übersetzt aus dem Englischen. Das Original "Twenty rules for writing detective stories" erschien im "American Magazine", Ausgabe Sept. 1928 von S. S. Van Dine (Pseudonym für Willard Huntington Wright - siehe unten) Diese "Regeln" reizen dazu, sich selbst Gedanken zu machen über dieses Genre, dessen Veränderungen und zu einem Dialog über das Ansinnen und die Ideen, die dahinter stecken.
Der Artikel enthält zunächst eine Übersetzung des Artikels von S. S. Van Dine, sowie eingestreut Anmerkungen von uns (Mara Laue und Bettina Meister) dazu. Die 20 Regeln sind gekürzt wiedergegeben, der vollständige Text findet sich (ab dem 27.11.) hier.
Die Detektivgeschichte ist eine Art intellektuelles Spiel. Und sie ist mehr - sie ist ein sportives Ereignis. Und für Detektivgeschichten gibt es einige genau festgelegte Regeln (...)
(...) vielleicht ungeschrieben, nichtsdestotrotz bindend; und der Schöpfer literarischer Mysterien, der etwas auf sich hält und sich selbst ernst nimmt, wird alles daran setzen, diese zu erfüllen.
Deshalb ist hier eine Art Credo, das teilweise auf der Praxis aller großen Autoren von Detektivgeschichten beruht, und teilweise dem Antrieb des Gewissens eines ehrlichen Autors.
Nämlich:
Bettina Meister sagt dazu: Gleich zu Beginn halte ich es erst mal für relevant, sich zunächst noch mal bewusst zu machen, was mit dem Begriff der "Detective-Story" gemeint ist, welche Romane, Romanreihen und Filme evtl. hierbei genannt werden können. Wenn man dies nicht tut, passiert es leicht - wie übrigens mir auch - dass man zunächst einmal sagt: "Heh ... was soll das denn?" Deswegen unten eine Erläuterung zu dem Begriff.
Mara Laue sagt dazu: Stimmt. Die clues dürfen aber verschleiert werden, solange sie noch erkennbar bleiben, müssen dem Leser (und dem Detektiv) nicht mit Winken mit dem Zaunpfahl ins Gesicht springen. Das würde die Spannung killen
2) Dem Leser dürfen keine mutwilligen Streiche gespielt oder Betrügereien präsentiert werden, ausgenommen denen, die der Kriminelle dem Detektiv selbst spielt.
Mara Laue sagt dazu: Stimmt. Da der Leser die Story wahlweise aus der Perspektive des Protagonisten oder Antagonisten "sieht", kann er auch immer nur sehen und wissen, was die sehen, kennen, wissen. Der Autor darf nicht "auktorial" eingreifen und als der allwissende Erzähler, der er eigentlich ist, die Handlung manipulieren. Absolutes No-Go: Die Lösung des Falls darf nie mit einem Zufall passend gemacht werden oder durch Zufälle einen Schubs in die richtige Richtung bekommen (siehe Punkt 5). Die gesamte Handlung muss so aufgebaut sein, dass sie logisch schlüssig zu eben diesem Ende, dieser Lösung führt.
Bettina Meister sagt dazu: Ja, da stimme ich zu, allerdings funktionieren solche Geschichten oft in Form eines "Deus ex machina". Und dann ... wo beginnt und wo endet der "Zufall"? Dies scheint mir ein wichtiger Punkt zu sein, über den ich gerne mehr diskutieren würde.
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3) Es darf keine Liebesgeschichten geben. Die derzeitige Aufgabe ist es, einen Kriminellen vor die Schranken des Gerichts zu bringen, und nicht, ein liebestolles Pärchen vor den jungfräulichen Altar.
Mara Laue sagt dazu: Das stimmt heute so nicht mehr. Viele Leser(innen) - und Verlage - lieben Storys, wo im Nebenplot eine Liebesgeschichte abläuft. Sie darf nur nicht zu sehr ausufern. Vor allem darf der Ermittler/die Ermittlerin NICHT vor lauter Verknalltheit die Vorschriften missachten oder die Pflicht vernachlässigen, sonst wird das Ganze unglaubwürdig, weil realitätsfremd. Außerdem gab es auch schon früher Liebesgeschichten in Ermittlerkrimis (z. B. in den Romanen von Anne Perry). Wenn sie gut verarbeitet sind, tragen sie die Krimihandlung mit, bringen zusätzliche Spannung und stören sie nicht.
