Es gibt einige Bücher, von denen ich eigentlich immer weiß wo sie gerade liegen, diese tragikkomische Geschichte eines Mannes und seiner Zeit ist eines davon.
Wenig Geschichten haben mich so tief berührt, wenig Gestalten so zu mir gesprochen wie die des Cyrano de Bergerac - in der Weise wie Rostand ihn in seinem Stück beschrieben hat.
Ich war Cyrano schon früher "begegnet", schließlich wurde das abenteuerliche Leben des Helden oft genug verfilmt, endgültig "verfallen" bin ich ihm an einem Kinonachmittag 1991 - ist das wirklich erst so kurz her? Wie kann es anders sein ... es war die Verfilmung von Jean-Paul Rappenau mit einem meiner großen Kinohelden, Gerard Depardieu.
Wenig später hatte ich das Stück als Textbuch gekauft, in der praktischen kleinen Reclam-Ausgabe, dann bin ich wieder ins Kino. Cyrano ist einer der wenigen wenigen Filme, für die ich mehr als einmal ins Kino gegangen bin.
Rostand erzählt in seinem Theaterstück "Cyrano de Bergerac", erschienen 1897 die Geschichte eines Kadetten der franzöischen Truppen. Er ist Gascogner, einer als Rauf- und Trunkenbolde, aber auch furchtlose, treue und tapfere Kämpfer bekannten Truppe innerhalb des Heeres.
Hercule Savinien Cyrano de Bergerac ist aber mehr als der Oberraufbold. Er ist ein exzellenter Kämpfer, kluger Stratege, als guter Ausbilder bei seinen Leuten beliebt und für seine Treue von seinen Freunden geliebt. Daneben ist er intelligent, ein hervorragender Schauspieler, kann dichten.
Seine Fassung verliert er nur dann, wenn er seiner großen Liebe gegenüber steht, der wunderschönen Roxane, einer entfernten Cousine. Diese ist umschwärmt von einer ganzen Reihe hochrangiger französischer Adeliger, die sich nur zu gern mit ihrer Schönheit schmücken würden. An Intelligenz, Witz und Mut steht Roxane Cyrano kaum nach, wie sich noch zeigen wird.
Das Stück beginnt mit einem Auftritt einer Theatergruppe im Saal des Hôtels Bourgogne. Laut Theateranweisung ist es "eine Art von Ballhaus als Theaterraum eingerichtet und aufgeputzt". Vor einer Bühne ist Platz für die Geiger, dann kommen Plätze für die einfachen Zuschauer, außen herum befinden sich die Ränge, oben eingeteilt in Logen für die adeligen Besucher.
Bereits im ersten Aufzug hat Cyrano die Chance, seinen Witz zur Schau zu stellen. Er liefert sich ein exzellentes Wortduell mit verschiedenen anderen Anwesenden. Ein zweites Duell, dieses Mal durchaus blutig, folgt vor dem Theater als er von den Anhängern eines Adeligen, mit dem Cyrano im Clinch liegt, beleidigt wird.
Cyrano reagiert schnell hitzig, wenn man Bezug auf seine große Nase nimmt. Diese körperliche Unzulänglichkeit ist es, die Cyranos großes Trauma darstellt.
Im 2. Akt, 8. Aufzug, als er gemeinsam mit seinem vertrauten Freund Le Bret zusammen sitzt, wird Cyranos Charakter in dem Zwiegespräch beleuchtet. Er leidet unter seiner großen Nase, die er als entsetzlichen Makel empfindet. Sie macht ihn - in seinen Augen - untauglich für die Liebe und die Tatsache, dass er in die wunderschöne Roxane verliebt ist, die ihm so weit entfernt scheint, macht die Sache nicht besser. Seine Verletzlichkeit verbirgt er hinter seiner Polterigkeit.
Cyrano: Doch im Lichte der Freiheit schwärmen, durch die Wälder laufen, mit fester Stimme, klarem Falkenblick, den Schlapphut übermütig im Genick, und je nach Laune reimen oder raufen! Nur singen, wenn Gesang im Herzen wohnt, nicht achten Geld und Ruhm, mit flottem Schwunge arbeiten an der Reise nach dem Mond (...) Ja, das ist meine Schwäche. Gehaßt sein ist mein Glück. Ich will mißfallen! Mich freuts, wenn in ein Wespennest ich steche, wenn rings aus Feindesaugen Pfeile prallen! Stolz merk ich an den Flecken meines Kleides der Feigheit Geifer und die Gischt des Neides! (...)
