ein kleiner wehmütiger Blick zurück zeigt, dass es ohne Vertrag durchaus möglich war, in der Glitzerwelt zu überleben. Die unbeugsame Katharine Hepburn war trotz ihres burschikosen Wesens 1932 von RKO unter Vertrag genommen worden. Das Pech, nur in Flops eingesetzt zu werden, erleichterte es ihr, aus dem Vertrag entlassen zu werden. Ihr damaliger Freund Howard Hughes kaufte und schenkte Hepburn die Filmrechte an DIE NACHT VOR DER HOCHZEIT. Sie ging damit zu MGM unter der Bedingung, dass sie ein Mitspracherecht bei Produzent, Regisseur, Autor und den Darstellern bekam. THE PHILADELPHIA STORY – DIE NACHT VOR DER HOCHZEIT wurde einer der besten Filme und größten Erfolge von Katharine Hepburn.
 
Meinungsbekundung
 
Ende der Fünfziger war das Starsystem veraltet und hatte ausgedient. Kein Schauspieler wollte sich seiner kreativen Freiheiten mehr beraubt wissen. Durch das Fernsehen geriet auch das Studiosystem stark ins Wanken. Immer absonderlichere Auswüchse gab es bei Fusionen und Konglomeraten. Verträge wurden geschlossen, Verkäufe getätigt, Menschen entlassen. Die Japaner schielten über den Ozean. Es war schon in der Frühzeit des noch glänzenden Hollywoods sehr schwer, einen Überblick über die Verbindungen und Verzweigungen der wenigen großen und sehr vielen kleinen Studios zu behalten. Heute ist es unmöglich, die Strukturen wirklich zu begreifen. Käufe, Verkäufe, Verschmelzungen, ständige Umgestaltungen.

Mit den Stars ging es nicht viel anders. Erst ihre Freiheit, dann ihre Gagenforderungen. Gewinnbeteiligungen sind auch höchst uneinsichtig und unverständlich geworden. Jack Nicholson hat dank prozentualer Beteiligungen an BATMAN mehr verdient, als der Film gekostet hat. Filme wurden produziert, die sich an den Gagen der vermeintlichen Stars selbst auffraßen. Einen Star zu kreieren ist heutzutage ein fast schon hoffnungsloses Unterfangen der Traumfabrik geworden.

Warum soll denn nun früher alles besser gewesen sein? Weil die gnadenlosen, unerbittlichen, menschenverachtenden Studiobosse von damals Profit aus ihrer Liebe zum Film machten. Sie verstanden, was Film bedeutet, sie begriffen sein Wesen außerhalb des finanziellen Konzeptes. Und wem dies fremd ist, der konzipiert eben Filme nach dem Blatt-und-Stift-Spiel SCHIFFE VERSENKEN. Und genau der Film wird gerade produziert.
 
 
Bildquellen: Logos die jeweiligen Sudios, Robert Mitchum aus Life-Magazin
 
 
 
 

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