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"Schnaps - das war sein letztes Wort" - Eine Horror-Satire von Erlik von Twerne

Story"Schnaps - das war sein letztes Wort"
Eine Horror-Satire von Erlik von Twerne

„...das war die Sportschau, meine Damen und Herren. Wir melden uns wieder am...!“

Den Rest hörte Otto Mucke nicht mehr. Mit einer wütenden Handbewegung hatte er per Fernschalter das Programm unterbrochen. Die Mattscheibe wurde dunkel, im Raum war es totenstill. Nur eine dicke Fliege brummte um die Lampe.


Rolf Michael (1948 - 2015)Mucke angelte einen Pantoffel, der ihm unter dem Sessel gerutscht war.

Jetzt regte ihn, den sonst nichts erschüttern konnte, sogar die Fliege an der Wand auf. Ein gezielter Wurf, ein Platschen, dann fiel der Pantoffel, der die Wand voll getroffen hat, zur Erde. Die Tapete zierte nun ein schwarzer Fleck. Mucke ließ ein ärgerliches Schnaufen hören. Und dann wieder dieses Brummen, daß den wohlbeleibten Mann mit dem spärlichen, graumelierten Haar förmlich zur Weißglut trieb. Mit fahriger Hand langte er nach dem zweiten Pantoffel.

„Du sollst nicht töten!“donnerte es aus seinem Innersten. Muckte zuckte zusammen. Wirklich, es stand einem Mann der Kirche schlecht an, hier ein unschuldiges Tierchen zu killen, bloß weil der Hamburger SV, seine Favoritenmannschaft in der diesjährigen Bundesliga, von Bayern München in einer atemberaubenden Partei gezeigt bekommen hatte, wie man Fußball spielt.

Mucke beschloß die Fliege zu begnadigen. Er konnte ja ohnehin keiner Fliege etwas zu leide tun. Der Fleck an der Wand -nun, der geistliche Herr nahm es als Buße, die ihm eine höhere Gewalt für seine mordlüsternen Absichten aufgebrummt hatte.

Die kleinen Sünden straft der Herr sofort! heißt es im Volksmund. Und diese Strafe in Form des häßlichen Flecks war wie ein sofortiger Elfmeter auf ein Foul im Strafraum gekommen. Schnaufend ließ sich Otto Mucke wieder in den bequemen Sessel fallen. Trübe starrte er vor sich hin. Daß die Bayern auch noch zwei Minuten vor Abpfiff mit einem Tor in Führung gehen mußten.

Man konnte Otto Mucke, dem Seelenhirten der Sankt Sebastianus-Kirche in Emmerich wirklich bescheinigen, daß er ein verträglicher Mensch war, der seinen Schäfchen stets als ein gutes Vorbild erschien. Nicht nur, wenn er die Messe las, Seelsorgestunden für die Kinder gab oder den Altenkreis zur Kaffeetafel einlud. Er war auch sonst das, was man eine 'Seele von Kamel' nennt. Niemand auf dieser Welt und vielleicht auch in der Anderen zweifelte daran, daß dieser Otto Mucke bereits den Passierschein für die Himmelspforte in der Tasche trug. Nun ja, vielleicht ein bißchen Fegefeuer.... aber sonst hätte der Gehörnte hier keine Chance gehabt.

Otto Mucke hatte nur zwei kleine Fehler. Es sind dies die Fehler, die er mit den meisten Spezies der Gattung 'Mann' teilte und mit der manche brave Ehefrau ihren Göttergatten teilen muß. Warum also sollte sich ein Pfarrer, der rein dienstlich das Zölibat halten muß, sich diese kleinen Laster nicht auch aneignen.

Zum Ersten trank Otto Mucke ganz gerne mal ein Gläschen, auch zwei wenn es sein mußte, drei, weil aller guten Dinge eben drei sind und noch einen, weil das Wägelchen auf vier Räder rollt. Und er war ein fast fanatischer Fußballanhänger. Und wenn Fußballexperten unter sich diskutieren, werden schon mal Dinge gesagt, die einem entweder sauer anschließend aufstoßen oder die am Ende ein Heidengeld kosten.

Gemeint sind die Spielvoraussagen, die Ergebniswette, das Stammtisch-Toto. Manches Schächtelchen Bier hatte schon den Besitzer gewechselt, manchen Fläschchen Korn wurde schon der Hals abgedreht, weil ausgerechnet die Anderen gewonnen hatten.

Otto Mucke hatte noch nie gewettet. Das gehörte sich nicht für einen Geistlichen. „Juden wetten - wenn sie kein Geld haben!“ war sein ständiger Spruch.

Aber jede Wette, auch um den Jahresausstoß von Spaten-Bräu in München, wäre besser gewesen als dieser dummer Satz, den er mit aufwallenden Gefühlen am Mittwochabend am Stammtisch im „Fetten Ochsen“ gesagt hatte.

„Wenn der HSV verliert“, waren seine Worte gewesen, „dann soll mich der Teufel holen!“ Alle hatten gelacht, weil gerade der Pfarrer so einen Spruch losgelassen hatte. Na, ja, was redet man nicht alles im Suff.

