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Brauchts das? - Der letzte Exorzismus ...ist ein gefundenes Fressen

Brauchts das?Der letzte Exorzismus
...ist ein gefundenes Fressen

Ein homosexueller, amerikanischer Soldat verliebt sich bei seinem Einsatz im Irak in einen ebenfalls schwulen aber irakischen Kämpfer. Gemeinsam beschließen sie, den amerikanischen Präsidenten bei einer Stippvisite zu ermorden. Erzählt wird die Geschichte aus nachgestelltem CNN-Material und aus den Speicherkarten diverser Kameras anderer Soldaten. So sieht er aus, der neueste Geniestreich der Wachowski-Geschwister (ein Bruder ist ja inzwischen zur Schwester geworden).
Allein die Inhaltsangabe muss einfach vermuten lassen, dass dies kein wirkliches Projekt ist, sondern nur ein Publicity-Stunt sein darf. Das Ganze allerdings wirklich aus Schnipseln von Pseudo-Dokumentarfilmchen zusammenzustellen wäre dabei das spannendere Unterfangen. Was uns aber hoffentlich erspart bleibt. Zum einen sollten sich die Wachowskis erst mal ernsthaftere Gedanken um ihre Karriere machen, und zum anderen sind Kinofilme mit frenetisch geschüttelten Kamerabildern zum Kotzen. Besonders, wenn man in den vorderen Reihen sitzt.

Im Oxford English Dictionary wird das Wörtchen Mockumentary, also inszeniertes Material, das als authentisch verkauft wird, erstmals 1965 erwähnt. Der bekannteste Mockumentary-Vertreter ist unbestritten Rob Reiners THIS IS SPINAL TAP von 1984, bei dem viele Zuschauer nicht wahrhaben wollten, dass die Band in Wirklichkeit gar nicht existierte. Weit vor 1965 erschütterte Orson Welles mit dem KRIEG DER WELTEN den Äther, bei dem die Zuhörer nicht wahrhaben wollten, dass die Außerirdischen-Invasion nicht wirklich stattfand. Aber dieses Beispiel führt zu weit vom Kino weg.

1980 mischte sich in die Reihe der Mockumentarys ein Sub-Genre, das durch diverse journalistische Veröffentlichungen endlich auch zu einem Namen kam. Es ist der FOUND FOOTAGE THRILLER. Wahrscheinlich kann irgendein schlauer Professor bezeugen, dass es Filme, die aus vermeintlich gefundenem Filmmaterial zusammengestellt wurden, schon von Anbeginn an gab, und das soll auch nicht abgestritten werden. Doch 1980 erschütterte CANNIBAL HOLOCAUST derart die Kinolandschaft, dass das Stilmittel des „gefundenen Materials“ weltweit wie ein Paukenschlag wahrgenommen wurde und nicht mehr ignoriert werden konnte. Und Regisseur Ruggero Deodato musste vor Gericht beweisen, dass seine Darsteller nicht wirklich zum Wohle des Films geopfert worden waren.

Doch CANNIBAL hatte wegen seiner vielen Verbote kaum Publikum erreicht. MANN BEISST HUND hingegen, als bester Vertreter dieses jungen Genres, war lediglich ein Geheimtipp unter den Besuchern der Programmkinos. Tatsächlich war es die Hexe von Blair, die mit einer fast kostenlosen, aber einmaligen Werbestrategie über das Internet das Publikum herumriss. Die Wirkung und der Erfolg von BLAIR WITCH waren gleich so exorbitant, dass sie das übermächtige Hollywood noch zögern ließen. Und ebenso das Publikum, denn in den ersten Wochen waren Zuschauer davon überzeugt gewesen, echtes Material gesehen zu haben. Im Nachhinein mussten sich die Filmemacher die Frage gefallen lassen, warum man für verwackelte und unscharfe Bilder zahlen sollte, wenn doch alles nur inszeniert ist.

War die Sinnfrage im Wechselspiel von Stil, Aufwand und kommerzieller Auswertung durchaus berechtigt, konnte der Großteil dieses nach Gänsehaut geifernden Publikums die Wirkung des Films im Zusammenhang mit der Dunkelheit des Kinos und dem Kollektiverlebnis nicht leugnen. Waren nicht schon immer die einfachsten Horrorfilme die effektivsten?