Bettina Meister sagt dazu: Ich finde es interessant, wie deutlich S. S. Van Dine hier ist. Einige Literaturforscher, die sich mit der Kriminalliteratur der USA der 20er- und 30er-Jahre beschäftigt haben, sprachen von den zölibatären bzw. keuschen Detektiven. Dies erklärt sich natürlich in den doch immer noch sehr burgeoisen Moralvorstellungen damals. Das hat sich ja sogar teilweise bis heute gehalten. Ich fühle mich da stark an Sherlock Holmes erinnert (natürlich), der ja auch ein sehr viktorianisches Sexualleben zu haben schien.
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4) Der Detektiv selbst oder einer der offiziellen Ermittler, sollte sich niemals als der Täter entpuppen. Das ist regelrechter Betrug, fast so, als würde man jemandem einen schimmernden Penny für eine 5-Dollar-Münze aus Gold anbieten. Es ist die Vorspiegelung falscher Tatsachen.
Mara Laue sagt dazu: Hier gibt es Ausnahmen, denn der Plot, dass ein Polizist korrupt wird und die Seiten wechselt bzw. gewechselt hat, bringt für gewisse Unterarten der Ermittlerkrimis (Agentenkrimis, Hardboiled Krimis, teilweise Thriller) eine Extraportion Spannung. Allerdings sollte der eigentliche Held "sauber" bleiben oder muss sein Seitenwechsel für den Leser so rübergebracht werden, dass der ihn seinem "Helden" verzeiht bzw. gutheißt (z. B. wenn die Obrigkeit den Ermittler linkt oder ihn anderweitig mies behandelt).
Bettina Meister sagt dazu: Auch hier fällt mir auf, wie rigide Van Dine ist. Die Erklärung, warum der Detektiv nicht der Bösewicht sein darf, zieht sich auch bei folgenden Punkten durch die Gesamtbetrachtung. Es gibt andere "Listen" an Regeln, z. B. die "Zehn Regeln für einen fairen Kriminalroman", in dem Van Dine übrigens kein Mitglied war, in dem dies ebenfalls als eine Grundregel formuliert wird. Dabei muss ich gestehen, dass ich es lieber mit Eco halte, der in einem seiner "Streichholzbriefe" sagte, dass der einzige Krimi, der noch nicht geschrieben wurde, jener ist, in dem der Leser der Mörder ist. Ich finde es nebenbei großartig, wenn der Ermittler sich als "Doppelspieler" entpuppt.
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5) Der Schuldige muss durch logische Erwägungen ermittelt werden - nicht durch ein Unglück oder einen Zufall oder ein plötzliches unmotiviertes Geständnis. Um ein kriminelles Problem auf eine der letztgenannten Weisen zu lösen, ist, als würde man den Leser absichtlich in ein fruchtloses Unterfangen schicken - und wenn er dann erfolglos geblieben ist, sagt man ihm, dass das Objekt seiner Suche die ganze Zeit in seinem Hemdsärmel steckte. So ein Autor ist nichts anderes als jemand, der anderen gerne gemeine Streiche spielt.
Mara Laue sagt dazu: Unbedingt! Ein Zufall darf zwar Ausgangspunkt einer Handlung sein, aber niemals zu deren Lösung führen.
Bettina Meister sagt dazu: Siehe meine Bemerkung oben ... Was ist Zufall? Die Detektivgeschichten aus der Zeit Van Dines waren sehr vom Zeitgeist geprägt, dass man möglichst alles logisch erklären möchte, dass man kontrollieren und begreiflich machen wollte. Die heutigen Krimis spielen da ja viel stärker. Dies ist meiner Ansicht nach auch bedingt durch Cross-Over-Romane - nehmen wir mal "Harry Dresden". Da ist beileibe nicht alles logisch :-). Ich nehme an, Van Dine hätte wutschnaubend Harry Dresden als Nichtdetektivgeschichte bezeichnet.
