Die ruhmreichen Fünf - Neue Superhelden halten die Welt in Atem: Imagepflege (Teil 1)
Die ruhmreichen Fünf
Superhelden halten die Welt in Atem!
Imagepflege (Teil 1)
"Kaffee." Ihre Stimme war wie der Klang einer romantischen Melodie. Sanft, einschmeichelnd, seltsam vertraut. Ich hatte Katja bei dem Dreh für ein Commerciale kennengelernt, für den ich das Treatment geschrieben hatte. Sie war Schauspielerin und die Hauptdarstellerin in dem Werbespot, der ein neues Duftwasser namens "sexual intercourse" einführen sollte. Bei Dreharbeiten ist es üblich, daß der Texter anwesend ist, um mögliche Änderungen durchführen zu können, und so sind wir uns das erste Mal begegnet: Auf einer einsamen Insel in der Karibik, umgeben vom tosenden Meer und inmitten von Palmen und armen, aber glücklichen Eingeborenen, über denen fast das ganze Jahr ein blauer Himmel im warmen Licht der Sonne strahlt.
Es war wie im Paradies, und die Zeit war wie ein kurzer, aber schöner Traum vergangen. Und der Traum saß jetzt vor mir, in Fleisch und Blut, und das Fleisch war so erregend wie ein Drama und das Blut so heiß wie die glühende Lava eines ausbrechenden Vulkans.
Ich warf in der Küche meine Kaffeemaschine an und überlegte, wie ich sie ganz für mich gewinnen konnte, denn leider war unsere Beziehung auf der Insel rein platonisch geblieben, vergleichbar mit den Gefühlen, die Geschwister füreinander hegten.
Mittlerweile hatte ich erkannt, daß da mehr war, aber ob sie ähnlich dachte? Ich mußte es herausfinden.
Ich schenkte den Kaffee ein, setzte mich in den gegenüberliegenden Sessel und legte die Hände in den Schoß. Jetzt war es soweit! Je'tzt mußte ich etwas sagen, etwas, das meine Gefühle für sie ausdrückte.
"Nimmst du Milch?" fragte ich.
In meinem Gehirn hüpften meine Gedanken über emotionale Hürden. 'Versager! Versager!' riefen sie. 'Laß dir was einfallen, sonst wirst du sie nie für dich gewinnen!'
Also ein zweiter Anlauf. Aber was sollte ich sagen? Was war ergreifend genug, um meine Emotionen in vergleichbare Worte zu fassen? Was, verdammt?
"Zucker?" Scheiße, Scheiße! Du hättest sie auch gleich fragen können, ob sie nicht wieder gehen möchte. Du verpatzt es ja sowieso wieder, du Armleuchter! Sieh es doch so: Jetzt, wo sie zufälligerweise für Modeaufnahmen in Bremen weilt und dich Unwürdigen mit ihrem Besuch erfreut, solltest du zupacken, bildlich gesehen.
"Ich trinke meinen Kaffee schwarz."
Aller guten' Dinge sind drei, lautet ein altes Sprichwort, das ich auch gern für mich in Anspruch nehme. Also los, sag's ihr!
"Ähem!" Ich räusperte mich verlegen. "Schön daß du mich mal besuchen kommst. Endlich - äh - etwas Erfreuliches und... Wie gefällt's dir denn so in Bremen?" 6 "Es ist wunderschön!" Katja lächelte mich an und nippte an ihrer Tasse. Ich würde die Tasse als Andenken in eine Vitrine stellen und nie mehr abwaschen. Nie mehr!
"Hast du schon etwas besichtigt?" hakte ich nach, obwohl es mir ziemlich schnuppe war.
"Nein. Wie sollte ich auch? Du hast mich doch erst vor zwei Stunden vom Flughafen abgeholt." Katja lachte vergnügt. Oh, wie ich ihr Lachen liebte!