Le Bret: Ruf laut, welch bittrer Stolz dein Herz umgibt; doch leis gesteh mir, dass sie dich nicht liebt.
In diesem Moment betritt Christian von Neuvillette die Szene, "der Neue" im Regiment der Gasgogner. Er besticht durch sein jugendliches Auftreten und seine Schönheit, und Roxane ist ihm vom ersten Augenblick an verfallen. Das einzige Problem: Christian ist nicht direkt dumm, er ist ein mutiger Soldat und im Feld zweifellos tadellos, allerdings ist er nicht unbedingt der Intelligenteste und ausgesprochen unbeholfen im Umgang mit Frauen. So, das merkt Cyrano rasch, wird es Christian nicht gelingen Roxane für sich zu gewinnen.
Cyrano muss handeln, und so stolpern alle drei in eine Geschichte, die ebenso lustig wie traurig ist und sehr tragisch endet. In seinem Versuch Roxane glücklich zu machen, versucht er Christian zu helfen, agiert als "Ghostwriter" für Liebesbriefe des jungen Manns an die Cousine, legt ihm seine Worte in den Mund und verhilft ihm so zu einem geheimen Treffen mit Roxane auf ihrem Balkon.
Allerdings ist nicht nur Christian an der schönen Roxane interessiert: Auch Graf Guiche, ein Höfling und erklärter Gegner von Cyrano, will die junge Frau und versucht alles, um sie zur Ehe zu drängen. Für Roxane eine schier ausweglose Situation, denn sie würde sich gegen Guiches Avancen nicht wirklich wehren können.
Wieder ist es Cyrano, der eingreift. Er organisiert eine heimliche Trauung von Roxane und Christian und übernimmt es höchstselbst, den Grafen de Guiche so lange aufzuhalten, bis der Priester die Trauung vollzogen hat. Es ist eine der vielen grandiosen Szenen des Stückes, als Cyrano von einer Mauer springt, ein großes Tuch vor der Nase um sich unkenntlich zu machen, und im Schutz der Dunkelheit und dem Licht des Mondes, und sich dem Grafen und seine Begleiter in den Weg stellt.
Cyrano läßt sich von der Mauer fallen und behauptet, er wäre vom Mond gekommen, ein "Mondreisender", müsste sich erst orientieren in welchem Land und welcher Zeit er angekommen ist.
Ich bin noch ganz voll Äther - mit Verlaub!
Ich reiste durch verschiedne Wolkenballen;
in meinen Augen sitzt Planetenstaub, ich hab an meinen Sporen Sternensand (...)
Sehen Sie: hier biß mich in die Wade
der große Bär. Dann, als auf meinem Pfade
den Krebs ich traf, stürzt ich mit einem Sprünglein,
aus Furcht vor seinen Scheren, in die Waage;
Nun zeigt sie mein Gewicht mit ihrem Zünglein. (...)
Als Graf Guiche feststellt, dass er hinters Licht geführt wurde, läßt seine Rache nicht lange auf sich warten. Christian, Cyrano und mit ihnen das gesamte Regiment der Gascogner, wird an die Front geschickt. Dort soll, wenn er selbst schon Roxane nicht haben konnte, doch der Nebenbuhler sein Leben lassen.
Der vierte Aufzug beginnt auf dem Schlachtfeld. Die Kompagnie Carbons, in der auch Cyrano und Christian dienen, stehen in der Ebene vor der nordfranzösischen Stadt Arras. Mühsam durch die Mäntel warm gehalten, in die sie sich gewickelt haben, warten die Männer auf die nächste Schlacht. Sie haben Hunger, sind abgemagert. Sie schrecken aus dem Schlaf hoch, als Musketenfeuer knallt. Dann kehrt Cyrano zurück, der es (wieder einmal) gewagt hat, sich durch die feindlichen Linien zu schleichen ... er musste "zur Post". Seit sie Paris verlassen mussten, hat er der geliebten Roxane jeden Tag einen Liebesbrief geschrieben - als Christian ... ohne zu wissen, was er damit anrichtet.