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6) Die Detektivgeschichte muss einen Detektiv enthalten; und ein Detektiv ist kein Detektiv, wenn er nicht etwas aufdeckt. Seine Funktion besteht darin, Hinweise zusammenzutragen, die dann schlussendlich zu der Person führen, die die schmutzige Arbeit im ersten Kapitel gemacht bzw. erledigt hat; und wenn der Detektiv zu seinen Schlussfolgerungen nicht durch die Analyse dieser Hinweise kommen kann, hat er das Problem in etwa so weit gelöst wie ein Schuljunge, der seine Antworten aus dem Lösungsteil des Mathematikbuches holt.
Bettina Meister sagt dazu: Ich denke darüber nach, warum Van Dine dies speziell erwähnt. Discuss
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7) Es muss einfach einen Toten in einer Detektivgeschichte geben, und je toter der Leichnam ist, desto besser. Kein Verbrechen, das unter einem Mord rangiert, wird ausreichen. Dreihundert Seiten sind viel zu viel Wirbel um ein Verbrechen, das kein Mord ist. Schließlich muss der Leser für seine Mühe und die Energie belohnt werden, die er eingesetzt hat.
Mara Laue sagt dazu: Dieser Meinung sind zwar die meisten Verlage und auch ein Großteil der Leser, aber es werden immer mehr Stimmen laut, die sich Krimis OHNE Leiche wünschen, weil sie andere Verbrechen als Mord spannender finden.
Stimmt nicht und hat nie gestimmt, dass der Leser kein anderes Verbrechen als Mord akzeptiert. Gerade bei einem ERMITTLERkrimi wird die Spannung NICHT durch das Verbrechen erzeugt, weil - per definitionem - das Verbrechen am Anfang des Romans begangen wird oder schon abgeschlossen ist. Und eine fundierte Ermittlung ist immer so spannend, wie der Autor sie zu schreiben vermag - völlig unabhängig davon, ob es ein Mord ist, eine Entführung, ein Wirtschaftsverbrechen, der Diebstahl eines wertvollen Kunstgegenstandes oder was auch immer. Im Gegenteil ist Mord zwar das spektakulärste Verbrechen, aber nicht zwangsläufig das spannendste in Sachen Ermittlung.
Durch eine gute Ausarbeitung und einen Spannungsaufbau, der ihn atemlos der Story bis zum Ende folgen lässt - und das geht auch sehr gut ohne Mord.
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8) Das Problem des Verbrechens muss von ihm durch strikt naturalistische Wege gelöst werden. Andere Methoden zur Erlangung der Wahrheit wie automatisches Schreiben, Ouija-Bretter, Gedankenlesen, spiritistische Séancen, Lesen aus der Glaskugel und dergleichen sind tabu. Ein Leser hat eine Chance, dass er, wenn er seine Cleverness mit einem rationalistischen Detektiv verbindet, wenn er jedoch mit der Welt der Geister in Wettstreit treten muss und in der vierten Dimension der Metaphysik auf die Jagd gehen muss, ist er von vorneherein zum Scheitern verurteilt.
Mara Laue sagt dazu: Stimmt. Es sei denn, man schreibt im Genre Okkult-Krimi.
Bettina Meister sagt dazu: Siehe oben ... Harry Dresden.
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9) Es darf nur einen Detektiv geben - das heißt, sich auf einen Protagonisten zu beschränken - ein Deus ex machina. Den Verstand von drei oder vier oder manchmal sogar einer ganzen Truppe von Ermittlern einzubringen, die sich mit dem Problem beschäftigen sollen, das versprengt das Interesse und zerreißt den direkten logischen Faden, es ist auch eine unfaire Vorteilsnahme gegenüber dem Leser. Wenn es mehr als einen Detektiv gibt, dann weiß der Leser nicht mehr, wer sein Begleiter ist. Es ist, als würde man den Leser in ein Rennen gegen ein Staffellauf-Team schicken.
Mara Laue sagt dazu: Stimmt absolut nicht (mehr), weil in der Realität die Verbrechen IMMER in Teams gelöst werden. Sogar Privatdetektive arbeiten in der Regel zu zweit oder mehreren je nach zu ermittelndem Fall. (Sogar Miss Marple hatte ihren Mr. Stringer.) Ja, einer von denen muss der "Kopf" des Ganzen sein, aber keinesfalls der Einzelkämpfer. Die modernen Ermittlerkrimis ziehen gerade auch aus der Konstellation der unterschiedlichen Charaktere im Team einen Großteil ihrer Spannung durch Reibungen, Missverständnisse, Animositäten etc., und einer wirkt immer als das "Gewissen" des eigentlichen Protagonisten. Heutzutage wäre ein professioneller Einzelermittler (Beamter oder Privatermittler) unglaubwürdig.