"Aber was ich auf der Fahrt zu deinem Haus von Bremen gesehen habe, hat mir gefallen. Es ist eine schöne Stadt mit einem besonderen Flair."
"Aha." Was hatte sie gesagt? Wo gab es diesen Likör? "Und wie lange bleibst du in Bremen?"
"Noch zwei Tage, heute nicht mitgerechnet."
"Aha." Zum Glück war ich so redegewandt, daß mir immer etwas Passendes einfiel.
"Guck mal, es schneit draußen!" Katja sprang auf. Ihre langen Beine, über denen sich fast neckisch das Gesäß anschloß, trugen sie zum Fenster. "Ich liebe Schnee."
Ich betrachtete ihren drallen Hintern in meditativer Versunkenheit und war fern der Wirklichkeit in einem Land, in dem Katja eine entführte Prinzessin war und ich ein Ritter auf einem schnaubenden Roß. 'Ich werde dich retten, meine Prinzessin, warte nur!1
"Wem gehört denn die Villa?" riß mich Katja aus meinem Wachtraum.
"Welche Villa?" Das schnaubende Roß gebärdete sich wild, stieg hoch und ich landete mit ersticktem Schrei auf meinem Hosenboden. Märchen endeten also doch nicht immer mit Happy-End.
"Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?" Katja stemmte mit gespielter Strenge ihre Hände in die Hüften und sah mich fürsorglich an. "Oder bist du krank? Ich meine die Villa von deinem Nachbarn."
Krank? Ja, ich war krank. Liebeskrank. Nach ihr! Aber wie sollte ich es ihr sagen? "Die gehört meinem Nachbarn", vertraute ich ihr an.
"Das habe ich mir fast gedacht."
"Ach so, du willst wissen, wie mein Nachbar heißt?" Dank meiner angeborenen schnellen Auffassungsgabe hatte ich es ohne Probleme erkannt.
"Erraten!"
Ich stand auf und stellte mich neben Katja ans Fenster. Die Schneeflocken waren jetzt dicker geworden. Sie fielen, vom Wind getragen, auf die Erde nieder und verwandelten die Umgebung in eine weiße Schneelandschaft, die meine romantischen Gefühle noch verstärkte. Ich roch das Parfüm auf Katjas Haut und den Duft ihrer Haare, der einen leichten, aber angenehmen Schwindel in meinem Kopf erzeugte. Jede noch so kleine Berührung würde einen elektrischen Schlag mit Todesfolge nach sich ziehen!
Mit einer inneren Zufriedenheit standen wir am Fenster. Draußen schob der Butler meines Nachbarn Schnee. Er trug eine schwarze Pudelmütze und dicke Fäustlinge. Um seinen Hals schlang sich ein langer Schal, der sich trotzig im Wind bewegte und manchmal seinen dunkelblauen Kaschmirmantel berührte. "Das ist James, der Diener meines Nachbarn Willi Lüders. Lüders ist steinreich." * "Kennst du ihn näher?"
"Nur vom Sehen. Er pflegt nicht gern Kontakte. Weder geschäftlich noch privat. Ich glaube, er hat in seinem ganzen Leben noch keine fünf Minuten gearbeitet. Die meiste Zeit hängt er in seiner Villa herum. Möchte wissen, was er den lieben langen Tag so treibt."
"Vielleicht hat er Angst, entführt zu werden, und traut sich deshalb kaum in die Öffentlichkeit", sinnierte Katja. "Ist er eigentlich verheiratet?"
"Soviel ich weiß nicht", sagte ich, "aber warum fragst du?" Eifersucht machte sich in mir breit und gab meinem Magen erste Impulse für ein anständiges Geschwür. Die Eifersucht schien nicht unbegründet zu sein, denn Katjas Augen verengten sich zu nachdenklichen Schlitzen, die etwas ausbrüteten. Das Räderwerk ihres Gehirns fing an zu arbeiten, und ich wartete förmlich darauf, daß es 'Ding1 machte -wie bei einer alten Registrierkasse, die aber statt Wechselgeld eine subjektive Lösung auswarf.
