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Freiheit

PRA-Fanfiktion von Andrea BottlingerFreiheit

Direkt vor ihm flirrte die blaue Energiewand und versperrte den Blick auf die Arena. Nervös trat Xentall von einem Bein auf das andere. Es kam ihm vor, als warte er schon seit einer Ewigkeit auf das Zeichen. Langsam wurde es Zeit.

Da, endlich. Der langgezogene Ton war noch nicht verklungen, als Xentall bereits lossprintete. Ohne zu zögern durchbrach er das Energiefeld, spürte das kurze Ziehen an seinem Körper, als seine Kleidung sich auflöste. Die Nervosität schwand mit ihr. Was blieb, war die Vorfreude auf den Kampf, die wie flüssiges Feuer durch seine Adern floss und seinen ganzen Körper elektrisierte, seine Sinne schärfte.

Eine freie, felsige Fläche tat sich vor ihm auf. Xentall war allein, die anderen Gladiatorsklaven würden die Arena an anderen Stellen betreten. Vier Gegner würde er haben in einem Kampf jeder gegen jeden. Diese Variante war am beliebtesten bei den Zuschauern.

Jochen Adams Einführung

Vor kurzem hatte der Zauberspiegel die Möglichkeit, ein Interview mit Andrea Bottlinger zu führen, die im Rahmen von PRA diverse Kurzgeschichten veröffentlicht hat. Diese Geschichten, die alle in dem von den PRA-Machern entworfenen Kosmos spielen, sind von Lesern der Reihe vielfach mit großer Begeisterung aufgenommen worden. Auch ich gehöre zum Kreis jener PRA-Leser, die Andreas Geschichten mit großer Freude verfolgt haben.

Aus diesem Grund konnte ich nicht widerstehen, Andrea zu bitten, doch auch mal eine Kurzgeschichte für den Zauberspiegel zu schreiben. Die junge Autorin sagte zu, und nun habe ich die Ehre, euch das neuste Ergebnis ihres Schaffens zu präsentieren.

Die neue Story von Andrea trägt den Titel »Freiheit« und spielt im Reich der Ekhoniden, genauer gesagt auf Naral fünf, der Welt der Gladiatoren, die von Hans Kneifel in Band 17 von PRA so lebendig eingeführt wurde. Für alle die, die es nicht mehr wissen: Die Gesellschaft der Ekhoniden gründet unter anderem auf einem System freiwilligen Sklaventums. Besonderes Ansehen genießen die so genannten Gladiatorsklaven, die in gewaltigen Arenen packende Zweikämpfe ausüben. Einen solchen Kampf schildert Andrea in ihrer Geschichte.

Doch das soll euch Andrea in ihren eigenen Worten schildern. Also genug der Vorrede und hinein in die packende neue Kurzgeschichte. Viel Spaß dabei!
 


Ohne auch nur einmal langsamer zu werden, eilte er auf den Waldrand zu, der wie eine grüne Mauer nicht weit von ihm aufragte. Unter seinen nackten Fußsohlen spürte er jeden einzelnen Stein, genau wie den Wind auf seiner Haut. Dies war die ultimative Freiheit. Dies war alles, was er je brauchen würde, um glücklich zu sein.

Xentall tauchte in den Dschungel ein und bewegte sich nun langsamer, vorsichtiger. Seine Gegner stellten nicht die einzige Gefahr dar, die in dieser Arena auf ihn lauerte. Er musste ständig auf der Hut sein. Und zuallererst brauchte er Kleidung und Ausrüstung.


***

Das leise, metallische Klimpern klang wie ein Ruf in seinen Ohren. Es lockte ihn, weil er wusste, was es zu bedeuten hatte. Er wusste, dass es ihm den Sieg ein wenig näher brachte.

Vorsichtig näherte er sich dem Baum, dessen Blätter dieses Geräusch verursachten. Bald konnte er den schwarzen Stamm inmitten des Grüns des Dschungels ausmachen. Die Äste schwangen träge hin und her, als würde ein Wind sie bewegen. Allerdings regte sich kein Lüftchen in der gesamten Arena.