CLOVERFIELD hätte den endgültigen Durchbruch für den Stil schaffen sollen, hat es aber mit dem Realismus in den Bildern derart übertrieben, dass das Publikum dankend und speiend ablehnte. Die Ehrlichkeit gegenüber dem Zuschauer ging mit der Höhe des Budgets schlichtweg verloren. Selbst Romeros DIARY OF THE DEAD fand nur Genre-Freunde, aber keinen Verleiher. Es ist einfach ein Genre, das sich für kleine Produktionen eignet, die wenig oder gar kein Budget haben. Die Rezeptur ist einfach – und billig. LAST HORROR MOVIE war da 2003 ein gut gemeintes Beispiel, aber einfach zu unoriginell inszeniert. Dann kam REC 2007 und versprühte wieder den Gänsehaut treibenden Charme von BLAIR WITCH. Unbekannte Gesichter und eine straffe Inszenierung, in der die Macher wussten, worauf es ankam. Und dass der Film eine spanische Produktion war, machte ihn weniger vorhersehbar als eine normale amerikanische Produktion.

Lange Zeit war BLAIR WITCH PROJECT der wirtschaftlich erfolgreichste Film aller Zeiten, bis er von PARANORMAL ACTIVITY abgelöst wurde. War die Akzeptanz bei BLAIR WITCH wegen seiner allzu extremen Konsequenz, ohne Aufklärung und Auflösung zu arbeiten, noch verhalten, war diese Art der Unterhaltung zehn Jahre später bei ACTIVITY schon vom Publikum akzeptiert, hatte sich aber auch erzähltechnisch weiter dem Mainstream angenähert. So oder so würdigt der Zuschauer die spürbare Ehrlichkeit in einer Produktion. Etwas, das Filmemacher Oren Peli mit ACTIVITY auf die Leinwand brachte, weil er mit 15.000 Dollar nicht das Publikum im Sinn hatte, sondern an seinen eigenen Urängsten arbeitete. Eine lohnenswerte Eigentherapie, die den Weg für THE LAST EXORCISM ebnete.

Mit dem Produzenten-Namen Eli Roth hatte DER LETZTE EXORZISMUS sein 1,8 Millionen-Dollar-Budget bereits inne, bevor die erste Klappe gefallen war. Lionsgate erwarb die Rechte an einem scheinbar todsicheren Hit. Tatsächlich ist Regisseur Daniel Stamm ein durchaus effektreicher Film gelungen, der aber vehement darunter leidet, dass er eine große Mogelpackung ist. Wer sich auf den letzten Exorzismus einlassen möchte, sollte schleunigst alle Versprechungen vergessen, welche ihm die Werbung suggeriert hat. Kein Schock-Feuerwerk, keine Effekte-Zauberei, keine zeitgemäße Variante des EXORZISTEN.

Referent Cotton Marcus zweifelt an seiner Kirche. Angefangen hatte es mit einer Exorzismus-Akademie, die seinen Glauben erschütterte. Er möchte verhindern, dass wieder und wieder  hilfsbedürftige Menschen durch den falschen Zauber der Kirche ihr Leben verlieren, wenn sie bei den vermeintlichen Teufelsaustreibungen zum Beispiel bis zum Tode dehydrieren. So geht Cotton Marcus selbst auf Tour und besucht um Hilfesuchende, die glauben, ein besessenes Mitglied in der Familie zu haben. Begleiten lässt sich Marcus von einem Kamerateam, um zu dokumentieren, wie er selbst mit List, Täuschung und einem nur vermeintlichen Exorzismus zum Erfolg kommt. Sein nächster Weg führt in auf die Sweetzer-Farm im tiefsten und dunkelsten Hinterland von Louisiana.

„Wenn wir mit der Bloßstellung auch nur ein einziges Kind retten, dann ist dies wirklich Gottes Werk.“
Mit Patrick Fabian hat man in Cotton Marcus einen sehr glaubwürdigen Darsteller gefunden, der es als frisches, neues Gesicht tatsächlich schafft, den Film zu tragen. Daniel Stamm als Regisseur schafft das allerdings nicht. Zu sehr versucht er, authentisch zu wirken. In vielen Momenten wirkt die Szenerie allzu bemüht, fast schon angestrengt, und verliert dabei einiges an Glaubwürdigkeit.