Bettina Meister sagt dazu: Hier erweist sich etwas, das auch in einigen anderen dieser 20 Regeln deutlich wird: In welchem Maß sich die Wahrnehmung und der Anspruch der Leser verändert hat. Ein einzelner Ermittler hat seinen ganz eigenen Charme. Man sieht die Welt förmlich durch seine Augen, als "Alleinfutter" würde es uns aber vermutlich nicht mehr reichen.
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10) Der Schuldige muss sich als eine Person erweisen, die eine mehr oder weniger wichtige Rolle in der Geschichte gespielt hat - das heißt, dass der Leser mit der Person bekannt sein muss und für die er sich interessiert.
Mara Laue sagt dazu: Unbedingt! (Fast) nichts verzeiht einem der Leser so wenig wie eine "Waise" = eine als Täter aus dem Nichts auftauchende Person, die noch nie zuvor im Roman erwähnt wurde. Das ist ähnlich unglaubwürdig wie der Zufall als Lösung.
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11) Ein Diener darf vom Autor nicht als Schuldiger ausgewählt werden. Es geht darum, der Frage nach Rang auszuweichen. Es ist eine (allzu) einfache Lösung. Der Schuldige muss ganz klar eine Person sein, die der Mühe wert ist, somit eine, die normalerweise nicht in Verdacht kommen würde.
Mara Laue sagt dazu: Das mag damals Konsens gewesen sein, besonders sinnvoll war es nicht, da es in einem adligen Haushalt in der Regel nicht nur eine/n Diener/in, sondern einen ganzen Stall voll Personal gegeben hat. Und - wie wir wissen - war der Mörder doch schon immer der Gärtner oder der Butler . Aber im Ernst. Heutzutage fällt diese Regel natürlich komplett unter den Tisch. Selbst in Haushalten, in denen es Hausangestellte gibt, macht ein Servant als Täter durchaus Sinn, wenn sämtliche Familienangehörigen gekonnt als falsche Verdächtige aufgebaut werden, sodass man den Servant als Letzten verdächtigt und seine Täterschaft für den Leser völlig überraschend kommt.
Bettina Meister sagt dazu: Als ich dies gelesen habe, musste ich mehrfach stutzen. Ich habe aus verschiedenen anderen Quellen nachgelesen, ob Van Dine dies tatsächlich so geschrieben hat. Er schreibt: "Servants--such as butlers, footmen, valets, game-keepers, cooks, and the like--" und weiter unten: "It isunsatisfactory, and makes the reader feel that his time has been wasted". Es passt in unsere Vorstellung gar nicht, wie du schon sagst, Mara. Allerdings ist diese Aussage von Van Dine auf dem Hintergrund einer anderen Gesellschaft zu sehen. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist ein gewisses Maß an gesellschaftlicher Überheblichkeit nicht auszuschließen, aber Van Dine begründet seine Aussage damit, dass der Leser es als Zeitverschwendung sehen könnte, wenn ein "einfaches Down-Stairs-Mitglied" der Mörder wäre. Für ihn besteht ein großer Teil der Spannung darin, dass die gesellschaftlich Gleichgestellten, denen man eine solche "unkultivierte" Tat vielleicht erst einmal nicht zutrauen würde, schuldig werden.
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12) Es darf nur einen Mörder geben, egal, wie viele Morde begangen wurden. Der Schuldige kann natürlich einen untergeordneten Helfer oder einen Mittäter haben, die ganze Beweislast jedoch muss auf einem Paar Schultern ruhen. Die gesamte Empörung des Lesers muss sich auf die schwarze Natur eines einzelnen Menschen konzentrieren.
Mara Laue sagt dazu: Jein. Das kommt auf die Handlung an. Krimis, die im Terroristenmilieu angesiedelt sind, MÜSSEN natürlich mehrere Schurken haben, da kein Terrorist allein arbeitet. Und - siehe Agatha Christies "Mord im Orient Express" - es tut der Story keinen Abbruch, wenn ein Mord von 12 Personen begangen wird . Hängt alles vom Plot der Story ab.