Schließlich blieb Xentall in respektvollem Abstand zu den blauen Blättern des Baumes stehen. Aufmerksam ließ er den Blick über den Boden am Fuß der Lasirra schweifen. Dort war sie, die Luke, die er gesucht hatte, nur schlecht versteckt zwischen Steinen und Schlingpflanzen.

Ein Rascheln ließ Xentall aufhorchen. Es kam von irgendwo hinter ihm und klang, als wäre jemand auf ein heruntergefallenes Blatt getreten. Jemand, der versuchte, sich an ihn heranzuschleichen.

Xentall bewegte sich nicht, sondern tat so, als würde er weiter nach der Luke Ausschau halten. Unauffällige verlagerte er sein Gewicht um eine Winzigkeit.

Er spürte den Angriff mehr, als dass er ihn kommen sah. Blitzschnell drehte Xentall sich zur Seite. Der Schwung seines Angreifers trug diesen an ihm vorbei direkt auf die Lasirra zu. Die Äste des Baumes schnellten vor.

Im letzten Moment fand sein Gegner das Gleichgewicht wieder. Er warf sich zur Seite und entging so zumindest teilweise den tödlichen Blättern. Sie rissen dennoch tiefe Schrammen in seine Schulter. Er rollte ab und Dreck blieb in den frischen Wunden hängen. Ohne sich darum zu kümmern, kam er geschmeidig wieder auf die Füße, gerade außerhalb der Reichweite des Baumes.

Nun sah Xentall zum ersten Mal das Gesicht seines Gegners. Es kam ihm wage vertraut vor, doch davon ließ er sich nicht beirren. Er durfte dem anderen keine Zeit geben, sich zu sammeln.

Xentalls rechte Faust traf das Kinn seines Gegners und dessen Kopf flog zurück. Mit der Linken setzte er nach, führte einen Schlag gegen den Magen. Ächzend taumelte der andere ein paar Schritte nach hinten. Sofort peitschten die Äste der blutdurstigen Lasirra in seine Richtung.

Nun galt es, keine Zeit zu verlieren. Mit einem Satz war Xentall bei der Luke, riss sie auf und sprang hinein.

Erst dann, als er in der unterirdischen Kammer stand und darauf wartete, dass seine Augen sich an das darin herrschende Zwielicht gewöhnten, fiel ihm ein, wieso ihm sein Gegner so bekannt vorgekommen war. Er erinnerte ihn an Tellvan, einen Freund aus seiner Kindheit. Sie hatten damals beide davon geträumt, eines Tages in der Arena zu kämpfen. Ob es wohl tatsächlich Tellvan gewesen war, gegen den er gerade gekämpft hatte? Wenn ja, hatte sein alter Kindheitsfreund die Begegnung mit der Lasirra überlebt?

Doch lange beschäftigten ihn diese Gedanken nicht. Wichtigeres erforderte seine Aufmerksamkeit.

***

Eilig schlüpfte Xentall in den grauen Overall, den er in der unterirdischen Kammer fand. Dann besah er sich, was das Waffenlager noch zu bieten hatte.

Was er fand, war eher enttäuschend. Schwerter, Äxte und anderen Hieb- und Stichwaffen lagen hier nebeneinander aufgereiht und boten einen beeindruckende Bandbreite an Möglichkeiten, jemanden langsam, schmerzhaft und vor allem aus nächster Nähe ins Jenseits zu befördern. In den Waffenkammern der Arena konnte man nun einmal alles finden und es war sein Pech, dass es in dieser keine Strahler zu geben schien.

Nach einigem Suchen fand er allerdings einen Gürtel mit kleinen Granaten darin, den er sich um die Hüften schnallte. Schließlich entschied er sich außerdem für ein Schwert, bevor es Zeit wurde, die unterirdische Kammer wieder zu verlassen.