Aber, hol es den Kuckuck, jetzt hatte der HSV tatsächlich verloren. Kurz vor Schluß war Breitner durchgebrochen und Rummenigge hatte das Leder unhaltbar zwischen die Pfosten getreten.

Otto Mucke beschloß, unter zuhilfename eines hochprozentigen Beruhigungsmittels aus der Spirituosenabteilung des örtlichen Supermarktes etwas für sein gestreßtes Nervenkostüm zu tun.

Nimm erst' mal 'n Korn, der bringt dich wieder nach vorn.

Die noch zitternden Hände öffneten die Hausbar in der Schrankwand, die sonst auch als Schreibklappe diente und wo er auch sonst allerlei Dinge aufbewahrte. Wahllos griff er eine der Flaschen mit farblosem Inhalt, gluggernd ergoß sich die Flüssigkeit in ein kleines Glas.

Mit einem Ruck kippte Mucke das Zeug hinunter. Im gleichen Moment verzog er angewidert das Gesicht. Pfui, Deibel, schmeckte diese Zeug scheußlich.

Das war doch kein Schnaps, das war....

Das Klopfen an der Tür unterbrach weitere Gedankengänge. „Es klopft. Herein! Wer will mich wieder plagen!“ Mucke hatte so seinen Tick, hin und wieder die Klassiker zu zitieren. Besonders Goethes' Faust lag ihn am Herz.

„Ich bins!“ kam es von draußen. Mucke verschlugs den Atem. Das war ja der Originalwortlaut. Ob ihn da jemand aufziehen wollte. „Herein!“ knurrte er.

„Das mußt du dreimal sagen!“ kam es von draußen. Jetzt war Mucke neugierig geworden. Wirklich, völlig der Wortlaut aus der Tragödie. Was hatte das zu bedeuten?

„Herein denn!“ rief der Pfarrer und war auf alles gefasst. Die Tür öffnete sich und es erschien eine Gestalt, die dem Mephisto, wie ihn der unvergessene Gustav Gründgens gemient hatte, wie ans dem Gesicht geschnitten.

„Was soll der Mummenschanz?“ prallte der Geistliche zurück.

„Was hießt hier Mummenschanz!“ erbost sich der andere. „Nun bin ich extra in der Montur erschienen, wie ich ihnen vielleicht am angenehmsten erschiene und sie reden von Mummenschanz!“

Das Gustav Gründgens-Wesen schien tief gekränkt. Otto Mucke atmete tief durch.

„Wer sind sie?“ fragte er scharf, „sind sie etwa der...“ kam es etwas zaghafter.

„Aber ja!“ fühlte sich das Wesen im Mephisto-Gewand durch das schnelle Erkennen durch den Pfarrer geehrt. „Wenn nicht gerade der, so doch einer von denen.“

Otto Mucke begriff sofort.

Es stimmte also, es gab ihn doch, vor dem er seine in den Kirchenbänken zusammenzuckenden Gemeindeschäfchen immer gewarnt hatte. Oder wollte sich hier doch jemand einen Spaß machen.

Mit einem Satz, der einen Leoparden beschämt hätte, hechtete er zur gegenüberliegenden Wand. Ein Griff, seine Rechte umklammerte das Kruzifix.

„Zur Hölle, Teufel!“ keifte er. „Im Namen unseres Herrn Jesus Christ...“

Da verzog sich der Mund des Mephisto-Gründgens-Wesen zu einem häßlichen Grinsen.

„Exorzismus ist heute nicht darin, großer Meister!“ höhnte er. „Wenn jemand so leichtfertig unserem Vater in der Tiefe seine Seele verspricht, da werden die Engel sauer. Und dann helfen sie nicht. Na, komm schon. Mach keine Zicken. Ab mit dir in die Sauna!“

„Was!“ wunderte sich der Pfarrer und ließ verdattert das Kreuz sinken. „Nur wegen dieser paar Wort, die im täglichen Leben zig-mal gesprochen werden. Da dürfte es ja am Bau keine Poliere und bei der Bundeswehr keine Feldwebel mehr geben. Warum will die Hölle mich, nur weil ich gesagt habe, daß mich der Teufel holen soll, wenn der HSV verliert?“

„Kann ich nicht sagen“, zuckte des Teufels Gerichtsvollzieher die Schulter. „Vielleicht bist du dem Boß unten besonders sympathisch. Vielleicht hat er 'nen guten Job unten für dich. Wer weiß. Es gibt da so allerhand zu tun.“

„Wie... wie ist denn das in der Hölle!“ wollte Mucke wissen.

„Och, für uns Dämonen ganz gemütlich“, sagte Muckes Gegenüber. „Für Euch Neuling natürlich erst ein bißchen ungewohnt, ziemlich warm aber man gewöhnt sich dran. Laß dich mal überraschen, Kumpel. Und jetzt komm, ich habe noch andere Kunden!“

Aus dem Gesicht des Pfarrers war alle Farbe gewichen. Der Andere war stärker, vor allem, wenn er wirklich der Teufel war. Wenn nicht... Mucke angelte eine Stehlampe.