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13) Geheimgesellschaften, Camorras, Mafias und andere haben in einer Detektivgeschichte nichts zu suchen. Ein faszinierender und wirklich schöner Mord wird durch eine solche "en gros-Schuld" unrettbar verdorben. Selbstverständlich sollte dem Mörder in einer Detektivgeschichte eine sportliche Chance gegeben werden; es würde jedoch zu weit gehen, wenn man ihm eine Geheimgesellschaft "gönnt", auf die er zurückgreifen kann. Kein hochklassiger Mörder, der etwas auf sich hält, würde solchen Kram wollen.
Mara Laue sagt dazu: Jein. Solange die Geheimgesellschaften glaubhaft ausgearbeitet sind und die Handlung nicht ins Lächerliche abdriftet oder so hanebüchen wird, dass der Roman unfreiwillig zur Parodie mutiert, darf es heute ruhig die Verschwörung sein - in Maßen. Und da der Einfluss von organisierter Kriminalität immer häufiger wird, kann der Ermittler durchaus gegen die Mafia etc. ermitteln. Z. B. wenn die einen Zeugen ermordet hat. Auch hier kommt es auf den (guten) Plot an.
Bettina Meister sagt dazu: Ich fand diese Regel sehr interessant und habe mich gefragt, was Van Dine damit erreichen will. "the murderer in a detective novel should be given a sporting chance, but it is going too far to grant him a secret society". Wenn eine große, machtvolle Organisation hinter dem Mörder steht, verschiebt sich das Machtgefüge in Richtung des Mörders, mit allen Folgen. Die Tat könnte damit unter Umständen durch den Detektiv nicht mehr in einer glaubhaften Form gelöst werden können - ohne Deus ex machina.
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14) Die Form des Mordes, und die Wege dies zu ermitteln, muss rational und wissenschaftlich sein. Das bedeutet, pseudo-wissenschaftliche und rein erfundene und spekulative Mittel haben im "roman policier" [franz. Krimi] nichts zu suchen. Wenn ein Autor erst einmal in das Reich der Fantasie, in der Art eines Jules Verne, hinüberwechselt, bewegt er sich außerhalb der Grenzen des Detektivromans und springt in den unentdeckten Bereichen des Abenteuers herum.
Mara Laue sagt dazu: Stimmt. Solche Plots gehören zum Genre Mystery-Krimi/Thriller, Fantastic Krimi oder SF-Krimi, sind aber keine reinen Ermittlerkrimis mehr.
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15) Die Wahrheit des Problems muss jederzeit offensichtlich sein - vorausgesetzt, der Leser ist intelligent genug, sie zu sehen. Damit meine ich, dass der Leser, nachdem er die Erklärung des Verbrechens kennengelernt hat, das Buch noch einmal lesen sollte, um zu sehen, dass die Lösung ihm in gewisser Weise immer ins Gesicht gestarrt hat, dass alle Hinweise tatsächlich auf den Schuldigen hingewiesen haben. Und dass er, wenn er so clever wie der Detektiv gewesen wäre, das Mysterium selbst hätte lösen können, ohne bis zum letzten Kapitel lesen zu müssen. Dass ein cleverer Leser oft das Geheimnis löst, versteht sich von selbst.
Mara Laue sagt dazu: Stimmt hundertprozentig! Alles andere ist indiskutabel, weil es die Story unglaubwürdig machen würde.
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16) Eine Detektivgeschichte sollte keine langen beschreibenden Passagen beinhalten, keine literarische Tändelei mit Nebenthemen, keine subtil ausgearbeitete Charakteranalyse, keine "atmosphärischen" Gedanken. Solche Dinge haben in der Aufzeichnung eines Verbrechens und dessen Entdeckung nichts zu suchen. Sie halten nur die Handlung auf und bringen Themen ein, die für den eigentlichen Zweck unerheblich sind. Dieser besteht darin, ein Problem darzustellen, es zu analysieren und es zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen. Dennoch ist es wichtig, ausreichend zu beschreiben und Charaktere zu entwerfen, um den Roman plausibel zu machen.