***

Xentall holte noch einmal tief Luft, dann zog er sich mit einer kräftigen Bewegung am Rand der Luke hinauf. Sofort zischten die Äste der Lasirra auf ihn zu. Er hechtete zur Seite und schwang sein Schwert, um die scharfkantigen Blätter abzuwehren. Klirrend fielen abgetrennte Pflanzenteile zu Boden.

Dennoch fühlte es sich an, als würde er durch einen Sturzbach aus Glassplittern stürmen. Der Baum brachte ihm unzählige Schnittwunden, an den Armen, dem Gesicht und dem Rücken bei. Dann endlich war er außerhalb der Reichweite der Äste und blieb erleichtert aufatmend stehen.

Der neue Anzug war zerfetzt und färbte sich an einigen Stellen rot, doch Xentall schien nicht ernsthaft verletzt zu sein.

Er warf noch einen Blick zurück auf die Lasirra, dann wandte er sich um und marschierte weiter in den Dschungel hinein. Am Fuß des Baumes hatte er keine Leiche entdecken können. Tellvan – falls er es denn tatsächlich war – lebte also noch. Freude erfüllte Xentall bei dem Gedanken, erneut gegen ihn kämpfen zu können.

***

Xentall spürte, wie das Jagdfieber von ihm Besitz ergriff. Seine Beute war verwundet und hinterließ eine deutliche Spur aus Blutflecken, der er leicht folgen konnte. Er würde sie stellen und zur Strecke bringen.

Es spielte keine Rolle, ob der andere Gladiatorsklave Tellvan war, oder nicht. Und wenn es sich bei ihm um Xentalls eigene Mutter gehandelt hätte, wäre es ebenso egal gewesen. In der Arena waren sie alle Gegner und jeder, der die Arena betrat, wusste, worauf er sich damit einließ.

In der Ferne glaubte Xentall Strahlerfeuer zu hören, doch in seiner direkten Umgebung war es ruhig. Gespenstisch ruhig, da es in dem künstlich angelegten Wald keine Tiere gab, die Geräusche verursachen konnten.

Doch hörte er da nicht Stimmen?

Tatsächlich. Es klang, als führe dort vorne jemand ein Streitgespräch. Wer konnte das sein? Sie alle waren schließlich in die Arena gekommen, um zu kämpfen und nicht, um zu reden. Die Spur führte auf jeden Fall direkt darauf zu. Noch vorsichtiger als zuvor näherte Xentall sich weiter.

Schließlich tat sich vor ihm eine Lichtung auf, die er sofort als neutrale Zone erkannte. Ein Ort, an dem nicht gekämpft werden durfte. Das erklärte die Stimmen aber noch nicht den Streit.

Zwischen den Blättern der Bäume hindurch sah er Tellvan auf dem kurzen Gras der Lichtung liegen. Die Lasirra hatte ihn übel zugerichtet. So tief, wie seine Wunden zu sein schienen, war es fast schon ein Wunder, dass er es noch bis zur Lichtung geschafft hatte. Nun kümmerte sich gerade ein Medorobot um ihn. Glück für ihn, dass er einen dieser seltenen Roboter gefunden hatte. Ansonsten wäre er wahrscheinlich verblutet.

Dicht bei Tellvan stand ein zweiter Gladiatorsklave, den Xentall nicht kannte. Er trug einen grauen Overall, was darauf hindeutete, dass er ebenfalls bereits eine Waffenkammer gefunden hatte. Gerade gestikulierte er aufgeregt und seine Stimme war es auch, die Xentall in den letzten paar Minuten seiner Annäherung gehört hatte. Dann endlich war er nah genug heran, um zu verstehen, was gesprochen wurde.

„... selbst die Terraner halten unsere Gesellschaftsform für rückständig. Selbst diese Parasiten, die ohne arkonidische Technologie noch immer nicht über die Grenzen ihres eigenen Sonnensystems hinaus kämen! Und wir? Wir sind zufrieden damit, Befehlen zu gehorchen und uns zur Unterhaltung der reichen Herrschaften gegenseitig umzubringen!“

Der Unbekannte holte tief Luft und wischte sich die tränenden Augen wieder trocken. Mit gesenkter Stimme fuhr er fort, so dass Xentall sich anstrengen musste, um ihn zu verstehen.