Ein höhnliches Lachen vereitelte den Versuch.

„Seelig, die nicht sehen und doch glauben!“ meckerte des Teufelsgesandter. „Wenn du mich so sehen möchtest, wie du mich immer den Kindern in der Bibelstunde schilderst...“

Gründgens-Mephisto begann zu zerfließen. Grünlicher Nebel umwallte die Gestalt und verzogen sich nur allmählich.

Und dann stand der leibhaftige Gottseibeiuns in Bilderbuchgestalt vor dem Pfarrer.

„Na, jetzt zufrieden?“ kam es.

Der Pfarrer schauderte vor der Gestalt zurück, deren nackte Haut eine Farbe hatte, als hätte sie vielen Stunden auf dem glühenden Bratrost gelegen. Der untere Ausläufer des rechten Beines war der Fuß eines Pferdes, des lange Satansschweif am Hinterteil war in rastloser Bewegung. Ein vorspringendes Kinn. Zu einem höhnischen Grinsen verzogene Lippen, eine krumme Nase, tückische Augen und zwei fingerlange Hörner, die der Stirn entwuchsen zeigten die Konterfei Satans, wie er seit den Tagen des Mittelalters als Schreckensbild für gutgläubige Kirchgänger dargestellt wird.

„Auf geht's Kamerad!“ sagte die Teufelsgestalt ungeduldig. „Langsam habe ich nämlich die Faxen hier dick...“

In diesem Moment wurde Otto Mucke eiskalt. Entkommen konnte er dem Gehuften nicht, beten ging auch nicht, denn es war einzusehen, daß der Himmel hier nicht eingreifen würde. Zweifellos, der Teufel war im Recht.

Aber vielleicht waren nicht alle Mittelchen, welche die Kirche biete, umsonst. Mncke wußte, daß ihm nur eine List half. Der Schnaps von eben. Das wäre eine Möglichkeit.

Vielleicht gelang es ihm, old Satan auszutricksen.

„Ist ja schon gut!“ sagte er und spielte meisterhaft den Menschen, der alles verlorengab. „Ich komme ja schon. Aber... eine letzte Bitte habe ich noch!“

„Was denn jetzt noch?“ wurde der Teufel ungehalten. „Wenn du faule Tricks versuchst…“ Er ließ eine Drohung unausgesprochen.

„Nur noch ein Schnäpschen. Ein letztes Schnäpschen!“ stieß Mucke hervor. „Schnaps, das war sein letztes Wort - so heißt es doch so schön.“

„Na gut, noch einen zum Abgewöhnen!“ genehmigte Luzifers Gesandter.

„Trinken Sie... trinken Sie einen mit?“ fragte Mucke ganz kleinlaut. Jetzt kam es darauf an. Wenn der Bursche jetzt Gedanken las, dann war alles aus.

„Kann nichts schaden ein bißchen Feuerwasser!“ brummte der Gehörnte. Der Pfarrer mußte ein Triumphgebrüll unterdrücken. Der ging ihm doch tatsächlich auf dem Leim.

Gluggernd ergoß sich der farblose Korn in zwei Gläser. Eines hielt Mucke dem Teufel hin. Gierig griffen die Klauenhände des Bösen danach.

„Na dann, wohl bekomms!“ prostete der Teufel dem Pfarrer zu.

„Fahr hinab und grüße deine Vorfahren!“ nuschelte dieser und kippte den Schnaps hinunter. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, daß auch der Geschweifte brav sein Quantum hinunter schüttelte. Und im selben Moment verzog sich das eben noch höhnische Teufelsgesicht zu einer Leidensmiene. Satans Gesandter schien inwendig fürchterliche Schmerzen zu verspüren, der Körper krümmte sich in den unmöglichsten Verrenkungen, der Satansschwanz peitsche die Luft.

„Du Schwein, du hast mich reingelegt!“ keuchte er. „Das war kein Schnaps!“

„Nein!“ sagte Otto Mucke und faltete fromm die Hände. „Da das Gute und das Böse oft nahe beieinander liegen, verwahre ich auch den Korn und das Weihwasser immer in der gleichen Ecke des Schrankens. Na, war das ein Tröpfchen?“

„Es brennt... wie die Hölle. Quatsch, die Hölle ist dagegen angenehmer. Und du bist der durchtriebenste Schurke, der auf Erden herumläuft. Dich können wir nicht gebraucht. Blieb auf der Erde, Wolkensheriff und bring, wenn es an der Zeit ist, den Himmel durcheinander. Schnaps....“

Im gleichen Moment begann die Gestalt wie ein Nebel im Boden zu versinken. Satans Diener hatte sich zurückgezogen.

Otto Mucke stieß einen Erleichterungsseufzer aus.

„Schnaps, das war sein letztes Wort...“ war sein einziger Kommentar und der war ehrlicher als manches Gebet.

Rolf Michael hat diese  Horror-Satire vor 34 Jahre für die erste Dan Shocker-Festschrift geschrieben.

 

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