Mara Laue sagt dazu: Stimmt nur (noch) bedingt. Heutzutage ist für die Lösung eines Falles u. a. wichtig, WARUM der Täter die Tat begangen hat. Um das dem Leser zu vermitteln, muss man ihm den Charakter des Täters nahebringen (aber bitte mit der Methode: "Show, do not tell"). Auch kann ein Ort für die Lösung wichtig sein und muss dann entsprechend beschrieben werden. Und ein Krimi ohne "Atmosphäre" ist für die meisten Leser "out" und nimmt einem kein Verlag mehr ab (ausgenommen Heftromane). Leser wollen auch solche Dinge lesend "fühlen" und nicht nur eine Action/Spannung nach der nächsten serviert bekommen (es gibt natürlich Ausnahmen). Deshalb ist ein gewisses Maß an Atmosphäre essenziell auch für einen Krimi. Korrekt ist aber, dass immer noch gilt, dass alle ÜBERFLÜSSIGEN Beschreibungen (und zwar in jedem Roman!) weggelassen werden sollten.
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17) Einem professionellen Kriminellen sollte nie die Schuld eines Verbrechens in einem Detektivroman aufgebürdet werden. Verbrechen durch Einbrecher und Banditen gehören in das Aufgabengebiet der Polizei - nicht in das von Autoren und brillianten Amateurdetektiven. Ein wirklich faszinierendes Verbrechen wird eines, das durch eine Säule einer Kirche begangen wird, oder durch eine alte Jungfer, die für ihre Mildtätigkeit bekannt ist.
Mara Laue sagt dazu: Stimmt grundsätzlich, sonst würde der Charakter unglaubwürdig. Hätte z. B. ein Profikiller ein Gewissen, wäre er kein Profikiller.
Aber es gibt noch eine Menge anderer interessanter(er) Verbrechen ...
Bettina Meister sagt dazu: Naja, da bin ich nicht unbedingt deiner Meinung, Mara. Moderne Geschichten, Detektiv oder nicht - leben für mich oft gerade dadurch, dass der Killer gedanken- und gnadenlos mordet, und einige Szenen weiter ein Kind verschont, weil es ihn an seine eigene Kindheit erinnert ... okay ... schlechtes Beispiel. Aber vielleicht wird in etwa klar, was ich meine.
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18) Ein Verbrechen in einer Detektivgeschichte darf sich niemals als Unfall oder Selbstmord erweisen. Eine Odysee der Detektivarbeit durch so eine Anti-Klimax zu beenden, bedeutet, den wohlmeinenden und vertrauensvollen Leser zu täuschen.
Mara Laue sagt dazu: Stimmt! Den Unfall nimmt der Leser in der Regel übel. Selbstmord geht bei einem Plot, wo der Selbstmord einen Mord vortäuschen soll, der jemandem (aus Rache) in die Schuhe geschoben werden soll, der als Mörder verhaftet wird und sich erst am Ende der perfide Plan des Selbstmörders offenbart. Hier besteht die Kunst darin, einen Plot zu entwerfen, der nicht schon x-fach verwendet und deshalb bereits zum Klischee wurde.
Ist aber (auch) die Realität realer Ermittler. Schon mancher Tote, der ermordet worden zu sein schien, entpuppte sich später als Selbstmörder. Der umgekehrte Fall kommt allerdings viel häufiger vor (ein scheinbar natürlicher Tod oder Selbstmord, der ein Mord war).
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19) Die Motive für alle Verbrechen in Detektivgeschichten sollten persönlich sein. Internationale Handlungsstränge und Kriegspolitik gehören in eine andere Romankategorie - in Geschichten um Geheimdienste beispielsweise. Eine Mordgeschichte jedoch muss "gemütlich" bleiben - um es einmal so zu nennen. Sie muss die täglichen Erfahrungen des Lesers reflektieren, und ihm ein gewisses Ventil für seine eigenen unterdrückten Begierden und Emotionen zu bieten.
Bettina Meister sagt dazu: Das fand ich interessant - es passt ja zu der Regel *such* Regel 11 und der sozialen Schicht, aus der der Mörder kommt. Es geht um Lebensnähe, und damit um die Identifikationsmöglichkeit des Lesers mit der Gesamtgeschichte. Van Dine beschreibt da etwas, das gerne auch und gerade in Zusammenhang mit Gewaltgeschichten, -filmen etc. erwähnt wird ... die reinigende Wirkung, die letzten Endes verhindert, dass der Leser selbst etwas Ähnliches vollbringt.