"Nur so, du kennst doch die Neugier von uns Frauen."
Ja, die kannte ich, aber ich kannte genauso gut das Besitzstreben mancher Frauen, die ihre Männer aufgrund der Dicke des Geldbeutels und der Größe des Wagens aussuchten, so wie ein Schlachter das dickste Schwein bevorzugte, weil es am meisten Fleisch hergab. Gehörte Katja zu dieser Sorte Frauen? Mein Gefühl sagte nein, aber mein Verstand ja. Und dann noch so überzeugt, daß mir nichts anderes übrigblieb, als seine besserwisserische Art in den Hintergrund zu drängen.
"Erzähl mir mehr über Willi Lüders", forderte Katja.
Mein Verstand sprang leichtfüßig über mein Gefühl und drängte sich wieder in den Vordergrund. 'Ich hab's doch gesagt, Ralf. Sie ist nichts wert!'
"Was interessiert dich dieser Lüders?" fragte ich und dehnte das Dieser so stark, daß es recht abwertend klang. Dabei hatte mir mein Nachbar nie etwas getan.
"Warum sollte er mich nicht interessieren?" stellte Katja eine Gegenfrage. "Alle Menschen interessieren sich für reiche und berühmte Leute. Deshalb sind auch die Zeitungen und Zeitschriften voll davon."
Das war ein Grund, aber für mich reichte er nicht aus.
"Bist du gekommen, um mich zu besuchen oder..."
Plötzlich piepste es! Nicht in meinem Kopf, sondern an meinem Gürtel. Der Euro-Pieper der Ruhmreichen Fünf. Wir hatten vereinbart, das Rufsignal nur in Notfällen zu benutzen. Ich schaute auf das kurze Display, das nur Raum für zwei oder drei Worte ließ.
SOFORT KOMMEN! stand darauf.
"Was war das?" fragte Katja.
"Ich muß noch mal weg", sagte ich anstatt einer Antwort. "Dauert nicht lange. Trink noch eine Tasse Kaffee und..." Den Rest verschluckte ich, denn ich war bereits im Flur.
Plötzlich überkam mich ein gewaltiger Hunger. Seitdem ich den Ring besaß, der mich in die Motte verwandelte, hatte ich desöfteren regelrechte Anfälle von Freßsucht. Ich schnappte mir das nächstliegende und biß einmal kurz hinein. Das mußte fürs erste reichen. Ich lief in mein Arbeitszimmer, aktivierte meinen Ring und sprang durch das geöffnete Fenster.
Hinter mir hörte ich Katja noch etwas rufen, aber das war jetzt unwichtig. Nun war die Zeit der Ruhmreichen Fünf, die wieder einmal die Welt vor Unheil bewahren mußten.
Das glaubte ich. Aber es kam ganz anders!
Die Hafenstadt Bremen hat wie jede Großstadt ihre kleinen und großen Probleme, die meist von kleinen und großen Verbrechern selbstlos geschaffen werden. Natürlich gibt es in Bremen auch kleine und große Polizeibeamte, so wie auch auf dem Schachbrett weiße Figuren gegen schwarze antreten, aber leider gewinnen die weißen nicht immer und in letzter Zeit sogar immer weniger, weil die schwarzen rücksichtsloser sind und besser organisiert.
Vor wenigen Monaten aber bekamen die Kriminalbeamten eine große Hilfe bei dem ewig andauernden, zeitlosen Schachspiel. Nicht daß sie jemand gebeten hätte, in das Schachspiel einzugreifen; sie war einfach da und nicht bereit, das Feld wieder zu räumen.