Roxane hat die Trennung von dem geliebten Christian nicht mehr ausgehalten und sich (mit Proviant, Decken und Munition für die Männer) auf den Weg zum Schlachtfeld gemacht.
Dort kommt es zu einem der großen tragischen Momente: Während die Männer es sich gut gehen lassen, erfährt Christian in einem Gespräch mit Roxane den Grund ihrer Anwesenheit. In der Zeit der Trennung sei ihr klar geworden, dass sie nicht den schönen Mann lieben würde sondern die Seele des Menschen, der ihr diese Briefe schrieb. So würde sie Christian nun wahrlich lieben, denn "Jetzt habe ich nur noch deine Seele lieb."
Christian erkennt, dass er Roxane verloren hat. In Wirklichkeit hat seine Frau nie ihm gehört. Er wendet sich um, sürzt hinaus aufs Schlachtfeld und wird dort tödlich verwundet. Nun wäre der Weg für Cyrano eigentlich frei und die Möglichkeit gekommen, Roxane die Wahrheit zu sagen - doch er tut dies nicht.
15 Jahre später, 1655, im Garten eines Klosters der Nonnen vom Kreuz in Paris spielt der letzte Aufzug des Cyrano de Bergerac. Dorthin hat sich Roxane nach dem Tod des Geliebten zurück gezogen. "Allezeit trauernd" hat sie die Welt hinter sich gelassen und nimmt nur durch die Berichte der Besucher, die regelmäßig zu ihr kommen, am Leben der Gesellschaft Anteil. Wie an allen Samstagen erwartet Roxane Cyrano und seine "Weltchronik", wie beide den Bericht des Hofes nennen, den er ihr mitbringt. Zunächst sieht man Roxane jedoch mit dem Grafen de Guiche, inzwischen Herzog de Grammont, der sichtlich gealtert ist. Er ist hier um Roxane eine Warnung für Cyrano zukommen zu lassen, mit dem er noch immer in einer Mischung aus Hass und Bewunderung verbunden ist. Wieder einmal hat sich Cyrano in Händel mit Hofschranzen eingelassen und man hat beschlossen, ihn durch einen Mordanschlag zu beseitigen.
Als Cyrano schließlich eintrifft, fällt es nur dem Zuschauer auf, dass er verletzt ist. Durch einen Holzstamm niedergeschlagen, hat er eine schwere Kopfverletzung erhalten, die er nur mühsam durch einen Verband und seinen großen Hut verbergen kann.
Im dämmrigen Herbstabend kommt das Gespräch (offensichtlich wieder einmal) auf Christian und zum ersten Mal erlaubt es Roxane, Cyrano den letzten Brief Christians an sie zu lesen. Obwohl Cyrano in der Dunkelheit eigentlich gar nicht dazu in der Lage sein dürfte die Buchstaben zu sehen, liest er den Brief fehlerfrei vor. Dies - und die Tatsache, dass Roxane in diesem Moment die Stimme von damals unter dem Balkon wieder erkennt - lässt sie das ganze Ausmaß der Tragödie erkennen.
In einem wirklich fulminanten "Schlussakkord" stirbt Cyrano in Roxanes Armen.
Für mich gehört "Cyrano de Bergerac" zu den großen Mantel- und Degengeschichten, wie eben z.B. auch die drei Musketiere oder Fanfan, mit Gefechten, Abenteuer, Humor, großen Gesten und dem tragischen Helden, dem es einfach gelingen mag die Heldin zu bekommen.
Wirklich besonders und außergewöhnlich wird dieses Buch / Theaterstück für mich durch die genialen Dialoge und den großen Sprachwitz, den Rostand seinen Akteuren, allen voran natürlich Cyrano selbst, in den Mund gelegt hat.
Zurück bleibt Roxane, die, wie sie selbst sagt, "ein einzig Wesen nur liebt' ich und verlier's zum zweitenmal".
Zitate aus:
Cyrano von Bergerac von Edmond Rostand, Reclam Universal-Bibliothem Nr. 8595, ISBN 3-15-008595-0, 1997