- 20) Und, um meinem Credo eine gerade Anzahl an Punkten zu geben, werde ich hier noch eine Liste einiger Hilfsmittel, die kein Autor von Detektivgeschichten, der etwas auf sich hält, nutzen wird. Sie sind einfach schon zu oft eingesetzt worden, und sind allen wahren Liebhabern des literarischen Verbrechens nur zu bekannt. Diese einzusetzen ist ein Eingeständnis der Unfähigkeit des Autoren und eines Mangels an Originalität.
- a) Die Identität des Tätes dadurch feststellen, dass man eine Zigarettenkippe, die man am Tatort gefunden hat, mit der Zigarettenmarke vergleicht, die ein Verdächtiger raucht.
- b) Die betrügerische spiritistische Séance, durch die der Schuldige dazu gebracht wird, direkt zu gestehen.
- c) Gefälschte Fingerabdrücke.
- d) Das Alibi einer unechten Figur.
- e) Der Hund, der nicht bellt und dadurch die Tatsache entlarvt, dass ihm der Eindringling gut bekannt ist.
- f) Das abschließende Verlegen des Verbrechens auf einen Zwilling oder einen Verwandten, der genau so aussieht wie der Verdächtige, der jedoch unschuldig ist.
- g) Die subcutane Spritze und die k.o.-Tropfen
- h) Die Tat des Mörders in einem verschlossenen Raum, erst nachdem die Polizei bereits eingedrungen ist.
- i) Ein Spiel mit Wort-Assoziationen für die Schuld.
- j) Ein Chiffre oder ein Codewort, das mehr oder weniger zufällig durch den Detektiv entdeckt wird.
Mara Laue sagt dazu: a) Jein. Da das in der Realität sehr oft passiert, kommt es darauf an, wann und wo das Ding mit der DNA daran gefunden wurde und ob es rechtlich überhaupt für eine Analyse benutzt werden darf.
b) Super No Go!
c) Die können u. U. verwendet werden, da es heutzutage Möglichkeiten gibt, sie so gut zu fälschen, dass sie von echten kaum zu unterscheiden sind.
d) No go!
e) No go, weil manche Hunde auch bei Fremden nicht anschlagen.
f) Gähn!
g) Letztere werden in der Realität tatsächlich häufig verwendet (z. B. bei Vergewaltigungen), dass man sie benutzen kann, wenn der Plot ansonsten ordentlich gestrickt ist.
h) No go!
i) Hahaha!
j) No go, weil höchst an den Haaren herbeigezogen.
S. S. Van Dine ist das Pseudonym des Autors einer beeindruckenden Zahl von Romanen, Geschichten und Scripten für Kurzfilme in den USA. Er war der Schöpfer des Detektivs Philo Vance, dessen Abenteuer auch verfilmt wurden (mit
William Powell, aber auch
Basil Rathbourne in der Rolle von Philo Vance).
Hinter S. S. Van Dine steckte Willard Huntington Wright (1887-1939). Wright war Rezensent für die Los Angeles Times. Nach einem Kunststudium, das ihn auch nach Paris und München führte, lebte er zunächst in Los Angeles. Das Studium war seine Eintrittskarte für die Stelle als Lektor für Literatur und Kunst. Schon früh begann er selbst zu schreiben, veröffentlichte einen Roman und verschiedene Kurzgeschichten.
Durch einen Burn-out wurde Wright für eine lange Zeit zur Untätigkeit gezwungen. Die Ärzte verordneten absolute Ruhe und die Zeit im Bett zu verbringen. Wright war durch diese Tatsache noch mehr unter Stress gesetzt, er empfand dies als ausgesprochene Belastung.
Um sich die Zeit zu vertreiben - und seinen Geist am Laufen zu halten - begann er zunächst Detektiv-Storys zu lesen, dann zu sammeln ... und schließlich selbst zu schreiben. Seine Geschichten wurden zu wahren Reißern. Wright konnte es sich erlauben, seine Tätigkeit als Rezensent aufzugeben und sich nur noch seinen Geschichten zu widmen.
Wright starb in einer Phase seines Lebens, als sein Stern zu sinken begann. Er galt als verschwenderisch in seiner Lebensführung, mehr interessiert am Prassen als am Schreiben ... Es gelang ihm nicht, die Veränderungen des Zeitgeschmacks mitzumachen.