„Wir sind stärker als sie. Wir haben sehr viel mehr Recht darauf, zu herrschen. Heute werden sie das zu spüren bekommen. Schließ dich mir an und wir zeigen ihnen wie gefährlich wir außerhalb der Arena sind!“

Ein gequältes Lachen hallte über die Lichtung. Es kam von Tellvan, der nun den Medorobot beiseite schob und sich vorsichtig in eine sitzende Position hoch stemmte.

„Ich habe jahrelang hart trainiert, um in dieser Arena kämpfen zu dürfen. Ich bin freiwillig in die Sklaverei gegangen und ich werde entweder sterben oder als Sieger die Arena verlassen, aber ich werde mich ganz sicher nicht deiner kleinen Rebellion anschließen.“

Der Unbekannte schnaubte unwillig. „Die Medorobots hier mögen vielleicht Wunder vollbringen können, aber so schwer verletzt, wie du bereits bist, wirst du nicht mehr lange durchhalten. Wofür willst du sterben? Dies alles hier ist ein Spiel, eine große Show! Hier gibt es keine Ideale, für die es sich zu sterben lohnt.“

Ernst schüttelte Tellvan den Kopf. „Es geht nicht um irgendwelche Ideale. Es geht nur um den Kampf.“

Die Lippen des Unbekannten verzogen sich zu einem dünnen, wütenden Strich. „Aber siehst du denn nicht, dass sie uns unwürdig behandeln? Wir sind nicht mehr als Spielzeuge für sie.“

Tellvan seufzte und auch Xentall musste den Drang unterdrücken, es ihm gleich zu tun. Wollte dieser fremde Ekhonide es nicht verstehen oder verstand er es tatsächlich nicht? Es spielte keine Rolle, was die Zuschauer oder irgendwelche Machthaber auf Ekhas wollten. Es ging nur darum der Beute nachzuspüren, den Jäger auszutricksen und zum Schluss der letzte zu sein, der noch stand. Es ging um dieses eine unvergleichliche, erhebende Gefühl.

„Aber wenn dir dein Leben so wenig wert ist ...“, fuhr der Unbekannte fort, als von Tellvan keine Erwiderung kam. „Ich kann auf jeden Fall nicht riskieren, dass du mir im Weg stehst.“

Seine Hand glitt zu einem Thermostrahler an seinem Gürtel und diese Bewegung riss Xentall augenblicklich aus seinen Gedanken. Konnte diese Ekhonide tatsächlich so kaltblütig sein? Die neutrale Zone wurde von allen Gladiatorsklaven geachtet. Niemand durfte dort zu den Waffen greifen.

Xentall spürte Wut in sich aufsteigen. Was bildete der Fremde sich ein ihr Leben umkrempeln zu wollen und dann auch noch ihre Regeln zu verletzen?

Beinahe wie von selbst setzten sich seine Beine in Bewegung. Der Unbekannte hatte seinen Strahler gerade gezogen und richtete ihn gerade auf Tellvan, als Xentall aus dem Unterholz brach. Mit einem Satz war er bei dem Möchtegern-Rebellen und mit einem Tritt gegen dessen Hand, beförderte er die Waffe in hohem Bogen ins Gras.

Der Unbekannte duckte sich unter einem Schwertstreich hindurch und im nächsten Moment stolperte Xentall nach Luft schnappend zurück. Die Faust seines Gegners hatte ihn direkt im Magen getroffen. Während er noch gegen Schmerz und Übelkeit ankämpfte, darum bemüht sich wieder aufzurichten, wirbelte der Fremde herum und wandte sich zur Flucht.