Auch Huck Botkos und Andrew Gurlands Buch funktioniert nur bedingt in dem Rahmen, wie er für das Genre angemessen wäre. Sie geben der Figur des gebeutelten Kirchenmannes sehr viel Spielraum und widmen ihm die gesamte erste Hälfte des Filmes, was im Grunde sehr gut ist und auch für den Spannungsaufbau dringend notwendig. Aber Marcus‘ Interview-Aufnahmen werden dem Charakter einfach nicht gerecht. Sehr aufdringlich und bewusst muss er sich über Dämonen lustig machen, viel zu offensichtlich lehnt er den Glauben an die Notwendigkeit des Exorzismus ab. Dafür, dass der Zuschauer längst Bescheid weiß, was kommen wird, wirkt das eher ermüdend und nicht wirklich durchdacht. Sollte ein Mann in dieser Position nicht eher über seine eigene Beziehung zu Gott sinnieren?

Ab der fünfundvierzigsten Minute schaltet der Film dann hoch in den Gruselgang, als Marcus, und mit ihm der Zuschauer, den Zustand des um Hilfe flehenden Sweetzer-Mädchens Nell erfährt. Damit bekommt der Film keine Chance mehr, ehrlichen Gottesglauben den Geschehnissen auf der Farm gegenüberzustellen. Das wäre die Möglichkeit gewesen, aus der Thematik etwas Besonderes zu machen. Doch gegenüber einem jungen Publikum ist es wahrscheinlich angenehmer und populärer, Gott einfach außen vor zu lassen. So ist eine Auseinandersetzung mit Glaubensfragen nur fadenscheinig in den Anfang eingearbeitet, behandelt wird sie aber in keinem Moment.

Dass der LETZTE EXORZISMUS aber doch in seinem angestammten Sinne unterhält, ist der zweiten Hälfte zu verdanken. Allerdings funktioniert er ab diesem Zeitpunkt nicht mehr als Pseudo-Dokumentation, auch wenn sich Zoltan Hontis Bilder wirklich nur auf natürliche Lichtquellen beschränken. Die Atmosphäre auf der Farm ist ausgesprochen intensiv und hält den Schauer im angemessenen Tempo aufrecht. Und das ohne künstliche Toneffekte und auch ohne die üblichen Schockeffekte von in die Kamera springenden Dingen.

Das Ende ist zweifellos zu dick aufgetragen, um den vorherigen achtzig Minuten gerecht zu werden. Aber wenigstens haben sich die Autoren auf den Weg dorthin einige überraschende und kluge Wendungen einfallen lassen, die glaubwürdig sind und nicht an den Haaren herbeigezogen wirken. Hätten sie nur diese Energie auch in die erste Hälfte des Films gesteckt. Damit wird DER LETZTE EXORZISMUS zwar zu einem sehr effektiv unterhaltenden Film, kommt aber über ein gesundes Mittelmaß nicht hinaus. Aber so ist das eben auch bei den FOUND-FOOTAGE-Thrillern, wenn man wegen des schnöden Mammons einfach zu viele Zugeständnisse machen muss. Oder doch nur die eigenen Fähigkeiten überschätzt werden? Das allein wissen die Filmemacher selbst.

Das Genre ist jedenfalls angekommen. Und es werden noch so einige Filme sich dazugesellen. Die meisten davon sicherlich schlechte Vertreter dieser Filmgattung, aber dafür entschädigt der eine oder andere Volltreffer, der geschickt genug die Strukturen zu nutzen weiß. Wurde DIARY OF THE DEAD von einer einzigen Kamera beobachtet, kursierten wilde Gerüchte, dass der Nachfolge Romero vielschichtiger Überwachungskameras und Ähnliches mit einbeziehen würde. Dieses Konzept hat der zweite Aufguss von PARANORMAL ACTIVITY nun für sich übernommen. Und was man schon gesehen hat, wirkt das wirklich grauenhaft. Grauenhaft schön. So ein klein wenig Enttäuschung über LAST EXORCISM lässt dann doch die Vorfreude auf die zweite AKTIVITÄT wachsen, in Form von Ganzkörper-Gänsehaut. Das Genre ist angekommen, und es wird bleiben. Wie ein guter Dämon.


Der letzte Exorzismus
Darsteller: Patrick Fabian, Ashley Bell, Louis Herthum, Caleb Landry Jones u.a.
Regie: Daniel Stamm – Drehbuch: Huck Botko, Andrew Gurland – Kamera: Zoltan Honti – Musik:  Nathan Barr - zirka 87 Minuten - USA / 2010
 

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