Die Hilfe bestand aus fünf Menschen, die in ihrer Art zwar gewöhnlich sein mochten, aber nicht in ihrer Stärke. Sie besaßen Superkräfte! Nun ist es zwar erstaunlich und kaum zu glauben, daß gleichzeitig in einer Stadt Deutschlands fünf Superhelden auftauchen, während es in anderen Städten nicht einmal einen Batman gibt, aber die Realität geht oft seltsame Wege und ist fantastischer als die Einbildungskraft eines Menschen, der eine ganze Menge davon in seinem Kopf aufbewahrt.
Die Polizei war inoffiziell zunächst erfreut über die unerwartete und effektive Hilfe der einzeln in Aktion tretenden Maskierten. Bis vor kurzem. Denn nachdem sich die Helden im Kampf gegen den Eisriesen verbündet und das Team der Ruhmreichen Fünf ins Leben gerufen hatten, gab es Anlaß zur Sorge im Polizeipräsidium, zwar nicht direkt während des Fimbul-Winters, aber etwas später, als der Granitmann die Szene betrat.
Der Granitmann war kein gewöhnlicher Verbrecher, denn er verfügte ebenfalls über Superkräfte, und er war auch kein Deutscher, sondern Holländer; ein riesenhafter Mann, der seine Molekularstruktur so verändern konnte, daß er seinen Körper in Stein verwandelte und Granit spuckte. Letzteres begründete auch seinen Namen.
Eigentlich war dieser Supergewalttäter der Grund, warum die Polizei ihre Meinung über ihre stadteigenen Helden revidieren mußte, denn der Granitmann wäre nie in Bremen aufgetaucht, wenn es nicht die Ruhmreichen Fünf gäbe.
Für den Granitmann war es ein sportlicher Vergleichskampf zwischen Menschen, die Superkräfte besaßen. Im Verlauf dieses Kampfes, der gar nicht so sportlich war, hätte er der Motte fast die Flügel herausgerissen, aber Eismann, Sunbeam, Vario und Willi the Wuz konnten ihn schließlich besiegen. Vorher allerdings unterlag das Schnoorviertel einer Neugestaltung, die aber nicht positiv zu sehen war. Fachwerkhäuser wurden völlig unfachmännisch abgerissen, bis die Grundmauern sich in der Sonne suhlen konnten, und alteingesessene' Läden so zerstört, daß sich nicht einmal ein Schlußverkauf lohnte. Wer wollte schon Ware, selbst wenn sie herabgesetzt war, wenn sie wie ein Puzzle aus mehreren Teilen bestand?
Nun könnt Ihr Euch denken, daß nicht nur die Polizei die Messer gegen unsere Helden wetzte. Die Kaufleute und die ehemaligen Mieter des Schnoorviertels, denen das Bett sprichwörtlich unterm Hintern weggezogen wurde, hatten auch eine gewisse Abneigung gegen die Maskierten. Eine Abneigung, die mit niederen Instinkten gepaart war. In ihren Stammkneipen sprachen die Leute über die Großartigkeit der Lynchjustiz und bedauerten deren Abschaffung. Ein Maurermeister schlug vor, die Ruhmreichen Fünf in flüssiges Beton zu gießen und als Grundstein für den Wiederaufbau eines Hauses zu verwenden, vielleicht auch als Mahnmal, als Abschreckung für eventuell zureiswillige Superhelden.
Die Bürger veranstalteten Demonstrationen und schwenkten große Schilder oder Fahnen, auf denen in großen Lettern ein liebevolles "Superhelden raus!" geschrieben stand. Oder etwas unflätig: "Unsere Supermacker sind nur große Superkacker!"
Die halbe Stadt war in Aufruhr, und eine gewisse Tageszeitung schloß sich der Meinung der Bürger an und schrieb Hetzartikel, die sich auflagestärkend auf den Verkauf auswirkten. WIR HABEN EUCH NIE GEWOLLT, lautete die Artikelserie, die auf 65 Folgen angelegt war.
In einem Western hätten die Helden die Stadt verlassen, aber die Ruhmreichen Fünf dachten nicht daran. Und wenn sie es mit der ganzen Stadt aufnehmen mußten!
Fortsetzung folgt ...