Im Rennen warf er etwas über seine Schulter. Das metallene Ei landete direkt vor Xentalls Füßen im Gras. Nur seinen lang antrainierten Reflexen hatte er es zu verdanken, dass er die Granate noch rechtzeitig forttreten und sich zu Boden werfen konnte. Hinter ihm krachte es und eine Welle heißer Luft versengte ihm den Rücken.


***

Xentall war als erster wieder auf den Füßen. Doch die Behandlung des Medorobots schien anzuschlagen, denn auch Tellvan brauchte nicht lang, bis er stand. Er trug, abgesehen von den Verbänden, noch immer nichts am Leib, doch nun ging er zu dem Strahler hinüber, den Xentall dem Unbekannten aus der Hand getreten hatte, und hob ihn auf. Damit war er zumindest zufriedenstellend bewaffnet.

„Was denkst du, was er vor hat?“ Xentall starrte grimmig in die Richtung, in die der Unbekannte verschwunden war. Die Granate hatte dort ein Loch in die Erde gerissen und zerfetzte Äste lagen ringsum auf dem Boden.

„Nichts gutes“, antwortete Tellvan düster. „Ich kenne Tardon von früher. Wir sollten zusammen ausgebildet werden, aber er hat schon damals gegen die Sklaverei gewettert und ist irgendwann geflohen. Nun meint er wohl, uns andere Sklaven befreien zu müssen.“

„Befreien?“ Xentall spürte, wie sich zwischen seinen Augenbrauen eine steile Falte bildete. „Aber wir sind freiwillig in die Sklaverei gegangen, jeder von uns hat einen Vertrag darüber abgeschlossen. Was will er mehr?“

„Er meinte vorhin, die Gesellschaft würde uns dazu zwingen, Sklaven zu werden. Und er sagte etwas in der Richtung, dass niemand gezwungen sein sollte, seine Freiheit zu verkaufen, Vertrag oder nicht.“ Tellvan zuckte mit den Schultern. Dann seufzte er, als würde er sich zu einer schweren Entscheidung durchringen.

„Jemand sollte dafür sorgen, dass er nichts anstellt. Nicht auszudenken, wenn sie wegen ihm den Kampf abbrechen müssten.“

„Ich glaube nicht, dass ihm das gelingen könnte“, brummte Xentall. „Aber du hast Recht. Er sollte hier nicht frei herumlaufen.“

Damit war es beschlossen. Der eigentliche Kampf würde vorerst vertagt werden, stattdessen begaben sie sich gemeinsam auf die Jagd.


***

Auch jenseits der Zerstörung durch die Granate hatte Tardon eine Spur hinterlassen. Zertretene Pflanzen, abgeknickte Äste und der ein oder andere Fußabdruck wiesen ihnen den Weg. Über ihren Köpfen sah Xentall manchmal durch das Blattwerk hindurch mehrere der Zuschauerlogen kreisen. Die Explosion schien ihre Aufmerksamkeit erregt zu haben.

Neben ihm lief Tellvan, ohne dass man ihm seine Verletzungen anmerkte. Ein weiterer Beweis dafür, dass die Medorobots tatsächlich Wunder bewirken konnten.

Das Krachen einer Explosion ganz in der Nähe, ließ sie inne halten. Tellvan entdeckte die Quelle des Geräusches als erster. Er deutete nach oben. „Die Loge.“

Als Xentall dem Fingerzeig mit dem Blick folgte, konnte er nicht anders, als einen Moment lang ungläubig zu starren. Eine der Logen taumelte unkontrolliert in der Luft und eine Rauchsäule stieg aus einem gezackten Loch in ihrer Außenwand. Sie verlor immer weiter an Höhe, bis sie schließlich begleitet von dem Geräusch berstenden Holzes zwischen den Bäumen verschwand.

„Wie kann das sein?“, stieß er fassungslos hervor. „Die Schutzschirme um die Logen sind dafür gemacht, alles abzuhalten, was wir hochschießen könnten.“

Es war eine Sache, wenn Gladiatorsklaven in der Arena starben, eine ganz andere, wenn plötzlich jemand begann, Zuschauer zu töten. Erstere wussten, worauf sie sich einließen, für letztes gab es nur eine Bezeichnung: Mord.