Es war das goldene Zeitalter der Detektiv-Geschichten, als der Begriff "Detective Story" in der Form geprägt wurde, wie er gerade im Hinblick auf die Regeln und Listen verwendet wird, die es angeblich braucht, um einen guten Detektiv-Roman zu schreiben.
Eine große Anzahl immens populärer Autoren und Romanfiguren stammen aus dieser Phase, die zumeist in die 20er- und 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts platziert werden, allen voran Agatha Christie mit Poirot und Miss Marple, Dorothy L. Sayer und ihr Lord Peter Wimsey, Raymond Chandler und Philip Marlowe - wobei ich hier bewusst nicht zwischen Novel und Pulp unterscheide - Ronald Knox und eben S. S. Van Dine.
Ist im Grunde ein noch "gefesselter" Detektivroman. Es gibt Regeln, Ordnungen, die als einzuhalten gelten.
Heute ist dies in der Form nicht mehr denkbar - gerade die Bemerkungen Maras machen dies ja mehr als deutlich. Der Kriminalroman ist entfesselt - in jeglicher Hinsicht. Bereits Raymond Chandler bezeichnete diese Form rigide regelbehafteter Romane als nicht mehr vertretbar angesichts der sich verändernden Gesellschaft, in der die "Up-Stairs" nicht mehr das primäre "Käufersegment" darstellten, und somit nicht mehr relevant als Bühne für die Romane waren.
Eine sehr gute Darstellung dieses "entfesselten Kriminalromans" findet sich im Artikel von Ulrich Broich in dem Buch "Der Kriminalroman". Herausgeber: Jochen Vogt, UTB, 1998.
Kommentare
Als Zufall gilt jedes Ereignis, das sich NICHT als logische Konsequenz aus der jeweiligen Handlung ergibt, und zwar unabhängig davon, ob der Handlung dadurch ein Schubs in die vom Autor gewünschte Richtung gegeben wird oder zur Lösung des Falls führt.
Beispiel: Der Ermittler hätte nie den unter Sand verborgenen Ausweis des Toten gefunden (und damit an dem Punkt der Handlung schon seine Identität erfahren), wenn nicht zufällig in dem Moment, wo er dort steht, ein Windstoß den Sand zur Seite gefegt und den Ausweis freigelegt hätte.
Oder der Ermittler nie im Leben dem Täter die Tat hätte beweisen können, wenn der nicht zufällig ausgerechnet am Tatort den Anhänger von seinem Schlüsselbund verloren hätte.
Solche Zufälle mag es zwar in der Realität tatsächlich geben, aber in einem Krimi wirken sie unglaubwürdig, weil sie sehr unwahrscheinlich sind. Der Gebrauch eines Zufalls wird deshalb ebenso wie der "Deus ex machina" (in der Literatur und dem Theater = ein unerwartet auftauchender Nothelfer, ohne den der Held gescheitert wäre) als Beleg dafür gewertet, dass der ihn benutztende Autor in Sachen "wasserdichter, logisch aufgebauter Plot" noch einiges zu lernen hat.
zu manchen sage ich nur SCHEIßE
Gikt euch
Ich denke, die Regeln sind nicht nur dem Zeitgeist unterworfen (damalige Vorlieben und Lesegewohnheiten), sondern auch die Gesellschaft hat sich geändert. Viele Stadtkrimis, viele Landkrimis - Lokalkolorit wird gewünscht. Nur ein Beispiel.
Beim Lesen der Regeln musste ich dann doch an "The sixth Sense" denken. Obwohl einige Regeln gebrochen werden, ist der Film immer noch (und in meinen Augen: nachhaltig) genial. Die Schlüsselszene in meinen Augen: Bruce Willis mit dem Diktiergerät. Hier nimmt der Protagonist den Zuschauer mit und öffnet (übersinnliche) Möglichkeiten. Trifft ja dann auch zu, wenn auch ganz anders ...
Der zweite Film, der mir sofort eingefallen ist: "Sau Nummer Vier". Auch hier wurden Regeln gebrochen. Und die Kritiken waren durchwachsen - nur als Mittelmaß hat ihn keiner empfunden.
Eine kleine Korrektur: Miss Marple hatte ihren Stringer nur in den Filmen ...