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#38 Er, sie, er und er knöcheltief im Blut

As Time Goes By# 38: Er, sie, er und er knöcheltief im Blut

Jörn Drögemöller wurde ja schon ein paar Mal erwähnt. In Nürnberg konnten wir ihn zuerst nicht wach bekommen. Dann war er verschwunden. Und auf den Bericht über seine Feldforschung in Sachen Frankenstein war auch einer seiner ganz großen Bringer (As Time Goes By #57), der mich zutiefst beeindruckte. Aber er war auch als gnadenloser Amateurautor tätig. Obwohl er auf nicht allzu viele Veröffentlichungen zurückblicken kann, so ist er doch eigentlich ein verkanntes Genie deutscher Horrorliteratur. Er ist ein Künstler, der die ganze Palette moderner Literatur nutzte. Und genau darum soll es in dieser Nummer gehen…


Über ihn gibt es zahllose Geschichten, die Norbert Aichele als Gastautor mal erzählen kann. In jedem Fall gehört Jörn zum Gründungskern der Aktionsgruppe 2000 des Dan Shocker's Fantastik Club 'Marlos'. Er bildete zusammen mit Norbert das Team Larry Brent/Horror. Jörn Drögemöller ist für manche eine Legende.

Seine Gedächtnis ist überragend 2004 war ich mit Jörg Ropers auf dem Weg zum Flohmarkt Buxtehude. Wir standen an der Fußgängerampel Richtung Fußgängerzone. Ein Zug aus Hamburg war eingelaufen und plötzlich stand da jemand neben mir und erkundigte sich nach dem Weg.

Jörgs Augen wurden größer und auch mich beschlich das kalte Grauen. Es war Jörn und Jörn konnte nerven. Aber: Kein Schimmer des Erkennens bei ihm. Ich erklärte ihm, er müsse nur die Straße überqueren und dann immer geradeaus laufen. Dann käme er schon zu besagten Flohmarkt.

In dem Moment wurde es grün und er stampfte davon. Jörg und ich sahen uns erleichtert an und warteten auf die nächste Grünphase. Dann folgten wir ihm in gebührenden Abstand.

Aber zurück zu der Geschichte ...

Die Story, die Jörn da schrieb, hatte etwas Postmodernes. Etwas Eigenwilliges, beinah Philosophisches, das von einer tiefen Erkenntnis von der Natur der Dinge zeugt, die so nicht jeder hat und nur wenige je erreichen werden. Das hat mit Bildung nichts zu tun. Man hat es oder nicht. Das kann man nicht lernen. In einer Zeit, da das Individuum zunehmend in der Masse aufgeht, in einer Zeit, wo aus Namen Nummern werden, da greift Jörn tief in die literarische Trickkiste und holt die Bedrohung, die durch die Anonymität unserer Großstädte entsteht, in den Vordergrund und überführte sie in das klassische Horrorszenario, einen Friedhof. Das hat Stil, das hat was eigenes.

Jörn verzichtet auf sämtliche Namen für seine Figuren. So gibt es mindestens drei "Er" und eine "Sie". Das ist die hohe Kunst des Schreibens. Der Autor zeigt uns, was die Realität aus Menschen macht. Gestalten, die davon bedroht werden, von ihrer eigenen Anonymität aufgefressen zu werden. Die, die sie bedrohen, nennt Jörn, der Autor, Untote. Und so heben sich diese Opfer der Zivilisation, die Vergessenen für einen Moment, über die noch lebenden Figuren, die vom Autor konsequent anonym gehalten werden. Und diese Untoten beginnen sie über den Friedhof zu hetzen und zu Tode zu jagen, aber auch die unterschiedlichen "Ers" werden, soweit ich das noch erinnere, erlegt. Am Ende waten die Untoten knöcheltief im Blut der einen Frau.

Norbert und ich beschlossen, diese Story nicht im Zauberspiegel zu bringen. Er war nur ein simples Horrorfanzine und hatte einfach nicht annähernd das literarische Format, um als Forum für eine solche Geschichte dienen zu können. Die Leserschaft war auch nicht bereit, die Qualitäten dieser Geschichte, die ich selbst damals nicht begriffen habe, zu erkennen. Somit ist dieser literarische Schatz der Vergessenheit anheim gefallen. Aber ich habe ihn der Welt zumindest einmal vorgestellt. Vielleicht ist sie nun reif dafür …

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