„Wie auch immer er es geschafft hat, jetzt schicken sie sicher Soldaten her und unterbrechen den Kampf“, prophezeite Tellvan und riss Xentall damit aus seinen düsteren Gedanken.

„Ja.“ Erneut spürte er Wut in sich brodeln, unwillkürlich packte er sein Schwert fester. „Dieser verdammte Idiot!“

So lange hatte er sich auf den Kampf gefreut, so lange sich darauf vorbereitet. Und nun sollte er enden, bevor er richtig begonnen hatte, nur weil jemand beschlossen hatte gerade hier und gerade jetzt eine Revolution zu beginnen, die eigentlich niemanden interessierte. Was für eine unglaublich große ...

Tellvan legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Es wird dauern, bis sie hier sind. Immerhin hat niemand damit gerechnet, dass so etwas je passieren könnte. Bis dahin wird Tardon noch ein paar Logen mehr runterholen, wenn niemand etwas unternimmt.“

„Keine Sorge“, knurrte Xentall, schüttelte die Hand seines Freundes ab und setzte sich wieder in Bewegung. „Dafür wird er viel zu sehr mit Sterben beschäftigt sein.“

Er ließ nun alle Vorsicht fahren und bahnte sich rücksichtslos mit dem Schwert einen Weg durch den Dschungel.


***

Sie entdeckten Tardon in der Krone eines Baumes. Er blickte konzentriert zu den zwei Zuschauerlogen hoch, die dicht über ihm schwebten und Xentall sah Metall in seiner Hand blitzen. Als sie näher kamen, erkannte er, dass es sich dabei um ein Granate handelte.

Plötzlich tat sich eine Türöffnung in dem Schutzschirm einer der Logen auf. Tardon holte aus.

Aus den Augenwinkeln bemerkte Xentall wie Tellvan im Rennen seinen Strahler hob. Der erste Schuss zischte dicht an Tardons Kopf vorbei. Der duckte sich eilig, als brennende Blätter und Äste auf ihn herab regneten, und verriss den Wurf. Die Granate segelte weit an der Öffnung im Schutzschild der Loge vorbei. Tellvans zweiter Schuss trennte den Ast, auf dem Tardon hockte, vom Baum. In einem Regen aus Holztrümmern ging er zu Boden.

„Er hat einen Komplizen!“, rief Tellvan über den Lärm hinweg. „In einer der Logen muss jemand sitzen, der die Sicherheitscodes für die Schutzschilde hat.“

„Beschäftige du den, falls er sich einmischen sollte.“ Xentall erreichte die Stelle von Tardons Absturz gerade, als dieser wieder auf die Füße kam. Dem ersten, wütend geführten Schwertstreich wich sein Gegner mit Leichtigkeit aus. Xentall holte zu einem weiteren aus, als plötzlich ein Energiestrahl die Erde vor seinen Füßen versengte. Er warf sich gerade noch rechtzeitig zu Seite, um dem nächsten Schuss ebenfalls zu entgehen. Ein Busch versprach Deckung. Erst von dort aus, hielt er nach dem neuen Gegner Ausschau.

Xentall entdeckte ihn schließlich in der Türöffnung der zweiten Loge. Dort stand ein edel gekleideter Ekhonide und richtete gerade seinen Strahler neu auf ihn aus. Tellvan hatte offensichtlich Recht behalten.

Doch bevor der neue Gegner abdrücken konnte, schlugen mehrere Strahlerschüsse in den Schild rund um die Öffnung ein und zwangen ihn, sich in das Innere der Loge zurückzuziehen.

Ein triumphierendes Grinsen fand seinen Weg in Xentalls Züge. Es hielt sich dort gerade so lange, bis er die Granate bemerkte, die auf ihn zu geflogen kam. Fluchend schlug er sie im letzten Moment mit dem Schwert beiseite. Wie hatte er so leichtsinnig sein können, Tardon für einen Moment zu vergessen?

Die Druckwelle der Explosion schleuderte ihn weit nach hinten. Die Luft wurde ihm aus den Lungen gepresst, als er gegen den Stamm eines Baumes prallte. Sein Schwert wirbelte davon. Für einen Moment verschwamm die Welt vor seinen Augen.

Noch immer ein wenig verschwommen nahm er die Klinge seines eigenen Schwertes wahr, die auf ihn zu raste. Xentall rollte sich zur Seite. Er entging dem Schlag so knapp, dass er den Luftzug auf seinem Gesicht spüren konnte. Holzsplitter flogen, als der Stamm hinter ihm die Waffe bremste.

Tardon hob das Schwert sofort erneut, diesmal um zuzustechen. Allzu deutlich spürte Xentall einen umgefallenen Baumstamm an seiner Seite, der einem weiteren Ausweichmanöver im Weg sein würde.

In diesem Moment erklang ein Schuss und Tardon schrie auf. Er ließ das Schwert fallen. Eilig hechtete Xentall nach der Klinge und bekam den Griff zu fassen.

Tardon warf sich herum und floh, doch diesmal würde Xentall ihn nicht entkommen lassen. Entschlossen setzte er seinem Gegner nach. Auf dessen Rücken konnte er deutliche einen verbrannten Streifen erkennen, wo Tellvans letzter Schuss ihn gestreift haben musste.

Anstatt jedoch weiter davon zu laufen, packte Tardon einen niedrig hängenden Ast und zog sich in den nächsten Baum. Die Loge, die sein Komplize steuerte, ging direkt darüber gefährlich tief runter. Äste knackten unter ihrem Gewicht, während Tardon ihr entgegen kletterte. Der edel gekleidete Ekhonide beugte sich aus der Öffnung und streckte ihm eine Hand entgegen. Tardon bekam sie zu fassen und wurde in die Höhe gezogen.

„Das werdet ihr noch bereuen!“, rief er über die Schulter zurück. „Eines Tages werdet ihr den Wert der Freiheit erkennen und dann werdet ihr bereuen, euch mir nicht angeschlossen zu haben!“

Freiheit ... wer brauchte schon Freiheit? Sah Tardon denn nicht, dass sie glücklich mit dem waren, was sie hatten?

Xentalls Hand fand die verbliebenen Granaten an seinem Gürtel. Er warf und das metallene Ei flog in hohem Bogen auf die Türöffnung der Loge zu. Es traf genau und für einen Moment sah er noch den entsetzten Gesichtsausdruck des edel gekleideten Ekhoniden, bevor die Loge von innen heraus in Stücke gerissen wurde.

Während das brennende Wrack abstürzte, trat Tellvan neben ihn.

„Weißt du“, begann er langsam. „Manchmal denke ich, Freiheit für alle wäre gar keine so schlechte Idee. Nicht alle Sklaven sind mit ihrem Los so glücklich wie wir.“

„Dann sollen die sich darüber Gedanken machen, aber uns mit diesen Dingen in Ruhe lassen.“ Xentall wandte sich zu dem Gladiatorsklaven um, von dem er sich nun fast sicher war, dass es sich bei ihm um seinen ehemaligen Kindheitsfreund handelte. Viele von Tellvans Wunden schienen wieder aufgebrochen zu sein, denn die Verbände färbten sich in einem tiefen Rot.

„Du solltest dich noch mal von dem Medorobot behandeln lassen“, fuhr er fort. „Falls der Kampf weiter geht, sobald sie die Leute aus der abgestürzten Loge geborgen haben, brauche ich einen Gegner, der nicht beim nächsten Windstoß zusammenklappt.“

Tellvan lachte. „Keine Sorge, ich bin noch lange nicht am Ende.“

Xentall stimmte in das Lachen mit ein. Wer brauchte schon Freiheit, wenn er sich im Nervenkitzel von Jagd und Kampf verlieren konnte?


Ende


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